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Die vorliegende Atbeit untersucht die Zusammenhänge zwischen dem politisch-gesellschaftlichen Wandel und den Veränderungen der inhaltlichen wie äußeren Gestalt des Fahneneides. Ausgangsfrage ist dabei, ob sich an der Institution des Fahneneides nicht nur die jeweilige militärische, religiöse und politische Bindung des Soldaten an Traditionen und Institutionen ablesen lasse, sondern darüber hinaus anhand der inhaltlichen wie äußeren Gestaltung der Eidesformel auch Aussagen über die politische und gesellschaftliche verfassung des jeweiligen Staatswesens getroffen werden können. Insbesondere…mehr

Produktbeschreibung
Die vorliegende Atbeit untersucht die Zusammenhänge zwischen dem politisch-gesellschaftlichen Wandel und den Veränderungen der inhaltlichen wie äußeren Gestalt des Fahneneides. Ausgangsfrage ist dabei, ob sich an der Institution des Fahneneides nicht nur die jeweilige militärische, religiöse und politische Bindung des Soldaten an Traditionen und Institutionen ablesen lasse, sondern darüber hinaus anhand der inhaltlichen wie äußeren Gestaltung der Eidesformel auch Aussagen über die politische und gesellschaftliche verfassung des jeweiligen Staatswesens getroffen werden können. Insbesondere belegt die Untersuchung, daß sich diese Interdepenenzen nicht in der Funktion des Fahneneides als bloßem Spiegel einer verfassungsrechtlichen Entwicklung erschöpften, sondern der Eid des Soldaten eine solche Entwicklung gelegentlich auch vorwegnehmen konnte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.2004

Befehlen und befolgen
Die Bedeutung des militärischen Eids in Deutschland

Sven Lange: Der Fahneneid. Die Geschichte der Schwurverpflichtung im deutschen Militär. Edition Temmen, Bremen 2003. 494 Seiten, 15,90 [Euro].

Mit dem Schwören ist das so eine Sache. Davon wußte schon das Nibelungenlied zu berichten. Als die rachsüchtige Kriemhild ihren Vasallen Rüdiger von Bechelaren an seinen Eid erinnerte und aufforderte, gegen seine Freunde und Verwandten, die Burgunder, zu kämpfen, antwortete er: "Ich schwur Euch, edle Frau, daß ich für Euch mein Ansehen und mein Leben aufs Spiel setzen würde. Ich habe aber nicht geschworen, auch die Seele zu verlieren." Rüdiger geriet in einen ausweglosen Gewissenskonflikt und gab schließlich dem Drängen seiner Königin nach. Damit riskierte er - wie es in der Dichtung heißt - den Verlust seines Lebens und seiner Seele.

Diese Episode aus dem Nibelungenlied, die in ihrer Nachdenklichkeit nicht so recht in den Mythos der "Nibelungentreue" passen will, beschrieb frühzeitig das zentrale Problem militärischer Eide in Deutschland. Die "Gefolgschaft" spielte in der deutschen Geschichte von Anfang an eine besondere Rolle und gab der Schwurverpflichtung ein größeres Gewicht als in den meisten anderen Ländern. Die Herrschenden versuchten dies auszunutzen, indem sie ihre Soldaten durch den Eid so eng wie möglich an ihre Person und ihr System banden.

Im 19. Jahrhundert erlebte der Soldateneid eine neue Qualität, als die Massenheere eine stärkere Betonung der moralischen Pflicht zum Kampf erforderten. Die Vereidigung erhielt - unterstützt durch die Kirche - ein zunehmend sakrales Gepräge, um die Eidtreue religiös zu überhöhen. Der Fahneneid bildete den Initiationsritus einer militärischen Schwurgemeinschaft, die sich von ihrer zivilen Umwelt abgrenzte. Im Kaiserreich sollte dadurch auch ein Bollwerk der monarchischen Ordnung errichtet werden. Wilhelm II. gab der Allianz von Eid, Treue und Gehorsam eine radikale Note. Er vertrat Kriemhilds Standpunkt und rief seinen jungen Gardisten nach der Rekrutenvereidigung zu: "Ihr seid jetzt Meine Soldaten, ihr habt euch Mir mit Leib und Seele ergeben. Bei den jetzigen socialistischen Umtrieben kann es vorkommen, daß Ich euch befehle, eure eignen Verwandten, Brüder, ja Eltern niederzuschießen, aber auch dann müßt ihr Meine Befehle ohne Murren befolgen."

Von dieser geradezu unsittlichen Interpretation des Fahneneids bis zum totalitären Anspruch einer "Nibelungentreue bis ins Unrecht" war es nur noch ein kleiner Schritt. Hitler ließ seine Soldaten den "heiligen Eid" schwören, ihm "unbedingten Gehorsam" bis in den Tod zu leisten. Eine solche absolute Gefolgschaftsverpflichtung ohne rechtliche und moralische Einschränkungen forderte vollends die Seele der Untertanen. Diese Zumutung eines verbrecherischen Regimes war allerdings so offensichtlich, daß die uniformierten Protagonisten des Widerstands gegen Hitler - so die überzeugende Analyse Langes - wohl leichter bereit waren, die Verantwortung über die Eidtreue zu stellen, als nach dem Krieg gegenüber dem Vorwurf des "Verrats" behauptet wurde.

Vor und nach der Pervertierung des Fahneneids durch das nationalsozialistische Regime wurde in den deutschen Streitkräften ganz anders geschworen. Die Weimarer Republik brach mit dem Eid auf eine Person und führte den Verfassungseid ohne jede religiöse Verbrämung ein, die DDR erweiterte die Eidbindung auf den gesamten Sozialismus, und die Bundesrepublik läßt bis heute auf "das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes" schwören oder geloben. Zahlreiche "ehrenwerte Menschen" mußten, wie der ehemalige Reichswehrminister Gessler in den fünfziger Jahren spottete, vier sehr unterschiedliche Eide leisten, die für vier sehr unterschiedliche Herrschaftsordnungen standen: "Etwas viel für den knappen Zeitraum eines Menschenalters."

Jedoch darf die Bedeutung des militärischen Eids trotz dieser scheinbaren Beliebigkeit nicht unterschätzt werden. Die Schwurpraxis ist im Zeitalter der allgemeinen Wehrpflicht ein nicht nur militärisches, sondern auch politisch-gesellschaftliches Massenphänomen. So war es überfällig, die geschichtliche Entwicklung des Fahneneids vom Kaiserreich bis zur Gegenwart systematisch zu untersuchen und als symptomatisch für die Wandlungen von Staat und Gesellschaft zu erfassen. Die Arbeit von Sven Lange präsentiert sich dem Leser recht grau und umständlich, entschädigt aber durch eine umfassende Darstellung und kluge Problematisierung aller wesentlichen Aspekte der Vereidigung.

Dabei wird der Bogen bis in den politischen Tagesstreit gespannt. Während die Bonner Republik sich in dieser Frage eher zurückhielt, drückt sich das neue Selbstbewußtsein der Berliner Republik auch darin aus, daß heute an öffentlichen Orten aufwendige Vereidigungsfeiern mit Fahnen und Zapfenstreich zelebriert werden. Besonders Politiker der Grünen wandten sich heftig gegen dieses "feudalistische, perverse Ritual" (Jürgen Trittin) und die vermeintliche "Militarisierung des öffentlichen Raumes" (Antje Radcke). Dagegen rät Lange zu mehr Gelassenheit und verweist auf die Einbindung der Bundeswehr in die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Die Zeiten, in denen ein deutscher Rekrut durch einen Eid zum Verlust seiner Seele gezwungen wird, dürften tatsächlich vorbei sein.

JOHANNES HÜRTER

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Eine "gehaltvolle Untersuchung" der Bedeutung von Fahneneid und Gelöbnis im politischen Wandel sieht der "Lz." zeichnende Rezensent in diesem Buch. Auf zahlreichen Quellen und Darstellungen basierend, beleuchte Sven Lange die Entwicklung des Fahneneides in Deutschland aus geschichtlichem, juristischem und gesellschaftspolitischem Blickwinkel. Die wechselnden Eidesformeln spiegelten in der Einschätzung des Autors die historischen und sozialen Umbrüche wider. Damit werde auch deutlich, in welchem Maße sich ebenfalls das Rollenverständnis des Militärs in Staat und Gesellschaft gewandelt habe. Der Rezensent hebt hervor, dass sich Lange auch mit Fahneneid und Gelöbnis im Dritten Reich und in der DDR eingehend beschäftigt. Darüber hinaus findet er bei Lange "wichtige Gedankenanstöße zur Funktion des Soldaten in der Gesellschaft demokratischer Staaten".

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