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Wie, wann und warum nur der Mensch zur Sprache kam Der Mensch wird erst durch Sprache zum Menschen. Aber wann war das? Und vor allem: wie und warum passierte das? War es eine Zufallsmutation, wie viele Forscher glauben, die erst vor wenigen Jahrzehntausenden beim modernen Menschen geschah? Oder fanden die Anfänge der Sprachentwicklung nicht schon viel früher statt, nämlich bereits vor rund 2 Millionen Jahren, als aus aufrecht gehenden Menschenaffen die allerersten frühen Urmenschen entstanden? Deren Babys konnten sich wegen der zurückgehenden Körperbehaarung nicht mehr an den Müttern…mehr

Produktbeschreibung
Wie, wann und warum nur der Mensch zur Sprache kam
Der Mensch wird erst durch Sprache zum Menschen. Aber wann war das? Und vor allem: wie und warum passierte das? War es eine Zufallsmutation, wie viele Forscher glauben, die erst vor wenigen Jahrzehntausenden beim modernen Menschen geschah? Oder fanden die Anfänge der Sprachentwicklung nicht schon viel früher statt, nämlich bereits vor rund 2 Millionen Jahren, als aus aufrecht gehenden Menschenaffen die allerersten frühen Urmenschen entstanden? Deren Babys konnten sich wegen der zurückgehenden Körperbehaarung nicht mehr an den Müttern festhalten. Fingen die Mütter damals an, mit ihren Babys über Laute zu kommunizieren, wenn sie sie aus dem Arm legen mussten-

Zum ersten Mal hat die Sprachwissenschaftlerin Ruth Berger populärwissenschaftlich die neuesten Erkenntnisse der Sprachwissenschaft, Paläoanthropologie, Biologie, Archäologie und Neurologie vereint, um die Frage nach dem Ursprung der menschlichen Sprache beantworten zu können. Sie zeigt: Sprache steht nicht am Ende der menschlichen Evolution, sondern hat die Entwicklung des menschlichen Gehirns und Verhaltens entscheidend geprägt.
Autorenporträt
Ruth Berger wurde 1967 in Kassel geboren und lebt heute als freie Autorin und Wissenschaftlerin in Frankfurt am Main.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.06.2008

Der tiefe Bass der Neandertaler

Verdankt sich unsere Sprachfähigkeit einer zufälligen Mutation, oder ist sie eine kulturelle Erfindung? Ruth Berger begibt sich in ihrer materialreichen Naturgeschichte der Sprache auf die Suche.

Ob der Mensch nun einen Sprachinstinkt besitzt oder die Sprache eine kulturelle Erfindung ist, über diesen Dauerstreit sind ganze Regalmeter geschrieben worden. Der neue Band von Ruth Berger lohnt sich trotzdem, denn er zeigt eindrücklich, wie unsinnig eine solche Polarisierung ist. Es gibt einen Sprachinstinkt, aber der serviert den Menschen keine fertige Grammatik, wie es Linguisten in der Tradition Chomskys glaubten. Und das Gehirn hat die Sprache ebenso geprägt wie die Sprache das Gehirn. Die Autorin stellt die verschiedenen Positionen einander gegenüber und präsentiert dem Leser statt knalliger Thesen eine ausgesprochen informative und angenehm zu lesende Darstellung der aktuellen Evidenzen in Sachen Sprachentstehung.

Kinder scheinen ihre Muttersprache enorm schnell und wie nebenbei zu lernen. Spricht dies nicht für einen angeborenen Instinkt? Vielleicht, aber genaugenommen lernen sie eben gar nicht so schnell. Die Sprachkenntnisse von Dreijährigen etwa sind viel geringer als die von Zehnjährigen.

Der erste Blick der Evolutionsforscher auf der Suche nach den Ursprüngen der Sprache fällt naturgemäß auf die Menschenaffen. Doch der erhoffte Plausch unter Primaten blieb bislang aus. Diejenigen Affen, die mit Hilfe von Symboltafeln zu kommunizieren lernten, gaben vor allem Befehle von sich. Der Blick auf die Gene führte zuerst auf eine falsche Spur. Auf Chromosom 7 fanden Forscher einen als Sprachgen berühmt gewordenen Abschnitt, FOXP2 genannt, den sie zuerst auf ein Alter von maximal 100 000 Jahren schätzten. Dies schien die Theorie zu stützen, die Sprache sei dem Menschen durch eine zufällige Mutation in den Schoß gefallen. Erst kürzlich wurde klar, dass die Forscher sich verrechnet hatten: FOXP2 ist gut 1,8 Millionen Jahre alt und passt damit besser zu der Sichtweise, die die Autorin favorisiert: Die Sprachentstehung begleitet die Menschheit von Anfang an.

Dafür spricht auch die menschliche Anatomie. Lange dachten Forscher, der Neandertaler habe aufgrund der Form seines Kehlkopfes allenfalls ein paar nasale Laute hervorbringen können. Doch auch dies erwies sich als Irrtum. Die Neandertaler verfügten über einen tiefen männlichen Bass. Eine interessantere Spur als der Kehlkopf scheint die Größe des Kanals zu sein, durch den die Nerven für die Atemkontrolle in den Brustkorb laufen. Der ist nämlich bei Menschen deutlich größer als bei Affen. Auch kann das menschliche Gehör besonders wichtige Konsonanten besser wahrnehmen als das der Schimpansen. Die menschliche Anatomie, so scheint es, ist schon seit gut 600 000 Jahren auf Sprache eingestellt.

Auch die Handwerkskünste der frühen Menschen sprechen für eine frühe Sprachentstehung: Das für die Sprache wichtige Brocaareal im Gehirn hat auch mit der Koordination der Hand zu tun. Schimpansen produzieren nur grobe Gesten. Menschen können Sprechen und ein Handwerk erlernen, schreibt Berger, weil sie bessere Planungsareale haben. Sprachstörungen gehen ihrerseits häufig mit motorischen Störungen einher. Lässt sich umgekehrt von der Komplexität der Werkzeuge auf die Sprache schließen, müsste deren Entstehung auf den Homo heidelbergensis zurückdatiert werden, der schon vor gut 400 000 Jahren feinmotorisch so geschickt war wie wir.

Eine Sprache ist umso komplizierter, je komplizierter das Leben einer Sprachgemeinschaft ist. Doch sie ist nicht nur ein Informationsmedium. Die Grammatik ist zum Beispiel komplizierter als nötig. Warum? Eine gepflegte Sprache sei wie eine Pfauenfeder, so Berger. Sie signalisiere Intelligenz und Fitness. Umgekehrt lässt eine fehlerhafte Grammatik den Sprecher in der sozialen Hierarchie absinken. Sprache erfüllt damit eine archaische Funktion im evolutionären Miteinander.

Und schließlich gibt es noch einen anderen Aspekt, der in der Sprachforschung lange unbeachtet blieb: Sprache hängt nicht nur mit Motorik, sondern auch mit Emotionen zusammen. Verletzungen im "emotionalen" Gyrus cinguli des Gehirns machen die Betroffenen wortkarg und lassen sie emotional abstumpfen. Umgekehrt fallen Menschen mit vergrößertem Gyrus cinguli, dem sogenannten Williams-Beuren-Syndrom, durch Überemotionalität auf.

Der vordere Gyrus cinguli steuert neben der Sprechmotivation auch die zwischenmenschliche Bindung, insbesondere die Mutter-Kind-Bindung. Diese Erkenntnis lässt die schon ältere, aber nie ernstgenommene These, Sprache sei aus dem spielerischen Gebrabbel zwischen Müttern und Babys entstanden, zum Star avancieren. Die ursprüngliche Funktion der Sprache ist die eines Bindungssignals, und das ist sie bei Erwachsenen noch immer. Doch auch hier warnt Berger vor zu viel Euphorie, auch dies sei nur ein Faktor unter anderen. Insgesamt, stellt sie fest, sei das menschliche Sozialverhalten so gestrickt, dass es alle Faktoren, die eine gewisse Intelligenz beförderten, vereinige. Große Gruppen, feste Beziehungen, ein langes Leben, in dem es sich zu lernen lohnt, Kinder, die Zuwendung brauchen: all dies erfordert eine Menge Grips. Kultur und Genetik verstärken sich dabei gegenseitig.

Die Sprache fiel uns nicht einfach so in den Schoß, sie hat den Prozess der Menschwerdung von den Urmenschen an begleitet. Ein Instinkt war dabei durchaus im Spiel: die Kontaktsucht der Menschen.

MANUELA LENZEN

Ruth Berger: "Warum der Mensch spricht". Eine Naturgeschichte der Sprache. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2008. 303 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als informativ und aufgrund ihrer Sachlichkeit angenehm zu lesende Naturgeschichte der Sprache begreift Manuela Lenzen Ruth Bergers Buch. Einleuchtend erscheint ihr Bergers Ansatz, der Polarisierung zwischen Mutationstheorien und einem Verständnis von Sprache als kultureller Leistung zu widersprechen und die beiden Positionen zu vereinen. Die Unaufgeregtheit der Darstellung und die von Berger dargelegten Evidenzen der Sprachforschung nehmen Lenzen für die Sichtweise der Autorin ein, derzufolge Sprache als soziale Größe die Menschheit von Anbeginn begleitet und sich gleichermaßen durch kulturelle wie genetische Faktoren entwickelt hat.

© Perlentaucher Medien GmbH