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Sachgebiete/Subjects: Germanistik

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Sachgebiete/Subjects: Germanistik
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.09.2000

Die Unfähigkeit zu trauern
Birgit Pape korrigiert den Stand der Regionalforschung

Lokalgeschichte ist ein unentbehrlicher Zweig der Geschichtswissenschaft. Zwar bietet sie nicht "Geschichte von unten", weil Dörfer und Städte in der Regel politisch ebenso geordnet sind wie der Staat, aber sie ist doch Einzelheit im Verhältnis zum Allgemeinen, Praxis im Verhältnis zum theoretischen Konzept und deshalb eine Kontrolle großer historischer Bilder. Außerdem erfreut - seltener: verärgert - Lokalgeschichte die Einwohner der kleinen Welt, die sie beschreibt.

Um letzteres vorwegzunehmen: Die tüchtige und sogar bebilderte Dissertation von Birgit Pape gehört in die Hand jedes Heidelbergers und Mannheimers, der seine Stadt liebt. Sie ist sorgfältig recherchiert, übersichtlich gegliedert und angenehm nüchtern geschrieben. Man erfährt zuverlässig, wie die Amerikaner den Wiederaufbau der deutschen Printmedien nach dem Kriege gefördert haben, wie die "Rhein-Neckar-Zeitung" und der "Mannheimer Morgen" entstanden sind, wie örtliche Verlage und Theater neu begonnen haben, welche kulturellen Institutionen und Berühmtheiten es gab und wieviel Anziehungskraft Heidelberg und wie wenig Mannheim besaß.

Der Unterschied wird die Mannheimer nicht kränken. Die Gründe sind zu offensichtlich. Dort die unversehrte romantische Stadt mit ihrer berühmten alten Universität, hier die völlig zerbombte Industriestadt, der die Nationalsozialisten schon vor dem Krieg wichtige kulturelle Stützen genommen hatten. Sie hatten die Wirtschaftshochschule in der Heidelberger Universität aufgehen lassen und das engagierte, wohlhabende Mannheimer Publikum, zu dem noch aus kurfürstlichen Zeiten besonders viele Juden gehörten, dezimiert.

Aber Birgit Pape geht es nicht um eine Würdigung der beiden Städte, sondern um eine exemplarische Kontrolle der allgemeinen Urteile über die Zeit unmittelbar nach dem Kriege, die sie in einem instruktiven Bericht über den Stand der Forschung zusammenstellt. Demnach seien die amerikanischen Umerziehungs-Bemühungen vergeblich oder eine Charakterwäsche gewesen oder hätten ganz anderen Zielen gedient, nämlich kapitalistischen; die Zeit sei zudem durch eine Restauration geprägt, die vor allem der Verdrängung des NS-Unrechtes gedient habe. Das sorgfältig aus den Ereignissen abgeleitete Ergebnis Papes fällt erfrischend eindeutig aus: Die Entwicklung der Medien in Heidelberg und Mannheim bestätigten jene Urteile nicht. Ohne die Amerikaner hätte das kulturelle Leben in beiden Städten später wieder begonnen, weil die deutschen Verwaltungen der Kultur nicht die erste Priorität eingeräumt hätten. Die Amerikaner hätten auch die richtigen Pflöcke an den richtigen Stellen eingeschlagen und bald auf jede direkte Beeinflussung verzichten können. In beiden Städten hätten die Kulturproduzenten Weimarer Gewohnheiten bewußt aufgegeben, sich entschieden vom NS-Regime distanziert, energisch freiheitliche und demokratische Positionen vertreten und leidenschaftlich über NS-Unrecht und Kollektivschuld diskutiert.

Birgit Papes Belege schließen jeden ernstlichen Widerspruch aus. Und auch ohne Belege wird man annehmen dürfen: In anderen Städten war es ähnlich. Nur, wenn die Heidelberger und Mannheimer politisch so korrekt waren, wie konnten dann ausgerechnet die beiden Heidelberger Alexander und Margarete Mitscherlich den Deutschen 1967 "Die Unfähigkeit zu trauern" bescheinigen, damit satte Auflagen erzielen und jahrelang die öffentliche Diskussion beeinflussen? Haben die beiden nicht gesehen und gehört, was Birgit Pape beschreibt? Oder haben sie tiefer gesehen, verhärtete Seelen hinter traurigen Gesichtern, kalte Rechthaberei hinter engagierten Bekenntnissen zu Freiheit und Demokratie? Oder geht es um Schichtprobleme? An einer Stelle scheint die Verfasserin das anzudeuten. "Die erste Ebene (der Kulturproduzenten) setzte sich überwiegend aus einer intellektuellen Elite zusammen, deren nazifeindliche, demokratieaufgeschlossene Haltung Voraussetzung für ihre Tätigkeit war und deren kulturelle Anstöße und Neuerungen nicht unbedingt immer Resonanz in der breiten Bevölkerung Heidelbergs und Mannheims fanden." Insofern ist die Arbeit eine prall mit Material gefüllte Anfrage an die Soziologie.

GERD ROELLECKE

Birgit Pape: "Kultureller Neubeginn in Heidelberg und Mannheim 1945-1949". Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg 2000. 397 S., 31 Abb., br., 98,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gerd Roellecke ist durch und durch begeistert von dieser Dissertation. Die Autorin habe gründlich recherchiert und ihre Erkenntnisse "übersichtlich gegliedert", lobt der Rezensent. Dabei sei das Buch in einem einnehmend "nüchternen" Ton geschrieben und warte mit "erfrischend eindeutigen" Ergebnissen auf. Der Rezensent legt das Buch nicht nur Heidelbergern und Mannheimern, die ihren Heimatstädten zugetan sind, ans Herz, sondern preist das Buch als exemplarische Studie über die kulturelle Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg, das sich auf dem neuesten Stand der Forschung befinde.

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