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Stuttgart 21 und die letzte Wirtschaftskrise haben die Debatte über den Umgang mit gesellschaftlichen Konflikten neu belebt. Dabei hat die Strategie, betroffene Interessengruppen in politische Entscheidungen einzubinden, um so Konflikte zu bearbeiten, eine lange Tradition. Seit die Gesellschaften begannen, sich als Klassengesellschaften zu beschreiben, wurden die Soziale Frage und der Klassenkampf als fundamentale Bedrohung für ihre Integration gefürchtet. Das Parlament allein schien nicht in der Lage zu sein, diesen Konflikten beizukommen. Korporative Gremien wurden dafür als besser geeignet…mehr

Produktbeschreibung
Stuttgart 21 und die letzte Wirtschaftskrise haben die Debatte über den Umgang mit gesellschaftlichen Konflikten neu belebt. Dabei hat die Strategie, betroffene Interessengruppen in politische Entscheidungen einzubinden, um so Konflikte zu bearbeiten, eine lange Tradition. Seit die Gesellschaften begannen, sich als Klassengesellschaften zu beschreiben, wurden die Soziale Frage und der Klassenkampf als fundamentale Bedrohung für ihre Integration gefürchtet. Das Parlament allein schien nicht in der Lage zu sein, diesen Konflikten beizukommen. Korporative Gremien wurden dafür als besser geeignet betrachtet. Sie sollten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, die in der Moderne als Repräsentanten der wichtigsten gesellschaftlichen Gruppen galten, in politische Entscheidungen einbinden.Indem es die Geschichte des Korporatismus in Deutschland zwischen 1880 und 1980 aus der Perspektive einer strukturell rückgebundenen Ideengeschichte nachzeichnet, bietet dieses Buch einen Einblick in diesich wandelnden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ordnungsentwürfe der Moderne. Zugleich untersucht es das Spannungsverhältnis zwischen Kollektiv und Individuum aus historischer Perspektive.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit Interesse hat Werner Bührer diese Dissertation der Historikerin Andrea Rehling gelesen, die darin den Korporatismus in der deutschen Variante untersucht. Die Zusammenarbeit von Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften beschreibt Rehling dabei sowohl in ihrer liberaldemokratisch wie auch in ihrer autoritär-diktatorischen Ausrichtung. Laut Rezensent Bührer behandelt sie dabei die Wirtschaftsräte in den verschiedenen politischen Sysstem; richtig spannend aber, findet Bührer, wird es mit der Konzertierten Aktion in der Bundesrepublik. Hier könne die Autorin mit "vielen neuen Befunden" aufwarten, lobt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.07.2012

Ein deutsches Hausrezept
Früher waren Arbeitnehmer, Arbeitgeber und der Staat
im Einvernehmen: Andrea Rehling über den Korporatismus
Für manche war er, insbesondere nach der „neoliberalen“ Wende Anfang der 1980er-Jahre, hauptverantwortlich für die wirtschaftliche und politische Misere in der Bundesrepublik; für andere liefert er, insbesondere vor dem Hintergrund der Finanzkrise seit 2008, eine Erklärung für das vergleichsweise gute Abschneiden Deutschlands: Die Rede ist vom Korporatismus, also der „mehr oder weniger institutionalisierten Kooperation“ zwischen Staat, Unternehmerverbänden und Gewerkschaften.
Historisch trat der Korporatismus sowohl in liberal-demokratischer als auch in autoritär-diktatorischer Form in Erscheinung. In ihrer Tübinger Dissertation analysiert Andrea Rehling die spezifisch deutsche Variante des liberalen Korporatismus. Ihr Hauptaugenmerk richtet sie darauf, welche Erwartungen die Mitspieler an korporative Arrangements knüpften, wie sie die entsprechenden Institutionen und deren Arbeit deuteten und welches Handeln sie daraus ableiteten.
Die Anfänge des deutschen Korporatismus datiert die Autorin auf die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts und die von Unternehmer- und Regierungsseite erörterten Pläne zur Bildung eines Volkswirtschaftsrates. Aus Furcht vor der eigenen Entmachtung – ein Argument, das Gegner solcher Ideen auch in späteren Zeiten stets bemühten – blockierte der Reichstag indes diese Initiativen. So kam ein Volkswirtschaftsrat als beratendes Organ der Regierung nur in Preußen zustande.
Einen ersten Höhepunkt erreichte der Korporatismus im November 1918 in Gestalt der „Zentralarbeitsgemeinschaft“ zwischen Unternehmerverbänden und Gewerkschaften und, nach deren Scheitern, im „Vorläufigen Reichswirtschaftsrat“. Einig waren sich alle beteiligten Akteure in der Hoffnung, „durch ordnende und homogenisierende Eingriffe des Staates in Gesellschaft und Wirtschaft Konflikte verringern“ zu können.
Sobald jedoch die Furcht vor einem bolschewistischen Umsturz auch in Deutschland nachließ und die Verwirklichung des korporatistischen Programms anstand, gingen die Ansichten auseinander. Ungeachtet des Misserfolgs beider Projekte wurden Nutzen und Notwendigkeit eines korporativen Wirtschaftsaufbaus jedoch nicht grundsätzlich in Frage gestellt. 1933 hatten die Nationalsozialisten bei ihrer Kurskorrektur in Richtung eines autoritär-diktatorischen Korporatismus somit leichtes Spiel. – So instruktiv das ist, noch interessanter sind die Kapitel über die Renaissance des liberalen Korporatismus nach dem Krieg.
Hier stützt sich Andrea Rehling stärker auf unveröffentlichte Quellen – entsprechend hoch ist der Neuigkeitswert ihrer Analysen etwa der Debatten über einen Bundeswirtschaftsrat in den 50er und der Konzertierten Aktion in den späten 60er und 70er Jahren. Letztere stellt sie in den Kontext der Diskussionen über die „innere Integration“ der Gesellschaft, die mit Ludwig Erhards Konzept einer „Formierten Gesellschaft“ einsetzten. Diese Integration, schrieb Erhards enger Mitarbeiter Alfred Müller-Armack, sei „nur von einem Fundament gemeinsamer Werte und Überzeugungen her möglich“. Bemerkenswert ist, dass selbst die Unternehmerverbände Mitte der 60er Jahre korporatistischen Arrangements aufgeschlossen gegenüberstanden, habe sich doch der „Optimismus“ der nationalökonomischen Klassiker „in Bezug auf die Selbststeuerung der Wirtschaft“ keineswegs bestätigt.
Das Konsensmodell der Konzertierten Aktion geriet durch die wilden Streiks von 1969 und die 1973 beginnende Wirtschaftskrise mehr und mehr unter Druck. Die Klage der Arbeitgeber gegen das Mitbestimmungsgesetz von 1976 nahmen die Gewerkschaften schließlich zum Anlass, die ohnehin unter Bedeutungsverlust leidende Zusammenarbeit aufzukündigen. Mit der 40. Sitzung endete im Juli 1977, so Rehling, der „Traum vom gesamtgesellschaftlichen Konsens“.
Korporatistische Experimente beschränkten sich fortan auf einzelne Bereiche wie das Gesundheitswesen. Die „Kultur des Konsenses“ lebt indes weiter. Deren Wurzeln und Geschichte offengelegt zu haben, ist das Verdienst dieser dichten und mit manchen neuen Befunden aufwartenden Darstellung.
WERNER BÜHRER
ANDREA REHLING: Konfliktstrategie und Konsenssuche in der Krise. Von der Zentralarbeitsgemeinschaft zur Konzertierten Aktion. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2011. 522 Seiten, 89 Euro.
Der Autor lehrt Zeitgeschichte an der
TU München.
1977 war es mit dem Traum
vom großen gesellschaftlichen
Konsens zu Ende.
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