18,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

Wie in ihren früheren Werken stellt Mela Hartwig in ihrem zweiten Roman eine Frau in den Mittelpunkt, die mit sich uneins ist, eine "Neurotikerin", die mit jedem Schritt an die ihr auferlegten Begrenzungen stößt: eine unscheinbare und sehr entbehrliche Sekretärin ohne besondere Fähigkeiten, die eines Tages einer erotischen Obsession verfällt. Ein im Gestus des schonungslosen Geständnisses formulierter Roman einer unerhörten Selbsterniedrigung, präzise in der messerscharf geschilderten sozialen Situation der frühen 30er Jahre lokalisiert, und in einer Sprache, die den expressionistischen Gestus…mehr

Produktbeschreibung
Wie in ihren früheren Werken stellt Mela Hartwig in ihrem zweiten Roman eine Frau in den Mittelpunkt, die mit sich uneins ist, eine "Neurotikerin", die mit jedem Schritt an die ihr auferlegten Begrenzungen stößt: eine unscheinbare und sehr entbehrliche Sekretärin ohne besondere Fähigkeiten, die eines Tages einer erotischen Obsession verfällt. Ein im Gestus des schonungslosen Geständnisses formulierter Roman einer unerhörten Selbsterniedrigung, präzise in der messerscharf geschilderten sozialen Situation der frühen 30er Jahre lokalisiert, und in einer Sprache, die den expressionistischen Gestus der früheren Texte zugunsten eines dokumentarisch-nüchternen Stils aufgegeben hat.
Autorenporträt
Mela Hartwig (1893-1967) wurde mit der posthumen Veröffentlichung ihres Romans "Bin ich ein überflüssiger Mensch?" wiederentdeckt. Sie wurde geboren in Wien, wurde bekannt als Schauspielerin, heiratete nach Graz, wo sie bis zu ihrer Vertreibung durch die Nationalsozialisten 1938 lebte; gefördert wurde sie u.a. von Döblin. Sie erlangte mit ihren Erzählungen und dem Roman schnell Skandalberühmtheit. Im Exil in London wurde sie als Malerin in kleinerem Kreis bekannt, als Schriftstellerin aber völlig vergessen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2001

Am Nullpunkt der Registratur
Voller Bürogeräusche: Mela Hartwigs Roman „Bin ich ein überflüssiger Mensch?” (1931)
Stenotypistinnen und Bürofräulein sind Galionsfiguren der literarischen Moderne. Sie verwachsen mit ihren Schreibmaschinen, Parlo- oder Phonographen zu einem einzigen Apparat und kombinieren damit zwei der wichtigsten erotischen Wunschmaschinen: „Natur” und „Technik”. Sie bedienen mächtige Hebel, ohne jemals selbst etwas zu produzieren. Sie sehen alle aus, wie man sich eine sogenannte moderne Frau wünscht. Und auch jenseits des Büros ähneln sie sich wie ein Automatenbuffetbrötchen dem anderen: Zusammen mit den „kleinen Ladenmädchen” gehen sie ins Kino und lassen sich von Sentimentalitäten einwickeln, wie Siegfried Kracauer 1927 schreibt. Sie lesen schlechte Romane, ergattern hin und wieder eine billige Theaterkarte und träumen davon, Schauspielerin zu werden.
Luise Schmidt, die Ich-Erzählerin in Mela Hartwigs Romanmanuskript von 1931, ist ein perfektes Durchschnittsexemplar: Büroarbeit, Bühnensehnsucht und unglückliche Liebschaften sind die drei Säulen ihrer Existenz. „Bin ich ein überflüssiger Mensch?” wurde 1933 vom Zsolnay Verlag mit dem Hinweis auf den veränderten Geschmack „des deutschen Lesepublikums und besonders der deutschen Frau” abgelehnt und erscheint jetzt erstmals im Droschl Literaturverlag.
Im Jahre 1929 hatte die von Alfred Döblin geförderte Schauspielerin, Schriftstellerin und spätere Malerin noch den Roman „Das Weib ist ein Nichts” veröffentlichen können; doch in den dreißiger Jahren geriet sie, auch durch das Londoner Exil, in Vergessenheit – zu Unrecht. Mit ihrem zweiten Roman wird nun eine literarisch inszenierte Neurose wieder zugänglich, die den Abgrund der Normalität mit großer Scharfsicht und Raffinesse beschreibt. Die erzählende Stenotypistin tritt den Beweis ihrer Durchschnittlichkeit, Ersetzbarkeit und Überflüssigkeit mit mathematischer Strenge an: „Ich bin verzweifelt ehrgeizig, obwohl ich Ursache genug hätte, bescheiden zu sein. Ich muss zugeben, dass ich alle Ursache hätte, das Defizit, das zwischen meinen Fähigkeiten und meinen Ansprüchen liegt, durch Genügsamkeit auszugleichen.”
Luise Schmidt untersucht ihre Kindheit und Jugend vom Ersten Weltkrieg bis in die Wirtschaftskrise, die immergleichen Bürowüsten, in denen sie lustlos herumstenographiert, die erotischen Reinfälle mit Medizinstudenten, Buchhaltern und Gigolos vor dem Hintergrund ihrer allumfassenden Nutzlosigkeit. Mangelndes Selbstvertrauen, Trägheit des Herzens, Empfindungs- und Schicksalslosigkeit sind die Hauptanklagepunkte eines Prozesses, den sie mit größter Präzision und Nüchternheit gegen sich selbst führt.
Ein maßloses Opferlamm
Ihrer Umwelt begegnet sie mit tiefem Misstrauen: Männliche Beachtung beruht auf einem Irrtum oder niedrigen Motiven, denn es gibt einfach keinen Grund, sich für sie zu interessieren. Dass sie sich in ihren kühlen Chef verliebt, hat ebenso Methode wie die rituellen Bescheidenheitsformeln, die den Roman durchziehen. Luise Schmidt ist ein maßloses Opferlamm. Indem sie den eigenen Unwert immer wieder unerbittlich durchrechnet, besetzt sie die Leerstelle, die ihr zugewiesen ist. Sie hat erkannt, dass Bedeutung durch einen ursprünglichen Akt von Selbstüberschätzung entsteht: Die anderen sind nur deshalb keine Nullen, weil sie es nicht begriffen haben.
Otto Weininger hatte bereits 1903 darauf bestanden, dass sich hinter dem Prinzip „W” wie „weiblich” grundsätzlich Nichts verbirgt. Bewusstlosigkeit, fehlende Tiefe und das Aufgehen im Apparat als Eigenschaften des Weiblichen sind aber ebenfalls symbolische Kennzeichen der modernen Masse – gleich welchen Geschlechts – im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts.
Die Typewriters, womit im Englischen nicht nur die Geräte, sondern auch ihre Benutzerinnen bezeichnet wurden, markieren den Schnittpunkt von Weiblichkeitsmythen und Angestelltenmassen. Im Büro und in der Literatur sind ihre vielfältigen Schicksale bald unentbehrlich: Doris, das „kunstseidene Mädchen”, verlässt ihre „Hopfenstange von Rechtsanwalt”, um Schauspielerin zu werden. Die brave Cornelia aus Erich Kästners Roman „Fabian” volontiert in einer Vertragsabteilung und endet in den Fängen eines Filmproduzenten. Martin Kessels kürzlich wiederentdeckter Büroroman entwickelt ein sozialpsychologisches Szenario, in dem die Angestellten als Chronisten ihrer Zeit sprechen. Aber vor allem Kafkas Briefe an Felice sind wesentlich von ihrer Bürotätigkeit inspiriert; die Antwortbriefe der technisch versierten Verlobten sind nicht erhalten.
Die virtuosen Geständnispraktiken von Mela Hartwigs Heldin Luise Schmidt fügen den literarischen Bürogeräuschen in der Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg eine wichtige Stimme hinzu.
JUTTA PERSON
MELA HARTWIG: Bin ich ein überflüssiger Mensch? Roman. Mit einem Nachwort von Bettina Fraisl. Droschl Literaturverlag, Graz 2001. 171 Seiten, 36Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.01.2002

Wenn alle Tage Alltag ist
Mela Hartwig erzählt von dem Schicksal, kein Schicksal zu haben

Welch ein Titel: "Bin ich ein überflüssiger Mensch?" - so ohne rhetorisches Geschick, ohne Koketterie und Geheimnis! Das Buch von Mela Hartwig, die 1893 als Tochter des Zionisten Theodor Herzl geboren wurde, konnte 1933 nicht erscheinen; dennoch darf die unbeholfene Frage nicht als Arbeitstitel gelesen werden. Bereits der Titel ihres 1930 erschienenen ersten Romans "Das Weib ist ein Nichts" kam ohne Schmuck, ohne Klang aus.

Mela Hartwigs literarische Anfänge gehören in den Expressionismus, dieser Roman jedoch, der bereits der letzte der damals noch jungen Autorin sein sollte und der nun zum ersten Mal aus der Handschrift ediert wurde, ist der Neuen Sachlichkeit zuzuzählen, und mit sachlicher Schlichtheit und ohne Umschweife kündigt auch der Titel an, worum es geht: um die Gewissenserforschung einer höchst bescheidenen Weiblichkeit, die nicht schön, nicht intelligent, kaum fleißig ist, nur ehrgeizig, ehrgeizig jedoch allein in der Versessenheit darauf, tief zu fühlen und tiefer noch als alle anderen Menschen sonst. Schuldbewußt zum Beispiel konstatiert die Hauptfigur, Aloisia Schmidt, daß ihre Angst um den Vater, der Soldat geworden ist, im Gang der alltäglichen Geschäfte zunehmend erlischt: "Ich vermute daher, daß ich mir diese Gleichgültigkeit nur deshalb verübelte, weil ich bereits damals den Ehrgeiz hatte, intensiver zu fühlen, als ich zu fühlen fähig bin."

Die Autorin nutzt die Darstellung eines unerbittlichen moralischen Größenwahns, um alle Überbleibsel an idealistischem Kitsch aus dem Frauenroman auszukehren. Das autobiographisch angelegte Werk ist gegen einen romantischen Traum geschrieben, gegen die Wollust eines weiblichen Märtyrertums, das seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts nicht nur weibliche Gemüter, sondern auch manche Männerphantasie beflügelte, was den großen Erfolg etwa von Luise von François' "Letzter Reckenburgerin" erklärt. Diesem Typus des weiblichen Trivialromans setzt Mela Hartwig die Kargheit ihrer Sprache und die Armseligkeit ihrer Heldin entgegen: "Ich bin Stenotypistin. Ich habe nahezu ein Dutzend Dienstjahre hinter mir. Ich stenographiere äußerst flink und bin eine flotte Maschin(en)schreiberin. Ich erwähne das nicht, um damit zu prahlen. Ich erwähne es nur, weil ich feststellen will, daß ich zu etwas tauge. Denn ich bin ehrgeizig."

Mit diesem Einstieg gibt sich der Roman als Teil der Angestelltenkultur zu erkennen, aus der so viel Literatur, erzählende wie reflektierende, hervorgegangen ist. Mela Hartwigs Skizze des Alltags einer Büroangestellten läßt sich nicht nur wegen des Sujets mit den bedeutenden Romanen dieser Epoche vergleichen; auch ihre Qualität hält der Konfrontation sogar mit den eindrucksvollen Vorläufern dieses Genres, mit Robert Walsers "Possierlichkeiten", stand, zumindest aber mit Irmgard Keuns "Kunstseidenem Mädchen", das gerade erschien, als Hartwig an ihrem Roman schrieb, im Jahr 1931, oder mit den frühen Werken des gleichaltrigen Hans Fallada, die ebenfalls Anfang der dreißiger Jahre erschienen.

Unter diesen Romanen der Namen- und Schicksalslosen nimmt sich Hartwigs Werk immer noch eigenwillig genug aus. Nicht nur, daß die Heldin Aloisia Schmidt ihr Leben selbst auf den Begriff der Schicksalslosigkeit bringt, die mehr ist als nur Ereignislosigkeit; nicht nur, daß sie die Enttäuschung zum eigentlichen Drama ihrer Existenz erklärt: "Ich muß mich endlich einmal mit mir selbst abfinden, und ich glaube, es ist mein Schicksal, kein Schicksal zu haben." Mit diesem Schlußsatz bekennt die Hauptfigur, daß sie ihr ganzes bescheidenes Sekretärinnendasein an einem idealistischen Selbstentwurf mißt, und die Autorin gibt damit die eigentliche Absicht ihres Buches zu erkennen: den hohlen Idealismus und das schale Heldentum des weiblichen Bewußtseins zu desillusionieren.

Mela Hartwig macht aus dem Zusammenbruch des narzißtischen Ich-Ideals ihrer Heldin eine Tragödie, deren Verlauf sie lakonisch aufzeichnet. Aus einem Nichts an äußerem Geschehen entsteht ein Drama aus inneren Aufregungen, Kasteiungen, Qualen. Die obsessive Selbsterniedrigung der Aloisia Schmidt erschafft sich Gegenfiguren, die so viel Macht haben müssen, daß es sich lohnt, ihnen standzuhalten. Aus einem Heer von Schwächlingen, die dieser jungen Frau, die eine Heldin sein möchte, nur als Komparsen dienen können, ragen ihre beiden wirklichen Antagonisten - oder sind es Doppelgänger, Spiegelbilder, Überhöhungen des Selbst? - hervor, Monumente eines unerbittlichen Egoismus: die Freundin Elisabeth, eine Schauspielerin, und deren Freund, der Architekt Egon Z., der nach dem Selbstmord Elisabeths zum Vorgesetzten der Aloisia Schmidt wird. Das Verhältnis einer Sekretärin zu ihrem Chef, die Degradierung eines Subjekts durch die Höflichkeit des Geschäftsmanns, durch "diese entnervende Gleichgültigkeit", notiert die Autorin mit Eiseskälte, die Heldin genießt sie voller Bitterkeit und masochistischer Lust, bis endlich das Selbstbild an dieser Provokation ganz zuschanden geht.

Man könnte Mela Hartwigs Analyse eine Art "Kritik der weiblichen Unvernunft" nennen. Durch den psychologischen Einwand, den sie gegen ihre eigene Figur erhebt, entgeht sie der sozialkritischen Tendenz, die sonst Romanen der Angestelltenkultur eigen ist. Aloisia Schmidt sucht und verfehlt ein Glück, das etwas anderes wäre als Erfolg oder Emanzipation: die Freiheit eines sich selbst erkennenden und anerkennenden Ich.

Dasselbe ließe sich nun freilich auch von Irmgard Keuns "Kunstseidenem Mädchen" sagen. Die Romane aber unterscheiden sich durch Nuancen: Keuns Figur spricht aus dem erlebten Augenblick heraus, Hartwigs Heldin aus dem Rückblick, Keuns Erzählung ist ein Tagebuch voller Ereignisse, Hartwigs Text die Niederschrift einer Beichte, in der nur Verfehlungen Ereignisse sind.

Der Vorzug dieses spröden Berichts liegt im Verzicht auf Liebesgeschichten im Stil des traditionellen Frauenromans, aber auch im Verzicht auf psychoanalytische Erklärungen, sosehr sie sich dem heutigen Leser aufdrängen mögen. Mela Hartwig steht Aloisia Schmidt zur Seite, indem sie die Verirrungen dieser weiblichen Psyche mitteilt, ohne sie durch die Frage nach ihren Ursachen zu verkleinern. Ihr Roman ist eine psychologische Naturstudie, keine Analyse. Frauen werden sich in dieser Seelenlandschaft gut zurechtfinden, Männer dagegen werden sich fragen: "Ist das ein überflüssiger Roman?"

HANNELORE SCHLAFFER.

Mela Hartwig: "Bin ich ein überflüssiger Mensch?" Roman. Mit einem Nachwort von Bettina Fraisl. Literaturverlag Droschl, Graz und Wien 2001. 171 S., geb., 18,42 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Dass der Grazer Droschel-Verlag nun erstmals ein Buch herausgibt, dass vor über siebzig Jahren von Zsolnay abgelehnt wurde und seither niemals erschien, wertet Bernhard Fetz als "späte Genugtuung und eine wirkliche Entdeckung". Damals sei die Karriere einer vielversprechenden Autorin jäh unterbrochen worden, die immerhin bereits von Alfred Döblin für ihre Novelle "Das Verbrechen" geehrt worden sei. Die lapidare Begründung dafür lautete, der Geschmack des Publikums, insbesondere der der Frau, habe sich geändert. Fetz hingegen ist der Ansicht, der Roman habe auch heute "nichts von seiner Schärfe eingebüsst". Er findet es beeindruckend, wie die Autorin anhand einer kleinen Büroangestellten, die zu Beginn der dreißiger Jahre über ihre Durchschnittlichkeit verzweifelt und sich mit Phantasien über den Alltag hinweghilft, "den Zusammenhang von Arbeit in labilen Angestelltenverhältnissen, entfremdeter Sexualität und der Massenkultur als Ort verborgener Sehnsüchte und enttäuschter Erwartungen reflektiert". Bernhard Fetz' ausführliche Rezension vermittelt den Eindruck, dass das Buch, dessen Erzählrahmen auf den ersten Blick vielleicht ein wenig antiquiert wirken könnte, auch heute noch aktuell ist.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Die virtuosen Geständnispraktiken von Mela Hartwigs Heldin Luise Schmidt fügen den literarischen Bürogeräuschen in der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg eine wichtige Stimme hinzu.« (Jutta Person, Süddeutsche Zeitung)