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Ein Mann wacht am Bett seines Vaters und lässt sich zum letzten Mal all die Geschichten seiner italienischstämmigen Einwandererfamilie erzählen, die ihn seit seiner Kindheit begleitet haben. Zum Lachen heiter, zum Weinen traurig und voller Leben, Liebe, Tod. Das ergreifende Porträt eines Postboten und Tanzkapellenmusikers, der trotz aller Armut leidenschaftlich zu leben verstand.

Produktbeschreibung
Ein Mann wacht am Bett seines Vaters und lässt sich zum letzten Mal all die Geschichten seiner italienischstämmigen Einwandererfamilie erzählen, die ihn seit seiner Kindheit begleitet haben. Zum Lachen heiter, zum Weinen traurig und voller Leben, Liebe, Tod. Das ergreifende Porträt eines Postboten und Tanzkapellenmusikers, der trotz aller Armut leidenschaftlich zu leben verstand.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.06.2000

Das Ende eines Vaters
Der Kanadier Joe Fiorito schreibt über seine italienische Familie
Alle sind sie Kanadier: die Polen, die Norweger, die Iren. Wenn sie einmal da sind, ist es ziemlich egal, woher sie kamen. Nur die Italiener bleiben Italiener: „Dreckige, mordende Spaghettifresser, dreckige ermordete Spaghettifresser, das war kein Unterschied: Jähzornige Hurensöhne waren sie samt und sonders. ” Noch etwas jähzorniger, unberechenbarer und italienischer aber sind die Fioritos aus Ripabottoni in Mittelitalien. An ihren Gesichtern sind sie für jedermann zu erkennen und selbst die irischen also katholischen Priester wollen nichts von dieser Sorte Italiener wissen. Wer sind wir, bohrt deshalb als Frage in Joe Fiorito, woher kommen wir, und was ist es, das uns zu denen macht, die wir sind.
Die Antwort muss in der Vergangenheit liegen. Joe glaubt an die Kraft der Geschichten: „Die Geschichten waren das Fundament, auf dem die Familie ruhte, sie waren der Stoff, aus dem wir alle gemacht waren . ..” Trotzdem wollte die große Familiengeschichte nie ein Fiorito erzählen. Wie ein nicht aufzulösender Fluch liegen deshalb die Auswanderung und die Entbehrungen über der Familie.
Jetzt aber sitzt Joe Fiorito – der tatsächlich so heißt und ein in Kanada sehr bekannter Journalist ist – am Sterbebett seines Vaters Dusty Fiorito. 21 Nächte wird er neben dem sich selbst über eine Pumpe mit Morphium versorgenden Krebskranken verbringen. Er wird das Leben im Krankenhaus, das Sterben, den vergeblichen Kampf um den Erhalt der Würde beobachten und protokollieren. Da ist das Buch die beeindruckend genaue Arbeit des Journalisten.
Der Sohn Joe aber will vor allem die Vergangenheit noch einmal zurückholen. Er will die alten Geschichten noch einmal hören und bisher Unbekanntes erfahren. Anfangs funktioniert das, da erzählt der Vater bereitwillig und zusammenhängend, das Erzählen selbst ist ihm noch ein Trost. In der zweiten Woche schläft er über den Geschichten ein. Und am Ende kann er kaum mehr sprechen, er sagt nur mehr ein Wort, und Joe vervollständigt die Geschichte aus dem, was ihm zu dem Wort einfällt. Die Stimmen meines Vaters ist also auch ein Buch über das Ersterben und Weiterleben von Geschichten. „In dem Maße, wie er abnahm, nahm auch das ab, was er zu erzählen hatte”, sagt Joe über seinen Vater. Weiß er am Ende trotzdem, was er wissen wollte? Weiß er, wer die Fioritos sind?
Im Zentrum der Familienhistorie stehen zwei Morde. Sie bleiben allerdings Bruchstücke einer Vergangenheit, die sich nicht zu einer Erklärung der Gegenwart formen, nicht zu einer Erzählung werden will. Den einen Mord hatte der Mann der Großtante begangen, die beiden waren deshalb nach Kanada gegangen und Joes Großvater zog damals mit, warum wird nicht deutlich. Der andere Mord geschah in der Familie der Großmutter, und bleibt ähnlich ungreifbar.
Am Beginn der Krankheit des Vaters reist Joe mit seiner Frau noch einmal nach Italien, auf den Spuren einer durch Morde und Ferne mystifizierten Vergangenheit und auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, was wäre, wenn der Mord nicht geschehen wäre. In Ripabottoni, wird zwar sein Name richtig ausgesprochen, eine Antwort aber findet er auch dort nicht. Und bei der Rückreise werden alle Souvenirs und sämtliche Filme aus dem Auto gestohlen: Soll das heißen, dass Erinnerung nicht möglich ist?
Wenn die Morde das Zentrum des Geschehens sind, ist die Beziehung Joes zu Dusty das Herz des Buches. Dusty war Postbote und ein mittelmäßiger, wegen seiner Ausstrahlung trotzdem umschwärmter Tanzkapellenmusiker. Vor allem hat er zuviel getrunken und war deshalb immer ohne Geld. Gleich zu Anfang des Buches erinnert sich Joe, wie Dusty seine Frau, Joes Mutter, im Suff fast umgebracht hätte. Joe hatte sie gerettet. Trotzdem liebt der Sohn den Vater. „Ich dachte über das nach, was ich nicht verstand: Er hatte versucht, meine Mutter umzubringen, und ich hatte ihr das Leben gerettet; sie und ich waren Verbündete. Doch als er meinen Bruder in den Armen hielt, gewann er mein Herz. Daran gab es für mich keinen Zweifel. Nur verließ ich mich nicht darauf. Ich hatte etwas begriffen. ” Was Joe begriffen hatte, erfährt der Leser aber nie. Was ist passiert, dass das Kind den Vater trotz allem auch mochte? Und warum wollte er gerade dessen Geschichten hören?
Diese Liebe zum trinkenden, gewalttätigen und Geschichten erzählenden Vater, legt den Vergleich von Die Stimmen meines Vaters mit Frank McCourts Die Asche meiner Mutter nahe. Die deutsche Übersetzung des Originaltitels The Closer We Are To Dying unterstreicht bewusst diese Nähe. Aber im Gegensatz zur Asche meiner Mutter ist die Beziehung zum Vater bei Fiorito nur bruchstückhaft erfasst und bleibt letztlich unverständlich. Während Frank McCourt dem Vater für die Geschichten, die er ihm erzählt hat, dankbar ist, weil sie ihm eine Zukunft ermöglicht haben, weiß man bei Fiorito nicht, was die Geschichten seines Vaters für ihn bedeuteten und bedeuten. Es ist nicht mehr, als dass er in ihnen lebendig bleibt. Das ist zwar schön, aber auch banal.
Warum hat er auf den Vater gewartet, wenn der abends besoffen heimkam: Musste er warten oder wollte er? Und was haben diese Geschichten, diese Nächte mit ihm gemacht? Da man das nicht erfährt, versteht man auch nicht, wie Joe es später geschafft hat, Journalist zu werden. Und so wird man den Verdacht nicht ganz los, dass da ein Journalist von der Kraft der Geschichten phantasiert, um zum Schriftsteller zu werden. Fiorito kann uns zwar viele kleine und charmante Erzählungen aus dem Leben seiner weitverzweigten Familie mitteilen, aber eine eigene Geschichte wird nicht daraus.
PETER MICHALZIK
JOE FIORITO: Die Stimmen meines Vaters. Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier. Alexander Fest Verlag, Berlin 2000. 380 Seiten, 44 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2000

Anglerbündnis
Joe Fiorito über Vaters Tod

Den "Stimmen meines Vaters" liegt eine sehr einfache Erzählsituation zugrunde. Ein Sohn, offenbar identisch mit dem geschätzten kanadischen Schriftsteller Joe Fiorito, sitzt im Hospital am Sterbebett seines Vaters und zeichnet die Geschehnisse von dessen letzten Lebenstagen auf. Von den körperlichen Verfallserscheinungen bis zum Besuch eines taktlosen Priesters werden dem Leser keine aufrührenden Einzelheiten erspart.

Die Zentralgestalt ist der Sterbende, jener "Dusty Fiorito, 1917 bis 1995", dessen Andenken das Buch gewidmet ist. Solange den Kranken seine Kräfte nicht ganz im Stich lassen, erzählt er seinem Sohn prägnante Begebnisse aus seinem schwierigen, aber abwechslungsreichen Leben, die getreu wiedergegeben werden; danach genügen geflüsterte Stichworte, um die oft und oft gehörten Geschichten wachzurufen. Etwas Musisches haftet diesem Dusty, im Hauptberuf Postbote, zweifellos an. "Er konnte nicht schreiben, er konnte erzählen", lautet der Kommentar. In seinen besten Zeiten drückte er sich musikalisch aus, als beliebter Aufspieler und Sänger in Bars, auf Hochzeiten und anderen Feierlichkeiten. Die Gabe, das Erlebte auch schriftlich zu formulieren, ist offenbar erst in dem Sohn Joe Fiorito zur Blüte gediehen, der die Geschichte zu der seinen macht, indem er sie durch eigene Erinnerungen und mit Hilfe von Memorabilien, die er in einer Schublade findet, ergänzt.

Nach und nach schält sich das Porträt Dustys aus dieser polyphonen Geschichte heraus, eines charmanten und begabten Trunkenbolds, der die zum Unterhalt seine Familie bitter benötigten Pfennige versäuft, Frau und Kinder misshandelt, aber gelegentlich zu großer Zartheit, ja Zärtlichkeit fähig ist. Szenen brutaler Gewalttätigkeit wechseln mit geradezu bukolischen Idyllen ab wie zum Beispiel jenem Anglererlebnis, das auf dem amerikanischen Kontinent traditionell das Vater-Sohn-Bündnis signalisiert. Obwohl der Erzähler keineswegs von den Aggressionen seines Erzeugers verschont geblieben ist, vibriert in seinen Aufzeichnungen die Liebe zu dem sterbenden Vater in jeder Zeile mit; kein Wunder, dass er seine Empfindungen folgendermaßen zusammenfasst: "Ich liebte ihn, aber ich musste nicht lange nach einem Grund suchen, um ihn zu hassen."

EGON SCHWARZ

Joe Fiorito: "Die Stimmen meines Vaters". Aus dem Englischen übersetzt von Sigrid Ruschmeier. Alexander Fest Verlag, Berlin 2000. 375 S., geb., 44,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Sagen wir so: Wohl auf Interesse, aber nicht immer auf Verständnis stößt bei Jörg Häntzschel dieses Buch. Der zu erwartende Tod des Vaters und die Erinnerung an das Gewesene bilden die zwei Ebenen des Romans, die Fiorito am Sterbebett des Vaters sitzend zusammenführt. "Erinnern ist für ihn ein unproblematischer Prozess", bedauert Häntzschel, der Schwierigkeiten hat, das keineswegs unproblematische Verhältnis zum prügelnden Vater in Form zugespitzter Anekdoten nachzuvollziehen. Ob dieser Hang zur Anekdotisierung Fioritos italienischer Abstammung oder seinem Reporterberuf zuzuschreiben ist, vermag Häntzschel nicht zu sagen. Ihn befremdet der mitunter burleske Ton, der der Abrechnung mit der Vergangenheit eine versöhnliche Note verleiht. Das Geschichtenerzählen, gesteht der Rezensent zu, helfe das am eigenen Leib erfahrene Leid zu relativieren wie auch den Tod des Vaters zu akzeptieren; und beachtlicherweise sei es Fiorito auf diese Weise gelungen, das Milieu seiner Herkunft zu schildern, ohne dabei in die Falle der Sentimentalität zu tappen.

© Perlentaucher Medien GmbH