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Die Handlung führt an das Gymnasium einer ungarischen Kleinstadt. Hier quälen sich die Jungen nicht gegenseitig, wie in Robert Musils zwei Jahrzehnte zuvor entstandenem "Zögling Törleß", sondern ein älterer Lehrer steht im Mittelpunkt, der als Folge überholter Lebensformen und -auffassungen von den Schülern drangsaliert und gedemütigt wird, bis hin zum dramatischen Klimax des Buches. Kosztolanyi erzählt, ebenso feinfühlig in der Sprache wie intensiv in der Geataltung, die Geschichte des Professors Antal Novak und seiner Tochter Hilda, die mit ihrem Geliebten dem elterlichen Haus entflieht.…mehr

Produktbeschreibung
Die Handlung führt an das Gymnasium einer ungarischen Kleinstadt. Hier quälen sich die Jungen nicht gegenseitig, wie in Robert Musils zwei Jahrzehnte zuvor entstandenem "Zögling Törleß", sondern ein älterer Lehrer steht im Mittelpunkt, der als Folge überholter Lebensformen und -auffassungen von den Schülern drangsaliert und gedemütigt wird, bis hin zum dramatischen Klimax des Buches. Kosztolanyi erzählt, ebenso feinfühlig in der Sprache wie intensiv in der Geataltung, die Geschichte des Professors Antal Novak und seiner Tochter Hilda, die mit ihrem Geliebten dem elterlichen Haus entflieht. Dabei gelingt dem Autor ein eindrucksvolles Psychogramm menschlichen Verhaltens in einer untergehenden Welt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2000

Selbstmord eines Lehrers
Enge Welt: Dezsó Kosztolányis Roman "Der goldene Drachen"

Das Werk des ungarischen Schriftstellers Dezsó Kosztolányi führt in Deutschland eine Existenz im Halbschatten. Seine Romane fanden prominente Fürsprecher wie Thomas Mann, der Kosztolányis Künstlerroman "Nero" (1922) überschwenglich feierte, oder Hans Magnus Enzensberger, der "Anna Edes" (1926) in die "Andere Bibliothek" aufnahm, aber zu einer größeren Bekanntheit gelangte der 1936 gestorbene Schriftsteller beim deutschen Publikum nicht. Daran konnten auch die Erzählungenbände "Schachmatt", "Der Kuß" und "Der kleptomanische Übersetzer", die in den letzten beiden Jahrzehnten auf deutsch erschienen sind, trotz ihrer beeindruckenden stilistische Virtuosität und thematischen Vielfalt nichts ändern. Umgekehrt arbeitete der passionierte Übersetzer Kosztolányi zeitlebens für den Transfer auch der deutschen Kultur nach Ungarn; als Mitarbeiter der wegweisenden Zeitschrift "Nyugat" ("Westen") und als erster Pen-Präsident Ungarns bemühte er sich um die Rezeption der literarischen Moderne westeuropäischer Prägung in seiner Heimat.

Seine fünf Romane entstanden kurz hintereinander in den zwanziger Jahren. Vier von ihnen wurden rasch ins Deutsche übersetzt; neben "Nero" und "Anna Edes" noch "Der schlechte Arzt" (1921) und der Kleinstadtroman "Lerche" (1924).

Die südungarische Provinzstadt Sárszeg, in der in "Lerche" die ältliche, unverheiratete Tochter ihre Eltern tyrannisiert, ist auch der Schauplatz von Kosztolányis Roman "Der goldene Drachen" (1925), der jetzt zum erstenmal auf deutsch erschienen ist. Wieder prägt die Enge des kleinen Nestes, die umfassende Beobachtung des einzelnen durch die Gemeinschaft das Klima der Handlung; wieder spricht der Roman anschaulich, aber verhalten von der Hölle, die Menschen einander bereiten. Doch während in "Lerche" das Erdrückende des Zusammenlebens erst in der einen Woche fühlbar wird, in der die Tochter nach vielen Jahren das Elternhaus vorübergehend verläßt, steuert die Handlung im "Goldenen Drachen" nach Jahren der latenten Anspannung auf die Katastrophe zu, als sich die Beziehung der Protagonisten, eines Lehrers und seiner Schüler,  notgedrungen intensiviert: in den Wochen vor dem mündlichen Abitur.

Antal Novák unterrichtet Mathematik und Physik am Gymnasium von Sárszeg. Er ist bei den Schülern geachtet, geht in seinem Beruf auf und ist von einer Aura respektvoller Distanz umgeben. Kurz vor dem Abitur läßt er sich dazu hinreißen, Vili Liszner, einen guten Sportler und schlechten Schüler, vor der Klasse zu demütigen. Vili, empfindlich getroffen, hält Novák daraufhin für seinen Feind und das Abitur daher für unerreichbar, während Novák sich nur widerstrebend und unverständig mit den Ursachen von Vilis Versagen auseinandersetzen mag. Der Schüler, angestachelt von anderen vermeintlichen Opfern Nováks, rächt sich: erst zögernd, indem er dem Lehrer Schmähworte hinterherruft, schließlich mit einem nächtlichen Überfall und einigen Schlägen.

Ebenso hart trifft es den Lehrer, daß seine Tochter mit ihrem Geliebten - einem seiner Schüler - heimlich die Stadt verläßt und wenig später der Überfall und die Flucht in den hämischen Artikeln einer lokalen Zeitung entstellt an die Öffentlichkeit gelangen. Später wird Vili in einer Privatschule einen zweiten Anlauf aufs Abitur nehmen und Nováks Tochter, inzwischen ehrbahr verheiratet, auf ein gelangweiltes Leben in einem anderen Provinznest zusteuern, in dem die Flirts mit den Freunden ihres Mannes und okkulte Sitzungen die einzigen Abwechslungen im grauen Einerlei der Tage sind. Der Lehrer Novák aber bringt sich um.

Kosztolányis Schilderung des Konflikts zwischen Schüler und Lehrer vermeidet Erklärungen und überläßt es dem Leser, die Handlungsweisen der Protagonisten zu interpretieren. Dies führt zu einem atmosphärisch dichten Entwurf des Kleinstadtlebens, das Kosztolányi genau kannte: Er wuchs in der heute jugoslawischen Stadt Subotica (Szabadka) auf, wo sein Vater Direktor des Gymnasiums war.

Einzig die allzu bemühte Symbolik des papierenen "Goldenen Drachen", der dem Roman seinen Namen gibt, ist störend: In der Eingangsszene steht er, an der Schnur einer Schülergruppe, ruhig in der Luft über dem Haus des Lehrers, der seinen Kollegen von den bekannten Blitzableiter-Versuchen Benjamin Franklins erzählt. Der Blitz aus gar nicht so heiterem Himmel, so ahnt man, wird in das Haus des Lehrers fahren und ihn mit der Flucht der Tochter an empfindlicher Stelle treffen. Als dann der Drachen weiterfliegt und über dem Schulgebäude verharrt, deutet sich der nächste Schicksalsschlag für Novák an, der denn auch an diesem Ort sein Leben endigen wird.

Sieht man von dieser überstrapazierten Symbolik ab, ist Kosztolányis Roman ein durchdachtes und berührendes Werk über die Entstehung und das Wachstum von Aggression in einer überschaubaren Welt - und über die verletzende Einsamkeit eines Intellektuellen, der den Weg nicht mehr findet zu den langsameren seiner Schüler.

TILMAN SPRECKELSEN.

Dezsó Kosztolányi: "Der goldene Drachen". Roman. Aus dem Ungarischen übersetzt von Hans Skirecki. Edition q, Berlin 1999. 276 S., geb., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Tilman Spreckelsen bedauert es sehr, dass der Autor in Deutschland nur wenig bekannt ist, und umso mehr begrüßt er nun das Erscheinen dieses bereits 1925 geschriebenen Romans. Thema ist der Konflikt zwischen einem Lehrer und einem Schüler, ein Konflikt, der - nicht zuletzt durch Missverständnisse, Empfindlichkeiten und Verletzungen auf beiden Seiten - in einer Tragödie endet. Besonders gut gefällt dabei dem Rezensenten, dass Kosztolanyi "Erklärungen" vermeidet und dem Leser Raum lässt für eigenen Interpretationen. Dies führe auch zu einem "atmosphärisch dichten Entwurf des Kleinstadtlebens", was bei der tragischen Entwicklung der Geschichte eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Lediglich die "bemühte Symbolik", etwa der über dem Haus des Lehrers fliegende Drache, wird vom Rezensenten als übertrieben moniert. Insgesamt jedoch zeigt er sich äußerst angetan von diesem Band, den er nicht nur "durchdacht und berührend" findet, sondern der auch viel von der Entstehung von Aggressionen in einer Kleinstadt und der Unfähigkeit beider Protagonisten zeigt, die Welt des jeweils anderen zu verstehen.

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