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Die amerikanische Photographin Diane Arbus setzte in der Kunst, die sie ausübte, neue Maßstäbe. Ihr mutiges Sujet und ihr photographischer Ansatz haben sie zu einer herausragenden Figur in der visuellen Kunst des 20. Jahrhunderts gemacht. Ihre Bilder sind oft schockierend in ihrer Reinheit, ihrer unbeirrenbaren Hommage an die Welt, wie sie ist. Diane Arbus Revelations bietet zum ersten Mal Gelegenheit, Ursprung, Umfang und Ambitionen des außergewöhnlichen Werks von Diane Arbus zu studieren. Der vorliegende Band präsentiert 200 ganzseitige Duotone-Tafeln mit Aufnahmen aus Arbus' gesamter Schaffenszeit.…mehr

Produktbeschreibung
Die amerikanische Photographin Diane Arbus setzte in der Kunst, die sie ausübte, neue Maßstäbe. Ihr mutiges Sujet und ihr photographischer Ansatz haben sie zu einer herausragenden Figur in der visuellen Kunst des 20. Jahrhunderts gemacht. Ihre Bilder sind oft schockierend in ihrer Reinheit, ihrer unbeirrenbaren Hommage an die Welt, wie sie ist. Diane Arbus Revelations bietet zum ersten Mal Gelegenheit, Ursprung, Umfang und Ambitionen des außergewöhnlichen Werks von Diane Arbus zu studieren. Der vorliegende Band präsentiert 200 ganzseitige Duotone-Tafeln mit Aufnahmen aus Arbus' gesamter Schaffenszeit.
Autorenporträt
Elisabeth Sussman ist Kuratorin und Sondra Gilman Curator of Photography am Whitney Museum of American Art.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2003

Hinreißende Häßlichkeit
Diane Arbus zeigt Amerika als ein Land der Ungeheuer und Seelenkrüppel / Von Freddy Langer

Das Leben der amerikanischen Fotografin Diane Arbus war nicht arm an Begegnungen mit tragischen Figuren - keine der Eintragungen in ihren vielen Notizbüchern aber ist trauriger, womöglich auch grausamer als die Geschichte eines Einkaufsbummels, die ihr 1971 ein Zwilling erzählte. Gemeinsam mit ihrer Schwester habe die Frau Kleider anprobiert und nicht bemerkt, daß sie irgendwann alleine war. Erst als sie die Schwester um ihre Meinung zu einem Rock bat, erkannte sie mit Schrecken: "Das war ich im Spiegel."

Mit der Frage, wer wir sind, beschäftigte sich Diane Arbus zeitlebens in ihrem Werk. Und man müßte sich nicht wundern, wenn auch vor ihren Bildern sich manches Modell erst auf den zweiten Blick und dann mit Schrecken wiedererkannt hätte. Überliefert sind in großer Zahl Porträts von Außenseitern: von Riesen und Zwergwüchsigen, Transvestiten und Nudisten, Menschen, die als Schaustücke im Zirkus ausgestellt wurden, und Insassen psychiatrischer Anstalten, denen sie allesamt mit frontalem Blick und oft hartem Licht gar nicht erst zu schmeicheln versuchte. Doch auch den Passanten, die sie über Jahre hinweg auf New Yorks Straßen fotografiert hat, selbst Kindern und Säuglingen geronnen auf ihren Bildern die Gesichter zu Fratzen. Es gehört nicht viel dazu, Diane Arbus' Schwarzweißaufnahmen als Ausdruck einer deformierten Gesellschaft und eines unheroischen Amerikas zu lesen, bevölkert von Ungeheuern und Seelenkrüppeln.

Daß sich die Fotografin im Sommer des Jahres 1971, wenige Monate nach ihrem achtundvierzigsten Geburtstag, das Leben nahm, hat nicht unerheblich zu ihrem Ruf beigetragen, den Schrecknissen der Welt gegenübergestanden zu haben und in die Abgründe der menschlichen Psyche vorgedrungen zu sein. Wenn nun für eine große Wanderausstellung und den opulenten begleitenden Fotoband der Titel "Revelations" gewählt wurde, darf das deshalb ebenso als Anspielung an die Offenbarung des Johannes verstanden werden wie als Ankündigung von Enthüllungen: ein Werk gleichsam als vorweggenommene Reportage des Weltenuntergangs.

Den Willen zur Perfektion, getrieben von der Hoffnung, zu einer "großen Offenbarung" vorzudringen, hatte schon 1962 John Szarkowski, damals der Direktor der fotografischen Abteilung des Museum of Modern Art in New York, der Fotografin attestiert. Gleichwohl er die Fotos damals nicht mochte, mußte er doch deren eigentümliche Kraft anerkennen - sowie den ungeheuren Ehrgeiz der Fotografin, der durch die Bilder schimmerte.

Die Entscheidung für eine strenge Chronologie hat es gefügt, daß diese Einschätzung nun in dem Buch unmittelbar neben den Negativstreifen mit dem vielleicht bekanntesten Motiv von Diane Arbus steht: einem Buben im Central Park, in der Hand eine Spielzeughandgranate. Besser hätte Szarkowskis Einschätzung nicht illustriert werden können. Denn zehnmal sieht man den Jungen in kurzen Hosen und gemusterten Hemd frech-charmant posieren; einmal aber spannt er den kleinen Körper an, verkrallt die Finger, verzieht den Mund und reißt die Augen auf, als sei er selbst eine Bombe, die jeden Moment explodieren könnte. Das Kinderspiel einer Hundertstelsekunde wurde für Diane Arbus zum Kommentar für die Ewigkeit. Solcherart war ihr von Ehrgeiz getriebener Perfektionismus: Sie fand ihre Bilder nicht, sie schuf sie - kitzelte sie aus ihren Modellen heraus. "Ich glaube ernsthaft", notierte sie, "daß es Dinge gibt, die niemand sähe, hätte ich sie nicht fotografiert."

Es gab bisher zwei wichtige, vergleichsweise schmale Bildbände zum Werk von Diane Arbus. Eine Monographie widmete sich mit etwa siebzig Beispielen den freien Arbeiten, den "anthropologischen Studien", mit denen sie dank zweier Guggenheim-Stipendien eine Art Archiv der Minderheiten anlegte, dessen viele Kapitel sich wechselseitig ergänzen. Das andere zeigte umfassend ihre Auftragsarbeiten für Magazine wie "Esquire", "Harper's Bazaar" und "Nora", für die sie Mode, Prominentenporträts oder auch Studien einer alternden Gesellschaft fotografierte. Mitunter fügten sie sich nahtlos in ihr restliches OEuvre ein, bisweilen entsprangen sie ihm sogar. Beide Bücher erschienen postum. Sie bestimmten den Blick auf ihr Werk. Das neue Buch "Revelations" mit immerhin fünfhundert Abbildungen und Hunderten von Zitaten aus Postkarten, Briefen und privaten Notizen, die sie mit unerwarteter und einnehmender Verve geschrieben hat, gibt diesem Blick keine neue Richtung. Aber es vertieft den Eindruck - um etliches Biographisches, einiges Technische, auch Philosophisches -, vor allem indem es die Obsession offenlegt, mit der sie ihre Motive suchte und bisweilen über Jahre hinweg fotografierte. Was ihre Sehnsucht nach der Anomalie, der körperlichen wie seelischen Verstümmelung, begründet hat, bleibt indessen nach wie vor ein Rätsel.

Sandra Phillips geht im einleitenden Essay des Buchs weit zurück und sucht im Bücherregal der jungen Diane nach Erklärungen. In ihren Bänden antiker Sagen vermutet sie den entscheidenden Impuls, gerade so, als sei es ein direkter Weg von den mythischen Hermaphroditen unter griechischer Sonne zu den Transvestiten in den düsteren Bars von New York. Ihre Affinität zu Märchen und den Zusammenhang mit ihrer Arbeit freilich hatte Diane Arbus selbst schon früh hervorgehoben. "Freaks haben so etwas Sagenumwobenes", schrieb sie. "Wie eine Person in einem Märchen, die einen anhält und verlangt, daß man ein Rätsel löst. Die meisten Menschen gehen durchs Leben in der ständigen Angst vor einer traumatischen Erfahrung. Freaks wurden schon mit ihrem Trauma geboren. Sie haben ihre Prüfung im Leben bereits absolviert. Sie sind Aristokraten." Daraus den Schluß zu ziehen, daß Diane Arbus ihre Arbeit vielleicht selbst als eine Art Prüfung begriff, als den Versuch, ein Trauma zu überwinden, sich selbst Gewalt anzutun, wagt das Buch nicht. Wie überhaupt der hundert Seiten langen Textcollage, die überwiegend aus Arbus-Zitaten besteht, wenig Einblicke in die düsteren Seiten ihres Lebens und Denkens zu entnehmen sind, vor allem in den letzten Jahren, die bestimmt waren durch finanzielle Schwierigkeiten, sexuelle Ausschweifungen, Krankheiten und Depressionen. Das mag damit zu tun haben, daß Ausstellung und Buch maßgeblich von einer ihrer beiden Töchter betreut wurden.

Dabei war ihr verquerer Lebenslauf einigermaßen bekannt. Geboren als Tochter des Besitzers eines Modehauses in New York, wuchs sie behütet in der Park Avenue auf, erhielt die beste Schulbildung und wurde nicht zuletzt ihrer künstlerischen Talente wegen früh gefördert. Auch aus Protest, so ist nicht auszuschließen, heiratete sie 1941 im Alter von achtzehn Jahren einen jungen Angestellten aus dem Unternehmen ihres Vaters. Gemeinsam hielten sie sich mit Modefotografie, zunächst für den Vater, halbwegs über Wasser. Nachdem sie sich erst beruflich, 1959 auch privat getrennt hatten, ging Diane Arbus immer intensiver ihren eigenen inhaltlichen wie formalen Vorstellungen nach. Angeregt durch Unterricht bei der Fotografin Lisette Model, suchte sie Originalität vor allem im Motiv. Augenblicklich fühlte sie sich zum Grotesken, Vulgären und Abstoßenden in den Niederungen New Yorks und an den Rändern der Gesellschaft hingezogen. Tabubrüche nahm sie munter in Kauf; im Sinne der Kunst. Um Sozialreportagen war es ihr kaum je zu tun. "Die Welt ist voller fiktiver Charaktere, die nach ihren Geschichten suchen", schrieb sie. Für sie waren die Menschen immer nur Figuren.

Oft genug wurde diese Einstellung als unsentimentale Einfühlung gelobt. Aber immer schwebt ein Hauch von Aggressivität über den Bildern, denn die Offenheit, die sie von ihren Modellen gleichsam im Duell mit der Kamera verlangte, ist genaugenommen Ausdruck eines schonungslosen Umgangs mit den Menschen, die sich ihrer Andersartigkeit, auch ihrer Häßlichkeit oft gar nicht bewußt zu sein scheinen. Für Diane Arbus hingegen müssen es geradezu erregende Momente gewesen sein, diesen Menschen so direkt gegenüberzutreten. Sie fand sie "schrecklich aufregend" und "einfach hinreißend". Die Listen ihrer künftigen Projekte wurden immer länger; wie süchtig dachte sie sich immer kleiner gefaßte Themen aus: Pin-ups nach Rassen sortiert, Zuhälter, Gangster, Hochzeitspaare, Kinder aus wohlhabendem Haus, Menschen und ihre Tiere, Geisteskranke, Sieger verrückter Wettbewerbe, übergewichtige Mädchen. Die Kamera wurde für sie gleichsam zum Freibrief, in verbotenen Zonen zu räubern. Nähe allerdings schuf sie allein für sich - nicht für den Betrachter.

Als ihr John Szarkowski ein Jahr nach ihrem Tod im Museum of Modern Art eine große Einzelausstellung einrichtete, so heißt es, mußten die Museumswärter abends die Spucke der Besucher von den Rahmen wischen. Zugleich war die Fotoschau für sehr lange Zeit die meistbesuchte Ausstellung des Hauses. Es wurde sich hier eine Gesellschaft ihrer eigenen Fragwürdigkeit bewußt, weil Diane Arbus nicht nur offensichtlich Absonderliches zeigte, sondern den Albtraum immer zugleich in den vermeintlich konventionellen Ritualen einer bürgerlichen Normalität bloßlegte. Dieser Schock ist uns heute fremd. Denn längst sind wir im Museum andere Nervenproben gewohnt. Das ist denn auch die größte Überraschung angesichts des neuen Buchs über Diane Arbus: Wir betrachten ihre Fotografien wohlwollend - fast zufrieden. Sie sind phantastisch.

Diane Arbus: "Revelations". Schirmer/Mosel Verlag, München 2003. 351 S., geb., Abb., 88,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Das hat uns noch gefehlt, jauchzt Ulf Erdmann Ziegler, und das meint er ganz ohne Ironie. Denn jeder habe schon eine Menge Bilder von Diane Arbus gesehen, einen Blick in ihre Werkstatt, wie die Bilder also entstanden sind, den gab es bisher noch nicht.. Der Katalog der großen Retrospektive füllt diese Lücke nun fürs Erste. Am aufschlussreichsten findet Ziegler die sieben vollständigen Kontaktprints aus Arbus' Dunkelkammer. Und auch die Hundert Seiten Text bestünden zum Glück nur zu einem Bruchteil aus Sandra Phillips "museologischer Prosa", ansonsten beschreiten die, lobt der Rezensent, auf der Basis von Briefen der Fotografin viel "unergründetes Terrain".

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