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Die Entfremdung zwischen Ostberlin und Moskau in den 1970er und 1980er Jahren führte zu einer schrittweisen Auflösung der Bestandsgarantie der DDR seitens der KPdSU. Dieser Prozess spiegelte sich in Kriegsbild, Bündnispolitik und Fragen der inneren Sicherheit. Ohne militärische Sicherheit war die DDR als Herrschaftsgebilde des "real existierenden Sozialismus" aber nicht überlebensfähig. Das Aufbegehren der Bürger im Herbst 1989 vollzog dann, was sicherheits- und bündnispolitisch seit fast einem Jahr Realität war: Die DDR war zur Konkursmasse des Ost-West-Konflikts geworden und verschwand.

Produktbeschreibung
Die Entfremdung zwischen Ostberlin und Moskau in den 1970er und 1980er Jahren führte zu einer schrittweisen Auflösung der Bestandsgarantie der DDR seitens der KPdSU. Dieser Prozess spiegelte sich in Kriegsbild, Bündnispolitik und Fragen der inneren Sicherheit. Ohne militärische Sicherheit war die DDR als Herrschaftsgebilde des "real existierenden Sozialismus" aber nicht überlebensfähig. Das Aufbegehren der Bürger im Herbst 1989 vollzog dann, was sicherheits- und bündnispolitisch seit fast einem Jahr Realität war: Die DDR war zur Konkursmasse des Ost-West-Konflikts geworden und verschwand.
Autorenporträt
Jahrgang 1964, Studium der Politischen Wissenschaft, der Wirtschaftsgeschichte und der Mittleren und Neueren Geschichte an der RWTH Aachen und der London School of Economics (LSE), 1996 bis 1997 Lektor beim Nomos Verlag in Baden-Baden, 1997 Promotion, 2004 Habilitation, danach Privatdozent an der Universität Mannheim, seit 2009 Mitarbeiter im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, seit 2015 dort Projektleiter »Sicherheitspolitik und Strategie« im Forschungsbereich Sicherheitspolitik und Streitkräfte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.05.2017

Kreml-Spitzen ließen Vasallen schwitzen
Die Bündnis- und Militärpolitik der DDR im internationalen Kontext 1969 bis 1990

Militärgeschichte ist eine Spezialdisziplin. Auf großes Interesse können ihre Forschungen hierzulande für gewöhnlich nicht zählen. Die Chancen auf eine breitere Wahrnehmung steigen, wenn das eigentliche Thema in einen größeren politischen Zusammenhang eingebunden ist. Oliver Bange versucht das mit einigem, wenn auch nicht mit durchgängigem Erfolg. Sein Buch verspricht nicht weniger, als das "geradezu gespenstisch schnelle Verschwinden" der DDR zu erklären. Das gelingt, weil Bange den Hebel an der richtigen Stelle, nämlich bei der Nationalen Volksarmee (NVA) des SED-Staates ansetzt. Immerhin war diese Armee "nach außen wie nach innen eine alles entscheidende Bestandsgarantie" für Partei und Staat. Deren "überraschend lautlosem" Abtritt aus der Weltgeschichte muss also eine Schwächung besagter Garantie vorausgegangen sein.

Das ist das Thema des Buches, das die "zunächst kaum wahrnehmbare, sich aber bald beschleunigende sicherheits- und militärpolitische Entfremdung zwischen Ost-Berlin und Moskau" mit allem, was dazugehörte, nachzeichnet und analysiert. Weil die Ursprünge dieser Entfremdung in der "schleichenden Revidierung des Feindbildes" durch den Kreml und deren Ursachen wiederum in der Entspannungspolitik zu suchen sind, setzt die Untersuchung mit dem Jahr 1969 ein, als in Moskau die "Ära der Westöffnung" eingeläutet wurde. Die Implosion der DDR markiert den Schlusspunkt. Ein ergänzendes Kapitel über die "nachwirkende Dimension der DDR-Sicherheit" bietet am bemerkenswerten Beispiel des zunächst von der Bundesluftwaffe übernommenen Jagdflugzeugs MiG-29 einen erhellenden Ausblick auf die "Erblasten des Ost-West-Konflikts". Die Untersuchung ruht auf der Auswertung einer enormen Fülle publizierter, vor allem aber nicht veröffentlichter Quellen. Bange hat rund ein Dutzend Archive in aller Herren Länder, darunter auch Russland und die Vereinigten Staaten, besucht, war im Nato-Archiv in Brüssel und hat mit etwa 70 Zeitzeugen gesprochen oder korrespondiert.

Das war geboten, weil der Autor der "persönlichen Dimension der Sicherheit" einen hohen Stellenwert zuweist. Exemplarisch dokumentiert wird das am Verhältnis Erich Honeckers, des Generalsekretärs des Zentralkomitees der SED, auf der einen und der bundesdeutschen Kanzler Helmut Schmidt beziehungsweise Helmut Kohl auf der anderen Seite. Für Honecker, den starken Mann in Partei und Staat, war diese zwischenmenschliche "Verantwortungsgemeinschaft" nicht ohne Risiko, weil die persönliche Annäherung vor allem an Schmidt und die Intensivierung der Wirtschafts- und Wissenschaftsbeziehungen von den eigenen Verbündeten mit zunehmender Skepsis verfolgt wurde. Immerhin stand Helmut Schmidt auch für jenen Nato-Doppelbeschluss, mit dem die westliche Allianz auf die Hochrüstung der Sowjetunion im Bereich der landgestützten nuklearen Mittelstreckenraketen in Europa reagierte. Einen entsprechend prominenten Platz nimmt das Thema auch bei Bange ein. Was er zur Nachrüstung der Nato in diesem Bereich und zu ihrer Wahrnehmung im Warschauer Pakt herausgefunden hat, konnte man so noch nicht lesen. Und das will bei einem derart gut bestellten Feld etwas heißen.

Bange gelingt nämlich der Nachweis, dass die im Zuge des Nato-Doppelbeschlusses dislozierten amerikanischen Pershing II und Cruise Missiles von den Strategen des östlichen Militärbündnisses als "Teilaspekt eines umfassenden Innovationsschubes" auf Seiten der Nato wahrgenommen wurden. Sie ergänzten aus dieser Sicht eine "völlig neue Generation von Mehrzweckkampfflugzeugen, Panzern, Panzerabwehrmitteln, Transport- und Führungssystemen", die zwischen 1980 und 1983 von der Atlantischen Allianz eingeführt wurden. Und das wiederum hatte zur Folge, dass sich bei den Verbündeten der Sowjetunion die Sorge vor einer Abkoppelung breitmachte: Würden die Sowjets angesichts dieser Sachlage Mitteleuropa im Zweifelsfall sich selbst überlassen, um der Gefahr eines strategischen nuklearen Schlagabtausches mit den Amerikanern aus dem Weg zu gehen? Das klingt vertraut, denn genau diese Sorge machte sich damals unter Washingtons Verbündeten breit.

Womöglich hätte man sich in Ost-Berlin mit einschlägigen Versicherungen des Kremls oder mit dem Hinweis auf die über 350 000 sowjetischen Soldaten zufriedenstellen lassen, die damals in der DDR stationiert waren, wäre es nicht zeitgleich auch in Sachen Menschenrechte zu weitgehenden Zugeständnissen Moskaus gekommen. Weil die sowjetische Führung auf den beunruhigenden, umfassenden Innovationsschub der Nato mit der Forderung nach einer Intensivierung der Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen reagierte, war der Westen in einer starken Position. Er nutzte sie, indem er Konzessionen auf diesem Gebiet von einem weitreichenden Entgegenkommen der Warschauer-Pakt-Staaten in "Menschenrechtsfragen" abhängig machte.

Der Ort für entsprechende Verhandlungen war das Folgetreffen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), das von November 1980 bis September 1983 in Madrid tagte. "Mit der Verbindung von Abrüstung und Menschenrechten" begann in Madrid "zugleich eine lange Aufweichung der internen Strukturen der SED-Herrschaft, auf denen die DDR als Staat fußte" - schreibt Bange und dokumentiert das gut. Die Konzessionen in Sachen Menschenrechte wären - für sich genommen - verkraftbar gewesen. Aber durch die unmittelbare Verbindung zum strategischen Gesamtkomplex wurde sie zu einer existentiellen Bedrohung.

Das ahnte man in Ost-Berlin schon Anfang 1980, als die Führung der NVA aus Moskau angewiesen wurde, das gerade erst für ein Großmanöver entwickelte "doktrinäre Szenario grundsätzlich zu verändern". Die neuen Vorgaben ließen für die Partei und die Militärführung der DDR nur den Schluss zu, "dass die Verteidigungsdoktrin des eigenen Bündnisses auf Betreiben der eigenen Schutzmacht das Territorium des eigenen Staates [...] zum Schlachtfeld bestimmt hatte". Ein krasser Befund, der zugleich ein grelles Licht auf den desolaten Zustand der Sowjetunion in den Dämmerstunden der Ära Breschnew wirft. Wie schlecht es stand, zeigten ihr Ende 1979 begonnener Einmarsch nach Afghanistan und die Verhängung des Kriegsrechts in Polen.

Wie überhaupt die Entwicklungen in Polen und in der DDR in einem unmittelbaren Zusammenhang zu sehen sind. Auch das wird bei Bange sehr deutlich. Denn kaum sonst wo im damals so genannten Ostblock hinterließen die KSZE und damit das Thema Menschenrechte so starke Spuren wie in Polen. Als dieser Nachbar seit Anfang 1989 zur Demokratie fand, drohte die DDR vollends zur "verteidigungspolitischen Insel" zu werden. So gesehen "erlöste" die "Implosion des östlichen Bündnisses genauso wie die des eigenen Herrschaftssystems [...] die Partei und ihren Staat aus diesen für sie nicht mehr aufzulösenden militärischen Dilemmata".

GREGOR SCHÖLLGEN

Oliver Bange: Sicherheit und Staat. Die Bündnis- und Militärpolitik der DDR im internationalen Kontext 1969 bis 1990. Ch.Links Verlag, Berlin 2017. XV und 614 S., 50,- [Euro].

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