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Als "stille Matahari" hat Michael Ondaatje die große Margaret Atwood einmal bezeichnet. Ist sie eher eine Kassandra? Wie sonst wäre es zu erklären, dass sie punktgenau zum weltweiten Platzen der Finanzblase ein Buch vorlegt, das sich mit der Voraussetzung dieser Krise auseinandersetzt: dem Prinzip von Schuld und Verschuldung, Ausgleich und Gerechtigkeit, auf dem unsere Gesellschaft gründet. Während wir in Panik ausbrechen, hektisch nach den Schuldigen für den Zusammenbruch dieses aus den Fugen geratenen Schuldensystems fahnden, erklärt uns Margaret Atwood mit faszinierender Klarheit, wie…mehr

Produktbeschreibung
Als "stille Matahari" hat Michael Ondaatje die große Margaret Atwood einmal bezeichnet. Ist sie eher eine Kassandra? Wie sonst wäre es zu erklären, dass sie punktgenau zum weltweiten Platzen der Finanzblase ein Buch vorlegt, das sich mit der Voraussetzung dieser Krise auseinandersetzt: dem Prinzip von Schuld und Verschuldung, Ausgleich und Gerechtigkeit, auf dem unsere Gesellschaft gründet. Während wir in Panik ausbrechen, hektisch nach den Schuldigen für den Zusammenbruch dieses aus den Fugen geratenen Schuldensystems fahnden, erklärt uns Margaret Atwood mit faszinierender Klarheit, wie maßgeblich das Konzept der Schuld - im ökonomischen und im moralischen Sinn - unser Denken und Verhalten seit Anbeginn der menschlichen Kultur prägt und bestimmt. In einer Mischung aus souveräner Lässigkeit und akribisch enzyklopädischem Ansatz verfolgt sie ihr Thema quer durch Zeiten und Disziplinen -mit unwiderstehlichen Witz und beeindruckender Sachkenntnis. Nach einer so unterhaltsamen wie erhellenden Lektüre entlässt uns diese großartige Erzählerin als Philosophin mit einer zentralen Frage: Was sind wir Menschen einander, was sind wir unserem Planeten schuldig?
Autorenporträt
Margaret Atwood, geboren 1939 in Ottawa, ist eine der wichtigsten Autorinnen Kanadas. Ihre Werke liegen in über 20 Sprachen übersetzt vor und wurden national und international vielfach aus gezeichnet. Neben Romanen verfasst sie auch Essays, Kurzgeschichten und Lyrik. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Booker Prize, dem kanadischen Giller Prize und mit dem Prinz-von- Asturien-Preis (2008),mit dem Nelly-Sachs-Preis (2009) und dem PEN Pinter Prize (2016).
Sie lebt mit ihrer Familie in Toronto.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2008

Das System ist kaputt

Schuldengeschichten: Margaret Atwood sucht in ihrem Essay "Payback" Antworten auf die große Finanzkrise und findet bei Shakespeare und Dickens den Prototypen des Geldmachers von heute

Vor nicht allzu langer Zeit, es mag irgendwann in diesem Jahr, vielleicht sogar in den vergangenen Monaten gewesen sein, bekam die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood, neunundsechzig Jahre alt und eine der Anwärterinnen auf den Literatur-Nobelpreis, einen Brief von Valerie Martin, ihrer Freundin und Schriftstellerkollegin aus Amerika. Diese Freundin verstand, angesichts des sich abzeichnenden Finanzdebakels, die Welt nicht mehr. Sie hatte Fragen, Antworten aber fand sie keine. Was sich hier abspielte, hatte einfach keinen Sinn: "Früher", schrieb sie, "hatte ich drei Banken und eine Hypothekenbank. Bank eins hat die beiden anderen gekauft und bemüht sich jetzt, die inzwischen bankrotte Hypothekenbank zu kaufen, nur dass heute Morgen bekannt wurde, dass auch sie große Probleme hat und deshalb versucht, mit der Hypothekenbank neu zu verhandeln. Frage eins: Wenn deine Firma bald pleitegeht, warum willst du dann eine Bank kaufen, deren Insolvenz gerade Schlagzeilen macht? Frage zwei: Wenn die Kreditgeber allesamt bankrott sind, kommen die Darlehnsnehmer dann so davon? Kummer und Leid der kreditgläubigen Amerikaner kannst du dir gar nicht vorstellen. Ich schätze, dass die Wohngegenden im Mittelwesten genauso aussehen wie die in meiner Stadt. Leer stehende, von Kletterpflanzen überwucherte Häuser inmitten kniehoher Wiesen, und keiner will zugeben, der Besitzer zu sein. Es geht abwärts mit uns, wir ernten, was wir gesäht haben."

Wunderbar biblisch klinge dieser letzte Satz, findet Atwood, doch ist auch sie um Antworten verlegen. Was man im Moment überall höre, dass alles eine Frage der "Gier" sei, möge zwar zutreffen. Es ist ihr aber nicht analytisch genug, um den rätselhaften Vorgang tatsächlich zu entschleiern. Margaret Atwood ist keine Finanzexpertin. Sie gehört auch nicht zu denen, die plötzlich so tun, als sei sie es immer schon gewesen. Sie ist Schriftstellerin. Also geht sie den im doppelten Wortsinn verstandenen Motiven der Schuld und des Schuldenmachens nach, in der christlichen Kultur und in der Literatur. Sie fragt in einem als Vorlesung angelegten Essay, "Payback - Schulden und die Schattenseite des Wohlstands", was genau das für Schulden sind, von denen wir denken, sie seien unentbehrlich für unser allgemeines Wohlbefinden; Schulden, auf denen wir herumschweben wie auf einem heliumgefüllten Ballon, bis ein Spielverderber eine Nadel hineinsticht und wir sinken. Wer ist der Spielverderber? Und woraus besteht die Nadel?

Was so entsteht, ist ein kulturhistorischer Höhenflug mit lebensweltlicher Erdung. Ironisch, manchmal bitterböse nimmt Margaret Atwood stets auch Bezug auf das, was sie gerade gehört, irgendwo gelesen oder gesehen hat - und sie wundert sich: Galt es gestern noch als eine Tugend, so viele Schulden zu machen wie möglich, ist es heute, man braucht nur die Schulden-Shows im Fernsehen einzuschalten, eine klare Sünde. Sie verfolgt die tränenreichen Fernsehbekenntnisse derer, die sich in die Verschuldung gestürzt haben. Sie sieht die Aussagen von Familien, deren Leben durch das schädliche Verhalten des Schuldners zerstört worden ist. Sie hört die Ermahnungen von Seiten der Moderatoren, die hier die Rolle der Priester oder Erweckungsprediger spielen. Dann kommt der Moment des aufscheinenden Lichts am Ende des Tunnels, gefolgt von Reue und dem Versprechen, es nie wieder zu tun. Es gibt auferlegte Buße, bis schließlich die Schulden abbezahlt, die Sünden vergeben werden und ein neuer Tag anbricht, an dem der Mensch sich morgens trauriger, aber solvent erhebt.

Wo so viel Erweckungsrhetorik im Spiel ist, kann das Christentum nicht ausgespart werden, das Atwood als groß angelegte Kontoführung weitergegebener Sündenlast samt Erlösungsgnade resümiert. Es liegt auch nahe, vom "Kaufmann von Venedig" bis zu "Faust", vom Teufelspakt und von teuflischen Geschäftsgrundlagen zu erzählen: "Kaufe jetzt, genieße, was immer sich an Annehmlichkeiten bietet, und zahl später, bis in alle Ewigkeit." Und natürlich stellt sich die Frage, was denn nun eigentlich schlimmer ist: Schuldner oder Gläubiger zu sein? "Kein Borger sei und auch Verleiher nicht", sagt Polonius in Shakespeares "Hamlet" zu seinem Sohn Laertes, "sich und den Freund verliert das Darlehn oft, und borgen stumpft der Wirtschaft Spitze ab." Guter Rat, stellt Atwood fest. Seltsam, dass so wenige ihn befolgen. Oder vielleicht auch seltsam, dass noch irgendjemand ihn befolgt, da wir bis eben noch eingebleut bekommen haben, sich Geld zu borgen sei absolut lobenswert, weil es "das System" ankurbele und die "Volkswirtschaft" in Schwung halte. Aber Polonius habe es erfasst: Wenn der Geld-Nehmer-Stand zu sehr und zu lange aus dem Gleichgewicht gerät, beginnen beide Seiten einander zu verachten, und Schulden erweisen sich als doppelseitiger Balanceakt, bei dem Geber und Nehmer gleichermaßen schuldig sind.

Atwoods Essay droht an dieser Stelle selbst zu kippen. Was nun folgt, sind literarische "Schuldengeschichten", von denen es, insbesondere in der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts, unzählige gibt. In positivistischem Erhebungsrausch scheint die Autorin gar nicht genug bekommen zu können von ihnen, vor allem nicht von der Figur des Ebenezer Scrooge, dem Geizkragen aus Charles Dickens' "A Christmas Carol". Warum? Weil auf diesen Scrooge in "Payback" alles hinausläuft. Auf einen Scrooge des 21. Jahrhunderts, den Atwood vornehm den "Scrooge Nouveau" nennt. Das ist die überraschende und brillante Wende dieses so wenig staatstragend daherkommenden Buchs: Der Essay kippt und verwandelt sich am Ende in Literatur. Mit der Erfindung des "Scrooge Nouveau" beschließt Atwood ihre Vorlesung mit einer Parabel über jenen Typ Mensch, der zwar genauso alt ist wie sein Geizhals-Original bei Dickens, aber viel jünger aussieht, weil er Geld ausgibt - und zwar für sich selbst, also für die Erhaltung seines Körpers. Er ist Besitzer von gleich mehreren Kapitalgesellschaften, was sie herstellen, interessiert ihn nicht, solange sie Geld produzieren. Von Geistern heimgesucht, die sich als Experten der längerfristigen Kosten-Nutzen-Rechnung der Natur erweisen, schickt Atwood ihren "Scrooge Nouveau" auf eine Zeitreise. Sie lässt ihn Formen des Kontoausgleichs besichtigen: die Pest, blutige Revolutionen und, als Ausflug in eine mögliche Zukunft, die komplette Zerstörung der Umwelt. Gerade über die Umweltzerstörung ist "Scrooge Nouveau" sehr empört. "Wer hat Schuld?"

Schulden, schreibt Margaret Atwood, seien ein gedankliches Konstrukt. Mit der Art und Weise, wie wir sie betrachten, ändere sich auch ihre Funktionsweise: "Vielleicht müssen wir anfangen, sie anders zu betrachten. Vielleicht müssen wir die Dinge auf eine andere Art zählen. Müssen die realen Kosten unserer Lebensweise und der natürlichen Ressourcen, die wir aus der Biosphäre entnommen haben, errechnen." Und das ist am Ende doch eine Antwort.

JULIA ENCKE

Margaret Atwood: "Payback. Schulden und die Schattenseite des Wohlstands". Berlin-Verlag. 265 Seiten, 18 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das Buch passt ganz gut, findet Felicitas von Lovenberg. Wer in Zeiten, da alle übers Geld reden und keiner so recht einen Plan hat, Orientierung benötigt, dem empfiehlt sie Margaret Atwoods Versuch einer Auslotung "unseres metaphorischen Kontostands". Keine Frage, auch hier sehen wir rot. Denn, so begreift Lovenberg die Autorin, es ist Zahltag, payback time eben. Der Plauderton, mit dem Atwood die Ideengeschichte und die Literatur von der Antike bis heute nach Belegen durchforstet, dass es immer schon ums Geld gegangen ist, in Zolas "Germinal" wie in Dickens "A Christmas Carol", steht für Lovenberg zwar im Gegensatz zur existentiellen Thematik. Die von der Autorin hergestellten Bezüge aber findet die Rezensentin erhellend, gerade im Finsteren der tiefsten Krise.

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