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Mit einem Dolchstoß über dem rechten Auge endete am 20. Mai 1593 bei einer Wirtshausschlägerei das furiose Leben eines genialen Neunundzwanzigjährigen, Christopher Marlowe. Ihm war es gelungen, innerhalb von nur vier Jahren das europäische Theater zu revolutionieren. Sein Ruf als Mensch war notorisch - er galt als Freidenker, Atheist und homophiler Libertin, war Regierungsspion und fiel wahrscheinlich einem politischen Mord zum Opfer. Bei ihm traten erstmals in der Theatergeschichte nur machiavellistische Bösewichte und titanische Herrscher als Helden auf. Verschiedene Religionen und…mehr

Produktbeschreibung
Mit einem Dolchstoß über dem rechten Auge endete am 20. Mai 1593 bei einer Wirtshausschlägerei das furiose Leben eines genialen Neunundzwanzigjährigen, Christopher Marlowe. Ihm war es gelungen, innerhalb von nur vier Jahren das europäische Theater zu revolutionieren. Sein Ruf als Mensch war notorisch - er galt als Freidenker, Atheist und homophiler Libertin, war Regierungsspion und fiel wahrscheinlich einem politischen Mord zum Opfer. Bei ihm traten erstmals in der Theatergeschichte nur machiavellistische Bösewichte und titanische Herrscher als Helden auf. Verschiedene Religionen und Weltbilder prallen in seinen Stücken mit einem Donnerhall zusammen. Der von Marlowe fürs Theater perfektionierte, majestätisch dahinrollende Blankvers ebnete den Weg für seinen Nachfolger Shakespeare (der in seinen Dramen nur einen einzigen Kollegen explizit nennt - nämlich Marlowe). Sein wortmächtiger Tamburlan der Große wurde zu einem der meistgespielten Stücke der Zeit, sein Dr. Faustus w ar die erste dramatische Formung des Faust-Stoffes, sein Jid von Malta genialischer Vorläufer von Shakespeares Shylock, in Blutbad von Paris bringt Marlowe die entsetzlichen Ereignisse der Bartholomäusnacht auf die Bühne, in Edward II. zeigt er Dynastiegeschichte als totale Triebentfesselung. Shakespeare, Goethe, Byron, Brecht, Burgess, Gaddis und viele andere haben sich aus seinem Werk bedient - die Übersetzungslage in Deutschland war skandalös: Manche Stücke waren noch gar nicht, alle zusammen noch nie übersetzt. Wolfgang Schlüter versteht seine brillante Übersetzung als ein "extravagantes, exzentrisches Stück deutscher Literatur" und setzt dem Elend deutscher Marlowe-Übersetzung nun ein Ende.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

O schöne Welt der kriegerischen Männlichkeit
Atemlos voran zum Mord: Christopher Marlowes Dramen in neuer Übersetzung / Von Marlene Streeruwitz

Steht auf, Jungs, und ich will euch lehren, / was es mit Waffen und des Krieges Eifer auf sich hat", sagt Tamburlan und ersticht gleich einmal einen Sohn, weil der nicht blutrünstig genug ist. Es ist ein einziges Panorama des Mordens und Erniedrigens, das in diesem Stück wie in allen anderen von Christopher Marlowe ausgebreitet wird. Und was sie alle für Reden halten müssen, bevor sie zum Morden schreiten können. Alle Morde, Schlachten und Intrigen: Sie müssen erst angesagt werden. Als müssten alle diese Taten erst in die Rede gekippt sein, sprachlich existieren, um dann auch ausgeführt werden zu können.

Eine eitle Sprache ist das, die sich wohltönender Bilder bedienen muss, um hässliche Mordgedanken reifen zu lassen. Der Mord wird im Sprechen erfunden und durch die rhetorischen Figuren Wirklichkeit. Marlowe entwirft eine Welt, in der nur die Interessen und die Fortune regieren. Moral gibt es nicht. Von dumpfer Barbarei unterscheiden sich Marlowes Mordlandschaften nur durch den rhetorischen Glanz. Zwischen dem Sprechen gibt es Auftritte und Abgänge und Morde auf der Bühne und Schlachten hinter der Bühne. Viel mehr Handlung ist nicht zu finden. Zeit ist auf die Mordzeiten zusammengerafft. Die Handlung, das ist die hohe Sprache. Ich fände es sehr interessant, diese Stücke auf der Bühne zu sehen. Zu sehen, wie die Grammatik des Mordens sich dieser Rhetorik bedient. Diesem Reden müsste in aller Länge nachgespürt werden. Jede Kürzung würde das verschlungene Rädchenwerk der Bilder und Vergleiche zerstören und führte in die Nähe plumper dramaturgischer Handlungsmotivation. Es ist aber dieses krude, atemlose Vorwärts der Figuren in diesen Tiraden verborgen, das so überzeugend ist. Triumph und Elend der Menschen, der hier meist ein Mann ist, im Goldglanz schöner Rede und doch enthüllt. Es ist ein geradezu hasserfülltes Bestehen des Autors darauf, dass die Welt so ist wie in seinen Texten, das einen mitreißt. Und der Autor überzeugt einen, dass nur seine Texte keine Lügen sind. Dass die eigentliche Realität nur auf seiner Bühne zu finden ist.

Um das zu sehen, dürfte aus diesen Texten nichts gestrichen werden. Denn das Publikum muss richten. Muss über die Sprache richten und nicht über die Toten und stellt so eine politische Realität nach, die sich seit dem sechzehnten Jahrhundert nicht wirklich verändert hat. Immer noch ist ausschlaggebend, welche Sprache gefunden wird, wie das Urteil der Öffentlichkeit ausfällt. Das hat der Kosovo-Krieg wieder deutlich gemacht. Aber. Um ein solches Urteil fällen zu können, muss der ganze Text vorliegen.

In der Übertragung der Dramen Christopher Marlowes ins Deutsche von Wolfgang Schlüter liegen nun sämtliche Marlowe-Texte vor. In einer Übersetzung, die der Ritualistik dieser Trauerstücke folgt und die den ganzen Bildreichtum der Vorlage in Metrum und Emblematik wiederzugeben vermag. Dieses gespreizte Angeben mit Bildung. Dieses sich Überschlagen in exotischen Andeutungen. Diese Welt der seltsamen Tiere und Fabelwesen.

Ich habe Marlowe erst in dieser Übertragung wirklich begriffen und etwas herausgefunden, was sich mir am Original nicht so eröffnete. Marlowe vermag seine Figuren so plastisch zu zeichnen, dass sich eine Stellungnahme zu ihnen erzwingt. Ja. Dass sich Mitgefühl, ja Mitleid einstellt, mit den Helden. Wenn Faust so innig klagt. Oder Tamburlan immer nur siegen kann und seine Geliebte als Leiche immer mitgeschleppt werden muss.

Mit der Übertragung von Wolfgang Schlüter könnte man Marlowe als Vorläufer von Edward Bond auf der Bühne sehen und, minutiös der Sprache folgend, die Konstruktion von Welt aufdecken, an der sich nichts geändert hat und die heute unter anderen rhetorischen Gesten verborgen ist. Das Theater müsste aber auf die Suche nach dieser Konstruktion gehen und dürfte in keinem Fall zu einer dieser dümmlichen Aktualisierungen kommen. Zu einer dieser Zeitreisen, denen Theatertexte so gerne unterzogen werden, in denen die Texte ihrem literarischen und damit politischen Umfeld entfremdet werden und das allgemein Menschliche wieder einmal fröhliche Umständ feiern darf. Was wirklich passiert in diesen Unternehmungen, sind Textentmündigungen zur Affirmation des Gegenwärtigen. Marlowe führt furios vor, dass das einzig allgemein Menschliche der Tod ist. Sein Mittel ist die Rhetorik. Diesem Mittel müsste man folgen.

Wie gesagt. Ich sähe sie gerne auf der Bühne. Die Dramen Christopher Marlowes. Bis dahin sind Christopher Marlowes "Sämtliche Dramen" einmal ein sehr schönes Buch, in dem man sich vorerst mit dem Lesedrama zufrieden geben muss. Das aber kann man mit Vergnügen.

Christopher Marlowe: "Sämtliche Dramen". Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Schlüter. Eichborn Berlin, Berlin 1999. 700 S., geb., Subskr.-Pr. bis 1. April 98,- DM, danach 128,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz lobt in ihrer Rezension die neue Übersetzung von Marlowes Dramen als "ein einziges Panorama des Mordens und Erniedrigens". Marlowe tauche seine Mordlandschaften in rhetorischen Glanz. Zur Ausgabe sagt Streeruwitz, dass sie Marlowes Dramen erst in dieser Übertragung begriffen habe. Über die Dramen selbst und ihre Präsentation in dem Buch ist darüber hinaus in dieser Kritk leider nichts zu erfahren.

© Perlentaucher Medien GmbH"