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Ein wichtiges Alterswerk des großen Meisters der litauischen Literatur: eine bewegende Geschichte um Ausgeliefertsein und Hoffnung, um Schuld und Schicksal.Romualdas Granauskas gilt als einer der bedeutendsten litauischen Autoren, als »Wortmagier«, der in seinen Werken die Archetypen des kollektiven Unbewussten freilegt und das reale Handlungsgeschehen mystisch-sprachgewaltig überhöht. In »Das Strudelloch« erzählt er über das Leben von Gaucys Jiuozapas, der abseits der Zivilisation in einem kleinen Dorf am Waldrand zwischen Landstraße und Eisenbahngleisen aufwächst. Gaucys ist ein Träumer, der…mehr

Produktbeschreibung
Ein wichtiges Alterswerk des großen Meisters der litauischen Literatur: eine bewegende Geschichte um Ausgeliefertsein und Hoffnung, um Schuld und Schicksal.Romualdas Granauskas gilt als einer der bedeutendsten litauischen Autoren, als »Wortmagier«, der in seinen Werken die Archetypen des kollektiven Unbewussten freilegt und das reale Handlungsgeschehen mystisch-sprachgewaltig überhöht. In »Das Strudelloch« erzählt er über das Leben von Gaucys Jiuozapas, der abseits der Zivilisation in einem kleinen Dorf am Waldrand zwischen Landstraße und Eisenbahngleisen aufwächst. Gaucys ist ein Träumer, der die Natur liebt und nur wenige Freunde hat. Aber für die ist er der verlässlichste Mensch der Welt. Später, in der Stadtschule, öffnet sich ihm eine neue Welt, er entdeckt das Lesen und träumt von der Universität. Aber der Tod seines besten Freundes wirft Gaucys vollkommen aus der Bahn, er fühlt sich mitschuldig, auch wenn niemand ihm Vorwürfe macht. Gaucys meldet sich bei einem Bau- und Montagewerk in Klaipeda. Was er dort erlebt, gleicht einem Alptraum. Das Wohnheim ist eher eine Baracke: Gewalt, Diebstahl, Alkohol und allumfassende Rechtlosigkeit haben sämtliche menschlichen Beziehungen, sogar die zwischen den Geschlechtern und zu Kindern, verroht und zerstört. Auch Gaucys hat seinem Schicksal wenig entgegenzusetzen, er ist wie gefangen in einem Zirkel von Schuld und Hilflosigkeit, aus dem es kein Entkommen gibt.
Autorenporträt
Romualdas Granauskas, geb. 1939, arbeitete als Redakteur bei Zeitungen und Zeitschriften, Rundfunkkorrespondent, Lehrer und Schmied. Er veröffentlicht seit Mitte der fünfziger Jahre Erzählungen, Novellen, Romane und Theaterstücke. Granauskas erhielt 2000 den Nationalen Kultur- und Kunstpreis. Er verstarb am 28.10.2014.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.10.2011

Flitterwochen in Einheitsgrau
Eine menschenverachtende Utopie: Romualdas Granauskas erzählt vom Alltag im Litauen der fünfziger Jahre

Jorsas heißt ein Getränk, das zwei Vorzüge besitzt: Es ist billig, und es verspricht rasches Vergessen. Gemischt wird es zu gleichen Teilen aus Wodka und Bier, und man muss es schnell trinken, damit der Alkohol sofort in den Kopf steigt. So lernt es jedenfalls Gaucys Jiuozapas, der nach dreijährigem Militärdienst eine Arbeitsstelle in Klaipeda gefunden hat. Tagsüber steuert er einen Kipplaster mit Sand und Kies zu verschiedenen Baustellen, abends sitzt er im schäbigen Wohnheim zusammen mit den russischen Zimmergenossen, die ihm das Rezept für den schnellen Rausch verraten.

Außer dem Alkohol und der sexuellen Lust, die ebenso günstig zu haben ist wie der Wodka, gibt es für die jungen Männer in der großen Hafenstadt an der Ostsee wenig Abwechslung. Der Roman, dessen Original 2003 erschien, führt uns in das Litauen der fünfziger und frühen sechziger Jahre, das tief im Schatten der sowjetischen Herrschaft liegt. Die Intelligenz des Landes wurde nach Kriegsende deportiert, auf dem Land errichtet man Kolchosen, in den Städten entstehen riesige neue Wohnsiedlungen; Misswirtschaft, Schwarzarbeit und Korruption bestimmen das Leben.

Romualdas Granauskas erzählt von diesen beklemmenden Lebensbedingungen mit einer Detailgenauigkeit, die an die großen realistischen Romane des neunzehnten Jahrhunderts erinnert. Seine Schilderungen des trostlosen Klaipeda, des ehemaligen Memel, erinnern an das London von Charles Dickens oder an Emile Zolas Paris. Hierzulande ist der 1939 geborene Granauskas noch nahezu unbekannt, obwohl er seit mehreren Jahrzehnten Romane, Novellen und Theaterstücke veröffentlicht, von denen es aber kaum deutsche Übersetzungen gibt. 2000 wurde er mit dem nationalen Kultur- und Kunstpreis Litauens ausgezeichnet.

Doch geht es Granauskas nicht allein um das Zeittypische. Vor dem trüben Hintergrund des sowjetisch-litauischen Alltagslebens erzählt er von Schuld, Liebe, Freundschaft und Verantwortung, existentiellen Fragen also, die an kein bestimmtes gesellschaftliches System gebunden sind. Als Junge wächst Gaucys auf dem Lande auf, allein mit seiner Mutter. Als der Einzelgänger unversehens einen Freund findet, scheint die Welt verändert, denn die Jugendlichen, beide begeisterte und eifrige Leser, fassen hoffnungsfrohe Pläne, als Seefahrer wollen sie später die Enge ihres Dorfes verlassen und die weite Welt erkunden. Von diesen Träumen erzählen sie sich am liebsten auf einem Hügel hoch über dem Fluß, dessen gefährliches Strudelloch die beiden nicht schrecken kann. Doch als die Freunde plötzlich ihre Begierde für eine fremde junge Frau entdecken, die eines Tages am gegenüberliegenden Ufer auftaucht, wird ihre bislang ungetrübte Gemeinschaft empfindlich gestört. Bald darauf verunglückt der Freund tödlich, und Gaucys empfindet dies - nicht zu Unrecht - als eigene Schuld. Dieses Bewusstsein wird ihn bis zu seinem eigenen frühen Tod begleiten.

In Klaipeda jedoch scheint Gaucys zunächst neuen Lebenssinn zu finden. Seine erste Liebe, die robuste Lastwagenfahrerin Klava, weist ihn freilich schroff zurück, als er sich um ihre beiden kleinen Söhne zu kümmern beginnt. Die von vielen wechselnden Beziehungen ernüchterte Mutter möchte den Kindern eine Enttäuschung ersparen. Als Entschädigung für diese Abfuhr vermittelt Klava ihrem Ex-Liebhaber aber ihre Freundin Maska. Und da diese junge Frau sich nicht allein nach Zweisamkeit sehnt, sondern zudem auch noch über den großen Luxus einer Einzimmerwohnung verfügt, scheint sich alles zum Guten zu wenden.

Im Einheitsgrau der Plattenbausiedlung verbringen die beiden bescheidene Flitterwochen; doch bald wird ihr Traum vom Familienglück brutal zerstört. Wirtschaftliche Not und die Unfähigkeit, sich gegen die beklemmenden Verhältnisse zu wehren, verketten sich zu immer stärkeren Fesseln. So dauert es nicht lange, bis Maska ihren jungen Ehemann als impotenten Versager beschimpft, während dieser nicht vergessen kann, dass sie aufgrund ihrer schweren Schwarzarbeit eine Fehlgeburt erlitten hat. Den Verzweifelten bleibt der Alkohol - Maska betäubt sich mit klebrigem Likör, während Gaucys zu Jorsas, dem starken Mixgetränk aus Wodka und Bier, zurückkehrt. Am Ende aber erliegt auch er der Anziehungskraft jenes Strudellochs, in das es vor Jahren schon seinen Jugendfreund hinabgezogen hat.

Es ist eine grausame Welt ohne Erlösung, von der Romualdas Granauskas erzählt. Die Menschen seines Romans, allesamt mit Sympathie gezeichnet, sind zu schwach, um sich aus den Verhältnissen zu befreien, in die sie hineingeboren und durch die Zeitgeschichte geworfen wurden. Metaphysischer Trost, welcher Art auch immer, steht diesen hilflosen Figuren nicht zur Verfügung, und auch die politischen Utopien haben sich als menschenverachtend erwiesen, daran lassen die Schilderungen des sowjetischen Alltags keinen Zweifel. Romualdas Granauskas wird über dieser düsteren Diagnose aber nicht zum Zyniker, sondern bleibt ein genauer und anteilnehmender Beobachter, der die Verletzlichkeit der Menschen in den Mittelpunkt seines Erzählens stellt.

SABINE DOERING.

Romualdas Granauskas: "Das Strudelloch". Roman.

Aus dem Litauischen von Gila Rom. Wallstein Verlag, Göttingen 2010. 248 S., geb., 19,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die beklemmenden Verhältnisse und die Ausweglosigkeit der sozialistischen Tristesse in der litauischen Hafenstadt, in der Romualdas Granauskas' Roman "Das Strudelloch" spielt, haben Sabine Doering zugesetzt. Der litauische Autor schildert in der Geschichte seines Helden, der sich schuldig am Tod seines Jugendfreundes fühlt und auch später im Leben nicht sein Glück findet, nicht allein das graue Alltagsleben unter sowjetischer Herrschaft in einem an Dickens oder Zola erinnernden eindrücklichen Realismus. Genauso wendet er sich den existentiellen Themen wie Liebe, Freundschaft und Schuld zu, wobei in seinem Roman keinerlei metaphysische Rettung für seine unglücklichen Protagonisten aufscheint, wie die Rezensentin feststellen muss. Dabei bleibe Granauskas aber ein empathischer und zugewandter "Beobachter" ohne zynische Anwandlungen, auch wenn er seine Figuren in eine hoffnungslose Zukunft entlässt, so Doering gefesselt.

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