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Rainer Maria Gerhardt (1927-1954) war einer der Vorreiter, als es darum ging, der deutschen Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Orientierung zu geben. Der fragmente-Verlag, den er zusammen mit seiner Frau Renate und mit Claus Bremer gründete, verfolgte ein schwindelerregend ambitioniertes Programm. In der internationalen Revue für moderne Dichtung: fragmente publizierte Gerhardt Werke u.a. von Artaud, Miller, Creeley, Olson und Pound. Gerhardts eigene Dichtungen sind an dieser Moderne geschult. Seine ungeglätteten Pound-Übertragungen verunsicherten damals und ließen den Übersetzer…mehr

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Produktbeschreibung
Rainer Maria Gerhardt (1927-1954) war einer der Vorreiter, als es darum ging, der deutschen Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Orientierung zu geben. Der fragmente-Verlag, den er zusammen mit seiner Frau Renate und mit Claus Bremer gründete, verfolgte ein schwindelerregend ambitioniertes Programm. In der internationalen Revue für moderne Dichtung: fragmente publizierte Gerhardt Werke u.a. von Artaud, Miller, Creeley, Olson und Pound. Gerhardts eigene Dichtungen sind an dieser Moderne geschult. Seine ungeglätteten Pound-Übertragungen verunsicherten damals und ließen den Übersetzer trotz Pounds Autorisierung auf der Suche nach einem deutschen Verleger scheitern. Anerkennung oder ein nennenswertes Echo auf Gerhardts literarisches Programm, an das später andere erfolgreich anknüpften, blieben aus. Mit 27 Jahren wählte Gerhardt, finanziell ruiniert und literarisch isoliert, den Freitod.Die Ausgabe enthält Gerhardts Werke, dokumentiert sein verlegerisches Wirken und wird durch Briefe und Stimmen über ihn ergänzt.»Der ebenso begabte wie gefährdete junge Mann hat sich für die Idee, die Dichtung, und zwar die anspruchsvollste und schwierigste Dichtung der Moderne aller Länder, ins Zentrum des geistigen Lebens zu rücken, buchstäblich aufgeopfert.«Alfred Andersch über Rainer Maria Gerhardt
Autorenporträt
Rainer Maria Gerhardt (1927-1954) wurde in Karlsruhe geboren und studierte in Freiburg ab 1947 Germanistik und Psychologie. Mit seinem ehrgeizigen Projekt des fragmente-Verlags versuchte er, der deutschen Literatur neue Impulse, aus der amerikanischen und französischen Moderne abgeleitet, zu geben. Im Alter von 27 Jahren nahm er sich das Leben.

Uwe Pörksen, geb. 1935, ist Sprachwissenschaftler und Schriftsteller. Er war von 1976 bis 2000 Professor für Deutsche Sprache und Ältere Literatur in Freiburg. Forschungsschwerpunkte sind die Erzählkunst des Mittelalters, Geschichte der Naturwissenschaftssprachen sowie Geschichte und Gegenwart der Sprachkritik. Auszeichnungen u. a.:Sprachpreis der Henning-Kaufmann-Stiftung und Hermann-Hesse-Preis.Veröffentlichungen u. a.:Was ist eine gute Regierungs-erklärung? Grundriß einer politischen Poetik (2004); Die politische Zunge. Eine kurze Kritik der öffentlichen Rede (2002).

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.05.2007

Heiliger im Dienst der Poesie
Rainer Maria Gerhardt erstmals in einer Gesamtausgabe

Arno Schmidt, bekennender Atheist, hat ihm dies ins Stammbuch geschrieben: "Rainer M. Gerhardt, bitt für uns!" Der Dichter und Verleger Rainer Maria Gerhardt, der 1954 im Alter von siebenundzwanzig Jahren aus dem Leben schied, war tatsächlich so etwas wie ein Heiliger der Literatur. Um ihr zu dienen und um seine Zeitschrift "fragmente" zu finanzieren, führte er ein Leben in Armut und voller Verzicht. Er hatte eine Vision und scheiterte erbarmungswürdig. Er suchte das neue Lied, doch im Ton seiner Meister. Er fand keine Resonanz und blieb dennoch unvergessen. Denn endlich, zur achtzigsten Wiederkehr seines Geburtstags, ist eine Werkausgabe erschienen, nach jahrelangen Bemühungen und im siebten Anlauf.

Rainer M. Gerhardt war eine Legende. Doch er hatte kein Nachleben. Jedenfalls nicht in Deutschland, erstaunlicherweise aber in Amerika. Noch zehn Jahre nach seinem Tod erschien dort eine Hommage der Lyrikerfreunde auf ihn. Einem von ihnen verdanken wir auch die ergreifende Schilderung seiner Lebensumstände. Robert Creeley, der Gerhardt 1950 in Freiburg besuchte, rühmte dessen "eigenartige Konzentration, hartnäckig, oftmals enthusiastisch". Er schilderte die Lage: "Sie wohnten in Freiburg in einem einzigen Zimmer, Rainer, seine Frau und die beiden Kinder. Sie überließen uns ihr Bett und schliefen auf dem Boden."

Manchmal, so berichten andere Zeitzeugen, hatten die Gerhardts kein Geld, um das Papier für ihre Zeitschrift zu bezahlen oder um Briefe und Manuskripte zu verschicken. Im Winter, wenn es am Geld für Heizung mangelte, lagen sie auch tagsüber zeitweise im Bett. Als die Schulden allzu sehr drückten und die Wohnung aufgegeben werden musste, zelteten sie im Sommer 1952 bis November am Rhein oder auf einem Karlsruher Zeltplatz. Dennoch erschienen die "fragmente" und Bücher weiter, wuchsen freilich auch die Schulden. Zwar fand man wieder eine Wohnung, zwar bemühte Gerhardt sich im Frühjahr 1954 hektisch um verschiedene Tätigkeiten (etwa als Volontär am Berliner Ensemble) oder um die Auswanderung nach Amerika; doch der Lebenselan war aufgebraucht. Am 27. Juli 1954 wählte Gerhardt den Freitod. Es gab kaum Nachrufe, immerhin einen von Alfred Andersch in dieser Zeitung. Die Erschütterung unter den amerikanischen Freunden war groß. Charles Olson schrieb einen Monat nach Gerhardts Tod sein langes Begräbnisgedicht "The Death of Europe". Er rühmt Gerhardt darin als den Ersten in Europa, mit dem er sprechen konnte, und bringt dessen Bedeutung auf den Punkt, wenn er feststellt, "wie sehr Du uns allen Gehör verschafftest / in Deutschland".

Bedenkt man die damaligen Verhältnisse, ist das nicht zu viel gesagt. Gerhardt proklamierte nicht bloß Montagestil, Active writing und das Poème collectif, er brachte in den "fragmenten" bereits 1951 und 1952 die Amerikaner W. C. Williams, Creeley und Olson, aber auch Ezra Pound. Dazu Alberti, Cesaire, Michaux und Saint-John Perse - frühe Rezeptionen der internationalen Moderne. Zehn Jahre später war die Situation reif. Hans Magnus Enzensberger publizierte sein "Museum der modernen Poesie" und Walter Höllerer die Anthologie "Junge amerikanische Lyrik". Höllerer eröffnete sie mit Olsons Requiem auf Gerhardt. Doch der Dichter Gerhardt, der noch in Höllerers "Transit" figurierte, verschwand aus den Anthologien. Von dem Übersetzer war überhaupt nicht mehr die Rede. Dessen Hauptprojekt, die Übertragung Ezra Pounds, war in Ansätzen steckengeblieben. Dabei war Gerhardt einer der Ersten in Deutschland, die Pounds Modernität erkannten. Autorisiert von Pound und unterstützt von seiner Frau Renate, hatte Gerhardt wichtige Einzelgedichte und Teile der Pisaner Gesänge übertragen.

Dass aus dem Projekt nichts wurde, ist eine lange, traurige Geschichte. Lieber anmaßend als bescheiden, belehrte Gerhardt seine Briefpartner, von denen er sich etwas erhoffte. Vor allem weigerte er sich, die Regeln des literarischen Marktes zu akzeptieren. Dabei waren zunächst alle Beteiligten guten Willens, allen voran Benns Verleger Max Niedermayer. Doch Gerhardts Agieren zwischen Belehrung und Unzuverlässigkeit ließ ihn resignieren. Streit um Vorschusszahlungen kam hinzu. Auch der anfangs freundlich geneigte Benn hatte für ihn zuletzt gar nichts mehr übrig - Gerhardt hatte es an der Zeit gefunden, "etwas am throne Benns zu rütteln", und Benn, zusätzlich verärgert, weil man sich am Titel des eigenen Bandes "Fragmente" stieß, hatte in seiner berühmten Marburger Rede zurückgeschlagen.

So kam an ein Ende, was geradezu glorios begonnen hatte. Der Romanist Ernst Robert Curtius hatte 1951 in der Zürcher "Tat" seinen geradezu enthusiastischen Hinweis auf Gerhardts "fragmente" mit dem Lob gekrönt, seit der "Menschheitsdämmerung" von Kurt Pinthus sei ihm keine so erfrischende modernistische Manifestation vorgekommen.

Vielleicht war gerade dieser Vorschuss verderblich, denn Curtius hatte mit einem Nietzsche-Zitat die deutschen Literaturkritiker mit stillgestellten quakenden Fröschen verglichen. Das ließ Friedrich Sieburg, der damalige deutsche Literaturpapst, nicht auf sich sitzen, und auch Gerhardt bekam seine gallige Ironie zu spüren. Drei Jahre später, im Januar von Gerhardts letztem Jahr, kartete ein jüngerer Kritiker nach. Er sah in Gerhardts Gedichtband "umkreisung" einen "Avantgardismus nach rückwärts", eine "Übung am Phantom". Damit war ein Werk getroffen, das eben erst begonnen hatte. Zwei Lyrikbändchen, in Miniauflagen erschienen - das war allenfalls ein Versprechen. "immer noch dürsten in wäldern gestirne nach ihrer erlösung", heißt es kosmisch-euphorisch in "der tod hamlets". Selbst ein Freund und Förderer wie der Freiburger Buchhändler Fritz Werner meinte Epigonie konstatieren zu müssen: "Eliot + Perse + Pound + etwas französischer Surrealismus." Und Olson, dem Gerhardt ein im Stile Pounds geschriebenes Gedicht geschickt hatte, wusch dem "jüngst gekommenen Bärensohn" den Kopf mit den Zeilen: "Die aufgabe, Gerhardt, / ist genau zu sein, gleich / von anfang an." Diese Genauigkeit hat am ehesten der Übersetzer Gerhardt geleistet.

Uwe Pörksen, dem wir diese Werkausgabe verdanken, hat es verstanden, die Hemmnisse und Widerstände auf Seiten der Erben aufzulösen: "eine Endlosgeschichte". Sein Nachwort zeichnet sympathetisch ein umfassendes Bild des Dichters und Übersetzers Gerhardt und resümiert: "Vielleicht ist er als poetologischer Programmatiker am bedeutendsten." Die Ausgabe gibt uns Einblick in die Werkstatt eines genialischen jungen Mannes und in die literarische Situation der jungen Bundesrepublik. Auch die Verluste gehören zu unserem Erbe. Oder, mit einem Briefzitat von W. C. Williams: "Wir sehen die Teile, aber wir antizipieren das Ganze."

HARALD HARTUNG

Rainer Maria Gerhardt: "Umkreisung". Das Gesamtwerk. Herausgegeben von Uwe Pörksen in Zusammenarbeit mit Franz Josef Knape und Yong-Mi Quester. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 544 S. und 3 Faksimilehefte, geb., 39,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Als "spektakulär" würdigt Michael Braun die nun vorliegende Ausgabe der Werke des Dichters Rainer Maria Gerhardt, der sich 1954 mit 27 Jahren das Leben nahm. In Gerhardt sieht er einen Autor, der seine ganze Existenz der Vision einer modernen Dichtung widmete, die mit der biederen Nachkriegslyrik nichts gemein hatte. Er nennt Arno Schmidt und Ezra Pound, dessen Hauptwerk "Cantos" Gerhardt übersetzte, als die wichtigsten Bezugsgrößen seines poetischen Programms, zumal er sich mit Gottfried Benn überworfen hatte. Weiterhin erinnert Braun an das Projekt eines "transatlantischen Dialogs" mit den amerikanischen Poeten Charles Olson und Robert Creeley, mit dem Gerhart ein "weiteres Tor zur lyrischen Moderne" öffnete. Zu seiner Freude bietet der vorliegende Band eine vollständige Edition von Gerhardts Gedichten, Funk-Essays und Briefen, in Brauns Augen "aufregende Dokumente". Die Lektüre macht für ihn klar, dass "einige Linien in der Literaturgeschichte der Nachkriegszeit neu gezogen werden" müssen.

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