Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 2,49 €
  • Gebundenes Buch

Lissabon der dreißiger Jahre: Ein Mal im Jahr treffen sich die junge Witwe Lily Campendonc und ihr ehemaliger Buchhalter Agostinho Boscán und verbringen die Weihnachtstage miteinander - unter der Vorgabe, dass Lily ihren Liebhaber bei jeder Begegnung mit anderem, vorab avisiertem Namen anredet. Ein bizarres Liebesarrangement, das tief in die Abgründe der menschlichen Psyche führt. Ob er dem Autorenfilmer Aurelien No zu Dreharbeiten nach L. A. folgt und das Filmbiz in all seiner Aufgeregtheit und seinem Größenwahn zeigt oder ob er den kleinen Verrat eines Studenten in Nizza hintergründig in…mehr

Produktbeschreibung
Lissabon der dreißiger Jahre: Ein Mal im Jahr treffen sich die junge Witwe Lily Campendonc und ihr ehemaliger Buchhalter Agostinho Boscán und verbringen die Weihnachtstage miteinander - unter der Vorgabe, dass Lily ihren Liebhaber bei jeder Begegnung mit anderem, vorab avisiertem Namen anredet. Ein bizarres Liebesarrangement, das tief in die Abgründe der menschlichen Psyche führt. Ob er dem Autorenfilmer Aurelien No zu Dreharbeiten nach L. A. folgt und das Filmbiz in all seiner Aufgeregtheit und seinem Größenwahn zeigt oder ob er den kleinen Verrat eines Studenten in Nizza hintergründig in Szene setzt, Boyd beherrscht jeden Stil und jedes Genre. Die Hollywood-Satire, die Dichter-Novelle, das Eifersuchtsdrama. Allen gemein ist der Blick für das Ungewöhnliche und Abseitige. In England wurde Das Schicksal der Nathalie X hymnisch gefeiert und Boyd mit keinen Geringeren als Chechov, Fitzgerald und Hemingway verglichen. Von lakonischer Leichtigkeit sind diese Geschichten, präzise, eindringlich und von großer Eleganz.
Autorenporträt
William Boyd, geb. 1952 in Ghana, gehört zu den überragenden europäischen Erzählern der Gegenwart. Er schreibt Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher und wurde vielfach ausgezeichnet. William Boyd lebt mit seiner Frau in London und Südfrankreich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2007

Echtheit stört nur

Man wird doch wohl noch träumen dürfen: William Boyd, Meister der Wirklichkeitsfälschung, zeigt in seinen Erzählungen, wie man aus einem öden Dasein flieht.

Phantasie ist ein gutes Mittel gegen die Wirklichkeit. Wer der Widrigkeiten seines Lebens überdrüssig geworden ist, kann sich behelfen, indem er sie missachtet und sich eine gefälligere Version ausdenkt. Doch zwischen der spielerischen Manipulation der Realität und dem veritablen Wahn ist der Grat schmal. Auf ihm wandern einige Figuren aus William Boyds jüngst im Berlin Verlag erschienener Erzählsammlung "Das Schicksal der Nathalie X".

Boyd hat sich als Meister der Wirklichkeitsfälschung auf dem englischen Buchmarkt schon etabliert. Mit der fiktiven Biographie des Künstlers Nat Tate gelang ihm 1998 ein fulminanter Streich, als nicht wenige namhafte Angehörige der New Yorker Kunstszene dem Bluff erlagen und sich prompt damit brüsteten, Tate zu kennen, und in ihrem Eifer den wenig subtilen Hinweis übersahen, den Boyd im Namen des Protagonisten versteckte: Nat Tate ist ein Kürzel für die beiden wichtigsten britischen Kunstmuseen (National Gallery und Tate Gallery). Das frei erfundene Tagebuch "Eines Menschen Herz" wiederum enthielt die in der Kulturgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts verankerten Aufzeichnungen Logan Mountstuarts, der ungefragt überall dort auftauchte, wo das politische und künstlerische Leben gerade am prallsten war. In Boyds Spionageroman "Ruhelos" gab es zuletzt sogar eine eigene Agentur für Falschmeldungen.

Die elf Erzählungen in "Das Schicksal der Nathalie X" sind ebenfalls Variationen über das Verhältnis von Dichtung und Wahrheit und wirken zum Teil wie pointierte Vorstudien zu diesen großen Lügenromanen. Wie diese orientieren sie sich an dokumentarischen Genres wie dem Tagebuch oder der wissenschaftlichen Abhandlung. So setzt sich etwa die semibiographische Erzählung "Verklärte Nacht" aus (fiktiven) Tagebucheinträgen, Aufzeichnungen und szenischen Erinnerungen Ludwig Wittgensteins zusammen. Die (tatsächliche) Familiengeschichte des Philosophen, überschattet vom Selbstmord dreier Brüder, wird hier verknüpft mit dem Schicksal des von ihm protegierten Dichters Georg Trakl, der sich 1914 nach einem kriegsbedingten Nervenzusammenbruch das Leben nahm.

Die meisten Geschichten in "Nathalie X" aber verweben Fiktion und Realität auf andere Weise. Hier zeigt Boyd seine Figuren bei dem Versuch, sich die Realität ihren Bedürfnissen gemäß zurechtzuträumen - der Wirklichkeitsfälscher beobachtet die Realitätsflüchtlinge. Wesley Bright aus "Brasilien ist überall" hat dabei die Grenze zur Persönlichkeitsstörung entschlossen überschritten. Seine Unzufriedenheit mit seinem Namen ist symptomatisch für ein allgemeines Leiden an der Durchschnittlichkeit. In Tagträumen heißt er dann Liceu Maximiliano Lobo und ist wahlweise Universitätsprofessor, Oberst, Musiker oder Chefarzt, immer jedoch ausgestattet mit einer sagenhaften Manneskraft und einem durchschlagenden Sexappeal. Im richtigen Leben scheitert sein um brasilianische Lebensleichtigkeit bemühter Ausflug in eine außereheliche Affäre an der Nationalität seiner italienischen Geliebten, die Wesley sich als Brasilianerin gewünscht hatte.

Die Macht der Imagination wird in "Kork" zur trivialpsychologischen Einsicht: "In Wirklichkeit lieben wir niemanden. Wir lieben nur die Vorstellung, die wir uns von einem anderen machen. Es ist die eigene Erfindung, die wir lieben." Das Lissabon der dreißiger Jahre ist die Kulisse für die Liebesaffäre der jungen Witwe Lily Campendonc mit ihrem ehemaligen Buchhalter Agostinho Boscán. Alljährlich zu Weihnachten verbringen sie einige Tage miteinander, in denen sie sich jedes Mal eine andere Identität zulegen: Nur im Schutz dieser Masken kann Boscán seiner Depression entfliehen.

Der Charme der Geschichten besteht darin, dass sie die von den Tatsachen Gebeutelten mit wohlwollender Ironie zu Helden ihrer Phantasie machen. Etwas dünnblütig wirkt dabei lediglich die als Tagebuchauszug präsentierte Erzählung "Hôtel des Voyageurs", in dem der bereits aus "Eines Menschen Herz" bekannte Logan Mountstuart eine kurze amouröse Hotel-Begegnung mit einer Unbekannten schildert. Die diffus-schwüle Erotik setzt sich in Sprachklischees fort, die sich neben den sonst treffsicheren Bildern befremdlich ausnehmen.

Insbesondere die Titelgeschichte, eine unterhaltsame Hollywood-Satire und zugleich eine der stärksten des Bandes, erinnert daran, dass Boyd auch Drehbuchautor ist. Wie in einem Dokumentarfilm wird der junge afrikanische Regisseur Aurélien No beim Remake seines eigenen Films "Le destin de Nathalie X" beobachtet. Angesichts der Banalität der Handlung und der Nacktheit der Hauptdarsteller überschlagen sich die Kritiker vor Begeisterung. Die Erzählung beginnt mit einer Männerstimme aus dem Off, die die Einlassungen der Produzenten, Drehbuchschreiber und Schauspieler miteinander verbindet. Deren Aussagen kulminieren stets in dem Satz "Ich habe eine Theorie über diese Stadt", und natürlich widersprechen sich diese Theorien allesamt aufs munterste. Der Hype, den Aurélien in Hollywood auslöst, beruht auf seiner Ästhetik der Objektivität. Auf ein ins Bild hineinragendes Mikrophon hingewiesen, antwortet er: "Oh, so etwas stört mich nicht. Es trägt zur Authentizität bei."

ARIANE BREYER

William Boyd: "Das Schicksal der Nathalie X". Erzählungen. Berlin Verlag, Berlin 2007. 188 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
"Mit Nathalie X beweist William Boyd erneut seinen Rang als 'bester Geschichtenerzähler seiner Generation'" - The Independent.

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.07.2008

Sein Leben kann nur als ereignisarm bezeichnet werden
Ein Autor, der in vielen Stimmen spricht: William Boyds Erzählungsband „Das Schicksal der Nathalie X”
Fernando Pessoa war eine rätselhafte Gestalt. Der portugiesische Dichter richtete sich im bürgerlichen Leben als Buchhalter ein, unscheinbar und ein wenig einsam. Aber zu seinem eigenen Leben erfand er sich noch mehrere Dichter-Stimmen. Diese Autoren-Stellvertreter trieben seine Dichtung in verschiedenste Richtungen. In einer Truhe hortete Pessoa Zehntausende Blätter und Textfragmente, nach seinem Tod im Jahre 1935 peu à peu publiziert. Mit der Zeit wurde er so doch noch berühmt. „Weil ich nichts bin, kann ich mir alles vorstellen”, schrieb Pessoa einmal, und es ist vermutlich dieser Satz, der den englischen Autor William Boyd zu seiner Geschichte inspiriert hat. „Wenn ich etwas wäre”, so geht das Zitat weiter, „wäre ich unfähig zur Einbildung.”
Boyd legt diese Zeilen einem gewissen Agostinho da Silva Boscán in den Mund, ein verkannter Dichter auch er, im wahren Leben ein Handelskaufmann in der Kork-Branche, ein vordergründig seriöser Mensch, der sich aber nicht wenig vor dem Wahnsinn fürchtet. Und der sehr verliebt ist in die Frau seines verstorbenen Chefs. Boscán traut dieser Leidenschaft und sich selbst nicht über den Weg, also verlässt er das Unternehmen mit dem Eingeständnis seiner Liebe und ihrer Unheilbarkeit. Mit der Witwe findet Boscán gleichwohl zusammen. Vielmehr nicht er, sondern die Gestalten seiner Einbildungskraft: Drei Weihnachtsfeste hintereinander treffen sich die beiden an verschwiegenen Orten, und jedes Mal schlüpft Boscán in eine andere Rolle, schafft sich, wie Pessoa, Heteronyme – weil er nichts ist, kann er sich als ein anderer vorstellen. Es ist eine poetische Maskerade, die den Liebhaber (den Schreibenden) schützt vor den Zumutungen des Realen.
Aber dieses Weihnachtsglück hält nicht lange an. Boscán, kränklich und traurig zugleich, löst sich immer mehr auf, ohne Erlösung zu finden. Die letzte Weihnachtsbotschaft im Jahr 1936 kommt schon nicht mehr von ihm selbst, sondern von einer seiner Schwestern. An einer Leberzirrhose – wie auch Fernando Pessoa selbst – ist Boscán gestorben. In einem Nachruf steht: „Sein Leben kann nur als ereignisarm bezeichnet werden.”
Boyd liebt es, literarische Zaunpfähle zu schwenken. Und sie dann markant ins Erzählfundament zu rammen. Das wirkt zuweilen, als müssten die Texte durch ihr literarisches Referenzsystem und allerlei Archivfunde ein wenig aufgepäppelt werden. Einmal erzählt er in kurzen, tagebuchartigen Episoden vom Zusammentreffen Georg Trakls mit seinem Förderer Ludwig Wittgenstein; aber es ist mehr die historische Konstellation, die fasziniert, als die daraus resultierende Erzählung selbst. Das Spiel mit historischer Faktizität und Fiktion weist auf ein Grundthema Boyds: Wie das Erzählte inmitten einer vermeintlichen Realität seinen eigenen Wahrheitsraum schaffen kann, wie Erfundenes das verborgen Wirkliche ans Licht bringt, wie der Autor seine Spione, seine Figuren, undercover im Text agieren lässt.
Dabei hat Boyd durchaus die Gabe, seinen Blick präzise auf kleine Szenen und abgründige Situationen zu richten. In der Titelerzählung „Das Schicksal der Nathalie X” montiert er in einer pseudodokumentarischen Form mehrere Perspektiven aneinander, um den mythischen Ort Hollywood zu demontieren: Jede monologisierende Figur vom Produzenten bis zum Filmkritiker hat ihre eigene „Theorie über die Stadt”, und all diese sich widersprechenden Theorien stützen sich auf die je eigene Wahrnehmungsweise, die Boyd in wenigen Sätzen umreißen kann. Zuweilen entsteht auch schon eine Geschichte im nüchternen Protokollieren von Speiseabfolgen und Begegnungen („Lunch”).
Die elf sich in Qualität und Gestalt stark unterscheidenden Geschichten zeugen von einer lustvollen, spielerischen Aneignung verschiedener Genres – als „lockeres Kontinuum” könnte man sie nach dem Titel einer Geschichte charakterisieren: Short Stories, kleine Künstlernovellen, fingierte Tagebuchnotizen, drehbuchartige Skizzen finden sich; oft ein wenig zu hingeworfen erscheint das, als würden da Ideen erst noch ihre angemessene Form suchen. Was nicht verwundert. „Das Schicksal der Nathalie X” stammt aus dem Jahr 1995, und einigen Figuren und Motiven wird man in späteren Büchern Boyds wiederbegegnen, dann ausgereifter und gültiger.
Wenn ein Autor, der wie der 1952 geborene Boyd bereits eine 25-jährige Schreib-Vergangenheit hat, plötzlich hierzulande entdeckt wird, setzt sich sein Werk auf seltsame Weise neu zusammen: Meist beginnt alles mit einem Roman, der das Tor für ältere Bücher aufstößt. Den in England zur ersten Erzähler-Riege gerechneten William Boyd auf dem deutschen Markt durchzusetzen, haben zwei Verlage nicht geschafft; der dritte schließlich hatte mehr Erfolg, bezeichnenderweise mit einem zwar respektablen, aber doch nicht wirklich meisterhaften Spionageroman. Nach „Ruhelos” legt der Berlin Verlag nun mit „Das Schicksal der Nathalie X” nach. So kann der Leser sich auf Zick-Zack-Wegen ein vielschichtiges Werk erlesen – und einen in und mit vielen Stimmen sprechenden Autor kennenlernen.ULRICH RÜDENAUER
WILLIAM BOYD: Das Schicksal der Nathalie X. Erzählungen. Aus dem Englischen von Chris Hirte. Berlin Verlag, Berlin 2007. 189 Seiten, 18 Euro.
William Boyd Foto: Florian Eisele/ddp
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ariane Breyer kennt und schätzt William Boyd als Autor, der versiert mit den Grenzen von Fantasie und Wirklichkeit spielt und der mit seiner Künstlerbiografie des fiktiven Nat Tate sogar bekannte Protagonisten der Kunstszene New Yorks täuschte. Auch die elf Erzählungen dieses Bandes bewegen sich auf der feinen Grenze von Wirklichkeit, Fantasie und Wahn, zum Beispiel in "Verklärte Nacht", bei der Boyd die Familiengeschichte Wittgensteins mit der Geschichte des expressionistischen Dichters Georg Trakl verknüpft, indem er fiktive Tagebuchaufzeichnungen, Erinnerungen und Notizen Wittgensteins zusammenstellt. Meistens aber finde sich die Vermischung von Imagination und Realität in den Protagonisten selbst, wie in "Brasilien ist überall", wo sich ein unter seiner Mittelmäßigkeit leidender Held eine schillernde Karriere wahlweise als Chefarzt, Professor oder Musiker zusammenlügt und sich nach einer Affäre mit einer Brasilianerin sehnt. Gewöhnlich lässt sich die Rezensentin von der "wohlwollenden Ironie", mit der der Autor der Realitätsflucht seiner Protagonisten begegnet, einnehmen, nur die Erzählung "Hotel des Voyageurs" hat sie wegen ihrer schwülstigen Erotik irritiert.

© Perlentaucher Medien GmbH