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Die Lorbeeren, die man dem blutjungen Lyriker als »größte lyrische Hoffnung« begeistert vorschoss, hat sich Björn Kuhligk - zwei Gedichtbände älter und immer noch jung - längst verdient. Großes Kino heißt sein dritter Lyrikband, und wieder führt dieser Stürmer und Dränger unter den Dichtern vor, dass Poesie und »street credibility« keine Gegensätze sein müssen. Als »Stimme, die sich beharrlich weigert, nicht politisch zu sein«, hat man Kuhligk bezeichnet, und so steht das kritische, zeitdiagnostische Gedicht in diesem Band im Vordergrund. Weit entfernt von streng gescheitelter politischer…mehr

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Produktbeschreibung
Die Lorbeeren, die man dem blutjungen Lyriker als »größte lyrische Hoffnung« begeistert vorschoss, hat sich Björn Kuhligk - zwei Gedichtbände älter und immer noch jung - längst verdient. Großes Kino heißt sein dritter Lyrikband, und wieder führt dieser Stürmer und Dränger unter den Dichtern vor, dass Poesie und »street credibility« keine Gegensätze sein müssen. Als »Stimme, die sich beharrlich weigert, nicht politisch zu sein«, hat man Kuhligk bezeichnet, und so steht das kritische, zeitdiagnostische Gedicht in diesem Band im Vordergrund. Weit entfernt von streng gescheitelter politischer Korrektheit und in einer Sprache, die den Sicherheitsgurt ablehnt, betreibt Kuhligk hier Gesellschaftskritik, die sich nicht ausbremsen lässt.
Autorenporträt
Kuhligk, BjörnBjörn Kuhligk wurde 1975 in Berlin geboren. Seit 2006 leitet er die Lyrikwerkstatt open poems der literaturWERKstatt Berlin. Nach »Es gibt hier keine Küstenstraßen« (2001) und seinem Gedichtband »Am Ende kommen Touristen« (2002) erschienen zuletzt die Lyrikbände »Großes Kino« (2005) und »Von der Oberfläche der Erde« (2009).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.11.2005

Im nackten Raum bewegt sich nur die Zeit
Die Poesie macht klick: Björn Kuhligks Großstadt- und Landgedichte „Großes Kino”
Das Titelgedicht heißt „Großes Kino”. „Großes Kino” ist eine Phrase der Filmindustrie. Mit ihr werden Filme bezeichnet und beworben, die nur auf großen Leinwänden gezeigt werden, weil so viele Menschen sie sehen wollen, dass die Säle mit den kleinen Leinwänden nicht ausreichen würden, sie zu fassen, und weil diese Filme so große Gefühle transportieren, dass eine kleine Leinwand zu klein für sie wäre. Es werden große Erwartungen gestellt an das große Kino. An das kleine Kino werden kleine oder keine Erwartungen gestellt, weil man ihm misstraut, im kleinen Kino kann man nie wissen, was kommt. Die Unterscheidung von großem und kleinem Kino macht die Entscheidungen abends einfacher und kalkulierbar. Generell ist es so, dass ein Wort, sobald es benutzt wird, dazu tendiert, eine Zahl zu werden. Insbesondere gilt das für Worte, die oft benutzt werden. Das Wort „groß” zum Beispiel befindet sich als Schwundstufe von „großartig” etwa auf halber Strecke zu der Zahl 8, sagen wir auf einer Skala von 10. Das verkürzt den Dialog. „Gehen wir lieber ins große Kino”, sagt der Mann. „Okay”, sagt erleichtert die Frau.
Und wenn diese beiden Lyrik lesen, dann greifen sie vielleicht zu Björn Kuhligks Lyrikband „Großes Kino”, und der Dichter, 1975 geboren und aus Berlin, hat sie in der Falle, und dann können sie wirklich was lernen. Was es in Kuhligks Gedicht zu sehen gibt, sind verarmte Alte auf Plastikstühlen, „der kleine, noch nicht mal geschlechtsreife Irre / der jeden Morgen ‚Gute Nacht‘ brüllt” und eine „Tüten-Frau, die öffentlich blutet”. Kuhligk wählt in seinen Großstadtgedichten den Blickwinkel von ganz unten, und er will, dass es wehtut. Ein Gedicht wie „Großes Kino” lässt nicht bloß geblähte Phrasen durch Nadelstiche platzen, sondern wühlt mit der Nadel im Fleisch, bis der Eiter quillt. Das Schrecklichste ist gerade gut genug und erhält je seine Zeile, wie auch die geschilderten Bewohner eines Wohnblocks in dem Gedicht „Ein Wohnblock” je ihre Drei-Zeilen-Zelle erhalten. Es herrscht dichtes Elend, dieses Elend ist bedrückend, und Kuhligks Gesellschaftskritik ist innen- wie außenpolitisch auf dem historischen Stand. Es gibt ein Gedicht mit dem schönen Titel „Die Liebe in den Zeiten der EU”. Darin gibt es keine Liebe: „es muss / es darf zurückgefeuert werden”.
Das reine Hausen
Aber im Zentrum von „Großes Kino” steht keine politische Einheit, sondern ihr Gegenteil, der vereinzelte Mensch im poetischen Schaukasten. Kuhligks Gedichte ziehen alle Farben von diesen Menschen ab, sie entrümpeln ihre Zimmer, bis der nackte Raum sich zeigt und das Einzige, was sich noch bewegt, die Zeit ist. Das Herunterbrechen auf die Essenz bedeutet Aufscheinen des reinen Hausens. Manchmal entblättert das Verfahren auch einen Menschen und lässt ihn sehen, aber zusammen suggerieren diese Entblätterungen, dass die Leute im Kern gleich sind. Es sind statische Gedichte, in denen an Möglichkeiten gedacht wird, ohne dass sie ergriffen werden. Es ist die Leere der Mittdreißiger vom Prenzlauer Berg, der angedeutete Versuch, sie mit Kindern und Zimmerpflanzen zu füllen, und es gibt den Wunsch, mal auszubrechen, zum Beispiel in den Skiurlaub.
Diese leeren Menschen sind leerer, als es der Dichter gewollt haben kann. In vielen der Porträtgedichte bleiben sie Schatten, also selbst für einen abstrakten „Bürger” zu wenig. So zum Beispiel, wenn es heißt, dass einer mittags „bis zum nächsten Namen” trinkt, und „montags versucht er, Trost zu geben / und wirft pfandbeladene Flaschen / aus dem Fenster”. Einer „pinkelt nur im Sitzen, wenn er / besoffen oder verliebt ist”, und über eine andere heißt es: „am schönsten / redet sie, wenn’s regnet”. Was da behauptet wird, das glaubt man nicht, das ist gebaut, oder so vage, dass es leer ist, und eine Person, die vorher schon ein Schatten war, löst sich in Luft auf.
Kuhligks Gedichte sind drastisch und grell, aber sie bedienen sich möglichst weitgehend beim Alltagswortschatz. Überhaupt versuchen sie, sich von Konventionen frei zu halten. Dazu gehört auch, dass sie größer angelegte Strukturen ablehnen, die Sinn erzeugen könnten. Was die Gedichte über den einzelnen Wortsinn hinaus ungefähr zu bedeuten anstreben, soll sich stattdessen aus den harten Schnitten von Elementen ergeben, deren Zusammenhang oft nicht nur gesucht ist, sondern unauffindbar: „‚Der Mensch als kleinste wirtschaftliche Einheit‘ geht jeden Sonntag Kuchen holn oder / steht vor einem Zielfernrohr / an dessen Ende der Körper fällt, ‚Machts / gut Nachbarn‘, ja, es genügt / zu wissen wie eine Schwertlilie aussieht”.
So laufen die Gedichte Gefahr, nicht zu wissen, worum es ihnen gehen könnte. Im Zweifel geht es dann darum, dass irgendetwas „auch nicht hilft”, wie es wiederholt heißt. Es ist unmöglich, in den Städten zu leben, sagen die Gedichte, und in die Landschaft gehören die Menschen auch nicht, dort sind sie ein „dummes Gewirr, das Größeres will”.
Die Gedichte, die vom Ortswechsel, vom Wegfahren, von der Natur und vom Urlaub berichten - der andere Schwerpunkt des Bandes -, sind schlichter als die expressionistischen Stadtblitze, vor allem aber zusammenhängender. Die Idylle währt in ihnen immer nur kurz. Es sind Gedichte wie Schwarzweißfotos, nachträglich mit „Blut” oder „Rotz” übermalt, und die Axt steht zur Niederschlagung der Romantik immer bereit, manchmal konkret im lyrischen Bild, die Axt als Ich-kann-auch-anders.
Wie im letzten Gedichtband des Dichters, „Am Ende kommen Touristen”, liefert der Tourismus Kuhligk viele Impressionen. Vielleicht ist das auch deshalb so, weil im Tourismus das Was und das Wie seiner Dichtung zusammenfallen. Liest man die Gedichte, dann meint man, Kuhligk habe das kurze Aussteigen, Fotoschießen, Weiterfahren und nachträgliche Zusammenschneiden der Eindrücke zur Methode gewählt, ein Gedicht zu machen. Die Poesie macht klick, klick, klick, und heraus kommt eine Bilderserie, so fremd wie eine Zahl inmitten der Natur. Es sind 72 Gedichte, und zusammen mit den Mottos von „Die Sterne”, Karen Duve, Eugène Guillevic, Tocotronic, Kettcar, Federico Fellini, Rainer Malkowski, Jean Baudrillard, Rainer Brambach und Max Frisch, Dankesnamensliste und Inhaltsverzeichnis stehen sie auf 77 Seiten.
KAI WIEGANDT
BJÖRN KUHLIGK: Großes Kino. Gedichte. Berlin Verlag, Berlin 2005. 77 Seiten, 16 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Björn Kuhligk "will, dass es wehtut", konstatiert Kai Wiegandt. Alles wird entkleidet - die Räume ihrer Farben, die Menschen ihrer Illusionen. Im Blick des Dichters: Schnappschüsse von Schmutz, Großstadteinöde, Menschenseeleneinöde. Doch bekommt man überhaupt ein Gefühl für diese Seelen? Wiegandt ist vieles in diesen Gedichten zu vage, zu chimärenhaft. "Diese leeren Menschen", schreibt er, "sind leerer, als es der Dichter gewollt haben kann". Und überhaupt: Die Schnitte zwischen den Eindrucksschnipseln sind so hart, dass Bedeutungszusammenhänge kaum entstehen können - "so laufen die Gedichte Gefahr, nicht zu wissen, worum es ihnen gehen könnte". Was bleibt? Unkonventionell strukturierte, in drastischer Alltagssprache verfasste Lyrik, die sich brüsk gegen Schönheit und Romantik stemmt.

© Perlentaucher Medien GmbH