Marktplatzangebote
6 Angebote ab € 8,90 €
  • Broschiertes Buch

Die Rolle des Westens in einer der zentralen Krisen der europäischen Nachkriegsgeschichte.In der Nacht des 20. August 1968 erschütterte die Nachricht vom Truppeneinmarsch in Prag die Weltöffentlichkeit. Mit der größten Militäraktion in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beendeten die Sowjetunion und ihre Verbündeten den tschechoslowakischen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz«. Die Regierungen des Westens protestierten gegen den völkerrechtswidrigen Akt. Man fürchtete ein Übergreifen der Krise. Westdeutschland wurde beschuldigt, die Intervention provoziert zu haben. Ein Vorwurf, den der…mehr

Produktbeschreibung
Die Rolle des Westens in einer der zentralen Krisen der europäischen Nachkriegsgeschichte.In der Nacht des 20. August 1968 erschütterte die Nachricht vom Truppeneinmarsch in Prag die Weltöffentlichkeit. Mit der größten Militäraktion in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beendeten die Sowjetunion und ihre Verbündeten den tschechoslowakischen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz«. Die Regierungen des Westens protestierten gegen den völkerrechtswidrigen Akt. Man fürchtete ein Übergreifen der Krise. Westdeutschland wurde beschuldigt, die Intervention provoziert zu haben. Ein Vorwurf, den der französische Präsident de Gaulle antizipierte und so die gemeinsame Ostpolitik in Frage stellte.Birgit Hofmann untersucht die Rolle des Westens während des »Prager Frühlings« erstmals umfassend und multiperspektivisch. Am Beispiel Frankreichs und der Bundesrepublik zeigt sie, wie interne Spannungen eine gemeinsame Position gegenüber der UdSSR verhinderten. Die Passivität des Westens trug so dazu bei, die Blockspaltung bis zum Ende des Kommunismus zu zementieren. Mit diesem Fokus wirft die Autorin auch ein Schlaglicht auf den Umgang von Demokratien mit Diktaturen und beweist, dass die Grundfragen des Kalten Kriegs noch immer höchst gegenwärtig sind.Ausgezeichnet mit dem Hans-Rosenberg-Gedächtnispreis 2016
Autorenporträt
Birgit Hofmann, geb. 1975, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Zeitgeschichte der Universität Heidelberg.Veröffentlichungen u. a.: Menschenrecht als Nachricht. Medien, Öffentlichkeit und Moral seit dem 19. Jahrhundert (2020); Der »Prager Frühling« und der Westen. Frankreich und die Bundesrepublik in der internationalen Krise um die Tschechoslowakei 1968 (2015).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ulrich Lapenküper erfährt mit der Studie von Birgit Hofmann, wie berechtigt beziehungsweise unberechtigt die Perspektive des Kremls auf die Ereignisse des Prager Frühlings und vermeintliche Provokationen aus dem Westen war. Da die Autorin quellennah und klar am Beispiel Frankreichs und Deutschlands die Haltung des Westens angesichts der Krise in der Tschechoslowakei untersucht, vermag der Rezensent die Kooperation sowie die Turbulenzen zwischen den beiden Staaten gut zu erkennen. Sichtbar wird für ihn ein bereits während der Ost-West-Teilung bestehender  Erfahrungsraum Europa. Das Buch scheint ihm als Basis für künftige Arbeiten zum Thema bestens geeignet.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2016

Nur ein Verkehrsunfall?
Reaktionen Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland auf die Krise um die Tschechoslowakei 1968

Die Ukraine-Krise, so lautet ein ebenso verbreitetes wie verwegenes Argument russischer Politiker, sei das Ergebnis einer verfehlten EU-Politik. Denn mit dem von ihr allzu offensiv vorgetragenen Angebot eines Freihandels- und Assoziierungsabkommens habe die EU den inner-ukrainischen Konflikt um die außenpolitische Ausrichtung angeheizt und Russland nach dem Umsturz in Kiew zum Handeln genötigt. Dem historisch Bewanderten kam der Stil der Schuldzuweisung ziemlich vertraut vor: Hatte der Kreml nicht auch die Niederschlagung des "Prager Frühlings" 1968 mit Provokationen "des Westens" begründet? Wie berechtigt beziehungsweise unberechtigt die Vorwürfe damals waren, zeigt nun die Studie von Birgit Hofmann. Quellennah und luzide untersucht sie die Haltung des Westens gegenüber der Krise in der Tschechoslowakei am Beispiel der "Referenzakteure" Frankreich und Bundesrepublik Deutschland.

Anschaulich weist Hofmann nach, dass die beiden Nachbarn am Rhein trotz "graduell verschiedener" Ostpolitiken seit 1967 eine auf "Blockdiffusion" ausgerichtete Kooperation betrieben, die nach dem Ausbruch des Prager Frühlings in heftige Turbulenzen geriet. Während Staatspräsident de Gaulle dem tschechischen Reformprogramm "ideologisch" fernstand und ihm auch keine großen Erfolgsaussichten zubilligte, bewertete die Große Koalition mit Kurt Georg Kiesinger und Willy Brandt an der Spitze die Chancen "tendenziell optimistisch". In der Hoffnung auf eine "signifikante Verbesserung der bilateralen Kontakte" ließ sich die Bundesregierung trotz der vom Westen offiziell verkündeten Politik der Nichteinmischung auf einen regen Austausch mit der tschechoslowakischen Führung ein und geriet dadurch ins Visier einer Propagandakampagne des Ostblocks, die in Frankreich auf fruchtbaren Boden stieß.

Obwohl der Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in aller Deutlichkeit zeigte, dass de Gaulles Glaube an eine Überwindung der ideologischen Konfrontation zwischen Ost- und Westeuropa mit den machtpolitischen Realitäten nicht in Einklang gebracht werden konnte, hielt Frankreich am bisherigen Kurs fest. Intern machte der General zwar keinen Hehl aus seiner Sorge, dass die Sowjetunion in der Erwartung eines Krieges gegen China ein Arrangement mit den Vereinigten Staaten anstreben und die Bundesrepublik dessen Opfer sein könnte. In der Öffentlichkeit jedoch bagatellisierte seine Regierung die Ereignisse als "Verkehrsunfall" auf der Straße der Entspannung (so Außenminister Michel Debré) und meinte, ihre Linie fortsetzen zu können.

Die Bundesregierung hingegen wies den Vorwurf einer "ideologischen Subversion" als absurd zurück und rief aus Furcht vor einer Störung des strategischen Gleichgewichts nach einer Stärkung der Nato. Ihre Hoffnung auf französische Rückendeckung erwies sich als verfehlt. Denn de Gaulle erklärte die Bundesrepublik im Zuge einer - von Hofmann so genannten - "Übersprunghandlung" zum "Sündenbock" und degradierte sie "vom ostpolitischen Partner zum ungeschickten Zögling". Bei einem Konsultationstreffen mit Bundeskanzler Kiesinger Ende September 1968 verlangte der General statt einer Stärkung der Nato eine Auflösung der Blöcke und die Überwindung der Teilung von Jalta. Geschockt über die drastische Sprache, wähnte sich Kiesinger vor den "Trümmern seiner Frankreichpolitik".

Die Niederschlagung des Prager Frühlings markierte indes nicht nur das Ende der ostpolitischen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und Frankreich. Sie wirkte auch als "Katalysator" für die künftige Bonner Ostpolitik. Denn zum einen trug die "abgeschottete Krisenpolitik" de Gaulles maßgeblich dazu bei, dass die Vereinigten Staaten und Großbritannien der Bundesrepublik eine "neue Rolle" mit größerem Handlungsspielraum übertrugen. Zum anderen gewann namentlich Außenminister Brandt die Überzeugung, eine "neue Ostpolitik nun selbstbewusster und in Eigenregie" vorantreiben zu müssen.

Hofmanns multiperspektivische Arbeit verdeutlicht überzeugend, "dass Europa bereits in der Zeit der Ost-West-Teilung ein gemeinsamer Erfahrungsraum und Resonanzboden von Erschütterungen war". Sie liefert überdies ein tragfähiges Fundament für künftige Forschungen über die Haltung des Westens während der Tschechoslowakei-Krise 1968 "im Kontext der jeweiligen Machtblöcke" wie auch "im Zusammenhang der Interaktion mit anderen Akteuren".

ULRICH LAPPENKÜPER.

Birgit Hofmann: Der "Prager Frühling" und der Westen. Frankreich und die Bundesrepublik in der internationalen Krise um die Tschechoslowakei 1968. Wallstein Verlag, Göttingen 2015. 471 S., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
»Quellennah und luzide« (Ulrich Lappenküper, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.01.2016) »Die besprochene Publikation kann als eine wichtige Stellungnahme in der Diskussion um den Prager Frühling angesehen werden.« (Wanda Jarzabek, Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung, 2017/2)