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Dem einen sein Tod ist dem andern sein Brot »Annegret Held schreibt wunderbare Geschichten über Verlierer, die in Wahrheit Gewinner sind. Ich bin ihr größter Fan ...« Doris Dörrie
Annette ist eine Frau in den Vierzigern, die ihr Geld auf ungewöhnliche Weise verdient. Sie arbeitet im Sicherheitsbereich eines großen Flughafens. Wechselnde Arbeitszeiten mit langen Nachtschichten dominieren ein Leben, das sich an der Nähe zu den Passagieren schadlos hält - Annette und ihre Kollegen erfahren die Welt durch das Abtasten von Körpern, den Blick in Koffer und die Augen der Reisenden. Und immer…mehr

Produktbeschreibung
Dem einen sein Tod ist dem andern sein Brot »Annegret Held schreibt wunderbare Geschichten über Verlierer, die in Wahrheit Gewinner sind. Ich bin ihr größter Fan ...« Doris Dörrie

Annette ist eine Frau in den Vierzigern, die ihr Geld auf ungewöhnliche Weise verdient. Sie arbeitet im Sicherheitsbereich eines großen Flughafens. Wechselnde Arbeitszeiten mit langen Nachtschichten dominieren ein Leben, das sich an der Nähe zu den Passagieren schadlos hält - Annette und ihre Kollegen erfahren die Welt durch das Abtasten von Körpern, den Blick in Koffer und die Augen der Reisenden. Und immer wieder weicht die spontane Vertrautheit mit den Passagieren einer Paranoia, die sich aus der Angst vor dem Terror und dem einen Koffer speist, den es zu finden gilt - Tag für Tag, Nacht für Nacht. In einer dieser Nächte begegnet Annette zu ihrem Schrecken auch Simon, ihrer ehemals großen Liebe, der jetzt in hoher Position bei der Bundespolizei ist und damit einer ihrer Vorgesetzten. Sie findet ihnmerkwürdig verändert, kalt, fast unnahbar und gleichzeitig zutiefst bedürftig und verloren ... Der »liebevolle Realismus«, den Robert Gernhardt an ihr lobte, zeichnet auch diesen Roman aus. Spannend, kraftvoll und anrührend schildert Annegret Held die Begegnung derer, die reisen, mit denen, die zurückbleiben.
Autorenporträt
Annegret Held, geb. 1962 in Pottum im Westerwald, besuchte die Polizeischule in Wiesbaden. Darauf folgten drei Jahre Streifendienst in Darmstadt. Sie studierte Ethnologie und Kunstgeschichte in Heidelberg. Heute lebt sie als freie Schriftstellerin mit ihrer Tochter in Frankfurt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.07.2009

Keine Flüssigkeiten, bitte

Das Selbstmitleid passt ins Handgepäck: Annegret Held erzählt von der Liebe einer Sicherheitskontrolleurin am Flughafen und durchleuchtet ein Durchschnittsleben.

Annette Heinz hatte sich ihr Leben immer anders vorgestellt, jedenfalls nicht so: fünfundvierzig, ohne Beziehung, ohne Familie, mit einem anstrengenden und schlecht bezahlten Job am Flughafen, wo jeder arbeitet, der irgendwie überleben will, mit Betonung auf "irgendwie". Sie hat einen dieser Arbeitsplätze, die von Politikern gern als wirtschaftlicher Erfolg gewertet werden, bei einem Arbeitgeber, der gern als Jobmotor bezeichnet wird, aber was sie da eigentlich tut, ist schwer zu vermitteln und schwer durchzustehen.

"Ich führe täglich einen vielarmigen Tanz auf", so umschreibt es die Protagonistin, "in mehreren Schrittfolgen, zahlreichen Beugungen und wackligen Grätschen, ich tanze im Takt der polternden grauen Wannen in der blechernen Schiene der Gepäckprüfanlage. Ich lasse mir Koffer unterschieben, Koffer um Koffer kommen mir entgegen, ich reiße sie rhythmisch auf und lasse sie maulsperrig liegen."

Die Autorin Annegret Held ist eine Spezialistin für Arbeitswelten aller Art, die sie mit genauem Blick seziert und in präziser Sprache wiedergibt. In "Fliegende Koffer" hat sie sich der Sicherheitskontrolleure am Flughafen angenommen: Arbeiter an der Front der Terrorhysterie, die täglich über Risiken entscheiden müssen und dafür nicht selten den Zorn der Reisenden auf sich ziehen, die abwägen müssen zwischen sinnvoller Verordnung und Zumutung und die jedes Zugeständnis und jede Fehleinschätzung den Job kosten kann.

Die immergleichen Abfolgen, die nachlassende Konzentration, die über allem schwebende abstrakte Gefahr eines Anschlags, die Fluchten in den Pausen gemeinsam mit den Kollegen, die wie Annette hier gestrandet sind, bilden den Grundton des Romans. Es ist die große Kunst der Autorin, dass die Erzählung trotz der Monotonie des Geschilderten selbst nie monoton gerät. Immer weiß sie der Tätigkeit neue Aspekte abzugewinnen und eine weitere Dimension hinzuzufügen; in ihrem eigenwilligen, leicht schnoddrigen Ton beobachtet und kommentiert sie den nie abreißenden Strom der Fluggäste.

Annettes Leben, durchstrukturiert zwischen Abflug und Ankunft, kommt schließlich völlig aus dem Tritt, als sie Simon wiederbegegnet, ihrer einstmals großen Liebe. Simon ist Bundespolizist und damit Annettes Vorgesetzter, privat ist er jedoch gescheitert. Seine Familie ist aus dem gemeinsamen, noch unfertigen Haus ausgezogen, er ist geschieden, einsam und voller Selbstmitleid. Nun sucht er Anschluss und will Annette nicht mehr loslassen. Auch sie glaubt zunächst an eine Fügung des Schicksals: Simon ist eine Gestalt aus einer besseren Vergangenheit, aus einem Leben, als Annette sich noch nicht ihr berufliches Scheitern eingestehen musste.

Es ist geradezu zwingend, dass Annette und Simon da weitermachen, wo sie vor zehn Jahren aufgehört haben. Voller Hoffnung stürzen sich beide in diese Beziehung, und obwohl es nicht so glatt geht wie erhofft, geben sie um der alten Zeiten willen nicht auf. "Das muss erst wieder aufsteigen, sich erheben wie niedergetrampeltes Gras, es wird schon kommen, aber natürlich", denkt Annette, aber was, wenn "es" nicht kommt? Wenn das Gepäck, das beide mit sich herumschleppen, zu schwer geworden ist?

Bepackt sind die Figuren, zu tragen haben sie alle an etwas. Die provisorischen Lebensentwürfe auf halbem Weg in eine bessere Existenz, das Scheitern, die Ablenkungen, das Leben von Tag zu Tag und die Geldknappheit am Monatsende, all das kommt zur Sprache. Und was für eine Sprache: Genau und rhythmisiert wie die Gepäckprüfanlage durchleuchtet sie die Dinge, wie sie sich darstellen hinter den Kulissen des Flughafens, der sich selbst gern als mobility hub für die kreative Klasse bezeichnet, dessen Alltag hinter den Hochglanzvokabeln sich jedoch als schiere Zumutung erweist. Ein Alltag, den einige aushalten und andere nicht. Und darum geht es in diesem Buch: was das bedeutet, das Aushaltenmüssen und das Nichtaushaltenkönnen.

ANDREA DIENER

Annegret Held: "Fliegende Koffer". Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009. 296 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.01.2010

Auf der anderen Seite des Scanners
Annegret Held erzählt aus der Welt der Sicherheitsdienste
Den Mantel ausziehen, die Taschen leeren, den Gürtel aus den Schlaufen reißen, die Klarsichthülle mit den Flüssigkeiten neben das Handgepäck legen, den Laptop dazu, auf Anweisung durchs Tor gehen, sich abtasten und mit einer Sonde abfahren lassen, erst den einen Fuß auf einen Schemel stellen, dann den anderen, zügig seine Sachen an sich nehmen und verschwinden: Vielflieger merken kaum noch, was für einen seltsamen Tanz sie da aufführen, den anderen treibt es den Puls in die Höhe. Jetzt nur keinen Fehler machen, denken sie und werden prompt rausgefischt: das Marmeladenglas für den Enkel, das Taschenmesser für alle Eventualitäten, die Mineralwasserflasche, falls es nicht gleich was zu trinken gibt – mit allem kann man sich verdächtig machen.
„Fliegende Koffer”, der neue Roman von Annegret Held, ist ein manchmal bis zur Absurdität komisches, oft trauriges, am Ende sogar tragisches und nicht erst seit der jüngsten Debatte um Körperscanner sehr aktuelles Buch. Die 1962 im Westerwald geborene Autorin erzählt von der anderen Seite der Sicherheitsschleuse, wo es nicht in den Urlaub oder zu einem Geschäftstermin geht, sondern zur letzten Abzweigung vor Hartz IV. Als Reisender macht man sich kaum Gedanken über das Leben derjenigen, die in billigen Uniformen tausend Mal am Tag in die Knie gehen, die ständig das Gleiche sagen müssen und froh sind, wenn sie ein bisschen sitzen dürfen, und sei es vor einem Monitor, der nichts anderes zeigt als die stupide Gleichförmigkeit von Reisegepäck.
Mit gestutzten Flügeln
Wer dort arbeitet, im Schichtdienst und zu niedrigstem Lohn, dem hat das Leben längst die Flügel gestutzt. Er ist für die Sicherheit zuständig und lebt doch selbst in ständiger Angst: nicht nur vor der Bombe, die hochgehen könnte, sondern auch vor der Kontrolle, die seiner eigenen Zuverlässigkeit gilt. Jederzeit kann er bei einem „Realtest” in die Falle gehen. So geschieht es Annette Heinz, der 45jährigen Heldin des Romans, die unter der Achsel einer hochschwangeren Frau einen Wurfstern übersieht. Für Wochen ist sie ihren Job los, bis sie nach einer Prüfung von vorne beginnen kann.
Die Schwangere war auf sie angesetzt, ausgerechnet von Simon, der neuerdings als Bundespolizist auf dem Frankfurter Flughafen arbeitet und einstmals ihr Geliebter war. Vor zehn Jahren hat er sich von ihr getrennt, als seine Frau mit dem zweiten Kind schwanger wurde. Mittlerweile hat ihn seine Familie verlassen, er lebt allein in einer noch nicht fertig gestellten Doppelhaushälfte, wo ihn jede Nacht die Dämonen heimsuchen, die er mit Alkohol zu vertreiben versucht. Annette hat ein weiches Herz. Sie nimmt sich des Verlassenen an. Am Anfang ist sie voller Hoffnung, die Liebe möge neu erblühen und ihre müden Existenzen beflügeln.
Mit der Zeit aber ahnt sie, dass da nichts mehr zu machen ist. Trotzdem geht sie schlaftrunken ans Telefon, wenn er nachts um Hilfe fleht, lässt ihn zu sich kommen, hört sich seine Klagen an, erträgt die Wutanfälle und Gewaltausbrüche des früher fürsorglichen Mannes. Und morgens sieht sie zu, wie aus dem Häufchen Elend, kaum legt es seine Uniform an, wieder eine Respektsperson wird, die zur Arbeit geht. Die Szenen, in denen Annegret Held beschreibt, wie ihre bis auf die Knochen müde Heldin versucht, zwei matten Körpern Sex abzuringen, lassen bei aller Komik das Gewicht dieser Existenz erahnen: „Simon und ich praktizieren die wiedergefundene Liebe wie zwei Mehlsäcke, die man im Dunkeln aufeinanderwirft.”
„Fliegende Koffer” ist weit mehr als eine Milieustudie, die zeigt, wie aus Fritz, dem Augenoptiker, aus Max, dem Theologen, aus Kathrina, der Stabsoffizierin, und Frida, der Entwicklungshelferin, Niedriglohnempfänger werden, die sich gegenseitig über die Runden helfen, mal mit ein wenig Geld, mal mit einem Stuhl, den man der Kollegin unter den Hintern schiebt, bevor sie aus den Latschen kippt, mal mit einem Schlafplatz oder auch nur mit einem Bonbon, das die Laune hebt. Der Roman lebt von der Wahrnehmungsfähigkeit seiner Heldin, ihrer Freundlichkeit und Sensibilität. Sie weiß, dass das Abtasten fremder Menschen ein Übergriff ist. Und also macht sie es so sorgsam und vorsichtig wie möglich. Da arbeitet sie sich mit leichten Händen durch die Kleiderschichten von Jordanierinnen vor und gibt ihnen in Gedanken gute Wünsche mit auf die Reise, da bricht sie das „Sonden” bei einem engelsgleichen Mädchen ab, als sie merkt, dass es ein künstliches Bein hat und sich vor Peinlichkeit windet.
Annegret Helds Literatursprache ist nah am Mündlichen. Das war schon in ihrem von Andreas Dresen unter dem Titel „Die Polizistin” verfilmten Debüt „Meine Nachtgestalten” so und ist bis heute so geblieben. Dass die Autorin die Arbeitswelt nicht lediglich aus Recherchen kennt, merkt man ihren Büchern an. Sie hat als Polizistin gearbeitet, als Sekretärin, Zimmermädchen und Altenpflegerin gejobbt. Als die Tantiemen ihres letzten Romans aufgebraucht waren, arbeitete sie ein Jahr lang im Sicherheitsbereich des Frankfurter Flughafens. Der Geist ihres Schreibens ist nicht investigativ wie bei Günter Wallraff, sondern beinahe kindlich in seiner Anteilnahme: immer nah bei den Gegenständen, nah bei den Menschen, in enger Tuchfühlung mit der Wirklichkeit. Das ist selten in der deutschen Literatur und schon deshalb beachtenswert.MEIKE FESSMANN
ANNEGRET HELD: Fliegende Koffer. Roman. Verlag Eichborn Berlin, Berlin 2009. 296 Seiten, 19,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Andrea Diener preist Annegret Held als Expertin für die Schilderung verschiedenster Arbeitswelten. In ihrem jüngsten Roman wirft die Autorin einen Blick hinter die glänzende Kulisse des Flughafens und schildert den zermürbenden Alltag der allein stehenden Sicherheitskontrolleurin Annette, die mit ihrer frisch geschiedenen Jugendliebe einen neuerlichen Beziehungsversuch unternimmt, lässt uns die Rezensentin wissen. Sie findet es besonders beeindruckend, dass sich der Roman bei aller Gleichförmigkeit, die den Arbeitsalltag Annettes und ihr kompliziertes Privatleben prägen, durchweg fesselnd liest und Held der grauen Arbeitswelt immer neue Seiten abzugewinnen vermag. In äußerst präziser und lebendiger Sprache vermittle die Autorin nicht zuletzt einen Eindruck vom "Aushaltenmüssen" und "Nichtaushaltenkönnen" so einer Existenz, lobt Diener.

© Perlentaucher Medien GmbH