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Alina Wituchnowkaja ist eine schwarze Ikone der radikalen Moskauer Jugend. Ihr Schreiben ist eine existenzielle Auflehnung gegen die Zumutungen des post-sowjetischen Lebens. Schwarze Ikone ist der rücksichtslose Mitschnitt zeitgenössischer Gemütszustände. Alina Wituchnowskaja schreibt Gedichte, in denen Gefühle und Sinn einander aus der Form jagen, schreibt Bruchstücke aus dem Menschenleben und Geistergespräche wie in einem Turm zu Babel.
Denunziert als Faschistin, angeklagt und inhaftiert als Drogendealerin, verdächtigt der Perversionen: Alina Wituchnowskaja sprengt den üblichen Rahmen des
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Produktbeschreibung
Alina Wituchnowkaja ist eine schwarze Ikone der radikalen Moskauer Jugend. Ihr Schreiben ist eine existenzielle Auflehnung gegen die Zumutungen des post-sowjetischen Lebens. Schwarze Ikone ist der rücksichtslose Mitschnitt zeitgenössischer Gemütszustände. Alina Wituchnowskaja schreibt Gedichte, in denen Gefühle und Sinn einander aus der Form jagen, schreibt Bruchstücke aus dem Menschenleben und Geistergespräche wie in einem Turm zu Babel.

Denunziert als Faschistin, angeklagt und inhaftiert als Drogendealerin, verdächtigt der Perversionen: Alina Wituchnowskaja sprengt den üblichen Rahmen des Kunst- und Literaturraumes und folgt einzig der eigenen Stimme.
Autorenporträt
Alina Wituchnowskaja, Jahrgang 1973. Zwischen 1994 und 1998 wird sie wegen angeblichen Drogenhandels mehrfach inhaftiert und verbringt anderthalb Jahre im Moskauer Butyrka-Gefängnis. Dank der Unterstützung des russischen Pen-Clubs und der internationalen Presseresonanz wird sie 1998 freigelassen. Ihren Prozess macht Alina Wituchnowskaja zur konzeptuellen Aktion und unterläuft die Inszenierungen von Staat und Geheimdienst.

Nach dem ersten Lyrikband Anomalismus hat sie vier weitere Gedichtsammlungen veröffentlicht. Ihr Buch Roman mit Phenamin kreist um ihre Haft in der Frauenabteilung des Gefängnisses.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2002

Der röhrende Hirsch heißt nun Malewitsch
Alina Wituchnowskaja läuft Amok / Von Kerstin Holm

Alina Wituchnowskaja steht mit dem Leben im Kriegszustand. Die Menschheit bietet sich ihr dar als Ansammlung pseudoindividualistischer Konformisten, deren Anblick in der Dichterin nur Zerstörungssucht auslöst. Liebende Eltern, zutrauliche Freunde, die Erzeugnisse auch der hohen Kunst sind für sie nur abstoßende Grimassen, mit welchen die abgelebte Welt sie in ihren Sumpf zu locken versucht. Wituchnowskajas früheste Kindheitserinnerung, für sie der Anfang aller Dinge, ist der Horror. Die Poetin bekennt, sie habe als Kleinkind eine Zeitlang geglaubt, ihre Erdenexistenz sei ein Provisorium, ein Fehler, der sich bald korrigieren würde. Doch die Qual erwies sich als Dauerzustand. Da lernte sie die Droge der Sprache kennen, welche die monströse Wirklichkeit wie ein Schmerzmittel vernebeln konnte. Vor allem aber fand sie so ein Zaubermittel, womit sie das verhaßte Diesseits von innen her aufsprengen und sich zumindest virtuell an ihm rächen konnte. So wurde ihr Lebenszweck der verbale Amoklauf.

Wituchnowskaja besitzt ungeachtet ihrer Monomanie eine variationsreiche lyrische Stimme. Stilmittel der Klassik stehen ihr ebenso zu Gebote wie solche des groben Argot oder der Reklamesprache. Lesenswert sind neben Gedichten auch Prosastücke, Aufzeichnungen und Pamphlete, wovon man sich anhand dieses Sammelbandes überzeugen kann. Wituchnowskajas Versvisionen schildern, gern in Vierzeilerkaskaden und im trochäischen Volksliedduktus, eine böse Comic-Märchenwelt im Verwesungsprozeß. Sie ist erschaffen von einem fleischeslüsternen Gott und bevölkert von stofftierdummen Erwachsenen, welche ihren Nachwuchs zu Normalherdentieren nach eigenem Muster aufziehen möchten. Doch dämonische Kinder, die am liebsten mit Waffen und Hakenkreuzen spielen, sind dabei, mittels kleiner und großer Greueltaten dem falschen Paradies den Garaus zu machen. "Ein Schuß - und das Chaos ist wieder perfekt", das verheißt die kindliche Antiwelt des Schießstandes, welche das Gedicht "Engel und Insekten" besingt. Eine Ode an allerlei Mächte der Zerstörung, deren deutscher Übertragung das russische Original beigegeben ist, preist die Schönheit der Nazi-Uniform, die im wirklichen Leben auch russische Patrioten anerkennen. An drei lyrischen Texten hat der Leser Gelegenheit, den eher umständlich schildernden deutschen mit dem aggressiv beschwörenden Ton der russischen Sprache zu vergleichen.

In manifestartigen Exkursen gibt die Autorin ihrer Poesie theoretisches Unterfutter bei. In ihren Augen haben sich Kunst und Kultur erschöpft. Heutige Spießer schmücken sich mit Malewitschs "Schwarzem Quadrat" so wie ihre Vorgänger mit Ölbildern röhrender Hirsche. Originalität ist in der Massengesellschaft zum Gemeinplatz geworden. Wituchnowskajas Ausweg ist eine radikale Absage an all dies, weshalb sie vom Weltenbrand träumt und sich faschistisch oder nationalbolschewistisch kostümiert. Hierin scheint der himmelsstürmende, Kulturplunder von sich werfende Geist der Avantgarde wieder aufzustehen, freilich gereinigt von jedweden Ideenresten.

Die Dichterin streitet für nichts. Doch sie fühlt sich offenbar nicht allein. In Vers wie Prosa konstruiert sie ein nebelhaftes Wir-Kollektiv, das mit raubtierhaftem Furor dem "Euch" der zahmen Kulturwiederkäuer entgegentritt. So entstehen imaginäre Fronten, wie sie die russische Denkweise besonders schätzt. Ebenso russisch klingt der kosmisch aufgeblähte Vorwurf an den Schöpfergott, der sich von seinen Kreaturen wie ein Fernsehkonsument die Langeweile vertreiben läßt. Als philosophischer Selbstmörder, der auf sich hält, ist Alina Wituchnowskaja überzeugt, daß die einzige Möglichkeit, Würde und Freiheit zu behaupten, in der Selbstauslöschung liegt.

Doch der Mensch ist anmaßend. Der Affekt, den die Lyrikerin an einer Stelle in die Worte faßt: "Wie konnte man es nur wagen, uns zu erschaffen, in die hiesige Wirklichkeit zu setzen?", klingt manchmal wie militantes Selbstmitleid. In dessen Inszenierung findet die Autorin, die von sich sagt, sie sei keiner Lust und keines Engagements fähig, offenbar schöpferische Genugtuung. Überdies zeichnen sich in einzelnen Texten über den "wahren Menschen" oder einen "Beinahe-Helden" die nebelhaften Umrisse von Terminator-Übermenschen ab, welche die kosmische Hinrichtung vollziehen und für das sie hervorbringende Bewußtsein wie Bräutigam- oder Erlöser-Gestalten erscheinen. Alina Wituchnowskaja hat ihren Abgang aus dem Sein offenbar aufgeschoben. Der Leser gewinnt daraus grelle Schlaglichter auf die Aporien der Zeit. Wituchnowskajas Erlebnisse im Gefängnis, wo sie nicht Schmutz, Geschrei und Schlägereien schockierten, sondern die menschliche Sklavennatur, erscheinen ihr als ein Gleichnis für unser Leben überhaupt. Indem sie sich selbst zu einer Art Gegenikone stilisiert, führt sie vor, wie auch das schwache Geschlecht mit giftigen Worten und tadelloser Kriegsbemalung in eine Schlacht ziehen kann. Vor allem aber führt sie vor Augen, daß der popliterarische Phantomschmerz an nicht erlebten Kriegen und Katastrophen auch im rauhen Rußland verspürt werden kann.

Alina Wituchnowskaja: "Schwarze Ikone". Gedichte und Prosa. Aus dem Russischen übersetzt von Barbara Lehmann und Alexej Khairetdinov. DuMont Buchverlag, Köln 2002. 120 S., br., 14,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Statt einer Rezension legt Adolf Endler seine Einwände gegen eine Rezension von Alina Wituchnowskajas Büchern dar. Und immerhin erscheinen dem Rezensenten seine Bedenken von solchem Gewicht, dass er den Artikel dafür nutzt, potentiellen Lesern die Augen zu öffnen. Vor allem die Essays der Autorin mit ihrer wüsten Kunst- und Kulturbeschimpfung erinnern Endler nach eigenem Bekunden zu sehr an zweitrangige Pamphlete der Prenzlauer Berg-Szene in den 80er Jahren. Ihre Selbststilisierung als "russischer poete maudit" empfindet er schlicht als anmaßend und falsch ebenso wie ihre Behauptung, gerne dafür ins Gefängnis gegangen zu sein, um der Gesellschaft "über die Medien meine Ideen aufzuzwingen". Ideen nämlich vermisst er. An dieser Stelle bringt eine redaktionelle Einfügung etwas Licht ins Rezensentendunkel: Wituchnowskaja wurde nämlich mehrfach wegen angeblichen Drogenhandels inhaftiert und kokettiert mit neofaschistischen Moden. Wie gesagt, rezensieren mag Endler die Werke der Dame nicht. Aber wäre es da nicht konsequenter gewesen, das Erscheinen ihres Buches stillschweigend zu übergehen? So wird sicher ein mancher eher neugierig. Gewarnt ist er ja jetzt.

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