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Herbst 2014. Eine Frau und ein Mann, eine Literaturwissenschaftlerin aus Boston und ein Schriftsteller vom Bodensee. Zusammen gehen Sie auf Lesereise , beobachtet vom deutschen Feuilleton. Walser, gebannt von der Sprachmacht des großen jiddischen Romanciers Abramovitsh, den Susanne Klingenstein ihm durch ihre Erzählkunst entdeckt hat. Sie, fasziniert von der Sprachkraft, dem Charme und der Virilität des großen deutschen Autors. Ihr gemeinsames Ziel: Leser für die ostjüdische Welt zu begeistern. Die Reise wurde für Susanne Klingenstein eine Reise ins Herz eines anderen Schriftstellerlebens. Wer…mehr

Produktbeschreibung
Herbst 2014. Eine Frau und ein Mann, eine Literaturwissenschaftlerin aus Boston und ein Schriftsteller vom Bodensee. Zusammen gehen Sie auf Lesereise , beobachtet vom deutschen Feuilleton. Walser, gebannt von der Sprachmacht des großen jiddischen Romanciers Abramovitsh, den Susanne Klingenstein ihm durch ihre Erzählkunst entdeckt hat. Sie, fasziniert von der Sprachkraft, dem Charme und der Virilität des großen deutschen Autors. Ihr gemeinsames Ziel: Leser für die ostjüdische Welt zu begeistern.
Die Reise wurde für Susanne Klingenstein eine Reise ins Herz eines anderen Schriftstellerlebens. Wer ist dieser Martin Walser? Wie entstehen seine Romane? Warum versteckt sich der Intellektuelle hinter der Maske des Biedermanns? In diesem Buch nähert sich Klingenstein, seit 2009 mit Walser befreundet, dem Phänomen Walser - dem Fallensteller und Spieler, dem Verführer und Verkaufsgenie. So entsteht ein Porträt Martin Walsers, wie es noch keines gegeben hat.
Autorenporträt
Klingenstein, Susanne
Susanne Klingenstein, geboren in Baden-Baden, lehrte von 1988 bis 2001 Literatur in Harvard und am MIT. Sie lebt als freie Autorin mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Boston und schreibt u.a. für die FAZ und den Weekly Standard.
Rezensionen
Nähe nur beim Spaziergang
Eine Art Liebe: Die Literaturwissenschaftlerin Susanne Klingenstein geht mit dem Schriftsteller Martin Walser

Einst galt in der Germanistik das ungeschriebene Gesetz, dass nicht über einen Autor publiziert werden sollte, der nicht mindestens fünfzig Jahre tot ist. Das erscheint heute seltsam, ganz unbegründet war es nicht, denn eine enge Beziehung von Wissenschaftler und Schriftsteller ist von je für beide Seiten nicht unproblematisch. Der Autor muss zusehen, dass er nicht zum bloßen Objekt eines auf Reputation bedachten Wissenschaftlers wird, der wiederum setzt seinen Ruf aufs Spiel, wenn er sich zu sehr vereinnahmen lässt.

Derart kommt es zu einem Spiel von Annäherung und Abgrenzung, von Enthüllen und Verbergen. Hugo von Hofmannsthal suchte die Verbindung mit den besten Literaturwissenschaftlern seiner Zeit, was ihn aber nicht davon abhielt, in seinen Reden publikumswirksam die Kunst über die "schwächlichen Begriffe" der Wissenschaft zu erheben und sich damit als Intellektueller zu verleugnen. Zum Kreis um Stefan George gehörten bedeutende Wissenschaftler, mit dem genialischen Literarhistoriker Friedrich Gundolf war der Meister tief verbunden, im Konflikt aber sagte er ihm öffentlich ins Gesicht: "Von mir aus führt kein Weg zur Wissenschaft."

Auch Martin Walser hat sich Literaturwissenschaftler verpflichtet, die ihm in Konflikten beispringen und zum Beispiel eine akribische kritische Analyse seines Werks, die eine erstaunliche Häufung von antisemitischen Stereotypen verzeichnet, im Stile des älteren Großordinarius als "wissenschaftlich indiskutabel" abweisen. Auch hier aber kein Dank vom ehemaligen Germanisten. So dürfen sich die akademischen Lobredner fragen, wer mit dem vertrottelten Literaturprofessor gemeint ist, der in "Ein sterbender Mann" im Jargon der Eigentlichkeit über schlechte Parodien moderner Lyrik faselt. Dagegen ist es eher lustig, wenn Susanne Klingenstein findet, ein Münchner Kollege sehe aus wie der Schlagersänger Guildo Horn, denn dieser ist bekanntlich ein sehr sympathischer und sozial engagierter Mensch, der lediglich zu Nussecken und Unterhaltungszwecken Unsinn redet.

Die Literaturprofessorin an der amerikanischen Eliteuniversität hat sich ziemlich weit mit Walser eingelassen, vermittelt durch ihre ausführliche Beschäftigung mit seinem Werk, vor allem aber durch ihr Buch über den ostjüdischen Dichter Scholem Jankew Abramowitsch, das Walser zu seinem Essay über den Dichter "Smekendike blumen" (2014) angeregt hat. Die Abgrenzung ist schon im Titel augenfällig. Susanne Klingenstein hat eine brillante und distanzierende "Studie zur jiddischen Literatur" vorgelegt, Walser eine Einverleibung. Im Jiddischen entdeckt er wie unmittelbar das Eigene des heimischen Dialekts, im Werk ein wahrhaftiges Bild der ostjüdischen Kultur und im Autor sich selbst. Die Literarhistorikerin aber sieht Abramowitsch eher als Artisten, wie es sich schon in der Autorenfiktion des Buchhändlers Mendele zeigt, beinahe einen Erfinder dieser Kultur. So ist sie zwar erfreut über die Wirkung auf Walser, zugleich aber irritiert über dessen Enthusiasmus, der die Form überspringt. Dafür muss sie sich bei den gemeinsamen Lesungen als amerikanischer "Eierkopf" verspotten lassen, eine wirkliche Diskussion kommt selten auf. Sie aber nimmt sich zurück und bewundert unverdrossen bis hin zum unpassenden Vergleich, Walser sei mit seinem Essay an ihrem Buch vorbeigezogen "wie ein Ferrari an einem Reisebus".

Ihre wissenschaftliche Distanz wird im Verhältnis zu Walser auf eine harte Probe gestellt, zeitweise geht sie verloren. Nicht zufällig kommt sie auf das Verhältnis von Gundolf und George zu sprechen. Enervierend oft spricht sie vom Zauber, den Meister Walser auf sie und das Publikum ausübt, und zeigt sich auch von seiner "Virilität" eingenommen. So geraten die Wege und Lesungen mit Walser für sie zur intensiven, aber ziemlich ambivalenten Affäre. "Mit Walser sprechen ist eine Erfahrung der Unmittelbarkeit, des Mitgenommen- und Gebeutelt-Werdens."

Das ist freundlich ausgedrückt. In den einzelnen Episoden nimmt der unbefangene Leser in Walsers angeblicher Unmittelbarkeit eher Übergriffigkeit, Taktlosigkeit und Unverschämtheit wahr. So muss sie sich verbitten, von ihm angefasst und gar ins Gesicht geschlagen zu werden. Als sie sich einmal angeregt mit dem Kritiker Denis Scheck unterhält, der ihr durch Kultiviertheit imponiert, wird sie von Walser grob unterbrochen, sie rede da mit einem "Funktionsträger". Bei der Planung der Lesungen, die Walser bekanntlich sehr ernst nimmt, ist er dagegen manchmal auf beinahe kindliche Weise beleidigt und eifersüchtig.

Susanne Klingenstein verschweigt nicht, dass sie oft verletzt ist, biegt ihre Erlebnisse aber, wo es nur geht, zur Bewunderung um. Die Ungezogenheiten werden zu Möglichkeitsbedingungen der Größe des Schriftstellers verklärt. Walser gelinge es, der schriftstellerischen Existenz "das Verschämte zu nehmen". Gelegentlich ist der Leser unschlüssig, ob sie ihren sporadischen seinsphilosophischen Weiheton wirklich ernst meint. "Denken, Sprache und Sein sind für ihn eins geworden und ruhen unerschütterbar auf der Authentizität seines Empfindens." Vielleicht soll das ja pathetisch verhüllt ausdrücken, dass Walser an einer Selbstbezogenheit laboriert, die ihn für eine freie und gleichberechtigte Diskussion untauglich macht. Jedenfalls akzeptiert sie, dass Walser auch bei der Darstellung des jüdischen Dichters "sein eigener Herr" bleiben will.

An ihm bewundert die Professorin die liebende Bemühung, aber auch den Meister des Kalküls und den Verkäufer seiner selbst. Walser sei aufgrund seiner langen Erfahrung im "Betrieb" zum "Genie der unwiderstehlichen Formulierung" geworden, die je unweigerlich in allen Besprechungen auftauche. Im Abramowitsch-Essay lautet die "Steilvorlage" für Kritiker: "Das Ausmaß unserer Schuld ist schwer vorstellbar. Von Sühne zu sprechen ist grotesk. Mir ist im Lauf der Jahrzehnte vom Auschwitz-Prozess bis heute immer deutlicher geworden, dass wir, die Deutschen, die Schuldner der Juden bleiben. Bedingungslos. Also absolut. Ohne das Hin und Her von Meinungen. Wir können nichts mehr gutmachen."

Es wird nicht recht klar, ob Susanne Klingenstein meint, diese Sätze wären vor allem im Hinblick auf mediale Verwertung geschrieben worden. Wenn ja, dann wäre das Kalkül aufgegangen, und Walser hätte die Kritiker düpiert. Für die Autorin ist die Passage trotzdem Ausdruck von Walsers Empfinden, was immer das heißen mag. Einerseits erkennt sie in dem Essay den Charakter der öffentlichen Rede, andererseits sieht sie darin die subjektive Betrachtung eines Sehnsüchtigen, der in der Spiegelung mit dem jiddischen Dichter ein Versäumnis einholt. Als Bekehrung will sie das aber nicht deuten. Sie kann in Walsers Verhältnis zum Judentum nichts erkennen, was er außer ungeschickter Wortwahl Ignatz Bubis gegenüber zu bereuen hätte. Doch hält sie die Deutung einer "Selbstrehabilitation" Walsers für "ein gutes sekundäres Resultat". Sie habe aber in ihrer "Medienferne" nicht mit der Wucht "der böswilligen Lesart" gerechnet, die das wieder verunkläre.

Jedenfalls hält Susanne Klingenstein trotz mancher Abweisung und manchen Zweifels tapfer zu Walser, stellt allerlei Schmustöpfchen auf und freut sich über jedes gute Wort des Verehrten. Als er ihr aber auf einem Spaziergang Unter den Linden trocken mitteilt, dass ihre Übersetzung von "Mein Jenseits", die er vorher gelobt hatte, nicht erscheinen soll, weil sie "von einem Germanisten" schlecht beurteilt worden ist, ist es um ihre Fassung geschehen. Sie fühlt sich überwältigt von Vergeblichkeit, "von der Sprachlosigkeit aller Abende mit Walser, von der Enttäuschung, von der Klarheit, dass dies mein letzter Spaziergang mit Walser sein würde, meine letzte halbe Stunde einer Nähe, die es nur auf Spaziergängen gibt . . . Ich war nichts gewesen. Und ich würde nie etwas sein. Ich war eine Episode." Nach der letzten gemeinsamen Lesung in München wird sie denn auch kühl verabschiedet, während sich der Schriftsteller samt Entourage zur Weihnachtsfeier begibt.

Solche Sätze finden sich gewöhnlich in Beschreibungen gescheiterter Liebesbeziehungen. Sie lösen beim Leser gemischte Gefühle aus, und so ist er auch ein wenig peinlich berührt, dass sich die Autorin später mit Walser versöhnt und ihm nach einer Lesung überdies "einen Schmetterlingskuss auf seinen heißen, haarlosen, salzigen Kopf" drückt.

Susanne Klingensteins Buch ist ein emotional gefärbtes, gleichwohl vielfach klarsichtiges Porträt des Großschriftstellers und zugleich ein interessantes Kapitel der Geschichte der schwierigen Beziehung zwischen Dichtern und Literaturwissenschaftlern, das germanistischen Interpreten und geneigten Lesern Walsers gleichermaßen zu denken geben kann.

FRIEDMAR APEL

Susanne Klingenstein: "Wege mit Martin Walser". Zauber und Wirklichkeit eines Schriftstellers.

Verlag weissbooks, Frankfurt am Main 2016. 380 S., geb. 24,90 [Euro].

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