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Der Irak-Krieg und die amtliche deutsche Kritik hielten unsere Öffentlichkeit ein Jahr lang in Bann. Setzte die deutsche Regierung ein Zeichen, oder störte sie nur den Betrieb der Macht, den sie diskret sogar unterstützte? Noch nie war die Bundesrepublik solchen Gefühlsausbrüchen und multilateraler Kritik ihres Hauptverbündeten ausgesetzt. Was damals die NATO erschütterte und den deutschen außenpolitischen Konsens gefährdete, scheint heute vergessen. Dabei hat der Irak-Krieg alle Probleme offengelegt, die einer modernen Gesellschaft begegnen, wenn sie in Regionen mit fremder Mentalität ordnend…mehr

Produktbeschreibung
Der Irak-Krieg und die amtliche deutsche Kritik hielten unsere Öffentlichkeit ein Jahr lang in Bann. Setzte die deutsche Regierung ein Zeichen, oder störte sie nur den Betrieb der Macht, den sie diskret sogar unterstützte? Noch nie war die Bundesrepublik solchen Gefühlsausbrüchen und multilateraler Kritik ihres Hauptverbündeten ausgesetzt. Was damals die NATO erschütterte und den deutschen außenpolitischen Konsens gefährdete, scheint heute vergessen. Dabei hat der Irak-Krieg alle Probleme offengelegt, die einer modernen Gesellschaft begegnen, wenn sie in Regionen mit fremder Mentalität ordnend eingreift. Er machte uns nachdenklich über die Aussichten solcher Interventionen und sensibel für deren eigene und fremde Opfer. Er hat durch seine unvorstellbaren Kosten zur internationalen Finanzkrise beigetragen. Er hat den Westen geschwächt und damit eine Verschiebung der internationalen Machtgewichte befördert. Das alles geht uns an.
Um diesen Fragen nachzugehen, sichtete Dr. GünterJoetze seit 2002 amtliches Material und befragte Zeitzeugen. Er ist Botschafter a.D., verbrachte 18 Berufsjahre in multilateralen Verhandlungen und war zuletzt Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Danach hatte er einen Lehrauftrag an der Freien Universität Berlin und schrieb ein Buch über das Kosovo in der deutschen Politik.
Autorenporträt
Günter Joetze, geboren 1933, Dr. jur., war 32 Jahre im diplomatischen Dienst der Bundesrepublik davon 18 Jahre an internationalen Verhandlungen beteiligt. Von 1995 bis 1999 war er Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und hat heute einen Lehrauftrag der FU Berlin über die Praxis des Konfliktmanagements.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.06.2010

Der falsche Krieg
Günter Joetze kommentiert die fatale Invasion in den Irak
Man schlägt das Buch auf, und man findet Seite um Seite Formulierungen, die man komplett zitieren möchte. Etwa diese, gleich zu Beginn der diplomatischen Chronik eines Krieges, die viel zu bescheiden den Titel „Der Irak als deutsches Problem“ trägt, eigentlich aber „Der Irak als Weltproblem“ heißen müsste.
Da schreibt der Autor Günter Joetze: „Die Regierung Bush betrachtete den ,Krieg gegen den Terror‘ als einheitlichen Krieg im völker- und staatsrechtlichen Sinn. Schon immer war fraglich, ob dieser neue böse Feind wirklich so viel Macht und List hat, dass Amerika seine Bekämpfung mit zivilisatorischen Rückschritten bekämpfen musste. Die Pauschalierung, die der ,Krieg gegen den Terror‘ mit sich brachte, machte alle muslimischen Freiheitsbewegungen politisch verdächtig. Die islamische Welt erkannte hier einen Krieg gegen sich selbst. Die Wellen der Solidarität verstärkten die Aufstände erst im Irak, jetzt in Afghanistan.“ Schließlich habe diese Art von Politik, schreibt der Verfasser, zur Islamisierung der „früher säkularen palästinensischen Befreiungsbewegung“, zum wachsenden Ansehen der Hisbollah, und zur Schwächung der demokratischen Opposition in Iran geführt.
Günter Joetze, der dieses profunde Urteil fällt, ist ein Zeitzeuge: Joetze war achtzehn Jahre auf deutscher Seite Teilnehmer an multinationalen Verhandlungen und zuletzt Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Er präsentiert ein hervorragend recherchiertes politisches Protokoll der Entwicklungen vor, während und nach der amerikanischen Invasion des Irak vom März 2003.
Er stellt Fragen, die amtierende europäische Politiker wohl nur hinter verschlossenen Türen erörtern – etwa jene, ob die militärische Übermacht der USA „nötig und nützlich“ sei, ob sich, mithin, die „konventionelle Übermacht für Amerika und die Welt“ lohne.
Die aus diesen Zweifeln resultierenden Probleme formuliert Joetze so: „Wie müssten Streitkräfte aussehen, die staatsfreie Räume befrieden und ordnen und die Terroristen bekämpfen?“ Und er fragt, ob die „abendländische Tradition des Freiheitskampfes“ noch einen Platz in einer Welt habe, in der sich jeder Freiheitskampf gegen einen übermächtigen Unterdrücker richte, also „asymmetrisch“ sei. Prägnant formuliert der Autor: „War Wilhelm Tell, der den Landvogt erschoss, ein Terrorist ?“
Im Buch ist nachzulesen, wie die amerikanischen Orientalisten Fouad Ajami und Bernard Lewis durch eine Intervention „das Gift der anti-westlichen Haltung der Araber“ unschädlich machen wollten: Der Schock eines Militärschlages sollte in der als stagnierend beschriebenen arabisch-islamischen Welt als Katalysator der Erneuerung dienen; den Arabern sollte sozusagen das zivilisatorische Gen des Westens per Cruise Missile injiziert werden.
Welcher Fehlkalkulation diese ideologischen Kriegsplaner da aufsaßen, war vielen Politikern im „alten Europa“ stets klar. Die zweite Fehlkalkulation war die Strategie von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, mit kleinen beweglichen Einheiten ein großes Land wie den Irak kontrollieren zu wollen. Selbstsicher bis zur Selbstüberschätzung hatte Rumsfeld den Rat Colin Powells verworfen, nur eine Streitmacht von etwa 500 000 Mann könne die Aufgabe erfüllen.
Peinliche Ignoranz
Dritte Fehlkalkulation: die Nachkriegsplanung. Wie der Autor berichtet, tat die amerikanische Politik alles, um eine öffentliche Erörterung der Zeit unmittelbar nach der Besetzung zu unterdrücken – man wollte verhindern, dass daraus eine Diskussion über den Krieg selber wurde. Zudem war, wie Joetze schreibt, den „amerikanischen Spitzenpolitikern“ die innere Fragmentierung der irakischen Gesellschaft (die später zum Bürgerkrieg führte) völlig unbekannt. Der britische Botschafter in Washington berichtete nach London, dass die Nachkriegsplanung „rudimentär“ sei. Tatsächlich, schreibt Joetze, war dann der Nachkriegsaufstand im Irak „weder ein Werk des Dschihad-Terrorismus, noch der iranischen Führung“.
Noch einmal spannend wird Joetzes Analyse dort, wo er Lehren für die Bundesrepublik zieht. Er fordert die Formulierung eigener, von den USA unabhängiger deutscher und europäischer Prioritäten. Er lehnt „Vorschusssolidarität“ mit den USA im Falle einer neuen Krise ab und wendet sich gegen „halbe Verweigerung, d.h. Ablehnung im Prinzip, Mitarbeit in der Praxis“ (wie im Irak-Krieg). Schließlich rechtfertigt Joetze eine deutsche Grundhaltung: „Wir brauchen uns des Pazifismus unseres Volkes nicht zu schämen. Er entspricht nicht nur unserer historischen Erfahrung, sondern auch modernen Einsichten. Jede postmoderne, das heißt kinderarme und risikoscheue Gesellschaft, teilt sie in Wirklichkeit.“
Und dann gibt’s noch eine Breitseite gegen die Neokonservativen in den USA: „Wenn Neokonservative sagen konnten, ,jeder will nach Bagdad, echte Männer wollen nach Teheran‘, so sprachen da vermutlich bebrillte Schreibtischtäter, die gut bezahlte Berufssoldaten in den Kampf schicken.“
Heute glauben europäische Politiker, dass nach Ende der Bush-Ära diese martialische Epoche vorbei sei. Besorgter äußerte sich bei der Buchpräsentation in Berlin Professor Harald Müller von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Nach seinen Worten wolle die republikanische Rechte der USA „nicht lediglich die Präsidentschaft der Gegenpartei scheitern lassen, sondern die erste afroamerikanische Präsidentschaft der USA“ überhaupt. Eine solche fatale Entwicklung könnte zu einer Renaissance der Neokonservativen führen – und zur Wiederkehr des überwunden geglaubten europäischen Traumas. Für diesen Fall wäre Günter Joetzes Analyse eine stringente Handlungsanweisung für eine dann hoffentlich geschlossene europäische Reaktion. HEIKO FLOTTAU
GÜNTER JOETZE: Der Irak als deutsches Problem. Studien der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Nomos-Verlagsgesellschaft Baden-Baden 2010. 310 Seiten, 29 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Für Rezensent Heiko Flottau bleibt es nicht nur bei dem Wunsch, Seite für Seite Formulierungen aus Günter Joetzes Studie "Der Irak als deutsches Problem" zu zitieren. Der ehemalige Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik stellt genau die Fragen, freut sich Flottau, welche die europäischen Politiker wohl nur hinter vorgehaltener Hand erörterten. So überlege der Autor beispielsweise, wie Streitkräfte aussehen müssten, die staatsfreie Räume befrieden und Terroristen bekämpfen wollten. Oder er mache auf die Fehlkalkulationen der amerikanischen Regierung aufmerksam, unter anderem das völlige Negieren der inneren Fragmentierung der irakischen Gesellschaft bei der Nachkriegsplanung. Besonders spannend findet der Kritiker schließlich auch die Lehren, die Joetze für Deutschland ziehe: Vorschusssolidarität mit den USA sei abzulehnen, vielmehr müssten eigene, unabhängige Prioritäten formuliert werden.

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