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Der Schlusspunkt eines großen Lebenswerks
Zu seinem 80. Geburtstag, das hat Walter Kempowski kurz vor seinem Tod verfügt, soll der Gedichtzyklus "Langmut" erscheinen. "Ich glaubte immer", so Kempowski, "dass ich nie ein Gedicht schreiben werde, und doch stieß mir die Stimme, wie Rilke sagt, eines Tages den Mund auf. Da wusste ich auf einmal, dass mit meinem Buch 'Im Block' noch nicht das letzte gesagt worden war über meine Haftzeit in Bautzen."
Das Leichte, Helle war dem Schriftsteller Walter Kempowski nicht gegeben. Am Beginn stand die traumatische Erfahrung der Haft in Bautzen. Dort
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Produktbeschreibung
Der Schlusspunkt eines großen Lebenswerks

Zu seinem 80. Geburtstag, das hat Walter Kempowski kurz vor seinem Tod verfügt, soll der Gedichtzyklus "Langmut" erscheinen. "Ich glaubte immer", so Kempowski, "dass ich nie ein Gedicht schreiben werde, und doch stieß mir die Stimme, wie Rilke sagt, eines Tages den Mund auf. Da wusste ich auf einmal, dass mit meinem Buch 'Im Block' noch nicht das letzte gesagt worden war über meine Haftzeit in Bautzen."

Das Leichte, Helle war dem Schriftsteller Walter Kempowski nicht gegeben. Am Beginn stand die traumatische Erfahrung der Haft in Bautzen. Dort wurde der junge Kempowski durch das DDR-Regime isoliert. Nach seiner Ausreise in die Bundesrepublik ließ sein Gefängnisbuch "Im Block" aufhorchen. Mit "Langmut", entstanden in seinen letzten Lebensjahren, schließt sich nun der Kreis.
Autorenporträt
Walter Kempowski wurde am 29. April 1929 als Sohn eines Reeders in Rostock geboren. Er besuchte dort die Oberschule und wurde gegen Ende des Krieges noch eingezogen. 1948 wurde er aus politischen Gründen von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach acht Jahren im Zuchthaus Bautzen wurde Walter Kempowski entlassen. Er studierte in Göttingen Pädagogik und ging als Lehrer aufs Land. Seit Mitte der sechziger Jahre arbeitete Walter Kempowski planmäßig an der auf neun Bände angelegten "Deutschen Chronik", deren Erscheinen er 1971 mit dem Roman "Tadellöser & Wolff" eröffnete und 1984 mit "Herzlich Willkommen" beschloss. Kempowskis "Deutsche Chronik" ist ein in der deutschen Literatur beispielloses Unternehmen, dem der Autor das mit der "Chronik" korrespondierende zehnbändige "Echolot", für das er höchste internationale Anerkennung erntete, folgen ließ.

Walter Kempowski verstarb am 5. Oktober 2007 im Kreise seiner Familie. Er gehört zu den bedeu

tendsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit. Seit 30 Jahren erscheint sein umfangreiches Werk im Knaus Verlag.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2009

Langmut und Eigensinn

Seine ernsten Verse aus Bautzen hat er zu Lebzeiten nicht herausgerückt: Erinnerungen von und an Walter Kempowski, der heute achtzig geworden wäre.

Für Walter Kempowski waren die acht Jahre, die er wegen angeblicher Spionage und antisowjetischer Hetze in Bautzen einsaß, eine Zeit der Traumatisierung und Disziplinierung zugleich. Im Gefängnis erfand der junge Jazzfan die vorher eher ignorierte bürgerliche Tradition der Literatur und Musik für sich neu. Aus der Haftzeit auch erklärte sich der Schriftsteller seine Akribie in erinnerten Details, wie sie die populären Romane der "Deutschen Chronik" (1972 bis 1984) prägte, und seine Leidenschaft des Sammelns von Schicksalen, die sich im kollektiven Tagebuch "Echolot" (1993 bis 2005) überwältigend dokumentierte. In seinem Buch "Im Block" (1969) wurde seine Überlebenstechnik erstmals literarische Methode. Die Erfahrung erscheint eingesperrt in Textzellen, Textblöcken und Gitterwerken und befreit sich zugleich in ironischer Distanzierung.

Im Nachhinein erschien Kempowski der Ton seines Haftberichts jedoch zu frivol. Die erneute Überwindung zur Erinnerungsarbeit erschloss ihm zu seiner eigenen Überraschung eine lyrische Stimme, die an Rilkes Dinggedichte anklingt. Diese ernsten Texte hat Kempowski zu Lebzeiten nicht herausgerückt, obwohl er beiläufig wissen ließ, er habe im Knast Verse im Rilke-Ton auf Schiefertafeln geschrieben. Der Öffentlichkeit zeigte er sich lieber in der Rüstung seines kauzigen Humors. Im Titel des Bändchens aber wird er unmittelbar kenntlich. Langmut hat er wahrlich als Häftling, als Grundschullehrer, als Schriftsteller und Sammler, als Ehemann und öffentliche Person bewiesen. Wo der schmale Mann die Kraft und den Mut zu seinen Riesenprojekten hernahm, blieb ihm selbst "völlig unverständlich", an sich gezweifelt hat er immer wieder.

Die kurzen Gedichte in "Langmut" ergreifen durch die Schlichtheit eines elementaren Vokabulars, das der Begrenztheit des Sichtbaren in der Haft entspricht. Die Stäbe im Fenster der Zelle sind immer wieder Raum- und Zeitmaß, Symbole der Isolierung zugleich und ihrer Überwindung in der gestalteten Erinnerung. Wie für Rilkes Panther gibt es hinter ihnen keine Welt, das Subjekt aber behauptet sich in der inneren Kraft des Dennoch. "Mit dem Löffel spielt einer / Auf den Stäben ein Lied. / Du klopfst, du pochst, / aber niemand vernimmt es. / Aber es bleibt." Bücher, Bilder, ein Bogen, der Saiten streicht, sie sind das Abwesende, und doch vorhanden im Benennen des Verlusts. "Streckst Du den Arm hinaus / mit gespreizten Fingern, / da ist nichts zu greifen!" Nicht gehört zu werden, kein Adressat zu sein ist die Erfahrung, die in lakonischer Feststellung erschütternd dingfest wird. "Wartet niemand / mit einem Licht? / Kein Zeichen gilt dir."

Unter dem Titel "Piranesi" scheint das Zuchthaus als Verlies der Phantasie wahrgenommen zu werden, die Negation aber beschwört bildlos deren Befreiung. "Unter den Halbbogen / auf eisernen Treppen / hinauf - hinunter. / Ketten hängen keine herab. / An der Tür ist kein Zeichen. / Nichts wurde vermerkt." Die Raumerfahrung des Häftlings zeigt sich als Negativ der Sinnbilder des Lebendigen. "Im kalten Mutterleib / wartest du lange auf deine Geburt. / Kalt wird man dich ins Kalte stoßen." Die Reduktion aufs Elementare und Ursprüngliche zieht Heilsgedanken der Wiedergeburt oder der Transsubstantiation herbei. "Wasser und Brot. / Brot und Wein?" Aber sie bleiben leer und fraglich. In der Sprödigkeit dieser Texte verweigert sich die lyrische Stimme der Sinngebung des Sinnlosen.

Gleichwohl hat Kempowski die existentielle Trennungserfahrung der Haftzeit neben dem Verlust seiner Heimat als wesentlichen Antrieb seines Schreibens und Wirkens gesehen. Wie der Langmütige gegen mannigfaltige Widerstände zum außerordentlich populären Romancier und schließlich wie kein anderer seiner Generation zum bewunderten Vorbild jüngerer Schriftsteller wurde, lässt sich bei Volker Hage erinnernd nachlesen, der Kempowskis Werk von 1972 bis zu dessen Tod im Herbst 2007 in Kritiken, Interviews und Essays begleitet hat. Dabei gewinnen nicht nur die Dimensionen des gewaltigen Werks noch einmal fasslich Kontur, sondern es wird auch schmerzlich deutlich, wie sehr diese so eigenwillige wie vernünftige Stimme der öffentlichen Diskussion fehlt.

Zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung, während Günter Grass mit seinen unverändert verqueren Argumenten gegen die Einheit schimpfend durch die Lande zieht, wird es Lesern guttun, sich der nüchternen und noblen Stellungnahme Kempowskis vom 3. Oktober 1990 zu erinnern: "Ich hoffe, dass die dritte Republik in Bescheidenheit ihre Aufgabe in Europa erkennt und wahrnimmt. Dass sie die sich bereits jetzt abzeichnenden Gegensätze zwischen West und Ost tolerant überbrückt und aus den zwangsläufig eintretenden Konflikten mit Gewinn hervorgeht."

Heute wäre der große deutsche Chronist und "Volksdichter" Walter Kempowski achtzig Jahre alt geworden. Sein Ruhm, da ist sich nicht nur Volker Hage "ganz gewiss, wird weiter wachsen".

FRIEDMAR APEL.

Walter Kempowski: "Langmut". Gedichte. Knaus Verlag, München 2009. 82 S.. geb., 16,- [Euro].

Volker Hage: "Walter Kempowski". Bücher und Begegnungen. Knaus Verlag, München 2009. 174 S., br., 14,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.04.2009

DAS HÖRBUCH
Und Trauer schwand
Stimme aus dem Totenreich: Walter Kempowskis letzte Gedichte
Dass Walter Kempowskis riesenhaftes Werk mit einem Gedichtband, seinem ersten, schließen würde, hätte wohl niemand vermutet. Doch nun hat er es so gewollt, und er hat den Zyklus „Langmut” seinem postumen Publikum in zwei Gestalten hinterlassen: als Buch und als Audio-CD. Auf dieser spricht er selbst, eingerahmt von Präludien Schostakowitschs, die sieben Dutzend kurzen Texte. Zum letzten Mal hören wir den unverkennbaren Kempowski-Ton, die hohe, fast dünne Stimme, leicht jammerig, vorwiegend gleichmütig, unendlich zivilistisch, das genaue Gegenteil zum Staats-, Propaganda- und Kommandoton, der auch Kempowski Leben wie das vieler Millionen Deutscher ruinierte. Die Kammermusik unterstreicht diesen intimen, bürgerlichen Charakter.
Noch einmal geht es um Bautzen, um die Haft im kommunistischen Staatsgefängnis, das den Halbwüchsigen wegen einer Bagatelle um acht Jahre seines Lebens beraubte. Ob man ein Regime, das an solchen keineswegs vereinzelten Untaten nichts fand, „Unrechtsstaat” nennen dürfe, wird derzeit diskutiert. Die kahle Lakonie von Kempowskis Notaten ist frei von Anklage. Sie spiegeln vor allem die Hilflosigkeit eines Kindes, den Schrecken, der nie verging und den auch Kempowskis erstes Buch, der „Block”, nicht abarbeiten konnte. „Hebt sich der Boden, / senkt sich die Decke, / dringen die Wände auf dich ein? / Die Säfte schießen zusammen.” So ist das, wenn man Angst hat.
So gingen die Tage dahin
Die Zeit wird zum Kreislauf: „Du sahst die Fessel nicht, / aber du spürtest sie. / Und du spürtest sie nicht, / aber du sahst sie./ So gingen die Tage dahin.” Und so auch die Jahreszeiten: „Im Frühling / sind die Stäbe naß. // Im Sommer hell / bis in die Nacht. // Der Herbst weht ein Blatt zu dir . . . ”. Auch von den Stimmen ist die Rede, die Kempowskis späteres Werk so beflügelten, das Wispern und Zischen in den Fluren, das Lauschen auf Lebenszeichen, der Marschtritt und die Rufe. Keine Klage, nur Leere, bevölkert von Phantasien: „Keine Säulen, die du auseinanderstemmst, / und keine Kammern aus Blei, aus denen du fliehst. / Ein weißes Zimmer / und der gescheuerte Tisch.”
Dazu kommen, fast immer in der Form der Selbstanrede – ein anderes Du ist nicht da –, Reminiszenzen an die Kindheit, ihre Ferien und Landschaften, die Freiheit: „Gebäck, Tee, / Wind fuhr dir ins Haar, / und das Pferd / raspelte Rinde vom Baum./ Niemand hinderte dich zu rufen.” Es bleibt alles trostlos in diesen wie Haikus aufs Papier gemalten Wörtern, in den kleinen Akkorden der Stimme des Toten: „Liebe hielt es nicht aus, / Haß wußte nicht wohin/ und Trauer schwand.” Die Unentrinnbarkeit dieser Erfahrung hat dieser Dichter im ersten Text des Zyklus wie eine Art Taufe zum Lebenssiegel erhoben: „Das letzte Wort war das erste, / mit dem Pinsel schrieb / man es dir auf die Stirn. / Von da an warst du gerettet.”
Wer die Gedichte rätselhaft finde, so redet ihr Verfasser auf der CD einleitend seine Hörer – „meine Damen und Herren” – an, der solle sich einfach den kleinen Gefangenen in Bautzen vorstellen, dann verstehe man sie. Aber wer mag sich heute anmaßen, sich diesen kleinen Menschen und seine Lage in dem Riesenkerker vorzustellen? „Langmut” ist der unverzichtbare Schlussstein von Walter Kempowskis Lebenswerk. An diesem Mitwoch wäre der Autor achtzig Jahre alt geworden. GUSTAV SEIBT
WALTER KEMPOWSKI: Langmut. Gedichte. Albrecht Knaus Verlag, München 2009. 82 Seiten, 16 Euro.
Langmut. Gelesen von Walter Kempowski. Random House Audio. 1 CD, ca 60 Minuten, 14,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Fast ein wenig überrascht zeigt sich Rezensent Nico Bleutge über diese Gedichtsammlung aus dem Nachlass von Walter Kempowski. Vom großen "Chronisten der deutschen Nachkriegsgeschichte" hätte er diesen Gedichtband jedenfalls nicht unbedingt erwartet. Naheliegend scheint ihm, die Gedichte vor dem Hintergrund von Kempowskis Gefängnis-Erfahrung zu lesen, schon wegen der Bilder von Dunkelheit und Kälte und der Rede von "Gittern" und "Mauern". Allerdings - und das ist für Bleutge auch das "Schöne" an diesen Gedichten - verlangen sie diese Lesart nicht. Bei der Stimmung von Bedrohung und Absurdität, die in vielen Gedichten aufkommt, fühlt er sich immer wieder an Kafka oder Beckett erinnert.  Skepsis und Zweifel sprechen für Bleutge aus den Gedichten, aber auch Erinnerungen an das Glück, an die Kindheit.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Die spröden Verse waren ihm offenbar sehr wichtig. Wer sie jetzt anhört, begreift auch, warum: Sie bilden sozusagen den Schlußstein zu seinem Werk."