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Der berühmte Ideengeschichtler Isaiah Berlin zeigt sich in diesen Texten von einer eher unbekannten, gleichwohl überaus faszinierenden Seite: als scharfsinniger und einfühlsamer Beobachter von Zeitgenossen, deren herausragende Verdienste im politischen oder geistigen Leben er zu würdigen versucht. Viele dieser Persönlichkeiten sind weithin bekannt - Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt, Chaim Weizmann, Albert Einstein, J.L. Austin, Virginia Woolf und Edmund Wilson. Bis auf Roosevelt ist Berlin ihnen allen persönlich begegnet oder sogar freundschaftlich verbunden gewesen. Wie schon bei…mehr

Produktbeschreibung
Der berühmte Ideengeschichtler Isaiah Berlin zeigt sich in diesen Texten von einer eher unbekannten, gleichwohl überaus faszinierenden Seite: als scharfsinniger und einfühlsamer Beobachter von Zeitgenossen, deren herausragende Verdienste im politischen oder geistigen Leben er zu würdigen versucht. Viele dieser Persönlichkeiten sind weithin bekannt - Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt, Chaim Weizmann, Albert Einstein, J.L. Austin, Virginia Woolf und Edmund Wilson. Bis auf Roosevelt ist Berlin ihnen allen persönlich begegnet oder sogar freundschaftlich verbunden gewesen.
Wie schon bei seinen ideengeschichtlichen Essays zeichnet sich Berlin auch in den vorliegenden Porträts vor allem durch zwei Dinge aus: zum einen durch den Blick für das Wesentliche, das sich ansonsten hinter oberflächlichen biografischen Details und Äußerungen verbirgt; zum anderen durch einen stets luziden und eleganten Stil, zu dem sich nicht selten auch ein feiner Humor gesellt.
Im längsten und wohl beeindruck endsten Text dieser Sammlung erzählt Berlin von seinen Begegnungen mit den russischen Schriftstellern Boris Pasternak und Anna Achmatowa in den Jahren 1945 und 1956. Dabei sind nicht allein zwei äußerst beeindruckende Intellektuellen-Porträts entstanden, sondern auch das nüchterne Bild eines Staates, der seinen herausragenden schöpferischen Geistern mit Vernichtung droht - ein Eindruck übrigens, der für Berlins vehementes Plädoyer für den Freiheitsgedanken prägend sein sollte.
Der Band schließt mit einem der persönlichsten Texte Isaiah Berlins, in dem er die drei grundlegenden Elemente benennt, die seine Persönlichkeit geprägt haben: das russische, das englische und das jüdische.
Autorenporträt
Isaiah Berlin, geboren 1909 in Riga, war von 1957 bis 1967 Professor für Sozialphilosophie und Politische Theorie in Oxford, von 1974 bis 1978 Präsident der Britischen Akademie der Wissenschaften.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001

Ehrt eure großen Männer
Reden von verblüffender Einfalt und bestechendem Scharfsinn: Isaiah Berlins Buch der Freunde / Von Patrick Bahners

Isaiah Berlin zu Ehren erschien 1991 ein Buch der Freunde: eine Sammlung von Essays, die seine Sache fortsetzen, ein Denken aus freien Stücken in freien Stücken. Dort findet sich auch eine Erwägung von Alfred Brendel über die Frage, ob die klassische Musik vollkommen ernst sein müsse. Wer das Buch der Freunde liest, das Isaiah Berlin selbst publiziert hat, sein Buch für seine Freunde, den vierten Band der von Henry Hardy "Ausgewählten Schriften", der könnte vermuten, daß Brendel ihm deshalb ein Kolleg über das Komische widmete, weil er ihn über einen Gegenstand aufklären konnte, von dem er wenig verstand.

Man denke sich einen Freund Oscar Wildes, der mit einem Gedenkblatt für den Dichter hervorgetreten wäre und kein einziges Scherzwort erwähnt hätte. So verfährt Berlin mit Maurice Bowra, dem Warden des Wadham College in Oxford, den er als "the greatest English wit of his day" einführt. In der Übersetzung von Werner Schmitz tritt Bowra, unnatürlich aufgeblasen, als "der größte Geist Englands seiner Zeit" auf. Warum die unbeholfene Genetivdopplung statt "der größte englische Geist seiner Zeit", wenn es für "his day" schon keine Entsprechung gibt, in der die leise Beschwörung der Vergänglichkeit mitschwänge, die man aus der geläufigen Wendung heraushören darf, wenn Berlin von Bowra spricht, der seine Lebenszeit von Tag zu Tag verschleuderte, an Gremiensitzungen, Tischgespräche und Scherze. Denn er machte sein Lebtag lang Witze wie kein anderer Engländer. Vielleicht hätte Schmitz es für eine Vergröberung gehalten, den Kenner feinster Unterschiede den größten Witzbold zu nennen, doch die Vergeistigung von Bowras Existenz führt in ein Ungefähres, das dem Philologen ein Greuel gewesen wäre. Den "wit" mag es im Deutschen nicht geben, aber im Wortfeld des Witzes klingt noch genug von der romantischen Universalpoesie nach, von der Bowra träumte. Wozu übersetzen, wenn für solche Probleme keine Lösung gesucht wird?

Man darf so fragen, weil Berlins kristallklare, aber niemals blendende oder funkelnde Prosa durch Übertragung unweigerlich verdunkelt wird. Es muß sich nur ein Schatten der Ungenauigkeit über diesen unerhört einfachen Stil legen, und er verliert seinen Reiz. Ist an Leser gar nicht gedacht, ist der deutsche Berlin nur ein Monument des Dankes für einen Autor, der für die englischsprachige Welt die dunkelsten Denker deutscher Zunge wie Herder und Hamann illuminiert hat? Für diese Übersetzung wird nur Verwendung haben, wer einerseits die Lektüre des Originals scheut und andererseits keine einführenden Informationen zu den porträtierten Personen verlangt.

Nun handelt es sich bei diesen ohne Ausnahme um berühmte Männer (und zwei berühmte Frauen, Anna Achmatowa und Virginia Woolf). Aber es ist zumeist eine lokale, in der Regel englische, sehr häufig Oxforder Berühmtheit, und eines der wiederkehrenden Themen ist die Bedingtheit großer Gedanken durch kleine Verhältnisse. Im Witz, der an örtlichen Besonderheiten Anstoß nimmt, rumort tatsächlich der Geist, der ein Wühler ist und an die freie Luft strebt, aber das ortsübliche Kostüm am Ende nie abwirft. Die Mehrzahl der kurzen Biographien sind formgerechte Nekrologe; sie richteten sich an ein Publikum, das den Verstorbenen kannte. Die Gedenkworte für Bowra sprach Berlin in der Oxforder Universitätskirche. Mit dem Namen hebt die Ansprache an, dann wird der Tote, noch bevor sein Witz gerühmt wird, in denkbar allgemeinen Begriffen, wie sie der Natur des Geistes angemessen sind, "scholar, critic and administrator" genannt. Der deutsche Leser wird auf falsche Gedanken kommen, wenn Schmitz "Wissenschaftler, Kritiker und Verwaltungsbeamter" übersetzt. Bowra war kein moderner Wissenschaftler, sondern ein Gelehrter alter Schule und fand Erfüllung nicht im Staatsdienst, sondern in der Universitätsverwaltung, was bei einem Ästheten überraschen mag.

Welcher Witz Bowra, dem Liebhaber deutscher Dichtung, auch immer zu Schmitz' Verballhornungen eingefallen wäre, Berlin hätte ihn gewiß nicht aufgezeichnet. Überhaupt fehlt das Anekdotische in diesen Erinnerungen. Die Methode des Buches, das "Persönliche Eindrücke" dokumentiert, ist alles andere als impressionistisch. Nicht Momentaufnahmen werden geboten, sondern Bilder, die vom Zufälligen gereinigt sind. Den Funken, den ein Mensch aus einer Situation schlägt, kann man nicht konservieren wie das olympische Feuer. Über die Energie der Erleuchtung läßt sich nur abstrakt reden, und daher spricht Berlin über die Menschen, die ihm wichtig sind, in Gemeinplätzen. Stärke und Tiefe des subjektiven Eindrucks werden verbürgt durch Präzision und Universalität des objektiven Ausdrucks. Staatsmännern und Gelehrten schreibt Berlin Qualitäten wie intellektuelle Kraft und moralischen Charme zu, unter denen man sich nichts vorstellen, bestenfalls etwas denken kann.

All jene Kontexte und Relationen, aus denen nach der von Berlin englisch-vernünftig erklärten deutsch-romantischen Anthropologie Individualität erst entsteht, fallen scheinbar gar nicht ins Gewicht. In Wahrheit geht Berlin von der Allmacht eines alltäglichen Historismus aus, dem alles Funktion oder, wie die heutigen kulturwissenschaftlichen Modevokabeln lauten, Konstruktion und Erfindung ist. Gegen dieses soziologische Vorurteil setzen seine exemplarischen Lebensläufe die metaphysische Behauptung, daß es unableitbare Wirklichkeiten gibt, zu denen die Tugenden gehören und, man staune, man lerne wieder zu staunen, wie es Burckhardt forderte, der große Mann. "De viris illustribus" könnte das Buch heißen, das von Männern erzählt, die über die Umstände hinausgewachsen sind, die sie hervorgebracht haben. "Chaim Weizmann war der erste vollkommen freie Jude der modernen Welt, und der Staat Israel wurde nach seinem Ebenbild geformt."

In einer Kultur, die vom Biographen nur den pathologischen Blick erwartet, wirkt die Eloge grotesk. Berlin sieht, daß die Stilmittel des grotesken Realismus obsolet geworden sind, die den Helden vermenschlichen sollten. Bowra war ein englischer Jünger Stefan Georges. War er also nicht ein Oxymoron auf zwei Beinen, ein wandelnder Witz? Berlin hebt heraus, daß Bowra die Komik seines Lebens lebhaft bewußt war. Deshalb kommt seine eigene Schilderung dieses Lebens ohne Komik aus.

Aber auch Brendels Abhandlung über das Komische in der Musik ist selbst natürlich nicht komisch. Die Durchbrechung der Ordnung setze die Ordnung voraus, legt Brendel dar. Die Klassik Haydns und Beethovens könne durch komische Effekte verblüffen, weil sie das Vertrauen der Aufklärung in die Rationalität der Welt und in die Selbstgenügsamkeit der Formen spiegele. Wenn Brendel freilich ausführt, die Romantik, die die Ordnung aus sich selbst habe schaffen wollen, sei zur Komik unfähig gewesen, so hätte Berlin wohl erwidert, daß Haydn und Beethoven, die sich der Ordnung unterwarfen, um sie zu sprengen, die wahren Romantiker gewesen seien. Denn auf diese Pointe laufen die Lebensgeschichten seiner Helden hinaus. Lewis Bernstein Namier, der polnische Jude, der zum Historiker des aristokratischen England wurde, verachtete die liberale Ideengeschichte, die die englischen Aristokraten selber geschrieben hatten. Dabei wurde er selbst von mächtigen Ideen beherrscht: der Idee des englischen und des jüdischen Nationalismus, der Idee der Tradition, der Idee des Landes und des Landbesitzes. Hinter Namiers schonungslosem Rationalismus der Motivforschung stand ein Wille zur Selbsterkenntnis, auf dessen Grund Berlin denselben "puren Stolz" entdeckt, auf den er auch Namiers Zionismus zurückführt. "Obwohl er ständig vom Realismus sprach, hatte er das Temperament eines politischen Romantikers" - nicht aber eines "politischen Schwärmers", wie Schmitz schreibt.

Fände Henry Hardy unter Berlins Papieren einen Essay über Alfred Brendel, hätte man Überraschungen wohl nicht zu erwarten: Brendels analytischen Stil der permanenten Befragung des Materials würde Berlin als Ausfluß eines ursprünglichen romantischen Elans deuten. Nur ein Leben hätte er nicht in diese Form bringen können. Isaiah Berlin allein unter seinen Freunden war vielleicht Klassiker bis ins Herz.

Isaiah Berlin: "Persönliche Eindrücke". Herausgegeben von Henry Hardy. Einführung von Noel Annan. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Berlin Verlag, Berlin 2001. 391 S., Abb., geb., 39,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Besonders viel hat der Rezensent ja nicht zu erzählen. Patrick Bahners beschränkt sich in seiner Besprechung des immerhin knapp 400 Seiten schweren Bandes auf zwei Momente: Die Methode des Buches und die deutsche Übersetzung. Von beidem ist er durchaus nicht begeistert. Wenn er die hier versammelten kurzen Biografien als "formgerechte Nekrologe" bezeichnet, so scheint das ein griffiges Wort für ihren Mangel an Impressionismus, den Bahners sichtlich enttäuscht konstatiert. Diesen Erinnerungen, erklärt er, fehlt das Anekdotische, das Zufällige. Ebendieses, das Zufällige, ist es andererseits, was dem Rezensenten die Übersetzung von Werner Schmitz gründlich verleidet hat. Wozu übersetzen, fragt er sich zu Recht, wenn für wirklich problematische Begriffe keine treffende Entsprechung gefunden wird. Durch Ungenauigkeit dieser Art, meint Bahners, verliert der einfache Stil Berlins allen Reiz.

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