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In den 30er Jahren entdeckten der Bildhauer und Grafiker Gerhard Marcks (1889-1981) und seine Familie Niehagen in der Nähe von Ahrenshoop als Urlaubsdomizil. Der Künstler erwarb ein Haus als Sommersitz, während er ab 1936 in Berlin arbeitete. 1937 beschlagnahmten die Nationalsozialisten 86 seiner Arbeiten und diffamierten fünf seiner Werke in der Ausstellung Entartete Kunst. Anschließend erhielt er Ausstellungsverbot. Niehagen war für ihn in dieser Zeit Rückzugs- und Ruhepunkt, aber auch Inspiration, wie man an seinen Zeichnungen mecklenburgischer Landschaften sehen kann. Detlef Hamer…mehr

Produktbeschreibung
In den 30er Jahren entdeckten der Bildhauer und Grafiker Gerhard Marcks (1889-1981) und seine Familie Niehagen in der Nähe von Ahrenshoop als Urlaubsdomizil. Der Künstler erwarb ein Haus als Sommersitz, während er ab 1936 in Berlin arbeitete. 1937 beschlagnahmten die Nationalsozialisten 86 seiner Arbeiten und diffamierten fünf seiner Werke in der Ausstellung Entartete Kunst. Anschließend erhielt er Ausstellungsverbot. Niehagen war für ihn in dieser Zeit Rückzugs- und Ruhepunkt, aber auch Inspiration, wie man an seinen Zeichnungen mecklenburgischer Landschaften sehen kann. Detlef Hamer beleuchtet Marcksens Niehagener Zeit und das Schaffen des Künstlers in Text und mehr als 130 Abbildungen seiner Werke.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.02.2013

Als das schönste Land der Welt zum Gefängnis wurde
Innere Ordnung: Detlef Hamer erinnert an die mecklenburgischen Jahre des Bildhauers Gerhard Marcks

Nicht dass Gerhard Marcks (1889 bis 1981), dieser charaktervolle Unmoderne, dieser begnadete Bildhauer, Holzschneider und Lithograph, vergessen wäre. Aber an Marcks zu erinnern, gibt es immer guten Grund: der Mann, der sich die Freiheit nahm, zu sagen, auch im Westen werde die Muse angekettet an die Meinungen der Ideologen. Er war einer der wenigen des vorigen Jahrhunderts, die sich von Markt und Mode unbeeindruckt zeigten, die auf Schwindel nicht hereinfielen, die sich dem hohen alteuropäischen, fast möchte man sagen apollinischen Begriff der Kunst verbunden fühlten.

Marcks wusste um das Geheimnis der Ausstrahlung, um die Bedeutung der geschlossenen Form, um die innere Ordnung des Werks. Immer ging es ihm um archetypische Darstellung, um philosophische Durchdringung, um Intensität der Figur in Haltung und Gebärde. Kunst sei, hat er einmal gesagt, geistiges Sehen, Ethos der Form, Religion der Sinne, in ihr gelte nur der Fortschritt in die Tiefe. Seine Gesinnung ruhte auf zwei Säulen: von den großen Alten lernen und sich immer an die Natur halten.

Marcks war gebürtiger Berliner, Großstädter, aber es zog ihn stets in die Nähe weiter, offener Landschaften. Reine Stadtmenschen, pflegte er zu sagen, seien nur halbe Menschen. Im Sommer 1914, kurz vor Ausbruch des Krieges, sah er Ahrenshoop zum ersten Mal, und als er es 1946 auf Nimmerwiedersehen verließ - er ging nach Hamburg, später nach Köln -, schrieb er seinem zurückgelassenen Freund Fritz Koch-Gotha: "Ich träume immer vom Fischland, von eiszeitlichen Weiten, rufenden Kranichen, ziehenden Schwänen, Adlern." Von Uwe Johnson stammt der Satz: "Das Fischland ist das schönste Land der Welt." Marcks hätte dem wohl beigepflichtet, trotz seiner erklärten Liebe zu den sanften Hügeln Thüringens und der Eifel. Denn im Grunde sah er sich als "norddeutscher Ebenenmensch".

Detlef Hamers Buch über Marcks' mecklenburgische Zeit umfasst die Jahre 1930 bis 1946. Es ist mehr als nur ein bislang fehlendes Stück Künstlerbiographie, es ist eine anhand der konkreten Lebensumstände erzählte Werk-, Haus- und Familiengeschichte, darüber hinaus ein dörfliches Nahbild der nationalsozialistischen Diktatur. Gerade Letzteres ist von besonderem Interesse. Schreckensregime wirken auf dem Lande ganz anders als im Lärm der großen Städte. Massenhysterie, Propagandageschrei, Fahnenmeere, Militärparaden - das alles findet sich fernab der Kommandozentren vergleichsweise selten. Hier bleibt die Natur das Entscheidende, und hier ist sie plötzlich wie ein Korrektiv, wie ein stummes Mahnmal.

Seit Marcks 1933 von den nationalsozialistischen Machthabern aus dem Lehramt an der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein entlassen worden war und mit Frau und fünf Kindern Zuflucht in Niehagen, einem Ortsteil Ahrenshoops, gefunden hatte, wird er die Weite des Fischlands zwischen Bodden und Ostsee noch stärker empfunden haben als vorher. Wenn alles um einen herum eng wird und laut, wenn man sich der kollektiven Unerbittlichkeit verblendeter Zeitgenossen gegenübersieht, die, wie Emile Cioran einmal sagte, "wie ein fanatisierter Wald" sind, dann trösten den ins Abseits gestellten Einzelnen Stille und Weite mehr denn je. Rundum Krieg, Tyrannei, Denunziation und Lüge - und dann der Kontrast: der hohe Himmel, der große Saal der Ebene, geduldige Pflanzen, redliche Tiere, das betörende Licht bei Tage, das erhabene Licht bei Nacht. Landschaft ohne Verrat.

Marcks wusste, dass man dem Phänomen der Landschaft mit den Mitteln der Plastik nicht beikommt. Also griff er zu Bleistift und Skizzenblock. Was in den sechzehn Niehagener Jahren zeichnerisch entstand, Holzschnitte inbegriffen, füllt mehr als fünfzig Seiten des Hamerschen Buches. Die Skizzenblätter vom Fischland, von Rostock, Wismar, Stralsund, Ribnitz und Wustrow gehören zum Schönsten, was dieser Band zu bieten hat. Natur und Landschaft sind ein großer Trost in finsteren Zeiten, mehr noch waren es die treuen Freunde Fritz Koch-Gotha, Alfred Partikel, Peter E. Erichson und Wilhelm Löber, die Marcks über die schweren Jahre hinweghalfen. Der in Rostock lebende Detlef Hamer - er initiierte dort 1974 und 1979 zwei bedeutende Ausstellungen - hat sich mit seinem neuen Buch ein weiteres Mal um das Werk von Marcks verdient gemacht.

SEBASTIAN KLEINSCHMIDT.

Detlef Hamer: "Sehnsucht nach den Kranichen". Gerhard Marcks in Niehagen.

Edition Cornelius im Projekte-Verlag, Halle (Saale) 2012. 172 S., Abb., geb., 29,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Sebastian Kleinschmidt hat sich der Autor mit diesem Band einmal mehr um das Werk von Gerhard Marcks verdient gemacht. Detlef Hamer erzählt die Fischland-Jahre des Künstlers (1930-1946) nach seinem Rauswurf durch die Nazis. Für Kleinschmidt schon deshalb mehr als ein fehlendes Stück Künstlerbiografie, weil der Autor neben Werk und Familie des Künstlers die dörflichen Umstände anvisiert, das Idyll zu Zeiten der Diktatur und des Schreckens. Für den Rezensenten hat es etwas von einem Korrektiv, einem großen Trost, unter dessen Eindruck Marcks ein Werk schuf, das der Band dem Leser und Betrachter nicht vorenthält, wie Kleinschmidt dankbar verbucht.

© Perlentaucher Medien GmbH