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Václav Wagner (1893-1962), einer der führenden Denkmalpfleger der Ersten Tschechoslowakischen Republik, hat sieben Jahre lang, zwischen 1942 und 1949, die Schlossherrin von Janowitz, Sidonie Nádherný (1885-1950), beraten.Gegen die Deutschen, die 1942 den SS-Truppenübungsplatz Böhmen südlich von Prag anlegten und über 30 000 Menschen von Haus und Hof vertrieben; gegen die Russen, deren Rote Armee Schloss und Park und das Janowitzer Außenlager des KZ Flossenbürg befreiten; gegen die Tschechen, die das Gebiet des Truppenübungsplatzes militärisch übernahmen und weiterhin nutzten. Als Sidonie…mehr

Produktbeschreibung
Václav Wagner (1893-1962), einer der führenden Denkmalpfleger der Ersten Tschechoslowakischen Republik, hat sieben Jahre lang, zwischen 1942 und 1949, die Schlossherrin von Janowitz, Sidonie Nádherný (1885-1950), beraten.Gegen die Deutschen, die 1942 den SS-Truppenübungsplatz Böhmen südlich von Prag anlegten und über 30 000 Menschen von Haus und Hof vertrieben; gegen die Russen, deren Rote Armee Schloss und Park und das Janowitzer Außenlager des KZ Flossenbürg befreiten; gegen die Tschechen, die das Gebiet des Truppenübungsplatzes militärisch übernahmen und weiterhin nutzten. Als Sidonie Nádherný im Herbst 1946 an ihren Ort zurückkehren konnte, den Rainer Maria Rilke bewundert und Karl Kraus geliebt hatte, war das Schloss unbewohnbar, der Park verwüstet, alle »Gartenschönheit« zerstört. 1948 wurde der Besitz durch Klement Gottwalds Bodenreform enteignet. Die Besitzerin floh 1949 nach England, nachdem ihr Beschützer, Václav Wagner, verhaftet worden war.Alena Wagnerová, die Biographin von Sidonie Nádherný, und Friedrich Pfäfflin, Herausgeber und Mitherausgeber der Briefe von Karl Kraus und Rainer Maria Rilke an Sidonie Nádherný, erzählen anhand von Dokumenten und Briefen die Geschichte eines Ortes, an dem Karl Kraus, geschützt von der Mauer eines Schlossparks, das monumentale Drama 'Die letzten Tage der Menschheit' geschrieben hat.
Autorenporträt
Leider ist derzeit keine AutorInnenbiographie vorhanden.

Friedrich Pfäfflin, geb. 1935, hat nach zwanzigjähriger Tätigkeit als Verlagsbuchhändler ein Vierteljahrhundert die Museumsabteilung des Schiller-Nationalmuseums in Marbach geleitet. In den Jahren 1968 bis 1973 erschien der von ihm initiierte, von Heinrich Fischer herausgegebene Reprint der »Fackel« von Karl Kraus in über 35.000 Exemplaren. Veröffentlichungen u. a.: Karl Kraus: Briefe an Sidonie Nádhern? von Borutin 1913-1936 (Hg., 2005); Aus großer Nähe. Karl Kraus in Berichten von Weggefährten und Widersachern (Hg., 2008); Das Werk der Photographin Charlotte Joel (Hg., 2019).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2015

Sidis Vertreibung aus dem Paradies

Rückblick auf das alte Mitteleuropa: Sidonie Nádherný, die Angebetete von Karl Kraus, schreibt an den Denkmalschützer Václav Wagner, um die Zerstörung ihrer Heimat zu verhindern.

Karl Kraus war schon sechs Jahre tot, als seiner geliebten Schlossherrin Sidonie Nádherný von Borutin im Park von Janowitz zunehmend die Luft zum Atmen geraubt wurde. Das nationalsozialistische Deutschland hatte Böhmen und Mähren besetzt, und wo einst in diesen stillen ländlichen Winkeln das Leben seinen gemächlichen bäuerlichen Gang ging, sollte nun ein Truppenübungsplatz eingerichtet werden. Dahinter steckte mit aller Vehemenz der stellvertretende Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich. Sein Programm: "Germanisierung" der Tschechei, rücksichtslose Umsiedlungen im großen Stil inklusive. Im Juni 1942 fiel Heydrich einem Attentat zum Opfer.

In den Briefen, die Sidonie Nádherný ab Mitte Januar 1942 an den Leiter des staatlichen Denkmalamtes in Prag, Václav Wagner, schreibt, steht davon nichts - eine Folge der deutschen Briefzensur. Die alleinstehende Baronin braucht dringend Hilfe, um ihr Anwesen gegen deutsche Übergriffe zu schützen; und sie findet diesen Beistand in dem musisch begabten Wagner, den sie bald als einen Seelenverwandten schätzen lernt. Bestimmen praktische Erörterungen und Geldfragen die Korrespondenz, so beherrscht sie doch die Klaviatur der schutzbedürftigen Frau von Mitte fünfzig gegenüber dem acht Jahre jüngeren Mann. Wieder und wieder lädt sie Wagner ein, das Wochenende auf Schloss Janowitz, knapp siebzig Kilometer südlich der Hauptstadt Prag gelegen, zu besuchen, dann "ergäbe sich ein regelrechter Sommer-Sonntagsverkehr, meinerseits sehr wünschenswert u. erfreulich".

Aber Wagner kommt längst nicht so oft wie erhofft, und seine Antworten sind nicht überliefert. Bis zum Ende dieser Brieffreundschaft bleibt es beim respektvollen "Sie". Nun, da Kraus nicht mehr ist, legt sie in diesem Briefwechsel Zeugnis ihrer Hingabe ab, die sie Kraus zeitlebens immer wieder einmal entzogen hatte (F.A.Z. vom 23. August 2014). Sie schickt Wagner sogar Gedichte von Kraus und bittet damit auch um Nachsicht, dass sie nicht in Tschechisch antwortet, weil sie nicht sattelfest in dieser Sprache sei: "Durch meinen jahrelangen, fast ausschließlichen Verkehr mit dem in die Sprache verliebten u. unvergleichlichen stilistischen Künstler Karl Kraus verehre ich jede Sprache so sehr, dass es mir weh tut, sie zu verletzen."

"Für beide", schreibt Alena Wagnerová in ihrer instruktiven Porträtskizze Wagners, "war Schönheit auch eine ethische Kategorie, der man in seinem Tun verpflichtet sei." Das ist das zentrale Motiv diese Briefe in schwieriger Zeit. Die vielen Details aus dem Alltag, die Schmach der Enteignung, die Umsiedlung der Bauern sind Mosaiksteine auf dem Weg zu einem Schlusstableau von Verlust und Niedergang. Dreimal in elf Jahren wechseln die Besatzer: Den Deutschen folgen die Soldaten der Roten Armee und diesen die tschechische Armee. Und wenn die Baronin geglaubt haben mochte, es könne schlimmer nicht kommen, so kam es in jedem Durchgang doch so. Und erst nach dem Krieg: Die Kommunisten leiten eine Bodenreform ein, von den ursprünglich 700 Hektar Grundbesitz bleibt Sidonie Nádherný ein Zehntel; sie sieht keine Chance mehr, genug Geld für den Erhalt ihres angeschlagenen Paradieses zu erwirtschaften. Am Ende ist kaum noch etwas übrig von der "Gartenschönheit", das Schloss ist unbewohnbar, der Park zerstört und verwildert. Sogar Kollaboration mit den Deutschen versucht man ihr nun in die Schuhe zu schieben.

"Wenn Sie wüssten, wie viel Wut und Ekel in mir zusammengeballt ist - und wie viel Schmerz", schreibt sie am 1. April 1946 an Wagner. Die Schönheit ist verloren, und mit ihr längst jede Hoffnung auf Humanität. Im September verlässt die Baronin im Schutz der Nacht zu Fuß ihre Heimat und wechselt nahe Waldsassen über die Grenze nach Bayern; weiter führt sie ihr Weg nach England, wo sie 1950 im Alter von vierundsechzig Jahren in Uxbridge stirbt. Todesursache: Lungenkarzinom. 1999 werden ihre sterblichen Überreste im Schlosspark von Janowitz beigesetzt; in den nuller Jahren wird mit deutscher Hilfe der Park wieder in einen präsentablen Zustand versetzt.

Václav Wagner ging ebenfalls einem schweren Schicksal entgegen. 1948, da ist er fünfundfünfzig Jahre alt, wird er als Direktor des Denkmalamtes abgesetzt, ein Jahr später folgt die Anklage wegen Versuchs der Zersetzung und Zerstörung der sozialistischen Gesellschaftsordnung, 1950 wird er zu sechzehn Jahren Zuchthaus verurteilt. An Warnungen hatte es nicht gefehlt, aber Wagner erwägt ebenso wenig eine Flucht wie im Gefängnis ein Gnadengesuch. Nach sechs Jahren entlässt man ihn, ein körperliches Wrack, beinahe blind und halbseitig gelähmt. Weitere sechs Jahre in einer Blindenanstalt blieben ihm, dann bricht er mit einem Herzinfarkt auf der Treppe zum Café Slavia zusammen.

Von dieser Art sind die Geschichten der beiden Protagonisten ebenso wie die der vielen Nebenfiguren, die in den Briefen und im Kommentar dieser Dokumentation für die Nachwelt gerettet wurden. Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll - die Hartnäckigkeit des Spurensuchers Friedrich Pfäfflin und seiner vielen (Übersetzungs-)Helfer in Tschechien oder die Langmut des Verlages, ein so aufwendiges Projekt zu unterstützen. Kein Zweifel: Das ist ein Buch von Liebhabern für Liebhaber, aber eines, aus dem man erfahren kann, was Mitteleuropa einst ausmachte. Lesend sieht man zu, wie es untergeht, und weiß doch immerhin, dass nicht alles verloren gegeben wurde.

HANNES HINTERMEIER

Friedrich Pfäfflin und Alena Wagnerová: "Gartenschönheit oder Die Zerstörung von Mitteleuropa". Sidonie Nádherny - Briefe an Václav Wagner 1942-1949.

Wallstein Verlag, Göttingen 2015. 342 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensentin Beatrice von Matt hat diesen von Friedrich Pfäfflin und Alena Wagnerova sorgfältig editierten Band mit Gewinn gelesen. Denn in den hier versammelten Briefen, die Sidonie Nadherny an den Prager Denkmalpfleger Vaclav Wagner zwischen 1942 und 1949 sandte, lernt die Rezensentin die eindrucksvolle Baronin erstmals im eigenen Wortlaut kennen. Tief beeindruckt liest die Kritikerin nach, wie tapfer und souverän Nadherny ihr Schlossgut Vrchotovy Janovice zunächst gegen die Beschlagnahmung durch die Nazis, die dort Konzentrationslager aufstellen, zu verteidigen sucht, es später vor der Rote Armee und danach vor den tschechischen Truppen bewahren will, um 1948 schließlich endgültig enteignet zu werden. Mit großem Interesse liest die Rezensentin hier nicht nur nach, wie Nadherny von ihrer großen Liebe zu Karl Kraus erzählt, sondern lobt dieses lesenswerte Buch insbesondere als verdienstvolles Zeugnis, das die Zerstörung des alten Mitteleuropas eindringlich vor Augen führt.

© Perlentaucher Medien GmbH
»ein Buch, aus dem man erfahren kann, was Mitteleuropa einst ausmachte« (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Hannes Hintermeier, 08.09.2015) »Insel gegen den Wahnsinn der Welt« (Werner Birkenmaier, Stuttgarter Zeitung, 14.08.15) »eine vorbildlich editierte Dokumentation.« (Detlef Brandes, Bohemia, Zeitschrift für Geschichte und Kultur der böhmischen Länder. Band 55 (2015))