Produktdetails
  • Verlag: Eichborn Verlag
  • ISBN-13: 9783821861012
  • ISBN-10: 3821861010
  • Artikelnr.: 26226078
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.02.2010

Sind rote Rosen auch im Finstern rot?
Ein Kammerspiel des Plagiats, in dem der Autor einen Revolver in der Schublade hat: „Ludwig”, der neue Roman des serbischen Autors David Albahari
In einem Buch, in dem vom ersten bis zum letzten Satz ein Ich monologisiert, ist die Freiheit dieses Ich grenzenlos. Nichts von dem, was es erzählt, erfährt einen Widerspruch. Es kann sich nur selber dementieren, aber wenn es das tut, ist dem Dementi so wenig zu trauen wie dem Dementierten. Der 1948 in Serbien geborene Schriftsteller David Albahari, der seit 1994 in Kanada lebt, hat nach dem Roman „Die Ohrfeige”(2007) jetzt ein schmales, abgründiges Buch geschrieben, in dem ein solcher in sich kreisender Monolog von einer bohrenden, lauernden, nicht zu beschwichtigenden Obsession vorangetrieben wird: der Obsession, Opfer eines perfiden Plagiats geworden zu sein. Denn da ist Ludwig, der ehemalige Freund des Ich, der jüngere, aber erfolgreichere Kollege, der schon mehrere Bücher geschrieben hatte, als die beiden sich erstmals trafen und Freunde wurden.
So gute Freunde, dass der Monologisierer diesem Ludwig seinen Traum von einem Buch offenbarte, das die literarische Welt verändern würde, da es ihr etwas noch nie Dagewesenes hinzufügen würde: „Es sollte alles andere als ein gewöhnliches Buch sein, vielleicht ein Roman, sagte ich, der einem Roman überhaupt nicht ähnlich sei, oder ein Reisebericht, in dem keine Reise, sondern ein Ruhezustand beschrieben werde, ein Wörterbuch, das eigentlich ein getarntes Epos sei, eine Enzyklopädie, deren Stichwörter von nur einem Gegenstand handelten, oder, fügte ich hinzu, ein Buch, das all dies sei, obwohl es auf den ersten Blick nichts damit zu tun habe.”
So genau hat der Monologisierer seinem Freund dieses Buch beschrieben, bis in die Details der komplizierten Kapitelanordnung, des Satzbaus und der Typographie hinein, dass Ludwig dieses Buch abschreiben und in seinen Besitz bringen konnte, ehe es überhaupt geschrieben war. Und als es dann erschien, fiel der Monologisierer in Ohnmacht, der ehemals biedere Realist Ludwig war plötzlich ein internationaler Star, der die Prosa der balkanischen Provinz und ihrer Metropole Belgrad an die westeuropäische „Postmoderne” angeschlossen hatte – und die Freundschaft zerfiel. Der Monologisierer aber geriet mit seinem eigenen Buch – es trägt den nicht eben bescheidenen Titel „Der Nabel der Welt” – in Belgrad unter Plagiatsverdacht.
David Albahari hat Thomas Pynchon und Vladimir Nabokov ins Serbische übersetzt. Neben den labyrinthischen Büchern von Julio Cortazar, Witold Gombrowicz, Italo Calvino gehört Nabokovs „Fahles Feuer”, in dem der Erzähler als Kommentator eines ermordeten Autors auftritt, zu den Modellen des Buches, das Ludwig veröffentlicht hat. Er wird dadurch in der Belgrader Literaturszene zum Erben des großen serbischen Autors Danilo Kis, der im Oktober 1989 starb, ohne den Mauerfall und die Auflösung seiner Herkunfswelt Jugoslawien noch zu erleben, und nun als Opfer der realsozialistrischen Literaturbürokraten von einst durch David Albaharis Roman geistert.
Die Suada des Monologisierers und seine Empörung erhält dadurch einen politischen Akzent. Denn er wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass der konventionelle, psychologische Realismus, in dessen Grenzen Ludwig seine literarische Karriere begann, mit der Nomenklatura im Bunde war. Nach deren Sturz aber, so der Nachsatz der Empörung, hat der „postmoderne”, zum Star des Fernsehens und der Feuilletons aufgestiegene Ludwig das uneingelöste ästhetische Erbe der Opfer des Bündnisses von Macht und Realismus an den Opportunismus des Marktes und der Medien verraten. Damit aber nicht genug: in immer neuer Ausdeutung einer einzigen zweideutigen Situation erscheint der Plagiator Ludwig zudem als Verräter seines Freundes auch darin, dass er dessen Frau zu seiner Geliebten macht.
So weit, so rührend. Nichts hätte der Monologisierer in Albaharis Roman lieber, als dass ihn der Leser als das Opfer der Geschichte wahrnimmt, die er erzählt, als den bestohlenen Sachwalter der sich nie mit dem Erreichten zufrieden gebenden, stets bedrohten, gefährdeten, wahrhaft großen Literatur. Aber das Buch, in dem dieser Monologisierer das große Wort führt, gewinnt seinen literarischen Reiz daraus, dass es seinem Helden nicht über den Weg traut.
Darum gibt er ihm einen zweiten Ludwig neben dem Plagiator an die Seite: den Philosophen Ludwig Wittgenstein. Dessen Gedanken über das Verhältnis von Sprache und Welt spuken im Monolog des Helden in Gestalt einer Frage herum, die ihm nicht aus dem Kopf gehen will: Sind rote Rosen auch im Finstern rot? Der Leser des Romans sieht sich bald mit einer Variante dieser Frage konfrontiert: Ist der Held auch außerhalb seines Monologes das Opfer der erzählten Geschichte? Hat er sich den Revolver, der am Ende seine Schubalde verlässt, tatsächlich nur zum Selbstschutz zugelegt?
So unaufdringlich wie unübersehbar häuft Albahari Indizien, die auf eine andere als die im Vordergrund stehende Verratsgeschichte verweisen. In dieser verheimlichten Geschichte ist der Monologisiere der Geliebte Ludwigs und Verräter an der Liebe seiner Frau. Und zugleich Kronzeuge des Verdachtes, dass sich das Leben in der Literatur nicht ausspricht, sondern verbirgt. Indem er diesen Verdacht nährt, wird Albaharis schmaler Roman zu einer kurzweiligen Lektüre. LOTHAR MÜLLER
DAVID ALBAHARI: Ludwig. Roman. Aus dem Serbischen übersetzt von Mirjana und Klaus Wittmann. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009. 160 Seiten, 17,95 Euro.
„Mich beruhigt der Revolver, und ich habe ihn unzählige Male aus der Schublade genommen, ausgepackt und seinen kühlen Griff an meine Wange gehalten.” Foto: imago/Horst Rudel
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gisa Funck hat ihren Spaß an dieser Künstlerroman-Parodie von David Albahari. Es geht um eine Künstlerfreundschaft, die sich im Verlauf des Textes als Künstlerleidenschaft entpuppt, Eifersucht und Paranoia inklusive und ein Ende, an dem die Rezensentin so sicher nicht mehr ist, ob der auf 150 Seiten ausgebreitete Plagiatsvorwurf des Erzählers nicht doch ein Wahn ist, Ausgeburt einer libidinösen Obsession. Dahinter jedenfalls steckt für Funck zweifellos das bereits in seinen anderen Büchern bekundete Interesse des Autors am Phänomen täuschender Perspektiven und am Spiel mit Aporien. Die in diesem Buch mitschwingende Kritik am Belgrader Kulturbetrieb kann Funck trotz aller Verspieltheit des Romans (oder gerade drum) deutlich vernehmen.

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