Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 15,96 €
  • Gebundenes Buch

Ein gefährliches Wahnsystem unserer Gesellschaft aus der Nähe betrachtet und mutig zu Ende phantasiert.
Ein Körper ist eine verletzliche Sache: seine Oberfläche ist dünn, sie umhüllt das darin Geborgene nie vollständig, es gibt Falten und Öffnungen, an denen ein Austausch von außen nach innen und von innen nach außen jederzeit stattfinden kann. Die Integrität des Körpers ist labil, das angestrebte geschlossene System stellt sich unangenehmer Weise als allzu offen heraus. Dass die Öffnungen, sobald es sich nicht etwa um Wohnungen handelt, sondern um den menschlichen Körper, zudem auch noch…mehr

Produktbeschreibung
Ein gefährliches Wahnsystem unserer Gesellschaft aus der Nähe betrachtet und mutig zu Ende phantasiert.
Ein Körper ist eine verletzliche Sache: seine Oberfläche ist dünn, sie umhüllt das darin Geborgene nie vollständig, es gibt Falten und Öffnungen, an denen ein Austausch von außen nach innen und von innen nach außen jederzeit stattfinden kann. Die Integrität des Körpers ist labil, das angestrebte geschlossene System stellt sich unangenehmer Weise als allzu offen heraus. Dass die Öffnungen, sobald es sich nicht etwa um Wohnungen handelt, sondern um den menschlichen Körper, zudem auch noch eng mit Sexualität verknüpft sind, macht die Sache noch prekärer.
Autorenporträt
Jürgen Lagger, geboren 1967 in Villach, studierte Gartenbau, Architektur und Philosophie, arbeitete in diversen Baumschulen und Architekturbüros, lebt in Wien.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.09.2005

Alles zumachen!
Die Angst des Jürgen Lagger vor Öffnungen und Löchern
Vielleicht sollte man von Anfang an argwöhnisch sein, wenn ein Buch mit dem Titel „Öffnungen” den Untertitel „Ein Maßnahmenkatalog” trägt. Aber bis aus diesem Argwohn Gewissheit geworden ist, hat man das kleine Elaborat von Jürgen Lagger schon gelesen und sitzt in der Falle. Am liebsten würde man kein Wort darüber verlieren. Andererseits muss eben das begründet werden. Denn welches Urteil ist schlimmer als jenes, ein Kunstwerk sei unter aller Kritik?
Machen wir es kurz. Der Autor hat Philosophie, Architektur und Gartenbau studiert (laut Klappentext) und müsste also ein Spezialist für „Öffnungen” sein, erklären oder zumindest beschreiben können, wie sich das Konzept von Offenheit in den letzten Jahren gewandelt hat. Jahrzehntelang war der Begriff positiv besetzt. Man denke nur an Umberto Ecos Modell des „offenen Kunstwerks”, an das Schlagwort von der „offenen Gesellschaft”, an Foucaults Forschungen über Ein- und Ausschlussmechanismen, an die anarchische Rhizomatik von Deleuze und Guattari. Inzwischen aber ist Offenheit nicht mehr en vogue. Wer noch darüber redet (wie die Grünen), macht sich der Naivität verdächtig. Alle tüfteln an Abschottungsmechanismen. Wer baut die höchste Firewall?
Der 1967 geborene Autor kokettiert offenkundig mit dieser Problemlage. Aber es mangelt ihm sowohl an begrifflichem Unterscheidungvermögen (z.B. zwischen Öffnungen und Löchern) als auch an erzählerischer Potenz. Sein Buch ist ein Zwitter, kommt im Gewand des Kunstwerks daher, um seine gedankliche Ungenauigkeit nach dem Motto zu tarnen, dass Kunst alles darf. Da wird mal ein bisschen erzählt, so weit die rudimentäre Sprache eben trägt, mal aphorisierend herumgedacht: „auch das Vorhandensein einer Öffnung ließe noch keinerlei Schluss auf deren Notwendigkeit zu; Öffnungen erzwängen allein durch ihre Gegenwart ein Eindringen/ Austreten/ Durchwandern/ Überschreiten; ob dies, so L., aus freiem Antrieb oder von fremder Kraft gesteuert vor sich gehe, sei letztlich ohne Belang.” Wirklich?
Dieser L., eher ein Kürzel für den Autornamen als eine Figur, leitet uns durch ein Denksystem, das an seinem eigenen Wahn zugrunde geht. L. hat eines Tages genug vom strapaziösen Wechselspiel zwischen Innen- und Außenwelt. Er macht die Schotten dicht. Die Wohnungstür wird mit Brettern vernagelt, Fugen und Ritzen werden ausgestopft. Ein Vogel, der durchs offene Fenster fliegt und die Wohnung vollkackt, ist Anlass genug, alle Fenster hermetisch abzudichten. Und wo es überall sonst noch Löcher gibt, aus denen Feindliches dringen kann! Wasserrohre werden mit schnell aushärtendem PU-Schaum verschlossen, Steckdosen versiegelt (auch wenn sie genau genommen weder Löcher noch Kanäle sind, sondern Kontaktstellen). Auch die Oberflächenfaltungen der eigenen Körperöffnungen erscheinen ihm als Löcher, die verstopft werden müssen. Neun Stück zählt er, und so muss auch das Augenpaar dran glauben. Ein Schlauch wird in den Anus eingeführt und mit Schaum verschlossen. So weit, so gut. Das ist zwar alles grausig, aber wenigstens konsequent. Dann aber beginnt sich L. auch noch die Gliedmaßen abzuschneiden, den Penis dazu, bis er selig als Torso in der Badewanne verendet. Die Penetrationsängste sind besiegt.
Jürgen Lagger denkt den Begriff der Offenheit nach dem untauglichen Modell gewaltsamer Penetration. Wo eine Öffnung ist, kommt jeder rein. Oder ebenso schlimm: Da strömen unablässig Gefahren ein. Das mag bei Löchern der Fall sein, nicht aber bei Öffnungen. Sie sind gewollt und definieren sich durch selektive Durchlässigkeit. Eine Tür oder ein Fenster kann man schließen, ein Loch muss gestopft werden. Möchte man aus der Lektüre dieses Buches am Ende doch noch einen Nutzen ziehen, dann kann man es zumindest als Menetekel einer gegenwärtigen Tendenz verstehen: Seht her, so grausam wird es zugehen, wenn wir Offenheit nicht mehr als Möglichkeit der Partizipation denken, sondern nur noch als Gefahr gewaltsamen Eindringens! MEIKE FESSMANN
JÜRGEN LAGGER: Öffnungen. Ein Maßnahmenkatalog. Literaturverlag Droschl, Graz und Wien 2005. 125 Seiten, 16 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Nach Paul Jandls Meinung handelt es sich bei diesem Buch zwar keineswegs um erbauliche Lektüre, schließlich ist das Thema ein mit extremer Konsequenz einsamer Mensch. Trotzdem findet er das " ebenso radikale wie intelligente Buch" empfehlenswert. Jandl ist beeindruckt vom "diagnostischen Blick" des österreichischen Autors Jürgen Lagger, den der mit " großer formaler Entschiedenheit" in Worte zu fassen vermag. "Ein konsequenter Angriff auf die Behaglichkeit der Belletristik, dessen Mut selten geworden ist", so lautet das Fazit des beeindruckten Rezensenten.

© Perlentaucher Medien GmbH