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Hartungs neue Gedichte: Lebensbilanz und großer Anfang in einemHarald Hartung ist ein genauer Beobachter. Er hält die Dinge fest, wendet sie spielerisch nach allen Seiten, befragt sie und bringt sie in eine neue Form. In Krieg und Nachkrieg greifen die Erinnerungen zurück; der Waschtrog im Luftschutzkeller wird evoziert, die von der Mutter im Juni 1945 erbettelte Dose Apfelmus, der »ferne Sommer mit Eliot«. Hartung hält Zwiesprache mit Kollegen, erweist Inger Christensen oder W. H. Auden Reverenz. Gewiss zählt Hartung zu den Melancholikern, aber zu jenen, die wissen, dass die Zuflucht zur…mehr

Produktbeschreibung
Hartungs neue Gedichte: Lebensbilanz und großer Anfang in einemHarald Hartung ist ein genauer Beobachter. Er hält die Dinge fest, wendet sie spielerisch nach allen Seiten, befragt sie und bringt sie in eine neue Form. In Krieg und Nachkrieg greifen die Erinnerungen zurück; der Waschtrog im Luftschutzkeller wird evoziert, die von der Mutter im Juni 1945 erbettelte Dose Apfelmus, der »ferne Sommer mit Eliot«. Hartung hält Zwiesprache mit Kollegen, erweist Inger Christensen oder W. H. Auden Reverenz. Gewiss zählt Hartung zu den Melancholikern, aber zu jenen, die wissen, dass die Zuflucht zur Apokalypse schlicht sinnlos ist. Das Weltende nimmt sich Zeit: »Es trifft uns an bei bester Verfassung«. Das Gedicht ist Hoffnung wider alle Hoffnung. Wintermalerei setzt der Kälte der Welt Bilder entgegen, die jäh aufleuchten.
Autorenporträt
Harald Hartung, geb. 1932 im westfälischen Herne, lebt als Lyriker, Kritiker und Essayist in Berlin. Mitglied der Akademie der Künste (Berlin),der Akademie der Wissenschaften und der Literatur (Mainz) und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (Darmstadt). Hartung hat deutsche und internationale Lyrik in berühmt gewordenen Anthologien wie »Luftfracht« und »Jahrhundertgedächtnis« und in Essaybüchern wie »Masken und Stimmen« vermittelt und analysiert. Preise:Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis (1987)Internationaler Lyrikpreis »Chianti Ruffino-Antico Fattore« (1999)Preis der Frankfurter Anthologie (2002)Würth-Preis für Europäische Literatur (2004)Johann-Heinrich-Merck-Preis (2009)Literaturpreis Ruhr (2012)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2010

Das kalte Bett
Jüngste Altersdichtung: Harald Hartungs Lyrik

Von Wulf Segebrecht

Das Handwerkliche meisterhafter Poesie, sagt man, verstehe sich von selbst. Darüber brauchte man nicht groß zu reden, gäbe es nicht in der gegenwärtigen Lyrik so viele Beispiele für die ignorante Verachtung des Handwerklichen, verbunden mit dem Anspruch, gerade dadurch höchste Kunst hervorzubringen; und umgekehrt: gäbe es nicht die ebenfalls zahlreichen Beispiele einer Lyrik, die sich mit dem ostentativen Vorzeigen handwerklicher Finessen begnügt. Beide Irrwege oder Einbahnstraßen vermeidet Harald Hartung in seinen Versen, so dass man ihm nach dieser Vorerinnerung uneingeschränkt bescheinigen kann: Er versteht sein Handwerk und setzt es scheinbar anstrengungslos ein.

Wer Harald Hartung als engagierten Anwalt der internationalen Poesie der Moderne ("Luftfracht"), als ebenso souveränen wie subjektiven Anthologisten der deutschen Lyrik des zwanzigsten Jahrhunderts ("Jahrhundertgedächtnis"), als kritischen und verständnisvollen Rezensenten gegenwärtiger Lyrik in dieser Zeitung und als ausgezeichneten Interpreten der "Frankfurter Anthologie" kennt, der wird seine ausgedehnten Kenntnisse und sein Können bewundern; und es wird ihn nicht überraschen, dass diese Qualitäten auch seinen eigenen Gedichten zugutekommen. Kaum ein Lyriker seiner Generation (Hartung gehört dem Jahrgang 1932 an) geht so variationsreich und innovativ mit den herkömmlichen Kunstmitteln der Poesie, mit Reimen und Metren, Gedicht- und Strophenformen, mit mythologischen Bildvorstellungen, mit Anspielungen und Zitaten und mit den Redeformen um wie er. Dabei bleibt die Syntax seiner Gedichte stets intakt und wird allenfalls durch eine äußerst sparsam eingesetzte Interpunktion leicht verschleiert. Ihre Zeitgenossenschaft stellen seine Verse nicht durch Tabubrüche oder formale Experimente unter Beweis, sondern durch ihre Thematik und ihre Betrachtungsweise.

Keinen Moment lässt Hartung in seinem jüngsten Band Zweifel daran aufkommen, dass es sich um Altersgedichte handelt, die er hier versammelt hat; um "Wintermalerei". "Die Farben auf der Palette / trocknen ein", die alten Bilder werden mit dem Weiß des Alters übermalt, die Erinnerungen an eine Jugend und an die Elendszeit nach dem letzten Krieg und an die verstorbenen Dichterkollegen Inger Christensen und Michael Hamburger werden ins Gedächtnis gerufen, die Gräber von Ezra Pound und dem russischen Tänzer Sergej Diaghilew auf dem Cimitero von Venedig werden aufgesucht und die professionellen Aufnahmen der Kernspintomographie des Gehirns betrachtet. Den Abschluss bildet die kunstvolle Variation einer Villanelle aus dem Krankenzimmer, deren bedeutungsvollen Schlussvers gewiss nicht nur Kenner dieser Gedichtform ohne weiteres erschließen können und sollen: "Die Nacht erwartet uns, das kalte Bett."

Die Verse sind von Wehleidigkeit ebenso weit entfernt wie von zynischer Leichtfertigkeit. Aber auch von einem "heiteren Darüberstehen", das man dem Alter so gern gewährt und von ihm erwartet, kann bei Hartung nicht die Rede sein. Vielmehr wird mit leichter Hand, mit kunstfertigem Witz und mit hintergründigem Humor der Frage nachgegangen, wie es mit der Poesie angesichts ihres Gegenparts, der Vergänglichkeit, weitergehen kann.

Das Eingangsgedicht des Bandes, "Vergessene Zeile", beantwortet diese Frage auf eine nachdenkenswerte Weise: "Gestern sehr früh fiel mir eine Zeile ein / Sie handelte vom Tod und begann Der Tod . . . / dann folgte etwas wie eine Behauptung // Sie schien mir gut und tröstete mich zugleich / so daß ich liegen blieb und mein Glück genoß // Dann stand ich auf Der Tod ist . . . probierte ich / und hatte vergessen wie es weiterging // Der Tod ist eine vergessene Zeile."

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Harald Hartung ist ein Dichter, "der sein Handwerk versteht". Das meint Wulf Segebrecht in seiner Rezension dieses jüngsten Gedichtbandes des für die FAZ sehr regelmäßig selbst als Rezensent tätigen Hartung als ungetrübtes Kompliment. Bloßes "Handwerk" seien diese Gedichte deshalb noch lange nicht. Sie nutzten das Können nämlich für sehr eigene Zwecke, in diesem Fall: Gedichte, die unaufdringlich das Thema Alter und Abschied thematisieren. Sehr überzeugend sieht Segebrecht sowohl "Wehleidigkeit" wie "Zynismus" vermieden, weiß vielmehr den "kunstfertigen Witz", den Hartung hier zeige, ganz ausgesprochen zu schätzen.

© Perlentaucher Medien GmbH