Marktplatzangebote
11 Angebote ab € 10,92 €
  • Gebundenes Buch

Es ist nun schon hundertvierzig Jahre her, daß der liebe Brehm sein "Illustrirtes Thierleben" vorgelegt hat. Die moderne Verhaltensforschung hat mit seinen anthropomorphen Kurzschlüssen gründlich aufgeräumt. Cord Riechelmann folgt weniger unserm Blick auf die Tiere als dem Blick der Tiere auf ihre Welt. Das ist nicht nur lehrreich, es kann auch äußerst amüsant sein. Aber wir lachen nicht über die Tiere; es wäre uns lieber, könnten die Tiere mit uns und über unsere Beobachtungen lachen.
Als Versuchsgelände dient dem Autor der Berliner Zoo, ein Ambiente, das die Illusion der Unmittelbarkeit
…mehr

Produktbeschreibung
Es ist nun schon hundertvierzig Jahre her, daß der liebe Brehm sein "Illustrirtes Thierleben" vorgelegt hat. Die moderne Verhaltensforschung hat mit seinen anthropomorphen Kurzschlüssen gründlich aufgeräumt. Cord Riechelmann folgt weniger unserm Blick auf die Tiere als dem Blick der Tiere auf ihre Welt. Das ist nicht nur lehrreich, es kann auch äußerst amüsant sein. Aber wir lachen nicht über die Tiere; es wäre uns lieber, könnten die Tiere mit uns und über unsere Beobachtungen lachen.

Als Versuchsgelände dient dem Autor der Berliner Zoo, ein Ambiente, das die Illusion der Unmittelbarkeit von vornherein ausschließt.

Dennoch fallen Riechelmann immer wieder Ähnlichkeiten zwischen dem homo sapiens und anderen Arten auf. So, wenn ein Schwarzer Panther mit seiner Pflegerin ums Zu-Bett-Gehen streitet, oder wenn ihn der Tanz des Kranichs an die Arbeiten von Johann Kresnik erinnert. Den rationalistischen Ton der Ethologie konterkariert Riechelmann durch die Bildsprache der Indianer und die Mythen der australischen Aborigines.

Über hundert Arten passieren in diesem Buch Revue; auch mit weniger bekannten Geschöpfen wie dem Dschelada, dem Komodowaran und dem Rennkuckuck kann der Leser Bekanntschaft schließen. Und die herrlichen kolorierten Stiche aus dem 18. Jahrhundert verleihen, mit ihrer rührenden Präzision, dem Band einen Hauch von historischer Tiefe.
Autorenporträt
Cord Riechelmann, geboren 1960, studierte Biologie und Philosophie an der FU Berlin. Er war Lehrbeauftragter für das Sozialverhalten von Primaten und für die "Geschichte biologischer Forschung". Außerdem arbeitete er als Kolumnist und Stadtnaturreporter für die "Berliner Seiten" der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sein Hauptinteresse gilt den Lebensbedingungen von Natur in der Kultur städtischer Lebensräume.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2003

Bitte nicht füttern
Cord Riechelmann schaut der hungrigen Bestie in die Augen
Zoologische Gärten sind unter Gartenanlagen und Parken gewiss die seltsamsten, alles ist durchwegt und um unablässige Attraktion bemüht, selbst die üppigste Flora ist hier dekorativer Vorwand für die versammelte und streng nach Species getrennte Fauna. Reines Natur-Theater, Kulissenzauber für den Städter, dem dieser sich gerne aussetzt, weil er sich als Beobachter auf eine ihm immer rätselhafte Weise selbst beobachtet wähnen darf.
Die topographische Lage bei den Berliner Anlagen bildet auf seine Weise den Berliner Zwillingskomplex ab: der westliche, 1844 gegründete Zoologische Garten stellte zusammen mit der großen Bahnhofsanlage ein ziemlich einmaliges innerstädtisches Ensemble dar, zugleich definierte der Zoo emblematisch den Alten Westen. Immer unersättlicher ufert er in die seelenlose Anlage des Tiergartens aus. Der am östlichen Stadtrand, 1954 in Friedrichsfelde angelegte Tierpark war die „Antwort” des Ostberliner Magistrats auf den westlichen, kriegszerstörten Zoo.
Der Biologe und Schriftsteller Cord Riechelmann hat auf seinen vielen Spaziergängen für die „Berliner Seiten” ein Bestiarium ganz besonderer Art angelegt. Auf Wanderwegen durch die Gehege entdeckt und entschlüsselt er für uns die Tiere. Und unter der Hand bekommen wir eine fein dosierte Anthropologie unseres Blicks auf die Tiere mitgeliefert.
Während der kurzen Zeit ihrer geradezu unwahrscheinlichen Existenz bildeten die „Berliner Seiten”, die Hauptstadtbeilage der FAZ, das geglückte Experiment eines aufgeräumten städtischen Journalismus, eine Art taz mit beträchtlichem snob appeal. Wiglaf Droste veröffentlichte dort die melancholische Betrachtung eines Zoobesuchers: „Keine unbewidmete Bank scheint es zu geben im Zoo, aber man findet hin und wieder Bänke, die keiner haben will. Sie stehen meist dort, wo es keine oder nur als äußerst uninteressant geltende Tiere zu begneisen gibt.” Als einziges Berliner Blatt vermerkten diese Beilage die täglichen Fütterungszeiten in Zoos.
Riechelmann weiß nicht nur eine Menge über die hier versammelten Tiere zu erzählen, sondern er findet auch stets die passende Perspektive und den für das staunende Aha unentbehrlichen Hintergrund. Dem von Brehm übel beschimpften Uhu widmet er eine kräftige Skizze, wo das Thema der Synanthropen gestreift und unmittelbar verständlich wird: „In Berlin-Steglitz kann man manchmal morgens einen in den Bäumen der Schlossstrasse sitzen sehen. Riesig groß wie ausgestopft sitzt er da, bis sich der Kopf langsam dreht und das Tier mit dem beginnenden Tagesverkehr wegfliegt.” Vom Tiger erfahren wir, dass die wieder ausgewilderten Zootiere ihre Scheu vor den Menschen wieder „neu”lernen mussten. Die verblüffende Bewegungslosigkeit des Graureihers wird mit Brancusis skulpturalem Denken und, ganz mühelos, mit einem kuriosen Stück Berliner Stadtgeschichte assoziiert. Das Kulttier der Berliner Zoonarren, der Panda, provoziert Riechelmann zu einem witzigen medienkritischen Impromptu.
Es ist nicht blinde, eifernde Tierliebe, die den Biologen so leidenschaftlich wie gelehrt schreiben lässt, es sind vielmehr die auf engem Raum klug miteinander verschränkten Elemente von Beobachtung, Stimmungsfotografie und Zitat, die uns mit der Fauna in eine gelegentlich recht zweideutige Beziehung setzen. Verdeckte Motive des Lernens, neuere Erkenntnisse aus einer kritischen Verhaltensforschung werden uns en passant geliefert. So erinnert der Autor am Beispiel des Rotwilds an Horst Sterns Weihnachtsdonnerschlag aus den 70er Jahren gegen die heuchlerische Hege&Pflege-Ideologie der Jäger. Heiner Müllers Bühnen-Show mit dem schwarzen Panther wird mit Joseph Beuys’ Kojoten konfrontiert und kritisch bewertet. Unerschöpflich sind die Geschichten, die sich um den Beo ranken.
In diesem Buch erfahren wir, dass das gemeinsame „Duettieren” dieser eigenwilligen Vögel mehrere Vorteile hat: „So können Sie in ausgeklügelten Rollenspielen von Tag zu Tag andere Parts übernehmen” und – eine für Riechelmanns Skepsis gegenüber allen Spielarten der Vermenschlichung erstaunliche Ergänzung – „also der Langeweile vorbeugen”. Von diesem Buch, das nach Eckhard Henscheids „Seltsamen Tiergeschichten” ein Klassiker zu werden verspricht, gilt in abgewandelter Form, was anekdotisch Ende des Artikels über den Beo steht: „What a beautiful book!”
HANNS ZISCHLER
CORD RIECHELMANN: Bestiarium. Der Zoo als Welt – die Welt als Zoo. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2003. 352 Seiten, 27,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.2003

Hinter tausend Stäben
Gefleckt nach Leopardenart: Cord Riechelmanns Besuch im Zoo

Wenn auch nur annähernd richtig ist, was Cord Riechelmann zu Beginn seines Buches berichtet - woran im Ernst nicht zu zweifeln ist -, dann können, ja müssen nicht nur die Richtlinien der Kulturpolitik geändert werden, dann muß vielmehr auch das gesamte Rezensionswesen neu geordnet werden, in welchem Kunst und Theater bis dato noch immer eine dominierende Rolle spielen. Man lasse sich also auf der Zunge zergehen, was Cord Riechelmann eingangs seines Buches schreibt. Er schreibt da gleich als zweiten Satz den folgenden Satz: In Deutschland ziehen Zoologische Gärten "mehr Menschen an als Museen, Theater und Sportveranstaltungen". Warum dann also so viel öffentliches Theater um Galerien, Bühnen und Fußballplätze, wenn die Leute doch letztlich alle in den Zoo strömen? Warum liest man allenthalben Kunst-, Theater- und Sportkolumnen, aber nirgendwo eine Zookolumne? Nirgendwo? Cord Riechelmann hatte für die Berliner Seiten dieser Zeitung angefangen, das Genre der Zookolumne vom Alpenmurmeltier bis zum Zwergpinguin zu entfalten: "Ich ging einmal in der Woche in den zentral am gleichnamigen Bahnhof gelegenen Zoo oder - wenn möglich im Wechsel - in den 1954 im ehemaligen Ost-Berlin gegründeten Tierpark Friedrichsfelde." Auf den Beobachtungen dort beruhen etliche Texte des nun in Enzensbergers "Anderer Bibliothek" erschienenen Buches "Bestiarium. Der Zoo als Welt - die Welt als Zoo".

Es sind Beobachtungen, die einerseits die literarische Tradition der Naturgeschichtsschreibung fortsetzen - zwanzig einfühlsame Abbildungen aus der im achtzehnten Jahrhundert publizierten "Histoire naturelle génerale et particulière" des Grafen von Buffon unterstreichen Riechelmanns Anspruch auf die feuilletonistische Nachfolge ebendieser Tradition. Andererseits ist die Zeit bei Riechelmann natürlich nicht stehengeblieben. Nicht die anthropomorphen Kurzschlüsse von Brehms "Illustriertem Thierleben", sondern die Befunde der modernen Verhaltensforschung sind für ihn erkenntnisleitend. Wobei die Verhaltensforschung bei dem Biologen und Philosophen Riechelmann durchaus Federn lassen muß. So heißt es etwa über Konrad Lorenz, dessen Versuche, einen Menschen zu zeichnen, hätten immer nur "Strichmännchen" hervorgebracht. Statt mit Lorenz hält es Riechelmann eher mit Michael Tomasello, dem antireduktionistischen Primatenforscher am Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie.

Auf beinahe jeder Seite dieses nach Leopardenart schön gefleckten Buches über Eisbär und Esel, Kojote und Kolkrabe, Schleiereule und Schwarzspitzenhai wird deutlich, worum es Riechelmann geht: nicht um die tausend liebevoll geschilderten Putzigkeiten der Fell- und Federtiere als solche, sondern um ihren Abgleich mit uns Menschen. So wie Arnold Gehlen dem Menschen Kontur zu geben verstand, indem er ihn vom Tier her gesehen als Mängelwesen beschrieb, so läßt auch Riechelmann unseren Blick auf die Tiere zu einem Blick der Tiere auf uns werden. In diesem, nicht im Brehm'schen Sinne gilt: Ein Besuch im Zoo ist ein Besuch bei uns selbst.

Riechelmann weiß: Aus der Natur läßt sich im Zweifel alles ableiten. Gleichwohl wagt er es, das dem Menschen Wesentliche an den Fingern einer Hand abzuzählen. Die fünfgliedrige Hand ist ihm Hinweis auf die Unspezialisiertheit unserer Art schon auf der Ebene der Anatomie. "Ohne spezialisiert sein zu müssen", so zitiert er Joseph Beuys, "sind die Hände vielseitig zu gebrauchen, weil sie embryonal sind. Sie sind nicht zu einseitigem Gebrauch hineingezwungen wie die Greife des Adlers oder die Grabschaufeln des Maulwurfs." So sieht Riechelmann hinter tausend Stäben unsere Welt: "Der Mensch ist nicht von den Bäumen auf die Erde herabgestiegen. Als die Orang-Utans und die Gibbons sich auf das Leben in den Bäumen spezialisierten, waren die Entwicklungslinien von Menschen und Menschenaffen bereits getrennt."

Wo waren wir all die Jahre mit unserem Kopf? Warum fanden wir so lange schon nicht mehr den Weg in den Zoo? Riechelmann hat diesem Ort eine Verheißung eingeschrieben. Sein Buch gehört zu den Büchern, die man gerne selbst geschrieben hätte.

CHRISTIAN GEYER

Cord Riechelmann: "Bestiarium". Der Zoo als Welt - die Welt als Zoo. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2003. 351 S., geb., 27,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ein paar Umwege über Vorläufer dieses Bestiariums macht der Rezensent (Kürzel upj.) und erwähnt den Dichter Franz Blei, der Benn oder Maupassant zoologisch einordnete, ebenso wie Brehms Tierleben. Das Satirische trete in diesem Buch aber durchaus zurück hinter das Zoologische, oder jedenfalls Faktische. So erfahre man nämlich dass der erste Flachlandgorilla im Berliner Zoo 1877 Frankfurter Würstchen und Berliner Weiße zu sich nahm. Ein wohl exemplarischer Eintrag in ein Buch, dem der Rezensent mit offenkundigem Wohlwollen gegenübersteht und das er resümiert wie folgt: "Ein Buch, das nicht nützlich, aber notwendig ist."

© Perlentaucher Medien GmbH