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Mit Rohkaffee handeln - Wierling, Dorothee
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Seit dem späten 19. Jahrhundert war Hamburg das europäische Zentrum des Kaffee-Imports. In der Stadt Hamburg und am Sandtorkai im Hamburger Freihafen befanden sich bis in die 1950er Jahre die Speicher und Kontore von über 200 Rohkaffee-Händlern, die hier auf engstem Raum miteinander kommunizierten, kooperierten und konkurrierten. Die Hamburger Importeure waren die stolzen Vermittler zwischen den Produktionsländern in Übersee und den Konsumenten in Europa, fest verbunden mit den städtischen Eliten, weit gereist in die Kaffeeländer der Welt und gut vernetzt mit den Finanzzentren in London und…mehr

Produktbeschreibung
Seit dem späten 19. Jahrhundert war Hamburg das europäische Zentrum des Kaffee-Imports. In der Stadt Hamburg und am Sandtorkai im Hamburger Freihafen befanden sich bis in die 1950er Jahre die Speicher und Kontore von über 200 Rohkaffee-Händlern, die hier auf engstem Raum miteinander kommunizierten, kooperierten und konkurrierten. Die Hamburger Importeure waren die stolzen Vermittler zwischen den Produktionsländern in Übersee und den Konsumenten in Europa, fest verbunden mit den städtischen Eliten, weit gereist in die Kaffeeländer der Welt und gut vernetzt mit den Finanzzentren in London und New York. Die Studie untersucht das ökonomische, soziale und politische Handeln dieser typischen Vertreter des hanseatischen Kaufmannsstandes im Laufe des 20. Jahrhunderts. Wie veränderten sich unter den Bedingungen dieses Jahrhunderts der Extreme die Orte, Werte und Praktiken der Kaffeehändler? Was wurde aus ihren lokalen Verbindungen und globalen Netzwerken? Und wie bewährte sich das Ideal des "ehrbaren" Kaffee-Kaufmanns? Quellengesättigt und anschaulich erzählt Dorothee Wierling die Geschichte einer Personengruppe, die sich von einer ständischen Gemeinschaft zu einer hart konkurrierenden Branche modernisierte.
Autorenporträt
Die Autorin Dorothee Wierling, Professorin für Zeitgeschichte (i.R.) an der Universität Hamburg und ehemalige stellvertretende Direktorin der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Seit 2015 Senior Fellow am Zentrum für Zeitgeschichtliche Forschung (ZZF) in Potsdam und seit 2017 assoziierte Wissenschaftlerin an der FZH. Forschungsschwerpunkte: Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2018

Vielversprechende Zeiten
Eine Geschichte des Hamburger Kaffeehandels

Nahe beieinander "Am Sandtorkai" hatten Hamburgs Rohkaffee-Händler seit den späten 1880er Jahren ihre Kontore und Speicher. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es in der Hansestadt rund 600 Kaffeehandelsfirmen. "Sie machten Hamburg zum wichtigsten europäischen Importhafen für Rohkaffee", schreibt Dorothee Wierling in ihrer Studie über den Handel vor Ort. Angelpunkt ihrer Untersuchung sind die kleinen, grünen Bohnen, die zum Vorschein kommen, wenn die Fruchtschale von den Kaffeekirschen entfernt ist, und sich getrocknet und geröstet auf den Weg zum Verbraucher machen. Was die Autorin eigentlich interessiert, sind die mit diesem Produkt handelnden Menschen.

Die vormalige Hamburger Professorin für Zeitgeschichte nimmt mit Importeuren, Maklern und Agenten von Rohkaffee gezielt eine Gruppe einflussreicher hanseatischer Kaufleute unter die Lupe. Ihre Analyse des ökonomischen und sozialen Wirkens dieser angesehenen städtischen Schicht, deren individueller und kollektiver Werte, historischer Erfahrungen und Zukunftserwartungen sucht letztlich eine Antwort auf die Frage: Wie hat sich unter den schwierigen Bedingungen des 20. Jahrhunderts das Ideal des "ehrbaren Kaufmanns" verändert? Der erste, kürzere Teil des Buches führt dazu in die überkommenen Prinzipien des Kaffeehandels, seine Akteure, Praktiken und Orte ein. Der Hauptteil untersucht, wie sich diese Strukturen in der Zeit vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende der 1970er Jahre wandelten.

Als ständische Gemeinschaft funktionierte der Hamburger Rohkaffeehandel erstaunlich lange. Die Kriege und Krisen des 20. Jahrhunderts vermochten seine innere Verfassung offenbar zunächst nicht aufzuweichen, sondern festigten eher den Zusammenhalt. In den beiden Weltkriegen und in der Zwischenkriegszeit konterte die Gemeinschaft staatliche Interventionen durch eigene regulierende Maßnahmen, indem sie Kaffeekontingente entsprechend den früheren Anteilen der Händler festlegte und so die Einkommensverteilung zwischen großen und kleinen Firmen bewahrte. Der Umgang mit dem Staat sei von einer pragmatischen Haltung bestimmt gewesen, "unter den gegebenen Umständen die bestmöglichen Geschäfte zu tätigen - und zwar nicht nur für den Einzelnen, sondern für möglichst viele Standesangehörige", sagt Wierling. Erst die Politik des "ungeregelten Handelskapitalismus" der britischen und amerikanischen Besatzer nach 1945 und danach die Soziale Marktwirtschaft habe die Importeursbranche von einer relativ stabilen "Gemeinschaft" in ein dynamisches, für die meisten allerdings zerstörerisches Konkurrenzverhältnis verändert: "Sie ersetzte den Kaufmannsstand durch die Händlerklasse, innerhalb der es zu einem immer entscheidenderen Kampf um Marktanteile kam."

Am Ende sei es ums bloße Überleben und eine vor allem an kurz- und langfristigen Vorteilen orientierte Handelspraxis gegangen. Die späte Modernisierung des Handels hätten zunehmende Ungleichheit und wachsendes Misstrauen gegeneinander gebracht. Heute prägten einzelne, herausragende Unternehmer das Bild des Hamburger Kaffeeimports. Im Mittelpunkt stehe nun nicht mehr der Stand der Händler an sich, sondern die kapitalkräftigsten Unternehmen der Branche. Diese seien allesamt Importröster, die vor allem eine Kaffeemarke wie Tchibo, Jacobs oder Idee-Kaffee repräsentierten.

Mehr denn je gilt Kaffee als wichtiges globales Handelsgut. Angebaut wird das Agrarprodukt auf der Südhalbkugel, industriell verarbeitet und getrunken vor allem im Norden. Die Hamburger Händler sahen sich stets als Vermittler zwischen diesen beiden Hemisphären. Reisen gehörte zu ihrem Beruf. Besonders eine frühe große Reise in die lateinamerikanischen Anbaugebiete war Standard in Hamburger Importeurs-Biographien.

Für die Verbraucher verband der "Tchibo-Mann" ab den späten siebziger Jahren einprägsam deutschen Kaffeekonsum mit den Produktionsländern. Im nachtblauen Einreiher mit Homburg und schwarzer Aktentasche durchquerte der füllige Werbeheld ungeachtet tropischer Hitze die Dschungel von Brasilien und Guatemala, um nach der besten Bohne für heimische Kaffeetrinker zu fahnden. In den achtziger Jahren stagnierte dennoch die Lust auf Kaffeekonsum. Jüngere Leute favorisierten andere Getränke, und die nicht in häuslicher Umgebung. Zum Retter in der Not wurden alsbald Starbucks und Nachahmer mit ihrem "Coffee-to-go"-Konzept.

Zum fortschrittlichen Image kamen auch neue Märkte und veränderte Sorten-Anteile hinzu. So avancierte seit 1989 Vietnam zum zweitgrößten Produktionsland, und damit kehrte die dort erzeugte, ursprünglich westafrikanische, preiswerte "Robusta"-Bohne auf den Weltmarkt zurück. Sie enthält mehr Koffein, Bitterstoffe und Säure als die beliebte "Arabica"-Sorte. Nachdem sich Bitterstoffe und Säure vor dem Rösten reduzieren lassen, macht "Robusta" heute ein Drittel der Weltproduktion aus.

Gourmet-, Bio- und Fair-Trade-Kaffee erlauben in wachsendem Maße bewusste Verbraucherentscheidungen. Immer verbreiteter scheint vor allem der Wunsch, durch politisch korrekten Konsum die ungerechten Arbeitsbedingungen in der Dritten Welt zu verbessern. Das ist auch bei den Händlern angekommen: "Die Importeure wissen, dass für immer mehr Konsumenten die Frage der ,Fairness' am anderen Ende der Warenkette Bedeutung für ihr eigenes Selbstverständnis hat", schreibt Wierling. Noch sind die Fair-Trade-Anteile am Gesamthandel gering. Auch der Schwund an kleinen Produzenten, die vom Kaffeeanbau nicht mehr leben können, ebenso der drohende Verlust von Anbauflächen durch den Klimawandel sind bislang keine dramatische Sorge. Viel erfreulicher scheint, dass die Nachfrage nach Kaffee wächst und neue Märkte vor allem in Asien locken. Der Umsatz der stark geschrumpften Gruppe Hamburger Importeure ist bis auf weiteres gesichert. Wierlings Ausblick endet deshalb optimistisch: "Für diejenigen, die es bis jetzt geschafft haben und es jetzt noch wagen, sehen die Bilanzen vielversprechend aus."

ULLA FÖLSING.

Dorothee Wierling: Mit Rohkaffee handeln. Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 2018, 384 Seiten, 30 Euro

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