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Die Filmfestivals von Leipzig und Oberhausen zählen zu den renommiertesten Filmfestivals weltweit. Beide Filmwochen wurden Mitte der 1950er Jahre gegründet und entwickelten sich schnell zu zentralen Kulturveranstaltungen in der Bundesrepublik bzw. in der DDR.Andreas Kötzing untersucht am Beispiel der Westdeutschen Kurzfilmtage und der Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche, wie sich der Ost-West-Konflikt auf die deutsch-deutsche Kultur- und Filmpolitik auswirkte. Verflechtungen sowie Anknüpfungs- und Abgrenzungspunkte zwischen beiden deutschen Staaten stehen dabei besonders im Mittelpunkt.…mehr

Produktbeschreibung
Die Filmfestivals von Leipzig und Oberhausen zählen zu den renommiertesten Filmfestivals weltweit. Beide Filmwochen wurden Mitte der 1950er Jahre gegründet und entwickelten sich schnell zu zentralen Kulturveranstaltungen in der Bundesrepublik bzw. in der DDR.Andreas Kötzing untersucht am Beispiel der Westdeutschen Kurzfilmtage und der Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche, wie sich der Ost-West-Konflikt auf die deutsch-deutsche Kultur- und Filmpolitik auswirkte. Verflechtungen sowie Anknüpfungs- und Abgrenzungspunkte zwischen beiden deutschen Staaten stehen dabei besonders im Mittelpunkt. Unter welchen Umständen konnten sich ost- und westdeutsche Filmemacher an den Festivals beteiligen? Welche Filme wurden gezeigt und welche Konflikte riefen sie hervor? Welchen kulturpolitischen Einfluss übten die Festivals aus? Welche persönlichen Kontakte ergaben sich im Rahmen der Filmwochen?
Autorenporträt
Andreas Kötzing, geb. 1978, Historiker und Freier Journalist. Forschungen zur deutschen Filmgeschichte und zu den deutsch-deutschen Beziehungen im Kalten Krieg. Veröffentlichungen u. a.: Keine einfachen Wahrheiten. Die Leipziger Dokumentarfilmwoche und der Fall 'IM Walter' (2012).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.2013

Liebe Freunde, wir sind souverän
Bilder aus dem Kalten Krieg zwischen Oberhausen und Leipzig: Eine doppelte Festivalgeschichte

Sie duzten und sie zankten sich. Auf diese simple Kurzformel könnte man die Beziehungen zwischen den 1954 gegründeten Kurzfilmtagen in Oberhausen ("Weg zur Bildung", von 1958 an "Wege zum Nachbarn") und des ein Jahr später noch als "gesamtdeutsche Filmwoche" etablierten Festivals für Dokumentar- und Kurzfilm (heute kurz "Dok Leipzig") bringen. Mal war der Ton entspannt, und die Direktoren schlossen ihre Briefe mit Grüßen an die Gattin, mal kündigte einer dem anderen die Freundschaft, von Seiten der DDR vor allem dann, wenn in Oberhausen das Kürzel "DDR" fehlte und sich die Beiträge aus dem Defa-Studio unter der Rubrik "Filme aus Deutschland" fanden. Dem Westen in Gestalt des Produzentenverbandes und einzelner Regisseure wiederum waren 1961 der Mauerbau und 1968 der Einmarsch in die Tschechoslowakei Anlass, auf die Reise nach Leipzig zu verzichten.

In Wahrheit standen beide Veranstaltungen unter strenger Beobachtung: Leipzig, das versteht sich fast von selbst, unter der der SED, deren Funktionäre sich im Laufe der Jahre immer unverhüllter in die Filmauswahl einmischten, sowie der Staatsicherheitsbehörde, die in der Büroetage des Festivalkinos "Capitol" ein eigenes Büro unterhielt und deren spähender Blick bis hinüber nach Oberhausen reichte - nicht zuletzt, um über den Auftritt der ostdeutschen Delegation Bescheid zu wissen. Aber auch die Veranstalter in Oberhausen mussten Einsprüche und Eingriffe hinnehmen, vorzugsweise von Seiten des Interministeriellen Ausschusses in Bonn, der "kommunistische Propaganda" zuweilen selbst da aufspürte, wo der unvoreingenommene Beobachter sie nicht erkennen konnte, sowie des Innenministers Hermann Höcherl (CSU), der die westdeutschen Kurzfilmtage 1965 pauschal als "rotes Festival" etikettierte, auf dem er "nichts zu suchen" habe und für das er auch keinen Zuschuss bereitstellen werde.

Andreas Kötzing, Historiker mit Lehrauftrag in Leipzig und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut in Dresden, kommt das Verdienst zu, die politischen Aspekte der Entstehung und Entwicklung beider Festivals (samt vergleichendem Blick auf die schon 1952 ins Leben gerufene Mannheimer Filmwoche) vor dem Hintergrund des Kalten Krieges in allen Facetten und Misshelligkeiten dargestellt zu haben. Seine Untersuchung erstreckt sich bis ins Jahr 1972, als mit der neuen Ostpolitik auch beim Kulturaustausch zwischen beiden deutschen Staaten Entspannung möglich wurde - was in Leipzig allerdings am Ende hieß, das Misstrauen vollständig gegen die eigenen Leute zu richten.

Ansatz der Untersuchung, die an Umfang und Horizont weit über eine übliche Dissertation hinausgeht, ist Kötzings These, die Geschichte der DDR müsse als Bestandteil der deutschen Nachkriegsgeschichte gesehen werden und nicht immer nur "als negatives Gegenbeispiel für das erfolgreiche Modell der Bundesrepublik", wie es etwa der Historiker Hans-Ulrich Wehler darstellt. In diesem Sinne versteht Kötzing auch das Verlangen der DDR-Funktionäre in Oberhausen nach korrekter Kennzeichnung der mitgebrachten Filme als Kampf um die schrittweise Anerkennung ihres Staates, der nun freilich den Film - wie andere Künste auch - nach außen wie nach innen zur Magd der Politik herabwürdigte.

Dass immer wieder Regisseure und Autoren in der DDR mit Werken hervortraten, die sich dem Propagandaauftrag verweigerten (für den genügend willige Helfer wie etwa Andrew und Annelie Thorndike, die auf dem Leipziger Festival einflussreich mitwirkten, bereitstanden), machte das Filmschaffen der DDR wie auch des gesamten Ostblocks für das von Hilmar Hoffmann begründete, auf Dialog ausgerichtete Oberhausener Festival dauerhaft interessant. Das Leipziger Pendant blieb dagegen durch die Hauptaufgabe, "die Überlegenheit des sozialistischen Gesellschaftssystems" zu demonstrieren, bis 1989 in der Geiselhaft der Partei. Im absurden Endspiel waren dann sogar die vom Geist der Perestroika infizierten Filme aus der Sowjetunion obsolet geworden.

Trotz des mal engen, mal gelockerten Korsetts blieb das Leipziger Festival vor allem für die ostdeutschen Besucher ein Fenster zur Welt, indem man die ideologischen Filmblöcke einfach ausblendete und sein Interesse statt dessen auf neue Bilder der Wirklichkeit richtete. Zudem waren in diesem Rahmen trotz perfider Stasi-Überwachung stets persönliche Gespräche zwischen ost- und westdeutschen Besuchern möglich.

Der Autor hat nicht nur die Akten genau studiert und mit zahlreichen Zeitzeugen gesprochen, sondern im Vorfeld seiner Untersuchung offenbar einen Großteil der Filme gesehen, die in der politischen Auseinandersetzung eine Rolle spielten. Dass er zuweilen einen sarkastischen Ton anschlägt, erhöht die Lesbarkeit des mit ausführlichen Quellenangaben ausgestatteten Buchs. Fast möchte man wünschen, die Untersuchung würde bis zum Jahr 1989 weitergehen, wozu von Leipziger Seite (im Unterschied zur desolaten, durch eine dreißigjährige Sperrfrist zusätzlich beeinträchtigten Archivsituation in Oberhausen) auch alle Unterlagen bereit lägen. Allerdings war Kötzing neugierig genug, um einige Male schon über die Zeitgrenze hinauszuschauen - zum Beispiel auf den Fall des zeitweiligen IM-Zuträgers und Leipziger Nachwendefestivaldirektors Fred Gehler (F.A.Z. vom 19. Juli 2012).

Im Grunde dürfte aber das Wesentliche über die politische Dualität und partielle Verschwisterung beider Festivals mit dieser Studie gesagt sein. Wie es auf den florierenden Filmwochen in Oberhausen und Leipzig heute aussieht (experimentell hier, noch immer politisch dort), steht in den Festivalberichten auch dieser Zeitung. Eingriffe von Ministern und Parteifunktionären sind vorerst nicht mehr zu erwarten.

HANS-JÖRG ROTHER

Andreas Kötzing: "Kultur- und Filmpolitik im Kalten Krieg". Die Filmfestivals von Leipzig und Oberhausen in gesamtdeutscher Perspektive 1954-1972.

Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 427 S., Abb., geb., 44,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Interessiert schmökert Hans-Jörg Rother im Buch des Historikers Andreas Kötzing, der hier die Filmfestivals Oberhausen und Leipzig zum Vergleich bringt. Und zwar im Hinblick auf ihre Entstehung und Entwicklung vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der im anvisierten Kontext ausgetragenen politischen Auseinandersetzungen, von den Anfängen bis ins Jahr 1972, in einzelnen Schlaglichtern, wie Rother erfreut feststellt, auch darüber hinaus. Umfang und Horizont machen den Rezensenten staunen und das Quellenstudium des Autors und die von ihm zusammengetragenen Zeitzeugenberichte nicht weniger. Dass Kötzing zudem cinephil ist und die politisch relevanten Filme kennt, versteht sich beinahe von selbst, ist dem Rezensenten aber auch eine lobende Erwähnung wert.

© Perlentaucher Medien GmbH