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Die deutsch-türkischen Beziehungen in der Weimarer Republik und die Abwehr der unbegrenzten Moderne.Der Erste Weltkrieg gilt in der Öffentlichkeit vielfach noch immer als die Geburtsstunde der deutsch-türkischen »Waffenbrüderschaft« und einer Freundschaft ohne Hintergedanken. Doch warum endete dieser Mythos mit der gemeinsamen Niederlage 1918 nicht, sondern wurde vielmehr gerade in den Jahren danach erst eigentlich geschaffen?Sabine Mangold-Will beschreibt die deutsch-türkischen Beziehungen zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland…mehr

Produktbeschreibung
Die deutsch-türkischen Beziehungen in der Weimarer Republik und die Abwehr der unbegrenzten Moderne.Der Erste Weltkrieg gilt in der Öffentlichkeit vielfach noch immer als die Geburtsstunde der deutsch-türkischen »Waffenbrüderschaft« und einer Freundschaft ohne Hintergedanken. Doch warum endete dieser Mythos mit der gemeinsamen Niederlage 1918 nicht, sondern wurde vielmehr gerade in den Jahren danach erst eigentlich geschaffen?Sabine Mangold-Will beschreibt die deutsch-türkischen Beziehungen zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland in ihrer internationalen wie transnationalen Dimension zwischen Diplomatie, Vereinswesen, interessierten Gesellschaftskreisen, Bildungspolitik und Sport. Dabei fragt die Autorin insbesondere nach den wechselseitigen Interessen einer von beiden Seiten formulierten angeblich ungebrochenen und zweckfreien Freundschaft. Die Erklärung dafür findet sich im gemeinsamen politischen Kampf gegen das System der Pariser Friedensordnung und der Abwehr einer beschleunigten Verwestlichung. So lässt sich für die Jahre 1918 bis 1933 lediglich von einer begrenzten Freundschaft sprechen, deren Inszenierung in Deutschland wie in der Türkei dem geteilten Kampf gegen eine unbegrenzte Moderne galt.
Autorenporträt
Sabine Mangold-Will, geb. 1972, ist Juniorprofessorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal.Veröffentlichungen u. a.:Eine »weltbürgerliche Wissenschaft«. Die deutsche Orientalistik im 19. Jahrhundert (2004)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2013

Zwischen Wirklichkeit und Mythos

Die vielbeschworene Freundschaft zwischen Deutschen und Türken in den Jahren 1918 bis 1933 ergab sich aus der Ausgangslage der Verlierermächte.

Von Wolfgang Günter Lerch

In den späten sechziger und frühen siebziger Jahren hörte man bei Reisen durch die Türkei noch von der "deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft" im Ersten Weltkrieg reden, die den Grundstein zur "traditionellen Freundschaft" gelegt habe. Heute, unter den jüngeren Generationen, ist davon - wenn überhaupt - nur selten die Rede. Dieser "Mythos" hat sich verflüchtigt, seine historischen Hintergründe sind allzu sehr Geschichte geworden, als dass sie noch im Bewusstsein vieler präsent wären. Dabei war er einmal, zumindest in personaler Weise, durchaus lebendig. Nie wurde etwa der bekannte türkische Archäologe Ekrem Akurgal müde, von seinen deutschen Bildungserlebnissen zu berichten; ebenso der frühere Ministerpräsident Sadi Irmak oder der Chemiker Muammer Tuksavul und andere Türken, die von den Beziehungen zwischen Deutschland und ihrer sich drastisch verändernden türkischen Heimat geprägt wurden. Übrig geblieben ist eine Freundlichkeit gegenüber Deutschen, eine gewisse Wertschätzung, die auch Touristen immer wieder wahrnehmen.

Heute ist das "Verhältnis", wenn auch unter ganz anderen Voraussetzungen, im Positiven wie im Negativen enger denn je - mit allem, was die Zeitspanne seit der Anwerbung der "Gastarbeiter" kennzeichnet: von Fällen geglückter Integration bis hin zu den menschenverachtenden Übergriffen von Mölln und Solingen, von den NSU-Morden gar nicht zu reden. Mit keinem Volk sind die Deutschen, bis in persönliche, hier und da sogar familiäre Bindungen hinein, so eng verflochten wie mit den Türken, von denen dreieinhalb Millionen unter uns leben, ein beträchtlicher Teil schon als deutsche Staatsbürger. Und natürlich gilt dies auch vice versa. Da sollte man tatsächlich wegkommen von Mythen und mehr die Realität in den Mittelpunkt rücken.

Dies tut die Historikerin Sabine Mangold-Will in ihrem umfangreichen Werk über den Zeitraum vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zur "Machtergreifung" Hitlers. Es ist in der Tat lesenswert, die Parallelen zwischen beiden Staaten - der 1919 gegründeten Republik von Weimar und der 1923 von Kemal Atatürk proklamierten "Türkei Republik" (Türkiye Cumhuriyeti) zu verfolgen. Erst in den frühen zwanziger und dreißiger Jahren wurde der Mythos von der traditionellen Freundschaft geboren. Im Jahre 1924 nahmen beide Staaten - zuvor vertreten durch Schweden und die Schweiz - wieder diplomatische Beziehungen auf. Die Erinnerungen an die "Waffenbrüderschaft" waren frisch - doch auch die an ein gemeinsames Scheitern.

Die Autorin stellt in beeindruckender Weise dar, dass es mehr die historisch-politischen Gemeinsamkeiten der Ereignis- und Mentalitätsgeschichte zwischen beiden Völkern als die vielbeschworene Freundschaft waren, die das Leitende in diesem Verhältnis abgaben. Teile der Eliten in beiden Ländern setzten unterschiedlichste politische Hoffnungen und Kalküle auf diese "Freundschaft". Die gemeinsamen Interessen, welche die Autorin ausmacht, sind vor allem defensive gewesen. Die Ausgangslage war ähnlich: Beide Reiche hatten den Krieg verloren; beide waren zugrunde gegangen und harrten einer Neuordnung ihrer Völker und ihres Staatswesens. Deutschland wird zur Republik von Weimar, die Türkei zum Nationalstaat mit dem System einer autoritär, vom Nimbus Kemal Atatürks getragenen Republik.

Von einer Demokratie konnte in der Zwischenkriegszeit in der Türkei nicht die Rede sein. Der Kultur-Bruch in der Türkei war sicher tiefer, doch hatten beide neuen Systeme enorm unter dem Friedensdiktat der westlichen Siegermächte zu leiden. Von Beginn an lag der Schatten von Versailles über Weimar. Zwar konnte Atatürk die demütigenden Abmachungen von Sèvres revidieren und in Lausanne andere, viel günstigere Bedingungen aushandeln, doch die Gefahr, ja die reale Möglichkeit des Überwältigt- und Zerstückeltwerdens nach dem Kriege prägte das türkische Bewusstsein tief. Die Siegermächte sorgten bewusst dafür, dass die "Waffenbrüderschaft" und die alten Beziehungen abrupt gekappt wurden. Bis in die Infrastruktur hinein sollten die Verbindungen beider Völker zerstört werden, um deren Wiedererstarken zu Großmächten zu verhindern.

In den Jahren bis 1933 wirkte auf deutscher Seite, insbesondere bei den "Asien-Kämpfern", die Art und Weise fast paradigmatisch, wie es den türkischen Führern, allen voran Mustafa Kemal Atatürk, gelungen war, die demütigenden Bedingungen von Sèvres loszuwerden. Die Neuorientierung der Türkei stand nach dem Sieg der Türken im nationalen Unabhängigkeitskrieg unter Atatürks Motto "Frieden daheim, Frieden in der Welt". Die republikanische und demokratische Neuorientierung der Deutschen litt unter Versailles und reaktionärer kaisertreuer Nostalgie (und mehr als dies). Konnte den Deutschen in Bezug auf Versailles nicht auch gelingen, was die Türken gegen die Entente-Mächte erreicht hatten? Dieses "politische Argument Türkei" wurde mehr und mehr auch zu einer impliziten Kritik nationalkonservativer und rechter radikaler Kreise an Weimars "Erfüllungspolitikern".

Die junge Türkische Republik erhoffte sich von der (Wieder-)Verbindung mit dem einstigen Verbündeten Hilfe bei ihrer internationalen Anerkennung nach der Proklamation und der Schaffung des Nationalstaates, der das universalistische Osmanische Reich ablöste. Hinzu kamen der Wunsch nach Hilfe beim Aufbau der Wirtschaft und Unterstützung bei der Gründung von Institutionen, beispielsweise dem türkischen Geheimdienst, sowie nach Zusammenarbeit auf dem akademischen Feld. Nebenbei bemerkt: Es sollte nur eine kurze Frist nach dem Ende der Weimarer Republik vergehen, bis Staatsgründer Atatürk Dutzenden führender Gelehrter aus Deutschland Schutz und Exil vor dem nationalsozialistischen Terror gewährte - ein Aspekt der "traditionellen Freundschaft", der den meisten Deutschen bis heute unbekannt ist. In jener Weimarer Zeit entstanden auch jene "Freund-Bilder" auf beiden Seiten, die - bisweilen tatsächlich auf den gemeinsamen Erlebnissen der Schlachtfelder beruhend - noch immer nachwirken.

Den einen erschien die Türkei als "aufstrebende asiatische Macht", andere erkannten den "Willen zur Europäisierung", was dem Selbstbild der kemalistischen Türkei entsprach, jedoch unterschiedlich gewertet wurde. Bücher über Atatürk erschienen (etwa von Dagobert von Mikusch), die den schwer zu erfassenden Militär und Staatsgründer als charismatischen "Führer" charakterisierten, als großen Staatsmann oder als "Entwicklungsdiktator" (so Emil Ludwig). Doch auch ein gemischtes Bild der Deutschen in der Türkei entstand: Bewunderung für Tüchtigkeit und Pünktlichkeit, für deutsche Wissenschaft und Ingenieurskunst, doch auch Kritik an deutscher Lehrhaftigkeit, Arroganz und Dekadenz.

Es gab freilich auf deutscher Seite auch kritische Stimmen, die dem "politischen Argument Türkei" widersprachen, so der Referent im Auswärtigen Amt Kurt Ziemke, der meinte: "Die gemeinsamen Kriegserinnerungen können natürlich kein Gradmesser für die Intensität der künftigen Beziehungen sein, sie können das künftige Verhältnis nicht einmal beeinflussen. Wie sich die beiden Nationen in Zukunft zueinander stellen werden, hängt ausschließlich von den beiderseitigen realen Bedürfnissen ab. Die Politik kennt keine Sentimentalitäten."

Die deutsch-türkischen Beziehungen jener Jahre erweisen sich als Ergebnis einer historischen Ähnlichkeit der Ausgangslage beider Völker nach einer epochalen Katastrophe sowie als Ausdruck einer Tendenz, in einem unvermeidlichen Prozess der Modernisierung - wie es vielen schien - den Halt nicht zu verlieren, die Moderne zu begrenzen.

Sabine Mangold- Will: Begrenzte Freundschaft. Deutschland und die Türkei 1918-1933.

Wallstein Verlag, Göttingen 2013, 539 S., 42,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die türkisch-deutschen Beziehungen einmal realistisch zu betrachten hilft dieses Buch der Historikerin Sabine Mangold-Will laut Rezensent. Wolfgang Günter Lerch findet lesenswert, was Mangold-Will zu den Beziehungen der beiden Staaten in der Zeit zwischen dem Ersten Weltkrieg und Hitlers "Machtergreifung" zu erzählen hat, in der der Freundschaftsmythos noch nicht geboren war, sondern vor allem historisch-politische Gemeinsamkeiten, wie die Kriegsniederlagen beider etwa, das Verhältnis bestimmten. Für den Rezensenten eine heilsame und wichtige Perspektive auf die Beziehung dieser heute derart eng miteinander verbundenen Völker.

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