Produktdetails
  • Verlag: Steidl
  • Seitenzahl: 520
  • Erscheinungstermin: 25. März 2008
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 700g
  • ISBN-13: 9783865216632
  • ISBN-10: 3865216633
  • Artikelnr.: 23352956
Autorenporträt
Arno Orzessek, 1966 in Osnabrück geboren, studierte Literaturwissenschaften, Philosophie und Kunstgeschichte in Köln. Er lebt und arbeitet als freier Journalist und Autor in Berlin. Sein erster Roman Schattauers Tochter wurde mit dem Uwe-Johnson-Förderpreis 2004/2005 ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2008

Die urologische Beunruhigung

Seit Arno Schmidt hat kein westdeutscher Autor mehr Ostdeutschland so kenntnisreich, wortgewaltig und nachsichtig mehr beschrieben: Arno Orzessek betreibt DDR-Romantik unter Schweinepriestern.

Von Martin Halter

Das ist dann wohl der große deutsche Männerroman: drei Westmänner, zwei Ostfrauen, ein Wort. Oder besser: tausend Worte über Männerkrisen im Gefolge einer "urologischen Beunruhigung", über Wandlung, Wiedergeburt und die "unabweisbare Einsicht, dass das Leben keine Erektion ist". Max, Paul und Albert sind Cousins, quasi seit Kindesbeinen Männerfreunde und noch im mittleren Alter in Berlin unzertrennlich, ein Intellektuellentrio aus Bielefeld, Söhne ostpreußisch-pietistischer Flüchtlinge, Kenner von Luhmann und Blumenberg, meinungsfreudig, wortgewaltig, politisch wach, aber als "gebildete Feinde der Urbanität" auch Sex, Landluft, Kneipendiskussionen und anderen Wonnen der Gewöhnlichkeit nie abgeneigt.

Albert, der Erzähler, hält sich als Alter Ego des Autors im Hintergrund. Dafür drängt sich Max Koriath, Besitzer eines florierenden Fitnessstudios und eines Büros für Neuromarketing, umso mehr nach vorn. Sein Vater war dröhnender Prediger und Posaunist der Pietistengemeinde; der kleine große Max verwirklicht sich eher blasphemisch im Diesseits, in Pointenjägerei, smartem Zynismus, geschlechtlicher und verbalerotischer Potenz. Nach einer Hodenkrebsdiagnose wird der Lautsprecher leiser; nach seiner Teilentmannung - Max nennt die Dinge gern beim Namen: "inguinale Semikastratio" - in der Charité büßt er sogar seinen "Tumorhumor" ein. Je mehr Max in sich geht, desto mehr geht der leicht impotente und gehemmte Paul aus sich heraus. Was der eine verliert, gewinnt der andere: Geschäftstüchtigkeit, Weltgewandtheit und Yvonne. Die schnippisch-spröde Ostberlinerin verachtet Moden, Konsum und Kapitalismus und will nur Max retten; aber der lässt sich nicht helfen und will lieber "das Karzinom totquatschen".

Anders die sanfte Almuth, auch eine Koriath-Cousine. Sie war fünfundzwanzig Jahre lang Pauls Schutzengel und Madonna, und als sie spürt, dass es ihren Geliebten zu Yvonne zieht, gibt sie ihn klaglos frei und wird durch einen Unfall unter die Heiligen entrückt. Schuld an ihrem Tod war ihre Schwester Judith, eine ehrgeizige, zickige "Ostschlampe", die sich nach der Wende zur blasierten Medientheoretikerin fortbildet und als verlebtes Wrack endet. So wird die Geschichte der Tanskis und Koriaths über sechzig Jahre hinweg aufgefächert und mit allen Duftnoten der Nachkriegsgeschichte getrüffelt, von der Flucht 1945 bis zur Fußball-WM 1974, vom 17. Juni 1953 bis zum 11. September 2001. Wie Deutschland sind auch die Familien geteilt. Die Zonen-Verwandten stehen bei den pubertierenden Cousins höher im Kurs als die eigenen Eltern. Onkel Bernhard, der joviale Schweinebrigadist, ist lange nicht so verklemmt, bigott und überheblich wie der westfälische Bausparer Friedrich, auch wenn er sich nach seinem Tod als im Sozialismus untergetauchter Nazi entpuppt. Für die verschüchterten Pietistenkinder ist die DDR ein Hort der Freiheit und Sinnlichkeit: Die Frauen sind frecher hier, die LPG-Schweinepriester fröhlicher, die Früchte saftiger; selbst die Trabi-Abgase riechen nach Freiheit und Abenteuer.

Bei den Verwandten drüben lernen die Wessis überhaupt erst Sex, Drogen und die Rolling Stones kennen. "Manchmal seid ihr voll bescheuert", sagt Paul, "und trotzdem kann man hier Spaß haben. Oben wird alles blöde verboten, aber unten merkt man's nur manchmal." Orzessek kann alle DDR-Herrlichkeiten aufzählen, von der Buchungsmaschine Acosta 170 bis zum Goldbroiler, ein bisschen lebensfreudigen Opportunismus findet er auch herrlich. Seit Arno Schmidt (dem Orzessek nicht nur mit Kapitelüberschriften wie "Mare Crisium", Frauenbild und Stil huldigt) hat kein westdeutscher Autor die DDR so kenntnisreich, wortgewaltig und nachsichtig beschrieben.

Die romantische Sehnsucht nach dem Authentischen, Unverfälschten befeuert auch die Berlin-Schelte dieses Berlin-Romans und seinen "mentalen Ostruck". Orzessek kennt sie alle und mag sie nicht, die Galeristen, rotgrünen Redenschreiber und Norman-Foster-Praktikanten mit ihrem Hauptstadtgetue und ihrer "saturierten Hippness unter Urgroßvaters Stuck". Berlin ist das "Dorado der Dahergelaufenen" und kulturellen Wichtigtuer. Als Wahlberliner und Kulturjournalist zieht er trübere Tassen und unhippe Orte vor, etwa die Plattenbauten von Hellersdorf oder McDonald's in Eisenhüttenstadt. Weiter ostwärts ziehend, besingt sein Fähnlein Fieselschweif den Wilden Westen Polens und die masurischen Seen so schwärmerisch, dass man selbst beim Bund der Vertriebenen feuchte Augen bekäme. Orzesseks Dialoge sind pointiert (aber auch pointensüchtig), seine Figuren vielschichtig (aber auch eindimensional), seine Natur- und Landschaftsbeschreibungen vom Feinsten, alles ganz im Sinne von Maxens Draufgängerpoetik: "Keine Symbolik, nur Präsenz. Die ganze Tiefe der Oberfläche. Anspielungen, die mit Anspielungen spielen. Weil es Spaß macht, weil es scharf macht, weil es erotisch ist, weil es Rhetorik ist." Mal schreibt Orzessek experimentell unterkühlt, grimmig und spitz, mit Dialekt und Wortspielen ("Noböllpreis") um sich werfend wie Arno Schmidt, mal lässt er Faulkner-Satzflüsse träge dahinmäandern und ruft Philip Roth, Nabokov, Buñuel und andere Sprach- und Filmkünstler als Paten und Zitatspender auf. Manchmal blitzt und donnert es wie in einer pietistischen Bußpredigt wider die Berliner Republik, meistens aber nur wie im Feature eines narzisstischen Radiofeuilletonisten, der seinen Roman mit Aperçus, Aphorismen und funkelnden Kurzessays zukleistert. "Großer Gott, Sie snacken wie im NDR", sagt der Urologe zu Max. "Kann es sein, dass hinter Ihrer Wortbesoffenheit blanker Schiss steckt, mein Sohn?" Orzessek schreibt wie im Deutschlandfunk, den seine Cousins übrigens schon als Kinder täglich hören.

Sprachlust, Genauigkeit, Witz, Ironie: "Drei Schritte von der Herrlichkeit" hat alles, was ein großer Roman haben muss, und von allem ein bisschen zu viel. Zu der Herrlichkeit, die mit jedem Wort verkündet oder wenigstens behauptet wird, fehlen mindestens drei Schritte: eine plausible Konstruktion, mehr Erzählökonomie, weniger intellektuelle Präpotenz. Albert ist so überflüssig wie schon der Erzähler in Orzesseks viel gelobtem Erstling "Schattauers Tochter". Dieser Dritte im Bunde sprengt schon durch seine Blässe das vitale Triumvirat. Offensichtlich will Orzessek wieder ein Stück Autobiographie mit verteilten Rollen erzählen; aber warum einen dritten Mann und "blinden Helios" einführen, wenn man sich doch in Max und Paul schon ganz gut inkarnieren kann? Albert stört nicht weiter, aber seine Besserwisserei nervt. "Dieser Tausendsassa weiß von Sachkunde mehr als jeder Sachkundelehrer!", und wie alle guten Journalisten hat er alles exakt recherchiert. Er weiß alles über Angeln, Schweinepest, Kräuterkunde, die Etymologie des Wortes "Krise", Urologie, Klopstock und Jürgen Sparwasser, und er zeigt es auch gern. Selbst im Krankenzimmer liegt immer eine Zeitung mit tagesaktuellen Schlagzeilen herum; selbst beim Picknick oder in der DDR rauschen im Hintergrund, wie im Fassbinder-Film, immer die Nachrichten des Deutschlandfunks. Kein Kommentar zu George Bush, keine Glosse über Hitler-Parodien, kein Kurzessay über den Kartographen Olearius, kein prätentiöses Aperçu ("Die Menschen: plastifizierte Insekten im Museum ihrer Irrtümer"), keine Reisereportage über Montana, die Orzessek im Köcher hat und sich verkneifen könnte. So wird (ähnlich wie einst beim "Weiberroman" seines westfälischen Landsmanns Matthias Politycki) ein groß angelegter, literarisch ehrgeiziger Familien-, Berlin- und Männerroman zu einem jener O-Töne, die Albert im Fach "Zerstreute Wirklichkeiten" archiviert.

- Arno Orzessek: "Drei Schritte von der Herrlichkeit". Roman. Steidl Verlag, Göttingen 2008. 520 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.07.2008

Aus dem Osten kommt die Welt
Genitales Geplänkel: Arno Orzesseks Diskurs-Roman „Drei Schritte von der Herrlichkeit”
Am Anfang des neuen Romans von Arno Orzessek steht eine „urologische Beunruhigung” per SMS: „Bin in der charite campus mitte station 128 urologie. Op am nachmittag. Komm bitte vorbei wenns geht. Dein max”. „Lebemann Max” befindet sich kurz vor der Hodenamputation, genauer: vor der „Semikastratio”. Der Krebs greift das Zentrum seiner Existenz an. Zwar verfügt er am Ende über ein Hodenimplantat mittlerer Größe, allerdings ist ihm da bereits die Lust vergangen, seine geschlechtliche Schauseite einer Frau vorzuführen. Er justiert sich neu und bringt damit auch das Leben seiner beiden besten Freunde aus dem Gleichgewicht: Der Kunsthistoriker Paul wechselt vom Elfenbeinturm der Wissenschaft in die Arena der Werbebranche; Albert verwandelt sich vom Journalisten in einen Romanautor und zeichnet die Erlebnisse des Trios auf.
In der Geschwürstation
In Berlins Zentrum steht also nicht das Brandenburger Tor oder der Reichstag, sondern das Universitätsklinikum. Wir betrachten die Welt aus der Perspektive der „Geschwürstation” – „es gab einen großen Blick auf den schwarz-rot-gold beflaggten Reichstag”. Die „urologische Beunruhigung” strahlt symbolisch in viele Richtungen. Die Welt ist krank und heilungsbedürftig. Alles konzentriert sich auf das Lustzentrum eines erfolgreichen Geschäftsmanns, denn in Max’ Lebenslauf kreuzen sich die Linien der deutschen Nachkriegsgeschichte zwischen Ost und West. Seine Familien- und Liebesbeziehungen geben auch für seine Freunde die Richtung vor: Paul lernt über Max’ DDR-Verwandtschaft seine erste Liebe Almuth im Osten kennen, und nach Max’ „Semikastratio” wechselt die Ostberlinerin Yvonne vom Bett des Fitnessclubbesitzers in die Arme des Kunsthistorikers nach Kreuzberg.
Die gemeinsame Vergangenheit hält das Trio Max, Paul und Albert lange Zeit zusammen. Die drei Freunde leben „in einem Strom geteilter Erinnerungen, dessen Quellflüsse . . . im Osten liegen”, genauer: in einer Erlebniswelt, die sie als „Söhne masurischer Bauern” und frommer Pietisten miteinander verschweißt. Und als wäre das nicht alles schon genug für einen Roman, lässt Orzessek im Hintergrund eine kleine politische Kriminalgeschichte ablaufen: Wo treibt sich der ominöse SS-Offizier herum, der seinen Bruder, Max’ Onkel Bernhard, im KZ Buchenwald gequält hat? Ist er tot oder untergetaucht? Diese Frage wird am Ende auf einer Reise der drei Freunde in die USA gelöst. Und dort, in Montana, übt das Trio dann auch den Tigersprung aus der Geschichte in die „Herrlichkeit” der Natur – das Polarlicht strahlt immer, egal was auf der Welt passiert.
Wie in seinem Erstling „Schattauers Tochter” erzählt Orzessek deutsche Geschichte. Auch dort waren Masuren und der Pietismus wichtige Eckpfeiler der Familiengeschichte; auch dort verschachtelte er unterschiedliche Zeitebenen. In seinem neuen Roman verbindet Orzessek wieder Dokumentation und Fiktion, und wieder zeigt er dabei gern, dass er ein ausgebildeter Kulturwissenschaftler ist. Zumindest lässt er seine Figuren wie Diskursroboter reden und reflektieren. Max beispielsweise „vergötterte Momente. . ., in denen Menschen erleben, dass nicht sie das Begehren haben, sondern das Begehren sie”. Dies führt dazu, dass Max „das genitale Geplänkel, das sein Angebot auf dem Jahrmarkt der Möglichkeiten war, gar nicht bis zur Herzbruchintensität forcieren” kann. Die passende Sentenz für diese Zeit nach der „Marotte der Adoleszenz” lässt nicht lange auf sich warten: „Die Liebe ist ein Scheiterhaufen, auf dem der Lebensstoff in rauen Mengen verbrennt”. So jagt Orzessek den Leser von gedrechselter Formulierung zu gewundenen Gedanken und zurück: Da „streichen” dann Romanfiguren „in den Gesprächen zur Behübschung des Geschlechtsverkehrs die solide Architektur ihres Daseins” heraus; ihre „Wünsche sprengen einfach kein Loch ins Machbare”; oder sie liegen wie ein „Saumseliger im Fadenkreuz der Himmelsrichtungen” im Deichgras.
Jetzt habe ich zu viel gedacht
Mit einem Wort: Es wird viel gedacht in diesem Roman. Vielleicht finden einige Leser dies aufregend. Vielleicht entdecken sie darin ein ironisches Augenblinzeln. Vielleicht die Freude am Spiel mit der Strapazierfähigkeit der Sprache. Vielleicht halten sie diese zerdachte Sprache aber auch schlicht für aufgesetzt: Hier fürchtet sich ein guter, kluger und witziger Autor vor der einfachen Formulierung und blockiert sich selbst. Dem Erzähler geht es wie einer Romanfigur beim Liebesvorspiel: „Jetzt habe ich zu viel gedacht. Ich bring’s nicht mehr.” Es würde seiner Prosa an einigen Stellen helfen, wenn sich „der graue Zaungast des Bewusstseins tagelang nicht blicken lassen” würde. Und Orzessek weiß das alles. Als Max bei der Untersuchung seiner Genitalien einen lässigen Spruch nach dem anderen auf seinen Bettnachbarn prasseln lässt, meint dieser: „Kann es sein, dass hinter Ihrer Wortbesoffenheit blanker Schiss steckt, mein Sohn?” Immer dann, wenn die Figuren besonders locker und authentisch reden sollen, wirken sie besonders verkrampft und künstlich.
Aus Formulierungslust und aus „Schiss” vor einem geradeaus formulierten Satz überdreht Orzessek permanent den Sprachmotor. Das gilt auch für nebensächliche Details. Er lässt beispielsweise eine Karlsruherin im Roman Wörter wie „habsch” statt „habe ich”, „esch” statt „es”, „wenigschtensch” statt „wenigstens” oder „isch” statt „ich” sagen. Dabei handelt es sich aber wohl eher um einen Sprachfehler als um eine dialektale Spracheigenheit: So gut wie immer packt Orzessek ein paar „Sch” zu viel in die Sätze. Der Autor scheint der Sprache seines Erzählers Albert bisweilen selbst nicht mehr zu trauen. Jedenfalls fügt er an einigen Stellen Kommentare Pauls ein, die Formulierungen entschuldigen oder Verbesserungen anmahnen. Leider erweist sich Paul als kein sehr guter Lektor. Auch bei einer „aparten Seltenheit” beispielsweise ist ein Wort überflüssig.
Orzessek hat große Geschichten auf Lager. Er hat ein feines Gespür für das Atmosphärische von Situationen, für die umwegige Annäherung von Menschen, für das zarte Beziehungsspiel von Freunden und Liebenden. Und es gibt einige wunderbar erzählte Passagen in diesem Roman, in denen Orzessek seinen Stilwillen nicht verrät, aber die Sätze sprachlich weniger überinstrumentiert, intellektuell weniger überfrachtet. Zu oft bügelt er jedoch das Leben seiner Figuren gnadenlos platt durch deren Dampfplauderei und durch einen Erzähler, der zu viel erklärt und einfach zu wenig erzählt. Der Roman trägt auch insofern den richtigen Titel: Er bleibt „drei Schritte von der Herrlichkeit” entfernt.STEFFEN MARTUS
ARNO ORZESSEK: Drei Schritte von der Herrlichkeit. Roman. Steidl Verlag, Göttingen 2008. 520 Seiten, 19,90 Euro.
In der „Geschwürstation” der Charite in Berlin Mitte nimmt mancher Lebenslauf eine unerwartete Wendung Foto: dpa
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In diesem Roman, der die deutsch-deutsche Geschichte der letzten Jahrzehnte zum Hintergrund hat, fehlt, konstatiert Martin Halter: nichts. Das wird auf die Dauer freilich zum Problem, denn von allem, was der Autor Arno Orzessek in seinem zweiten Roman zu bieten hat, gebe es in Wahrheit: zu viel. Was er zu bieten hat, sind unter anderem "Sprachlust, Genauigkeit, Witz, Ironie", dazu noch unter anderem Informationen über "Angeln, Schweinepest, Kräuterkunde, die Etymologie des Wortes 'Krise', Urologie" sowie viele genau recherchierte Details aus der DDR, die der Autor beziehungsweise sein Ich-Erzähler Albert, den Halter aber für ein "Alter Ego" des Autors hält, mit beträchtlicher Freundlichkeit zeichnet. Aufgehängt ist die Erzählung an den Trieb- und Lebens-Schicksalen dreier Männer aus Bielefeld, die die Welt und den Osten und die Frauen, insbesondere eine mit Namen Yvonne, erobern. Blass bleibt vor allem Albert, den der Rezensent insgesamt überflüssig findet. Und "eindimensional" bleiben, so viel Orzessek auch an Erfahrungen auf sie drauf- und an sie drantue, die anderen Figuren. Es klingt so, als sei dieser Roman, dessen Stärken Halter sich durchaus herauszustreichen bemüht, ihm im Grunde doch ein wenig auf die Nerven gegangen.

© Perlentaucher Medien GmbH