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Kretschmers opulentes Werk ist eine Fundgrube nicht nur für Trachtengruppen und Volkskundler. Der Band enthält Trachten aus allen deutschen Regionen, Österreich und Tirol. Durch heutige Technik sind wir erstmalig in der Lage, die originalen in Chromolithographie gedruckten ganzseitigen Tafeln farbgetreu wiederzugeben. Der dekorative Halbleinenband ist dem Original liebevoll nachempfunden.

Produktbeschreibung
Kretschmers opulentes Werk ist eine Fundgrube nicht nur für Trachtengruppen und Volkskundler. Der Band enthält Trachten aus allen deutschen Regionen, Österreich und Tirol. Durch heutige Technik sind wir erstmalig in der Lage, die originalen in Chromolithographie gedruckten ganzseitigen Tafeln farbgetreu wiederzugeben. Der dekorative Halbleinenband ist dem Original liebevoll nachempfunden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2010

Unterröcke kann man nicht genug haben
Den Bauern auf die Knöpfe geschaut: Albert Kretschmers "Großes Buch der Volkstrachten" in einer Neuedition

Vermutlich sind die wenigsten Feuilletonleser Kenner historischer Bauernkleidung. Deswegen muss Missverständnissen vorgebeugt werden. Der Janker mit Hirschhornknöpfen und grünen Borten, den Edmund Stoiber als bayrischer Ministerpräsident häufig trug, ist keine Volkstracht, sondern Trachtenmode: moderne Kleidung mit Folklore-Zitaten.

Ethnologen verstehen unter Volkstracht die über Jahrhunderte nach Geschlecht, Familienstand und Anlass obligatorische Kleidung der Bauern. Dass sie sich im deutschen Sprachraum in ihren verschiedenen regionalen Ausprägungen unter nur zaghaften Veränderungen bis ins 19. Jahrhundert erhielt, liegt an der Leibeigenschaft: Sie fesselte die Landbevölkerung an ihre Heimat und Lebensweise. Weil es keine soziale Mobilität gab, sahen alle gleich aus. Selbst wer zu Wohlstand kam, wurde durch Vorschriften und Sitten in seiner modischen Entfaltung blockiert - Prestigegewinn konnte nur durch Addition des Traditionellen angestrebt werden: Mehr Knöpfe, mehr Bänder, mehr Stickerei, mehr Unterröcke.

Dass die Tracht ein erhaltenswertes Kulturgut darstellt, war keine Idee der Bauern, sondern der Aristokraten und Stadtbürger als Reaktion auf die sozialen Umwälzungen der Neuzeit. Als nach Aufhebung der Leibeigenschaft niemand mehr zum Trachttragen gezwungen war, kleideten sich die Fürsten selbst wie Bauern, um ihre Untertanen zu bravem Konservativismus zu animieren. Das Bürgertum flüchtete vor den Folgen der Industrialisierung in Phantasien vom unverdorbenen Landleben. Das Trachtenforschungs- und Trachtenvereinswesen entstammt der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die national-liberale in eine national-restaurative Bewegung mündete.

Diesen Zeitgeist illustriert "Das große Buch der Volkstrachten" von Albert Kretschmer. Der Maler und Kostümkundler am Königlichen Hoftheater zu Berlin reiste seit den sechziger Jahren bis über die Reichsgründung von 1871 hinaus durch die deutschen und österreichischen Provinzen und hielt mit dem Aquarellpinsel die Relikte historischer Bauernkleidung fest. Sein Werk liegt nun als Neudruck der zweiten Auflage von 1890 vor, originalgetreu im Quartformat, mit neunzig ganzseitigen Farblithografien und Begleittext in Frakturschrift. Der Einband allerdings wurde durch allerlei digitale Grafik-Design-Mätzchen stilgebrochen. Er wirkt ähnlich verunglückt wie Stoibers Business-Janker.

Doch zum Inhalt: Geordnet von Norden nach Süden führt der Trachtenforscher seine Ergebnisse vor, von Schleswig-Holstein bis "Tyrol", von den wiedergewonnenen "Reichslanden Elsaß-Lothringen" bis zum "preußischen Littauen". Der gemeinsame Charakter dieser Regionaltrachten ist Rokoko derber Spielart. Reich ornamentierte Kniebundhosen, Mieder, weite Röcke und Schürzen bilden, modern ausgedrückt, die Basics. Prägend sind höchst eigenartige Kopfbedeckungen: Den mittels Pappgestellen aufgespreizten Stoffhauben der Spreewaldbäuerinnen korrespondiert etwa der Kopfputz der Weinhüter von Meran - Ungetüme aus Eichhornfell und Vogelfedern, die in Kretschmers Augen "den Südsee-Insulanern alle Ehre machen würden". Als Bild-Nachschlagewerk für Volkskundler und Trachtenliebhaber ist sein Opus hervorragend. Wer sich für kostümhistorische Zusammenhänge interessiert, wird von den trockenen Detailbeschreibungen jedoch enttäuscht. An die Genese der Tracht, an ihre sozialen Implikationen, an Verbindungen zu Militäruniformen und Moden der oberen Stände verschwendet der Autor keine Gedanken.

Gespottet wurde über den Trachtenkult schon zu seiner Blütezeit. Der Wiener Architekt und Modernitätsverfechter Adolf Loos nannte die Tracht die "Verkörperung der Resignation". Vereine zur Verbreitung eleganter Stadtkleidung seien viel nötiger.

Noch heute forschen Ethnologen mit großer Hingabe über alte Bauernkleider. Warum analysieren sie nicht ebenso die Volkstracht der Gegenwart? Deren prägende Elemente sind seit Jahrzehnten in Stadt und Land unverändert: Jeans, T-Shirt, Hemd und Pullover. Mit geschultem Auge allerdings lassen sich im Spreewald, am Hamburger Jungfernstieg oder in Berlin-Prenzlauer-Berg durchaus Eigentümlichkeiten feststellen. Solche Regionalismen wären doch mal einen Bildband wert.

FELIX JOHANNES ENZIAN

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Felix Johannes Enzian klärt in seiner Kritik von Albert Kretschmers 1890 in zweiter Auflage erschienenen und nun neu aufgelegten Ausgabe des Volkstrachtenbuchs zunächst den Unterschied zwischen Volkstracht und moderner Trachtenmode. Dann wendet er sich fasziniert den neunzig Farblithografien mit Beschreibung zu, die Trachten von Norddeutschland bis ins "preußische Litauen" nebst Begleittext versammelt und zugleich eindrucksvoll das bürgerliche Interesse im 19. Jahrhundert an Trachten widerspiegelt, wie der Rezensent klarmacht. Den Einband mit seinen "digitalen Grafik-Design-Mätzchen" findet er völlig verfehlt. Als Bild-Lexikon der verschiedenen Trachten aber findet er das Werk höchst empfehlenswert, auch wenn zu kostümhistorischem oder sozialem Kontext nicht viel aus dem Werk herauszuholen ist, wie er bedauert.

© Perlentaucher Medien GmbH