Produktdetails
  • Verlag: ZWEITAUSENDEINS
  • ISBN-13: 9783861505075
  • ISBN-10: 386150507X
  • Artikelnr.: 24192452
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das Vorbild hat Magnus Klaue schnell ausgemacht: Alfred Hitchcock - dieselbe "fiebrige Intensität", derselbe Sarkasmus, mit der das Umherirren der Figuren registriert wird, dazu "das Motiv des Durchschnittsbürgers, der durch eine Verkettung von Zufällen in lebensgefährliche Situationen gerät". Und spannend ist es auch. Nur - war nicht bei Hitchcock am Ende meistens alles gut? Alle Abgründe geschlossen? Zwar gönne auch Huggins seinen Protagonisten - zwei mittellosen Ex-Yuppies, einem reichen alten Mann und seiner jungen Frau - den "Schimmer eines Happy-Ends", trotzdem sei nichts wirklich gut am Ende. Dazu sind alle menschlich viel zu verkommen, möge sie auch im juristischen Sinne keine Schuld treffen an dem Mord, der die Handlung in Gang setzt. Als hätte Hitchcock seine Unschuld verloren. Denn die Gesellschaft in Huggins' Roman, konstatiert Klaue, hat dies schon längst.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2003

Altlasten in Menschengestalt
Mordssound: David Huggins wandelt auf Hitchcocks Spuren

Es beginnt wie die Halluzination eines alkoholisierten Spätheimkehrers: "Ich suchte nach dem Lichtschalter, indem ich mit der Hand über die kühle Wand wischte. Bald merkte ich, daß ich mich schon zu weit nach links bewegt hatte, wußte aber, daß da noch ein Schalter neben der Küche war. Ich glaubte, die Küche ausmachen zu können, und so schob ich mich, die Arme vorgestreckt, in einer Art Fußfesselgang quer durchs Zimmer... Meine Hand streifte etwas, das an dieser Stelle nicht hätte sein sollen. Etwas Flauschiges. Ich spähte nach unten ins Finstere, und fast wäre mir die Haut abgefallen. Da saß jemand in der Dunkelheit."

Betrunken ist Andy Hayes tatsächlich, als er in die Wohnung seines Freundes Jeff zurückkehrt, die er für einige Wochen hüten soll und in der er gerade eine exzessive Party veranstaltet hat. Doch was er entdeckt, ist keine Einbildung: Mark Bowring, der reiche, vom Leben gelangweilte Gönner von Andys abgehalftertem Jugendfreund Phil Jessup, sitzt zusammengesunken in der Finsternis. Jemand hat ihm den Schädel eingeschlagen. Noch ein paar Stunden zuvor hatte er Andy und Phil, die einst unter dem Namen "Overload" mit der Single "Waterbed" einen europaweiten Hit gelandet hatten und ebenso schnell vom Pop-Markt wieder ausgespuckt worden waren, seine Zusammenarbeit angeboten: "Overload" sollte wiederauferstehen, dank Phils neuer Kreativität ("echt reduzierter Sound, nur mit akustischer Gitarre") und unterstützt von Marks Familienvermögen.

Doch Andy, seit seinem Abschied vom Musikgeschäft als Anstreicher tätig und mit instinktiver Abneigung gegen Szene-Yuppies ausgestattet, hatte abgelehnt. Zumal Mark über das Vermögen, mit dem er zu prahlen pflegte, gar nicht verfügte. Sein Vater Richard, dessen Villa Andy gerade aufpoliert, hatte nämlich die Besitztümer seines Sohnes verwaltet und sich sogar geweigert, diesem seine wertvolle Briefmarkensammlung herauszurücken.

Wie Andys harmlos gemeinte Neckerei, man könne Marks Entführung vortäuschen und Richard damit zu erpressen versuchen, ihn in Mordverdacht bringt, die Beziehung zu seiner Jugendliebe Sara fast zerstört und Andy zum verdeckten Ermittler in eigener Sache werden läßt, davon erzählt David Huggins in seinem zweiten Roman mit einer fiebrigen Intensität, die an Alfred Hitchcock erinnert. Von Hitchcock stammt das Motiv des Durchschnittsbürgers, der durch eine Verkettung von Zufällen in lebensgefährliche Situationen gerät. Wie dieser arbeitet Huggins mit dem dramaturgischen Kniff des "MacGuffin", jenes eigentlich belanglosen Gegenstands, der - wie hier Marks Briefmarkensammlung - als geheimer Motor der Handlung fungiert. Und schließlich pflegt Huggins einen ähnlich sarkastischen Blick auf seine Figuren, deren haarscharfes Vorbeischlittern an der Katastrophe er mit der Lakonie eines abgeklärten Kenners menschlicher Schicksale registriert.

Doch auf der glatten Oberfläche bilden sich Risse, die nicht so einfach zu kitten sind wie zu Hitchcocks Zeiten. Zwar gönnt auch Huggins seinen Protagonisten nach einem spannenden Finale den Schimmer eines Happy-Ends. Doch der Preis dafür ist hoch. Als Andy mit mehr als nur einem blauen Auge davongekommen ist, hat er Einblicke in eine Gesellschaft bekommen, in der Prostitution, Selbstverleugnung und Heuchelei den Menschen zur zweiten Natur geworden sind.

Marks Stiefmutter Emma etwa ist während ihrer Ehe mit Richard buchstäblich vertrocknet und hält es in dessen unmenschlich großem Haus nur mittels der Hoffnung aus, einmal Erbin eines großen Vermögens zu werden. Andy hintergeht seine Freundin, um die eigene Haut zu retten, und transportiert mit seinem Lieferwagen Marks Leiche durch halb London, um sie in einer Schlächterei verschwinden zu lassen. Der tote Körper wird ihm und Phil in ihrer Angst, des Mordes verdächtigt zu werden, zum bloßen Abfall, der möglichst schnell beseitigt werden muß. Obwohl sie im juristischen Sinn unschuldig sind, unterscheidet sich ihr menschenverachtender Blick nicht von dem des Mörders: "Das hier ist nichts anderes als menschliche Altlast. Es ist keine Person mehr, okay? Es ist Beweismaterial."

"Altlasten" sind im Grunde genommen alle Personen in diesem Roman. Andy und Phil dämmern im bedrückenden Alltag der working poor vor sich hin. Mark erträgt seine von Luxus eingeschnürte Existenz nur unter Drogen, sein Vater und seine Stiefmutter haben sich nur deshalb noch nicht voneinander getrennt, weil Emma Richards Vermögen und Richard Emmas Jugend besitzen möchte. "Luxury Amnesia", der Originaltitel von Huggins' Thriller, trifft diesen Zustand kollektiver Selbstvergessenheit, der seinen Protagonisten die Luft zum Atmen nimmt.

Einzig am Ende, dessen Details natürlich nicht verraten werden sollen, steht ein utopisches Bild. Sara und Andy fällt in der Untergrundbahn ein verliebtes, blindes Pärchen auf, dem sie Marks Briefmarkenalbum überreichen, das inzwischen in Andys Besitz übergegangen ist. Es ist das erste Mal in Huggins' Buch, daß Menschen einander etwas schenken: "Das Paar lächelte, als die Bahn anfuhr, und bevor sie im Tunnel verschwand, sah ich noch, wie der Mann über etwas lachte, das die Frau zu ihm sagte." In der selbstverständlichen Zärtlichkeit der von den Fahrgästen begafften Blinden entdecken Andy und Sara für einen kurzen Augenblick das positive Gegenbild zur eigenen emotionalen Erblindung.

MAGNUS KLAUE

David Huggins: "Ein einziger Hit". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Karsten Singelmann. Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2003, 156 S., geb., 13,50 [Euro].

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