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Ein kritischer Blick auf die Entschädigungspolitik und ihre globale Dimension.In den letzten Jahrzehnten wurden historische Fragen verstärkt als Agenda der politischen Gegenwart behandelt. Berthold Unfried untersucht die Bewegung zur Restitution und Entschädigung von in der NS-Zeit entzogenen Vermögenswerten seit Anfang der 1990er Jahre in Mittel- und Osteuropa. Beginnend mit einer Kampagne um unausgezahlte Konten von NS-Opfern bei Schweizer Banken griff die Diskussion bald über den »postsozialistischen« Teil Europas hinaus und wurde in der Folge in den meisten europäischen Ländern geführt.…mehr

Produktbeschreibung
Ein kritischer Blick auf die Entschädigungspolitik und ihre globale Dimension.In den letzten Jahrzehnten wurden historische Fragen verstärkt als Agenda der politischen Gegenwart behandelt. Berthold Unfried untersucht die Bewegung zur Restitution und Entschädigung von in der NS-Zeit entzogenen Vermögenswerten seit Anfang der 1990er Jahre in Mittel- und Osteuropa. Beginnend mit einer Kampagne um unausgezahlte Konten von NS-Opfern bei Schweizer Banken griff die Diskussion bald über den »postsozialistischen« Teil Europas hinaus und wurde in der Folge in den meisten europäischen Ländern geführt. Unfried setzt diese europäisch-nordamerikanische Bewegung in den Kontext anderer Entschädigungsbewegungen weltweit. Seine globalgeschichtliche, über Europa hinausgehende Perspektive eröffnet einen breiteren Blickwinkel und ermöglicht dadurch neue Erkenntnisse.
Autorenporträt
Berthold Unfried, geb. 1960, ist Dozent am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Reichlich durcheinander erscheint Helmut König Berthold Unfrieds Studie über die Restitiutionswelle der vergangenen Jahrtausendwende. Akteure und Motivationen kann ihm der Autor zwar vorstellen, Machtverhältnisse und Verhaltensweisen analysieren und so ein Panorama von den südamerikanischen und südafrikanischen Wahrheitskommissionen bis zu den juristischen Details der Kunstrückgabe zu präsentieren, alles in allem erscheint das Buch dem Rezensenten jedoch labyrinthisch, inkohärent, da es allzu Heterogenes miteinander zu verbinden versucht, wie König kritisiert. Dass der Autor zudem die im Dienst der Entschädigung tätigen Historiker scharf kritisiert, ohne jedoch "substanziell" zu argumentieren, erscheint König schwach.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.11.2014

Die Historiker als Ladeschützen?
Berthold Unfried stellt die globale Entschädigungswelle nach dem Ende des Kalten Krieges beeindruckend dar

Das Ende des Kalten Kriegs eröffnete den Beginn einer rund ein Jahrzehnt lang währenden Konjunktur der Entschädigung und Restitution für historisches Unrecht. Diese Entschädigungswelle wurde zum Kernelement einer Epoche, in der die Menschenrechte zum Fixstern des westlichen Selbstverständnisses aufstiegen. Als deren Antithese diente der Holocaust, der zum Referenzpunkt einer globalisierten Moralpolitik unter amerikanischen Vorzeichen wurde. Das symbolische Ende dieser Epoche markierten schließlich die Anschläge auf die Vereinigten Staaten vom 11. September 2001.

Der österreichische Zeithistoriker Berthold Unfried hat die globale Entschädigungsbewegung der 1990er Jahre in einer beeindruckenden Studie dargestellt. Zum Bezugspunkt neuer Entschädigungsforderungen wurden in dieser Zeit neben dem Holocaust auch Sklavenhandel und Sklavenhaltung, die blutigen Folgen des Kolonialismus und nicht zuletzt auch Menschenrechtsverletzungen in Südafrika und Lateinamerika. Nun entstanden neue Instrumente zur Entschädigung historischen Unrechts, darunter etliche Entschädigungsfonds, und auch neue Instrumente zur Restitution von Eigentumsverlusten. Dem symbolischen Opfer-Täter-Ausgleich dienten zudem "Wahrheitskommissionen" als neues Format zur Verhandlung kollektiver Unrechtserfahrungen.

Optimistische Deutungen beschreiben diese gleichzeitig in verschiedenen Erdteilen auftretenden Phänomene vor allem als Teil eines universalen Trends zur Durchsetzung einer auf ein globalisiertes Holocaust-Bewusstsein gestützten menschenrechtsorientierten Politik. Demgegenüber schließt sich Unfried einer skeptischen Interpretation an: Diese Richtung erklärt die globale Entschädigungsbewegung der 1990er Jahre eher als Teil eines von Machtbeziehungen und Interessen strukturierten Feldes. Vor allem Peter Novick dient Unfried als intellektueller Referenzpunkt einer Ideologiekritik des, wie er schreibt, diesem zugrundeliegenden "Holocaust-Machtdispositivs".

Die Ursprünge der Entschädigungskonjunktur findet Unfried so vor allem in dem von den Vereinigten Staaten ausgehenden Trend zur Reprivatisierung staatlichen Eigentums nach dem Ende des Kalten Krieges. Im Rahmen einer "Geopolitik der Erinnerung" wurde ihm zufolge der Holocaust-Diskurs der 1990er Jahre zu einem Motor des neoliberalen Zeitalters, in dessen derzeit florierende Kritik er damit einstimmt. Diese Deutung hat nicht zufällig damit zu tun, dass Unfried die anfänglich eingenommene globale Perspektive immer mehr auf zwei für ihn zentrale und besonders vertraute Fälle verengt: Österreich und Frankreich. Diese beiden Länder waren - neben der Schweiz - am stärksten von einem von den Vereinigten Staaten ausgehenden Angriff auf bisherige nationale Erinnerungsregimes betroffen. Ihnen wurde nun ein mangelhafter Umgang mit den Folgen des Holocaust um die Ohren gehauen. In diesen Ländern mischten sich grummelndes Ressentiment gegen solche erinnerungspolitischen Zumutungen zunächst noch mit Schadenfreude jener, die sich lange als marginalisierte Kritiker einer defizitären Auseinandersetzung mit der Rolle ihrer Länder im Zweiten Weltkrieg empfunden hatten.

Zu diesen Kritikern zählt in gewisser Weise auch Unfried selbst. Einstmals war er an der Aufdeckung der NS-Vergangenheit des österreichischen UN-Generalsekretärs Kurt Waldheims beteiligt, und später arbeitete er in einer in Österreich als Teil der Entschädigungskonjunktur entstandenen kompaniestarken Historikerkommission mit. Sein Buch ist daher nicht zuletzt das Ergebnis einer professionellen Selbstreflexion. Unfrieds erhellende Analyse des Netzwerks der Akteure auf dem Feld der Entschädigungspolitik ist im Grunde die Geschichte einer enttäuschten professionellen und moralischen Erwartungshaltung: Denn Historiker hätten im Grunde genommen nur der Legitimation interessegeleiteter juristischer Argumente gedient, während der historische Wahrheitsanspruch immer mehr auf der Strecke geblieben sei.

Die aktuell anhaltende Kunstrestitutionskampagne liefert Unfried für seine Beobachtungen ein zentrales Beispiel. Die Restitution von Bildern aus jüdischem Eigentum, die in der NS-Zeit ihren Besitzer wechselten, diene oftmals vor allem der Privatisierung von Kunstwerken aus staatlichen Museen und weniger der Wiedergutmachung eines historischen Unrechts. Zugleich kritisiert er das Argument, wonach es bei der Kunstrestitution um die familiäre Identität der jüdischen Antragsteller gehe. Denn schließlich verschwänden die Bilder schon allein deshalb sofort auf Auktionen und anschließend in Privatsammlungen, weil damit die teuren Anwaltsgebühren bezahlt werden müssten. "Die ,historische Gerechtigkeit' kommt als Schlagobers drauf", so Unfried.

Andere, von ihm nicht behandelte Beispiele relativieren diese Schlussfolgerungen allerdings. Betrachtet man etwa die um die Jahrtausendwende veranstalteten deutschen und österreichischen Projekte zur Entschädigung vor allem osteuropäischer Zwangsarbeiter, so stößt man selbstverständlich auch auf Interessen und strategisch denkende Akteure. Doch passen diese Beispiele trotzdem nicht nahtlos in das von Unfried gezeichnete Bild einer neoliberalen Privatisierungspolitik zugunsten profitorientierter Anwälte und Organisationen, denen Historiker lediglich als Munitionslieferanten assistieren und innerhalb derer die Opfer allenfalls als juristische Konstruktionen und nicht als Akteure erscheinen.

Als Kernfrage des Buches schält sich damit heraus, ob Geld das Medium oder das Ziel dieser Entschädigungswelle gewesen sei, und Unfried entscheidet sich schließlich für die zweite Variante. Das liegt auch daran, dass er im Verlauf seiner Darstellung immer mehr von der Rolle des distanzierten Zeithistorikers zu der des engagierten Zeitgenossen wechselt. Vielleicht kann man ihn als enttäuschten engagierten Historiker begreifen, dem die selbstgewählte professionelle Aufgabe, an der historischen Selbstaufklärung Österreichs mitzuwirken, gewissermaßen durch die hegemoniale amerikanische Erinnerungspolitik aus der Hand genommen wurde. Und so beschreibt er die historische Bedeutung der Entschädigungskonjunktur über die 1990er Jahre hinaus als einen "dauerhaften Erfolg erinnerungspolitischer Strategien zur Etablierung US-amerikanischer Vorstellungen von der Gegenwart der Geschichte von Krieg, Verfolgung und Genozid (,Holocaust Era') in Europa". Hat Unfried nun vielleicht, so möchte man fragen, Österreich vom ersten Opfer der Hitlerschen Aggression in das erste Opfer der amerikanischen Erinnerungspolitik verwandelt?

Unfried verbindet in seiner provokativen Darstellung der globalen Entschädigungsbewegung nach dem Ende des Kalten Krieges die souveräne und faire Exposition von Deutungsangeboten mit einer klugen Selbstreflexion auf die Tätigkeit des Historikers auf dem Feld der Erinnerungs- und Entschädigungspolitik, und dazu gehört auch, dass er zur Debatte einlädt. Gerade in seiner nicht auf Deutschland orientierten Perspektive ist dieses Buch eine lohnende Lektüre für jeden, der sich für die Bedeutung der Restitutions- und Entschädigungspolitik für aktuelle Selbstverständigungsprozesse Europas und der westlichen Welt interessiert.

CONSTANTIN GOSCHLER

Berthold Unfried: Vergangenes Unrecht. Entschädigung und Restitution in einer globalen Perspektive. Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 541 S., 46,- [Euro].

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»eine beeindruckende Studie« (Constantin Goschler, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.11.2014)