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Dies ist die erste umfassende Untersuchung über Opfer der nationalsozialistischen Wehrmachtsjustiz in Österreich. Anhand von über 3.000 ausgewerteten Fällen von Wehrmachtangehörigen und ZivilistInnen sind jetzt empirisch abgesicherte Aussagen über militärgerichtliche Strafverfahren, Verurteilungen, Delikte, Strafhöhen und Strafmaße möglich. Als erstes praktisches Ergebnis des Projekts entstand eine Datenbank mit den Namen von ca. 1600 Personen. Sie ermöglicht es, Verfahren zur Rehabilitierung dieser bisher großteils vergessenen Opfer einzuleiten. Bei den Delikten handelte es sich vor allem um…mehr

Produktbeschreibung
Dies ist die erste umfassende Untersuchung über Opfer der nationalsozialistischen Wehrmachtsjustiz in Österreich. Anhand von über 3.000 ausgewerteten Fällen von Wehrmachtangehörigen und ZivilistInnen sind jetzt empirisch abgesicherte Aussagen über militärgerichtliche Strafverfahren, Verurteilungen, Delikte, Strafhöhen und Strafmaße möglich. Als erstes praktisches Ergebnis des Projekts entstand eine Datenbank mit den Namen von ca. 1600 Personen. Sie ermöglicht es, Verfahren zur Rehabilitierung dieser bisher großteils vergessenen Opfer einzuleiten.
Bei den Delikten handelte es sich vor allem um Desertion, Wehrdienstverweigerung, "Wehrkraftzersetzung", Selbstverstümmelung und Hochverrat, aber auch um bisher von der wissenschaftlichen Forschung unberücksichtigte Tatbestände. Dabei wird u. a. deutlich, dass sowohl die Spruchpraxis der Gerichte als auch der militärische Strafvollzug grobes Unrecht waren. Dies wird besonders deutlich an den barbarischen Urteilen, mit denen Bagatelldelikte bestraft wurden. Die qualitative Auswertung von über 30 Interviews mit Deserteuren und Wehrdienstverweigerern liefert ein deutliches Bild ihrer Verfolgung aber auch der Behandlung durch die Gesellschaft.
Während der Deutsche Bundestag bereits im Mai 2002 die kollektive Rehabilitierung von Opfern der NS-Militärjustiz beschlossen hat, machen die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung nachdrücklich deutlich, dass in Österreich die gesetzliche Regelung einer kollektiven Rehabilitierung der Opfer der nationalsozialistischen Militärgerichtsbarkeit überfällig ist.
Über die konkreten Fälle hinaus ist diese wissenschaftliche Studie ein Standardwerk, da nach Sichtung von mehreren zehntausend Akten der Wehrmachtsjustiz jetzt erstmals grundlegendes Material zu Aufbau und Struktur der gesamten NS-Militärgerichtsbarkeit vorgelegt wird.
Autorenporträt
Walter Manoschek, Univ. Prof., Dr., geboren 1957, Politikwissenschaftler am Institut für Staatswissenschaft und vergleichende Gesellschaftswissenschaft der Universität Wien. Zahlreiche Publikationen zu Nationalsozialismus, Holocaust und Vergangenheitspolitik.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.03.2004

Flucht in die Desertion
Die Militärjustiz der Nazis: Schnellverfahren ohne Berufung
WALTER MANOSCHEK (Hrsg.): Opfer der NS-Militärjustiz. Urteilspraxis, Strafvollzug, Entschädigungspolitik in Österreich. Mandelbaum, Wien 2003. 834 Seiten, Euro 49,80.
„Liebe Anna! Bitte erschrick nicht, bin am 15.10.1943 zum Tode verurteilt worden, wegen einem Witz und weil ich gesagt habe, der Göring ist eine ausgefressene Sau.” Wie das knappe Schreiben des Wiener Soldaten Karl K. an seine Ehefrau beweist, genügte während des Zweiten Weltkriegs eine abfällige Bemerkung über das politische System oder einen seiner führenden Repräsentanten der NS-Militärjustiz für ein Todesurteil wegen „wehrkraftzersetzender Äußerungen”. Noch häufiger waren Todesurteile gegen Fahnenflüchtige: Von insgesamt rund 23 000 wurden 15 000 tatsächlich vollstreckt.
Unter den Opfern der NS-Militärjustiz befanden sich – wie Karl K. – auch Soldaten aus Österreich. Walter Manoschek hat nun einen Sammelband herausgegeben, der sich fast 60 Jahre nach Kriegsende erstmals in einer umfassenden wissenschaftlichen Studie mit dieser Opfergruppe befasst. Delikte und Motive der Verurteilten waren höchst unterschiedlicher Natur. Vielfach handelte es sich um Taten, die erst vom NS-Regime zu strafwürdigen Verbrechen erklärt wurden. Andererseits wurden generell strafbare Handlungen oft unverhältnismäßig hart geahndet. Die Autoren haben bewusst darauf verzichtet, zwischen „moralisch achtbaren” und „niedrigen” Beweggründen zu unterscheiden und als Opfer der NS-Militärjustiz all jene anerkannt, deren Fall mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt: Verfolgung aus politischen Gründen, Unverhältnismäßigkeit der Strafe oder Einweisung in den inhumanen Strafvollzug.
Gemäß ihren Hochrechnungen wurden etwa 4 000 österreichische Wehrmachtsangehörige wegen Fahnenflucht verurteilt, etwa die Hälfte von ihnen zum Tod. 1 200 bis 1 400 dieser Deserteure dürften tatsächlich hingerichtet worden sein. Die Zahl jener Österreicher, die sich erfolgreich dem Dienst in der Wehrmacht entzogen haben, lässt sich nur grob auf bis zu 50 000 schätzen. Während Wehrdienstverweigerung typisch war für die ersten Jahre des Krieges , nahmen in den folgenden Jahren Desertionen und Selbstverstümmelungen zu.
Die österreichischen Studie bestätigt deutsche Untersuchungen, wonach die NS-Militärjustiz ein integraler Bestandteil des NS-Unrechtsregimes gewesen ist. Schnellverfahren und fehlende Berufungsmöglichkeiten öffneten einer willkürlichen Rechtspraxis Tür und Tor. Hinzu kam, dass einmal Verurteilte aus dem Strafvollzug kaum herauskamen. Die Bedingungen in den meisten Feldstraflagern und Strafbataillonen waren unmenschlich: Brutale Wachmannschaften, mangelnde Verpflegung und Hygiene, Zwangsarbeitseinsatz und lebensgefährliche Einsätze an der Front bedeuteten einen „Alltag unter permanenter Vernichtungsdrohung”, was sich in enormen Sterblichkeitsraten niederschlug. Paradox erscheint aus heutiger Sicht die Tatsache, dass sich die Wehrmacht durch die hartnäckige Verfolgung auch von Bagatelldelikten selbst personelle Ressourcen in großem Stil entzogen hat.
Das Verhalten zweier Bevölkerungsgruppen unterschied sich deutlich von jenem der übrigen österreichischen Wehrmachtssoldaten: Die marginale Gruppe der Zeugen Jehovas verweigerte aus Glaubensgründen nahezu geschlossen den Wehrdienst. Gerade im Umgang mit ihnen griff die NS-Militärjustiz, wie die zahlreichen verhängten und vollstreckten Todesurteile beweisen, gnadenlos durch.
Die meisten der für das Forschungsprojekt interviewten 30 Zeitzeugen hatten bis dahin nur im vertrautesten Kreis über ihre Erlebnisse zu sprechen gewagt. Dass sie auch heute nicht mit einem breiteren Verständnis rechnen, beweist die Tatsache, dass fast alle auf der Anonymisierung ihres Namens bestanden haben.
In Österreich traf das Thema Desertion in den Nachkriegsjahrzehnten einen zentralen Nerv des gesellschaftlichen Selbstverständnisses. Denn der Widerspruch, dass sich Österreich einerseits hartnäckig als erstes Opfer Hitlers präsentierte und die eigene Mitbeteiligung an den nationalsozialistischen Verbrechen verdrängte, die als Soldaten der Deutschen Wehrmacht gefallenen Österreicher aber gleichzeitig als Verteidiger „ihrer Heimat” geehrt wurden, blieb weitgehend unreflektiert. Die von Manoschek veröffentlichte Studie basiert auf der Auswertung von mehr als 3000 Fällen. Sie ermöglicht durch dieses breite Sample nicht nur einen detaillierten Einblick in das Schicksal österreichischer Opfer der NS-Militärjustiz, sondern darüber hinaus erstmals auch empirisch abgesicherte Erkenntnisse über die Wehrmachtsjustiz insgesamt. Das macht sie zu einem Standardwerk auf diesem Gebiet.
GABRIELE ANDERL
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gabriele Anderl zeigt sich sehr beeindruckt von diesem Sammelband, der erstmals und umfassend die österreichischen Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz in den Blick nimmt. Wie die Rezensentin erklärt, gelten für die Autoren all jene als Opfer der NS-Militärjustiz, die aus politischen Gründen verurteilt, unverhältnismäßig hart bestraft oder in den inhumanen Strafvollzug eingewiesen wurden. Zumeist geht es um österreichische Wehrmachtsangehörige, die wegen Fahnenflucht verurteilt wurden. Mehr als 3.000 Fälle wurden für diesen Band ausgewertet, informiert die Rezensentin, die dem Herausgeber bescheinigt Walter Manoschek bescheinigt, nicht nur einen detaillierten Einblick in das Schicksal österreichischer Opfer der NS-Militärjustiz zu geben, sondern auch ein Standardwerk vorgelegt zu haben.

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