Marktplatzangebote
18 Angebote ab € 3,50 €
Produktdetails
  • Popular Art
  • Verlag: Brandstätter
  • Seitenzahl: 62
  • Abmessung: 249mm x 176mm x 13mm
  • Gewicht: 434g
  • ISBN-13: 9783854980674
  • ISBN-10: 3854980671
  • Artikelnr.: 08859565
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.2001

Mit Eheritze
Günther Nenning löckt den Stachel gegen Kitschverächter

Wenn Kitsch eine aufs Mittelmaß geschrumpfte Kunst ist, dann ist "Kult" das Produkt einer aufs Mittelmaß geschrumpften Ironie. Mit dem Kitsch hat es nämlich eine taoistische Bewandtnis: Der Kitsch, von dem wir sprechen können, ist nicht der wirkliche Kitsch. Für den, der ihn als solchen erkennt, verliert er seine muffige Behaglichkeit. Doch veredelt zum Kult, entschädigt er durch behagliche Ironie. Die Welt ist kalt, der Kult ist kuschlig. Und was geschieht, wenn er seinerseits zum Programm erhoben wird? "Willkommen in der Jägermeister Networld, der digitalen Welt um den Kult aus sechsundfünfzig Kräutern", wo der Hubertushirsch im Wappen prangt oder als Cartoonfigur im "Hunter's Hell" an der Theke lehnt.

Auf derartige Ironisierungsspiralen läßt Günther Nenning sich gar nicht ein. In seiner Kollektion röhrender Hirsche, entrückter Madonnen, draller Zigeunerinnen und anderer Lieblingsmotive von bürgerlichen Schlafzimmerwänden dient die Ironie allein der Verpackung - sei es der Einband mit Hirsch und Schwan im Goldrahmen oder die zur Schau getragene Launigkeit von Nennings Text. "Ich behaupte einfach: ich schreibe Satire", verrät er. Dabei gefällt sich der neunundsiebzigjährige österreichische Publizist viel zu sehr in der Rolle des konservativen Provokateurs, der einen Schwanengesang auf die gute alte Spießigkeit anstimmt.

Der Feind trägt Schwarz, sein Bett heißt Futon, und seine Götter sind Genetiker. Gegen diese Kitschverächter und Bannerträger von Hochkunst und künstlicher Befruchtung, die das Lamm Gottes im Schlafzimmer abgehängt und durch ein Porträt des Klonschafs Dolly ersetzt haben, zieht Nenning entschlossen zu Felde. Gegen sie ficht er für die Rückkehr des knarrenden Doppelbetts mit Eheritze und der Bilder von Hirschen und Hindinnen, Schwänen und schlafenden Schönen, Elfen und Engeln, die einst in vergoldeten Gipsrahmen über Schlaf und Beischlaf wachten.

"Schlafzimmer sind Zeugungszimmer", eröffnet der Autor sein Plädoyer. Und: "Zum Schlafzimmer gehören immer Geräusch und Geruch. Das Geräusch ist natürlich das Knarren, das rhythmische. Der Geruch ist natürlich der Mief, ein schlaff wabernder Muttergeruch, ein scharf hirschelnder Vatergeruch. Der Rest ist Phantasie und Psychoanalyse." Und selbst damit hat der Autor gegeizt. Der Postkartensammler, Religions- und Sprachwissenschaftler Nenning hat zwischen geblümten Buchdeckeln einige wunderbare Funde zusammengetragen, aber was er daraus macht, ist selten mehr als gehobener Herrenwitz mit Sepia-Touch.

Der sanfte Totalitarismus des Kitsches beruhe darauf, daß auch der kühnste Avantgardist nicht permanent in der dünnen Luft der Hochkunst leben könne, schrieb der Sozialpsychologe Abraham Moles vor dreißig Jahren. Wer weiß, während Nenning sich den Mief seiner Jugend zurückwünscht, sitzen die schmallippigen und flachbrüstigen "Fachleute und Fachleutinnen", denen sein Zorn gilt, vielleicht in Bars und Clubs und trauern den dort verschwundenen Heiligenbildchen und Hirschtrophäen nach. Mit Jägermeister ist auch die Kitsch-Renaissance an ein vorläufiges Ende gekommen.

FRANK KASPAR

Günther Nenning: "Schlafzimmerbilder". Hirsche röhren, Elfen tanzen, und Jesus klopft an die Tür. Verlag Christian Brandstätter, Wien 2000. 62 S., 48 Abb., geb., 39,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

An den Beginn seiner Rezension stellt Frank Kaspar ein paar Überlegungen zur sogenannten Kitschspirale: Er versteht darunter gewisse progressive Verkultungen des Kitsches und Verkitschungen des Kultigen. Die Spirale, so Kaspar, ende jedenfalls immer in jenem Mittelmaß, das er auch Günter Nennings Buch über dessen Liebe zum Kitsch genüsslich bescheinigt: "Selten mehr als gehobener Herrenwitz mit Sepia-Touch". Nennings Feind trage gewohnheitsmäßig schwarz, seine Götter seien Genetiker. Gegen diese Kitschverächter aber, die Bannerträger von Hochkunst und künstlicher Befruchtung fechte Nenning auf aussichtslosem Posten für die Rückkehr des Doppelbetts mit Eheritze und Bilder von röhrenden Hirschen und drallen Zigeunerinnen. Denn mit der "Jägermeister-Networld, der digitalen Welt um den Kult aus sechsundfünfzig Kräutern", so findet Kaspar, sei "auch die Kitsch-Renaissance an ein vorläufiges Ende gekommen."

© Perlentaucher Medien GmbH