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Die erste eingehende Analyse von Gottfried Benns Schlüsseltext »Der Garten von Arles«.Gottfried Benns Schlüsseltext »Der Garten von Arles« (1920) spiegelt die Epochenzäsur nach dem Ersten Weltkrieg: Mit seinen rauschhaften, »hirnentbrannten« Visionen und seiner Wortmächtigkeit bereitet Benn der von Hofmannsthal beschworenen Sprachkrise ein Ende. Auf höchstem Niveau erprobt er seine Assoziations- und Montagetechnik; auch Malerei und Selbstzeugnisse bildender Künstler sind ihm nicht nur Stimulans zum Schreiben, sondern Materiallager, aus deren Beständen er seinen »Garten« reichlich bestückt und…mehr

Produktbeschreibung
Die erste eingehende Analyse von Gottfried Benns Schlüsseltext »Der Garten von Arles«.Gottfried Benns Schlüsseltext »Der Garten von Arles« (1920) spiegelt die Epochenzäsur nach dem Ersten Weltkrieg: Mit seinen rauschhaften, »hirnentbrannten« Visionen und seiner Wortmächtigkeit bereitet Benn der von Hofmannsthal beschworenen Sprachkrise ein Ende. Auf höchstem Niveau erprobt er seine Assoziations- und Montagetechnik; auch Malerei und Selbstzeugnisse bildender Künstler sind ihm nicht nur Stimulans zum Schreiben, sondern Materiallager, aus deren Beständen er seinen »Garten« reichlich bestückt und zum Blühen bringt.Friederike Reents zeigt, wie sich der Text an der Schwelle zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit als paradigmatisch und zugleich visionär erweist: Noch vor Joyce sprengt der junge Benn Zeit-, Raum-, aber auch Gattungsgrenzen. Er nimmt den französischen Surrealismus vorweg und schreibt dem hoch komplexen Text immanent seine Poetik ein, die er dreißig Jahre später in seiner Marburger Rede »Probleme der Lyrik« in der Behauptung zuspitzt, ein Dichter könne nur »sechs bis acht vollendete Gedichte« überhaupt schreiben. »Der Garten von Arles« reflektiert die Suchbewegung des modernen Dichters nach dem einen vollendeten Gedicht.
Autorenporträt
Friederike Reents, geb. 1972, lehrt Neuere Deutsche Literatur an der Universität Heidelberg und ist freie Mitarbeiterin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung; zur Zeit Lehrstuhlvertretung an der Universität Göttingen.Veröffentlichungen u. a.: Stimmung und Methode (Hg., 2013); »Ein Schauern in den Hirnen«. Gottfried Benns Garten von Arles als Paradigma der Moderne (2009); Surrealismus in der deutschsprachigen Literatur (Mithg., 2009).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.02.2010

„Drei Vasen voll Herz des Gartens schleiernd den Herbst vor seine Stirn”
Munter rauscht der Bewusstseinsstrom: Gottfried Benn und die Dichterwerdung eines Privatdozenten
Rund zehn Seiten umfasst der 1920 erstmals veröffentlichte Prosatext „Der Garten von Arles”. Über 400 Seiten verschlingt nun dessen Ausdeutung. Haben wir es hier mit einem typischen Fall germanistischer Wortinkontinenz zu tun? Müssen der Begriffe gar so viele hin und her gewendet werden, um den Usancen einer schlingernden Disziplin zu genügen? Oder ist Gottfried Benns mehrfach überarbeitete Skizze tatsächlich ein Juwel am Wegesrand, an dem die Forschung bisher sorglos vorüberging? Friederike Reents ist fest davon überzeugt, dass der dunkle Text ein Geheimnis birgt, das zu enthüllen den allergrößten Aufwand lohnt, Seite um Seite.
Freiwillig wird kaum jemand zum „Garten” greifen. Sätze sind als solche kaum erkennbar, innerhalb ein und derselben Zeile wechseln die Zeiten, die Orte, die Personen. Allein die Kürze nimmt zunächst für den Text ein. Benn beginnt im Gestus jenes klassischen Erzählens, das zu sprengen er sich vorgenommen hat: „In seiner Wohnung in Berlin saß ein Privatdozent der Philosophie und schrieb…”.
Bereits der übernächste Satz führt in gedankliche wie begriffliche Turbulenzen, die stetig zunehmen. „Drei Vasen voll Herz des Gartens schleiernd den Herbst vor seine Stirn”. Die elliptische Formel erwarb sich im Gegensatz zum folgenden Rest eine gewisse Popularität; sie scheint dem verfremdenden Sprechen der Romantik nachempfunden. Rasch erfahren wir von der Übellaunigkeit des Dozenten, die offenbar ursächlich mit Immanuel Kant und der „Geschichte des abendländischen Ich” zusammenhängt.
Der befreiende Ausweg hört auf die Namen van Gogh und Arles. Dort nämlich kam der Maler um den Verstand, dort rechnete er selbst sich den „Hirnverbrannten” zu. In den Briefen van Goghs, weiß Reents, fand Benn, „was ihn zu dieser Zeit bewegt: rauschhafte Entgrenzung als Bedingung und Resultat künstlerischer Umsetzung"” So lässt er denn auch seinen Privatdozenten, der gerade eine Vorlesung vorbereitet, die ihm angestammte begriffliche Welt meiden und Traum und Rausch und den „Wandel der Worte” suchen – weg von Kant, weg von den Begriffen, weg von „diesem viertausendjährigen Schwindel des angeblich kontinuierlichen Ich” und hin in den „Arlesergarten”, zur Erde und den Blumen. Der Dozent verpuppt sich zu einem Dichter in Wartestellung. Er ahnt, was Benn längst weiß: dass die Kunst in der Moderne das letzte verbliebene Metaphysicum darstellt.
Üppig sprießen die Assoziationsketten, munter rauscht der Bewusstseinsstrom. Insofern ist Benn hier ganz der alte, der wohlbekannte Zyniker, Antiidealist und Metaphernmonteur. Der Clou liegt im Datum. Anno 1920, jubelt Reents, waren weder „Ulysses” von James Joyce noch Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz” geschrieben. „Benn hatte also schon vor der Diagnose einer ,Krise des Erzählens‘ mit seinem ,Garten‘ eine Absage an das traditionelle Erzählen vorgenommen, die deutlicher kaum hätte ausfallen können.” Ebenfalls noch nicht begründet waren 1920 der Surrealismus und das Protokoll des Unbewussten. Benn war auch hier seiner Zeit knapp voraus: Er „hat die surrealistische Bewegung in fiktionalem Kontext verarbeitet und poetologisch durchdrungen, bevor sie sich überhaupt etabliert hatte.” Die im „Garten von Arles” zu beobachtende „Ästhetik von Traum und Vision” nehme spätere Formexperimente vorweg. Welchem Konzept aber von Kunst soll sich die Auflehnung des Philosophiedozenten wider „dies Jahrhundert der abgestandenen Kategorien” fügen? Der Gelehrte, dessen Kopf der Schauplatz ist dieser laut Reents sehr „vertrackten” Gedankenreise nach Arles, wendet sich von der eigenen Disziplin ab. Er verlässt im Nachdenken über sein Vorlesungsskript den Boden der Geisteswissenschaften. Er kann das Vertrauen nicht mehr aufbringen, dass die Welt sich erfassen ließe durch Begriffe und Synthesen. Deshalb will er seine Hörer ermuntern, „in ihm dem zu folgen, was er ihnen sprachlich vorführt: die Verstandeswelt samt ihrem begrifflichen Vokabular und Systemzwang hinter sich zu lassen zu Gunsten des Visionären, Poetischen und Rauschhaften”.
Streuung der Werte
Reents deutet den „Garten” als stilistisches Experiment, mit dem Benn die Verwandlung diskursiver in dichterische Sprache zugleich fordert und vorexerziert. Der letzte Satz redet nicht mehr von Berlin und einer Gelehrtenstube, sondern vom „Quader der Erde, Aue des Zeus”, von „Streuung der Werte – Schatten und Asche” in Arles.
Reents gelingt es in klaren, mitunter flapsigen Worten die Globalchiffre „Arles” zu entschlüsseln. Spannend liest sich die ungemein fleißige Spurensuche, auf deren Weg etwa „der in Algier” als André Gide enttarnt wird. Benn übernahm ein „geschickt montiertes Versatzstück” aus Gides Roman „Der Immoralist” von 1902. Die Autorin untersucht auch die klangliche und die semantische Ebene akribisch, stellt Querverbindungen her und liefert mit ihrer Absatz-für-Absatz-Lektüre den Beweis, dass mit klassischem philologischem Rüstzeug auch die Avantgarde von gestern neu zu leuchten vermag.
Fraglich bleibt indes, ob der als „Stammzelle” des Gesamtwerks gerühmte Zehnseiter mit seiner dann doch recht kleinen Botschaft – „die Kunst kann zwar nicht das Leben bessern, aber verändern” – so viel Geistesschärfe und Durchdringungsfreude lohnt. Auch gab es schon um die Jahrhundertwende eine „Krise des Erzählens”, selbst wenn sie nicht als solche bezeichnet worden ist. Und Surrealisten avant la lettre experimentierten nicht nur in Berlin mit der Sprache. Auf jeden Fall aber hat Friederike Reents ein hermetisches Stück Literatur der Forschung zurückgewonnen. „Der Garten von Arles” ist lesbar geworden – und mit ihm Gottfried Benns früher Wille, aus dem einen unhaltbar gewordenen Ich zu fliehen in Eilande aus Worten: „Die Wüste wächst, dachte er, weh dem, der Wüsten birgt.” ALEXANDER KISSLER
FRIEDERIKE REENTS: „Ein Schauern in den Hirnen”. Gottfried Benns „Garten von Arles” als Paradigma der Moderne. Wallstein Verlag, Göttingen 2009. 448 Seiten, 49 Euro.
So malte van Gogh im August 1888 in Arles. Foto: picture-alliance/akg-images
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.2010

Dichtervaters kleine Helfer
Künstler im Wortrausch der Farben: Friederike Reents liest Gottfried Benns Prosastück "Garten von Arles" als Schlüsseltext der Moderne

Ein Berliner Privatdozent der Philosophie sitzt am Schreibtisch und konzipiert seine Vorlesung für den nächsten Tag. Das Thema, das er sich vorgenommen hat, ist die Problematik des abendländischen Ich, eingebettet in die Geistes- und Kulturgeschichte der letzten beiden Jahrtausende. Von der Größe des Gegenstands zeigt sich der Gelehrte keineswegs eingeschüchtert, im Gegenteil. Er nimmt sich die Lizenz, mit seinen Gedanken in die Weiten von Raum und Zeit auszuschweifen: ins antike Ephesos, zum nährenden Urschlamm des ägyptischen Nildeltas und über den Globus dahin. Seine Ideenflucht führt den Privatdozenten in die Imperien der mediterranen Antike, um sich dann mit den Beduinen, den Völkerschaften der Inka und auf Tahiti zu beschäftigen, Dschungel und Wüsten durchstreifend. Wie nebenbei fallen despektierliche Bemerkungen zu prominenten Geistesgrößen wie Heraklit, Spinoza, Kant und Einstein; von ihnen wird nichts bleiben als der Wandel selbst, der Fluss aller Dinge.

Wer den gelehrten Assoziationen und ästhetischen Schlüsselreizen folgt, die Gottfried Benn in dem kurzen Prosatext "Der Garten von Arles" versammelt, muss unweigerlich vermuten, dass nach diesen delirierenden Eskapaden das Kolleg des kommenden Tags mit keinem vorzeigbaren Resultat wird aufwarten können. Wie auch sollte aus den wirren Stichworten eine Vorlesung werden? Vor dem geistigen Auge probt der Dozent schon den kühnen Offenbarungseid. "Meine Herren, muss ich sagen, Sie sind einem ganz subtilen Schwindel zum Opfer gefallen."

Gerade als scheiternder Vortrag, so ahnt man, sind die geistigen Ausschweifungen des Gelehrten bei seiner Spurensuche nach den Wurzeln des abendländischen Ich eine Art Lehrveranstaltung, weil sie unfreiwillig vorführen, wovon sie handeln. Mit dem kleinen Prosatext zielte Benn ins Große, auf jenes, so wörtlich, "Schlachtfeld des Sinns", auf dem sich die Wort- und Sprachkunst unter den Bedingungen einer naturwissenschaftlich-technischen Moderne zu behaupten hatte. Dass es sich bei Gottfried Benns 1920 erstmals erschienener Etüde zu den Gedankenströmen eines Geistesmenschen um einen strategischen "Schlüsseltext" nicht nur dieses Schriftstellers, sondern der literarischen Moderne überhaupt handelt, ist eine Einsicht der minutiösen Studie von Friederike Reents.

Die Autorin nimmt sich einen Prosatext von gerade einmal zehn Seiten Umfang vor, der bislang zwar nicht unbeachtet geblieben ist, aber in eher summarischer Weise abgehandelt wurde, mal als Indiz für Benns Hinwendung vom Erzählen zur Essayistik, mal als stilistisches Exempel der "Desozialisierung" des Autors nach dem Ersten Weltkrieg. Zu den politisierenden Einordnungen Benns hält Reents ebenso Distanz wie gegenüber der gängigen Einteilung in klare Werkphasen.

Ordnung und Einteilung, so belehrt die Lektüre des "Gartens", sind ihrerseits oft genug die Instrumente einer von sich selbst berauschten Herrschaftsattitüde. "Man kann die ganze Menschheit einteilen in deskriptiv oder metaphysisch Gerichtete", bringt Benns Philosophieprofessor mit den ersten Worten großspurig zu Papier. Die Interpretin dieser Sätze optiert methodisch für das Gegenteil. Sie stellt Verknüpfungen her, zieht von einzelnen Worten, Motiven, rhetorischen Figuren des "Gartens" prägnante Linien in Benns früheres und folgendes Werk, um so das bei isolierter Lektüre opak Bleibende zu entschlüsseln.

Nur ein Beispiel dieses Verfahrens ist die Analyse der Wendung "hyperämische Metaphysik". In diese seltsame Formel fasst der Philosoph, was er seinen Studenten als Beschreibung der geistigen Lage der Zeit zu offerieren hat. Der medizinische Terminus für Blutfülle, Hyperämie, tritt in Benns Lyrik und Essayistik mehrfach als eine poetische Chiffre auf. Im Gedicht "Der Sänger" werden "fahle Hyperämien" mittels "Koffein" erzeugt. Benns poetischer Montagestil lässt dabei die durch das Farbadjektiv evozierte "Blutleere" mit ihrem Gegenteil, einem medizinisch konstatierten "Blutandrang", zusammentreffen. In solchen Mikrobefunden, so Reents, verwirklicht sich das "Zersprengen" logischer Gegensätze als Inbegriff Bennscher Poetik. Mit dem Leitwort der Hyperämie verbindet Benn den rauschhaft herbeigeführten "Entzündungs- oder Wallungszustand" als einen künstlerischen Existenzmodus, in welchem die "Trennung von Welt und Ich" aufgehoben erscheint. Wo Metaphysik waltet, haben die kleinen Helfer sie herbeigezaubert. "Was heutzutage Gott ist: überall wo Tablette ist oder die Originalstaude mit Pottasche für den Coquero", heißt es in der Erstfassung des "Gartens". Zu Benns Rausch-Obsessionen und seinen nicht minder forcierten, steilen Thesen bildet Reents' geradezu spröde Detailgenauigkeit den denkbar produktiven Kontrapunkt. Ihr Buch ist, in der klugen Beschränkung auf die genuin philologischen Erkenntnismittel des dichten Lesens, provozierend langsam und gründlich.

Die um van Goghs Künstler-Wahnsinn kreisenden Farb- und Raumphantasien des "Gartens" bilden für Reents ein Manifest eigener Art. Denn mit jenen Passagen, in welchen der Dichter etwa die Farbwirbel zweier Sonnen über Zypressen und Kornfeldern feiert, bricht in seinem Sprachduktus das Lyrische durch. Über ganze Absätze gerät Benns Prosa in ihrer das Syntaktische auflösenden Deklamation zu einer Zeugungsphantasie des Poetischen. "Aus Antithesen-Spalt, aus Monistisch-Aufgesprungenem": So müsste gedichtet werden, so würde ein neues Künstlertum die Aporien des modernen Ich beantworten. Hinterrücks, vom eigenen Assoziationsstrom mitgerissen, hat sich die Schreibkrise eines philosophierenden Privatdozenten in die Rauschküche des Sprachkünstlers verwandelt. Dem Materialfetischisten Benn beim Experimentieren auf die Finger zu sehen bedeutet ein Erkenntnisglück, zu dem die Strenge des Kommentars das Ihre beiträgt.

ALEXANDER HONOLD

Friederike Reents: "Ein Schauern in den Hirnen". Gottfried Benns "Garten von Arles" als Paradigma der Moderne. Wallstein Verlag, Göttingen 2009. 448 S., br., 49,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Alexander Honold ist im Erkenntnisglücksrausch. Friederike Reents' Studie zu Gottfried Benns kurzem Prosastück bietet ihm die Chance, Benns Text als Schlüsseltext nicht nur des Autors selbst, sondern auch der literarischen Moderne zu begreifen. Dafür sorgt der Umstand, dass Reents weder politische Einordnungen vornimmt, noch in Werkphasen einteilt. Wie die Autorin stattdessen Verbindungen herstellt zwischen einzelnen Worten und Motiven hin zu früheren beziehungsweise späteren Texten Benns und so Opakes erhellt, hat Honold überzeugt. Die Beschränkung der Autorin auf die philologische Tugend des dichten, langsamen und gründlichen Lesens empfindet Honold als Glück. Auch und gerade angesichts von Benns Rausch-Obsession, schreibt er.

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