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"Die Berge", dozierte ich, "sind die Fortsetzung der Geschlossenen mit geologischen Mitteln."
Die Rückkehr von Deutschlands sprachwitzigstem Erzähler. Ein zartbitterer Ritt durch das Niemandsland zwischen Normalität und Vollmeise - und von erhabener Bösartigkeit.
Sechs Erwachsene fahren auf eine Skihütte, nur fünf kommen wieder zurück. Denn während ihres kurzen Aufenthaltes spielt sich in der weißen, ruhigen Landschaft ein Galopp durch die pralle Psyche des neurotischen Erzählers ab, der weder sich noch seine Mitreisenden schont. Sie bekommen von ihm die ganze Klinikpackung verpasst:…mehr

Produktbeschreibung
"Die Berge", dozierte ich, "sind die Fortsetzung der Geschlossenen mit geologischen Mitteln."

Die Rückkehr von Deutschlands sprachwitzigstem Erzähler. Ein zartbitterer Ritt durch das Niemandsland zwischen Normalität und Vollmeise - und von erhabener Bösartigkeit.

Sechs Erwachsene fahren auf eine Skihütte, nur fünf kommen wieder zurück. Denn während ihres kurzen Aufenthaltes spielt sich in der weißen, ruhigen Landschaft ein Galopp durch die pralle Psyche des neurotischen Erzählers ab, der weder sich noch seine Mitreisenden schont. Sie bekommen von ihm die ganze Klinikpackung verpasst: Erinnerung, Kränkung, Zynismus, Freundschaft, Liebe, Lüge. Und bei solch einem vom Mut der Verzweiflung befeuerten Ego-Trip durch die Innen- und Außenwelt muss ja zwangsläufig jemand auf der Strecke bleiben...
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Edo Reents sorgt sich ein wenig um Simon Borowiak, der so kenntnisreich und überzeugend über Depression, Alkoholismus und lauernden Wahnsinn schreibt. Trotzdem ist der Rezensent froh, dass Borowiak es unternommen hat, die in den frühen Achtzigern angesiedelte Geschichte über den tragisch verlaufenden Aufenthalt von ein paar Stadtmenschen auf einer Berghütte zu erzählen. Und zwar aus der Sicht eines ehemaligen Insassen einer geschlossenen Psychiatrie, der mit von der Partie ist. Das Ergebnis von Borowiaks Bemühungen gehört für den Rezensenten zum "Bösesten, Gemeinsten, Wissendsten und, in all diesem, Menschlichsten", was es derzeit so auf dem deutschen zeitgenössischen Literaturmarkt gibt. Viel Lob also für diese "Versuchsanordnung", die zudem behutsam und respektvoll eine Männerfreundschaft auslotet.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2007

Psychose, die Leiche und ich
Die bleierne Zeit: Simon Borowiaks erstaunlicher Roman / Von Edo Reents

Die Konstellation ist nicht eben neu: Junge Leute fahren im Winter auf eine Berghütte, einige wollen Ski fahren, andere lieber ihre Ruhe, die sich aber nicht einstellt, weil noch jemand unangemeldet auftaucht, von dem nicht ganz klar ist, in welchem Verhältnis er zu den bereits Anwesenden steht; es gibt "Beziehungsstress", Seelen werden freigelegt, Einblicke in Abgründe gewährt; dies alles durchaus nicht nur in freundschaftlicher, eher in therapeutisch-unbeteiligter, latent sadistischer Absicht. Man kennt das, nicht aus einem Buch, sondern aus dem schönen Film "Sie haben Knut" (2003) von Stefan Krohmer.

Man kennt auch die erzähltechnische Konstellation: Ein Mann schreibt im Hochsommer an einer Geschichte, die im Winter spielt. Walter Kempowski spielte das in seinem Roman "Hundstage" (1988) durch, wobei er es noch komplizierter machte: Der Held schreibt im Sommer an einem Roman über einen Schriftsteller, der seinerseits im Winter an einem Roman arbeitet, der im Sommer spielt und von einer Frau handelt, die ein Gedicht mit dem Titel "Frost" schreibt.

Dieser beiden Muster hat Simon Borowiak sich vermutlich gar nicht mal bewusst bedient. Und doch ist seine "Sommerbeichte", so der Untertitel, danach gestrickt: nach der lächerlich genauen, aber in ihrer Genauigkeit schon nicht mehr liebevollen Milieustudie aus den frühen achtziger Jahren, als politische Ansprüche und windelweiches Getue noch unter einen Schlapphut gingen; und dem Kempowski-Roman, der es versteht, das Eingeständnis schwieriger, gemeinhin für wenig wünschenswert gehaltener Charaktereigenschaften eines verkannten Intellektuellen als Dokument echter Humanität dastehen zu lassen. Und Borowiak?

Sein Buch mit dem etwas ungereimten Titel "Wer Wem Wen" gehört wohl zum Bösesten, Gemeinsten, Wissendsten und, in all diesem, Menschlichsten, das es in der deutschen Gegenwartsliteratur zurzeit gibt, eine sprachlich gedrängte, auch das seelisch Ungeheuerliche souverän gar nicht weiter erörternde Versuchsanordnung, von der man schlecht träumen könnte, wenn man von vergleichbarer Labilität ist wie der Ich-Erzähler, der Folgendes berichtet: Der ehemalige Insasse einer geschlossenen Abteilung (vermutlich Alkohol in Verbindung mit einer schweren Psychose - mindestens!) wird von seinem besten Freund Cromwell und dessen unbedarfter Freundin Alexandra auf die erwähnte Berghütte mehr mitgeschleppt als -genommen; dazu kommen Susi und ihr Mann Wido, ein mit Blindheit geschlagener Paartherapeut. So weit, so gut im Sinne von "Sie haben Knut".

Das Verhängnis nimmt, schneller, als das größte Ski-As zu Tal sausen kann, seinen Lauf, als Heike die Szene betritt: eine zunächst gewöhnlich scheinende, dann aber sich als selbstsicher und schlagfertig erweisende, aus schlechten Erfahrungen klug gewordene und vom Erzähler wie von Cromwell deswegen ins Herz geschlossene Person, die vor allem Alexandra kräftig einschenkt. Die verkraftet das irgendwie nicht, und nach ein, zwei Discoabenden inklusive Partnertausch, den sie aber vermutlich nur unterstellt, ist es dann so weit: eine Leiche im Schnee. Es könnte ein Unfall gewesen sein; es könnte aber auch Mord gewesen sein, denn der Erzähler steht anschließend ziemlich gedankenverloren mit einer Schrotflinte da.

Aber vielleicht ist das alles auch gar nicht passiert, vielleicht hat sich der Erzähler das auf der Geschlossenen nur ausgedacht, oder er hat es sich nicht ausgedacht, sondern ist erst wegen dieser Sache, als Mörder also, auf die Geschlossene gekommen wie einst der böse Junge aus "Halloween" und erzählt uns oder sich (zur Erleichterung) das nun als Binnenhandlung? Es spielt keine große Rolle. Am Ende ist das Gedicht, an dem der Erzähler gearbeitet hat, jedenfalls fertig; es fängt so an: "Am Morgen wünsch ich mir den Tod / So geht das bis zum Abendrot." Man denkt an Jack Nicholson in "Shining", wie er nur den einen Satz in seine Schreibmaschine hämmert: "Was du heute kannst besorgen ..." Aber verrückt ist Borowiaks Held gar nicht, er ist einfach nur sehr krank, und höchstens Cromwell kann ihn da herausholen, indem er sein Gesicht an das des Freundes drückt und flüstert: "Frieden, Bruder, Frieden."

Denn dies ist auch ein anrührend zärtlicher Roman über eine Männerfreundschaft, zu der allenfalls eine schlaue und toughe Frau wie Heike Zugang hat. Man liest dann den Buchklappenkommentar, den Frank Schulz geschrieben hat, und erkennt sofort die Gemeinsamkeit der beiden Freunde: die Sympathie für Frauen, die es mit Männern in jeder Hinsicht aufnehmen können; Schulz hat einer davon mit seinem "Ouzo-Orakel" ein Denkmal gesetzt (F.A.Z. vom 17. Juni 2006).

Man braucht im Einzelnen nicht zu wissen, was Simon Borowiak, der unter seinem Mädchennamen Simone den Bestseller "Frau Rettich, die Czerni und ich" gelandet und vergangenes Jahr ein mit allen Wassern gewaschenes Alkoholikerbuch vorgelegt hat, alles durchmachen musste, bevor er dieses Buch schreiben konnte. Es finden sich darin Sätze von solcher Traurigkeit und Verzweiflung, dass einem zuweilen tatsächlich der Atem stockt. Das abgrundtief Schwarze ist eine fröhliche Farbe im Vergleich zu dem bleiernen Grau der Depression, das Borowiak hier mit beängstigend sicherem Pinselstrich ausmalt.

Simon Borowiak: "Wer Wem Wen". Eine Sommerbeichte. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007. 184 S., geb., 14,95 [Euro].

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