Produktdetails
  • Verlag: Eichborn
  • Seitenzahl: 330
  • Abmessung: 32mm x 130mm x 218mm
  • Gewicht: 478g
  • ISBN-13: 9783821808918
  • ISBN-10: 3821808918
  • Artikelnr.: 09833491
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.12.2001

Hart mit sich selbst
Petra Morsbach weiß,
wie Frauen funktionieren
Petra Morsbach nimmt keine Rücksicht darauf, was man tut oder besser lässt. Ihr neuer Roman „Geschichte mit Pferden” benutzt die Kulisse eines schleswig-holsteinischen Reiterhofs. Der schöne Erlhof, Hobbywelt für Erwachsene und Traumwelt für pubertierende Mädchen, die in ihrem Leben vielleicht nie wieder so zufrieden sein werden wie auf dem warmen Rücken der Pferde. Das ist der klassische Stoff unzähliger Jugendbücher.
Aber Petra Morsbach will das Gegenteil. Sie baut ein Denkmal für die alte Nele Hassel, eine unbekannte deutsche Frau, hart mit sich und gut zu den anderen, eine Alltagsikone, die im Erlhof kocht, 70 Pfannekuchen backt, 80 Eier trennt und mit der Hand verquirlt und sich an ihrem freien Tag neue Birkenstocks kauft. Frauen wie Nele Hassel sind total aus der Mode, sie haben keine Ahnung, wie man sich selbst in der schlechten Welt Gutes tut, sie dulden mit Vehemenz. Zwischen 1996 und 1999 schreibt Nele Hassel Tagebuch. Es sind die Jahre vor ihrer Pensionierung und eine kurze Zeit danach. Sie schreibt mit viel wörtlicher Rede, mit klugen knappen Reflexionen zum richtigen oder falschen Leben, mit flapsigen und altmodischen Ausdrücken und Wendungen – und sie hat durchaus Ironie. Neles Beobachtungstalent ist enorm, und man fragt sich, weshalb es eine so luzide Person in ihrem Leben nicht weiter gebracht hat, als zur Dulderin. Aber so was gibt es, jedenfalls behauptet das Petra Morsbach.
Vor Alice Schwarzer
Der „Erlhof” wird von einem Höllenpaar geleitet. Hemjö Crove ist ein „Leuteschinder”, ein Chef, den Frauen dennoch lieben, und ein Reitlehrer, dem die Sehnsüchte sicher sind. Er ist mit der viel jüngeren Gesine, „unserer Schönen”, verheiratet, eine Art Barbiepuppe, die alles tut, was in den Katalogen steht. Fremdgehen, Shoppen und auch, wenn es drauf ankommt, versagen. Gesine ist ein wundervolles Weibchen, man wird beim Zusehen richtig neidisch, selbst ihre kleptomanischen Ausbrüche sind, wie ihre ganze Verkommenheit, schön wie im Fernsehen. Wenn es auch nicht viel gibt, was das Ehepaar zusammenhält und nach Eskapaden wieder zusammenbringt – das Geld lieben beide über die Maßen und betrügen, wo sie können, auch mit Kleingeld. Petra Morsbach lässt in ihrem Zwei-Welten-Modell uraltes, wackeres Frauenleben gegen Gesines Illustrierten-Existenz kein Klischee aus.
Aber Hand aufs Herz, Klischees sind schön, sie sind unser Leben, wir haben sie gemacht, sie rühren uns. Nele Hassel ist niemals zimperlich mit sich umgegangen, aber Träume hatte sie auch, in ihr Tagebuch schreibt sie, dass all ihre Träume gescheitert sind, „lag das an den Träumen, oder war ich ungeeignet?” Sie war nicht ungeeignet, aber vor Simone de Beauvoir und Alice Schwarzer dazu erzogen, als „Mutter und Hausfrau zu dienen”. Am Schluss ist nicht ganz sicher, welches Modell das bessere ist: Gesines Nummer als verwöhnte Barbiefrau oder die nüchterne Nele, Jahrgang 32, die irgendwann in ihrem Leben festgestellt hat, dass Wünschen viel aufwändiger ist als Tun. Die Tagebuchschreiberin Nele lässt das Datum weg, die Eintragungen sind fortlaufend, und Petra Morsbach behauptet, einen Roman geschrieben zu haben. Manchmal im Stakkato-Stil, „Gesine ist weg”, dann wieder schildert die Erlhof- Köchin nüchtern und klatschsüchtig und in der subjektiven Sicht, vom radikalen Präsens in Vergangenheitsformen wechselnd, die nichtigen Aufregungen des Pferdehof-Alltags und reflektiert ihr zurückliegendes Leben. Auch die Ehe mit einem Karpfen- und Forellenzüchter, der sagte, er sei ein Verdammter, was vielleicht auch stimmte. Nele will wissen, „warum, warum habe ich das hingenommen?”
Ernst gegen Spiel
Petra Morsbach lässt Nele tiefe Fragen („was ist ein Gewissen ?”) stellen und Rechenschaft über eine verklemmte sexuelle Hörigkeit und über Minderwertigkeitskomplexe ablegen. „Ich wollte lieber leiden als vor mir selbst schlecht da stehen, na schön.” Solche Erkenntnisse sind nicht sensationell, aber viel billiger als eine Psychoanalyse. Die vierundvierzigjährige Petra Morsbach, die als Operndramaturgin gearbeitet hat und mit ihrem „Opernroman” 1998 beachtet wurde, setzt mit diesem „Frauenbuch” auf die Differenz zweier Lebensentwürfe, Ernst gegen Spiel, bodenständige ehrliche Haut gegen kapriziöse Gaunerin, wer gewinnt, und wem gehört die Zukunft? Die „Geschichte mit Pferden” endet mit dem Satz: „Wer sein wahres Leben in Worte zu fassen vermag, dem kann nichts mehr passieren. Der ist wirklich frei.” Der Lebensbericht der Frau, bis zur Idiotie gehorsam, ist furchterregend eindrucksvoll, von solchen Menschen will kaum jemand etwas wissen. „Geschichte mit Pferden” schillert wie eine Vorabendserie, das hat Petra Morsbach gut gemacht. Und man denkt darüber nach, ob Pfannekuchen backen nicht zufriedener macht als der Kauf neuer Schuhe. Die Beichte der Nele H. besteht weniger aus Bekenntnissen als aus Fragen. „Warum”, heißt der zentrale Satz, „habe ich mir von Männern so viel Unsinn eintrichtern lassen?” Sie wird nicht die Einzige sein, die vor einer solchen Kapitulation steht. Das Buch sollen Frauen lesen. Vor diesen Gefahren ist auch die emanzipierte Frau nicht sicher.
VERENAAUFFERMANN
PETRA MORSBACH. Geschichte mit Pferden. Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt/ Berlin 2001. 330 Seiten, 39.80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2002

Streicheln nach Dienstschluß
Auf dem Rücken der Pferde: Petra Morsbachs dritter Roman

Heute hüh, morgen hott, lautet ein alter Spruch der Resignation: Nele Hassel, einige Jahre vor der Pensionierung und alleinstehend, hat ihn verinnerlicht. Sie erwartet nicht mehr viel vom Leben: Hauptsache, sie schafft es bis zur Rente. Sie ist pflichtbewußt, bescheiden und fleißig, muß aber dennoch hinnehmen, daß eine Konkurrentin sie aus ihrer langjährigen Stellung in einem Altersheim verdrängt. So wird sie Köchin auf dem Erlhof. Die Leitung der dortigen Großküche entpuppt sich als idealer Beobachtungsposten eines turbulenten Reiterkosmos.

Der Reiterhof gehört Hemjö Crove. Seine junge Frau Gesine und er führen den Erlhof mit straffer Hand und ohne Skrupel. Nele beobachtet mit ungebrochener Faszination über Jahre, wie Gesine und Crove Pensionsgäste und Angestellte verächtlich behandeln und um jeden Pfennig betrügen - und immer wieder damit durchkommen. An ihrem sicheren Platz in der Küche wird sie Zeugin der Trennungen und der zweckdienlichen Versöhnungen des Paars, durchschaut die zwielichtige Rolle, die ihre Kollegin Inge darin spielt. Nele kennt alle menschlichen Dramen auf dem Hof - und tut gewissenhaft ihre Arbeit. Nicht, daß sie von den Intrigen und Ungerechtigkeiten unberührt bliebe. Nach der Schufterei schreibt sie die Ereignisse des Tages auf, in ihrem lakonischen Ton und einfachen, deutlichen Worten. Diese Art des Verarbeitens erinnert sie an eine frühere Zeit, in der sie ebenfalls Tagebuch führte: während ihrer schwierigen Ehe mit dem Gutsbesitzersohn Cornelius. Ihre Rückblicke wechseln sich ab mit ihren Schilderungen der soap-opera Erlhof und geben dem banalen Auf und Ab so immerhin eine tiefere Dimension.

"Einerseits freue ich mich auf die Rente, andererseits bedaure ich, daß ich nicht miterleben werde, wie es mit Croves endet", schreibt Nele einmal. Ähnlich fühlt auch der Leser, der gemeinsam mit Nele das so offenkundig miese Spiel der Croves einerseits rasch durchschaut und davon zunächst verblüfft, dann amüsiert und schließlich angewidert ist - und der zugleich fürchten muß, daß es im Ruhestand Neles gänzlich langweilig werden würde.

Petra Morsbach versteht es, ein ganz bestimmtes Milieu lebendig zu schildern - das hat sie mit ihrem zweiten Buch, dem "Opernroman" eindrucksvoll bewiesen. Diesmal hat sie sich als Szenerie das norddeutsche Reitermilieu vorgenommen: ein gewagter, ein ungewöhnlicher Sprung von der Boheme. Doch auch die Figuren ihrer "Geschichte mit Pferden" sind authentisch: die durchtriebene, geldgierige Gesine Crove, die ihren Mann immer wieder und gegen dessen besseres Wissen um den Finger wickelt; der egozentrische, cholerische Hemjö Crove, der Konflikte entweder niederbrüllt oder meidet; Neles Kollegin Inge, die über die Parvenü-Herrschaft lästert, aber keine Gelegenheit ausläßt, sich bei ihr einzuschleimen; die bauernschlaue Putzhilfe Frau Ahrns. Keine der Personen verkommt bei Morsbach zum Klischee, obwohl Klischees von diesem Roman durchaus bedient werden.

Wer hinter dem Titel "Geschichte mit Pferden" nicht nur Menschen, sondern auch Tiere vermutet, sieht sich enttäuscht. Morsbach nimmt der Welt der Reiter und Pferde vielmehr ihre vordergründige Robustheit und entlarvt sie als normalen Jahrmarkt der Eitelkeiten, auf dem die Tiere nur als Staffage dienen. Von Tierliebe oder gar Naturverbundenheit jedenfalls fehlt auf dem Erlhof jede Spur: Pferde sorgen vor allem für Gesprächsstoff - dem "andalusischen Starhengst" zum Beispiel wird wiederholt die Mähne abgesäbelt, das millionenteure Pferd der Olympiareiterin bekommt gleich am ersten Tag eine schwere Kolik, der alte Benno, das gescheckte Pony, das immer den Planwagen zog, kommt zum Schlachter statt zum Tierarzt. Nur ein einziges Mal in ihrer Erlhof-Zeit begegnet Nele einem echten Pferd: eine Offenbarung. "Mich verblüffte die Weichheit seiner Nüstern und Lippen, bei dem Riesenvieh; ich überlegte, ob ich es streicheln soll. Schließlich streichelte ich. Es war ja nach Dienstschluß. Das Pferd stellte die behaarten Ohren auf, was sehr gewinnend aussah." Mit dem mißhandelten Hund der Croves, Nelson, hat sie Mitleid - aber nur "abstrakt". In Wirklichkeit hat sie Angst vor ihm.

Woran liegt es, daß man Morsbachs Roman zwar gern liest, ihn aber dennoch mit einem Gefühl der Enttäuschung aus der Hand legt? Vielleicht weil man bis zum Schluß auf eine Entwicklung, eine Katharsis wartet, die nicht stattfindet. Das Leben geht seinen Gang, mal hüh, mal hott. Mit Nele quält man sich durch die Monate und Jahre auf dem Erlhof, mangels anderer Entwicklungen angetrieben einzig von einer negativen Neugier auf Menschen, die einen im Grunde nicht interessieren. Nele hat am Ende etwas erreicht: Sie hat ihre unglückliche Ehe aufgearbeitet und sich den Ruhestand redlich verdient. Sie ist zufrieden. Der Leser, der mehr von einem Roman erwartet als Nele vom Leben, ist es nicht.

FELICITAS VON LOVENBERG

Petra Morsbach: "Geschichte mit Pferden". Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2001. 330 S., geb., 20,90 .

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Für Martin Ebel geht von diesem Roman der "überwältigende Eindruck aus, genauso sei das Leben". Die Geschichte ist im Reitermilieu angesiedelt und erzählt von den Besitzern eines Reiterhofes, die ihre zahlenden Gäste betrügen und ausnehmen, wo es nur geht; selbst der Putzfrau wird das Geld noch vom Teller geklaut, erzählt der Rezensent. Martin Ebel findet das Buch derart realitätsnah, dass er zögern würde, seine Töchter in die Reiterferien zu schicken. Lobend hebt er die Sorgfalt im Detail hervor, die Gestaltung der Figuren und die Erzählperspektive, die zwischen Innen- und Außenperspektive gekonnt abwechsle. Ein Buch, das es verdient gelesen zu werden, da es Antworten auf die Frage nach dem "Warum" sucht, so Martin Ebel.

© Perlentaucher Medien GmbH