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Der Autor, der sich bei Ausbruch des Bosnien-Krieges 1992 in Amerika aufhielt und nicht mehr auf den Balkan zurückkehren konnte, wurde bei Erscheinen des Buches enthusiastisch gefeiert. Herzstück war die Erzählung um Jozef Pronek. Nun verfolgt Hemon die Geschichte dieses jungen Mannes weiter - ein bewegendes Requiem für eine verschwundene Welt und ein Lehrstück über die Wurzellosigkeit moderner Migranten.

Produktbeschreibung
Der Autor, der sich bei Ausbruch des Bosnien-Krieges 1992 in Amerika aufhielt und nicht mehr auf den Balkan zurückkehren konnte, wurde bei Erscheinen des Buches enthusiastisch gefeiert.
Herzstück war die Erzählung um Jozef Pronek. Nun verfolgt Hemon die Geschichte dieses jungen Mannes weiter - ein bewegendes Requiem für eine verschwundene Welt und ein Lehrstück über die Wurzellosigkeit moderner Migranten.
Autorenporträt
Aleksandar Hemon wurde 1964 in Bosnien geboren. Als 1992 die Belagerung Sarajevos begann, hielt er sich im Rahmen eines Kulturaustauschs in den USA auf und beschloss, im Exil zu bleiben. Heute lebt er in Chicago. Seine Erzählungen wurden in zahlreichen literarischen Magazinen und Sammelbänden veröffentlicht, darunter in den "Best American Short Stories 1999."
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003

Immer der Nase nach
Ohne Deo: Aleksandar Hemons Sprachreise / Von Peter Demetz

Viele Literaturen haben heute ihre Einheimischen und ihre Einsteiger, die mehr als nur ihre Schuhe gewechselt haben. Es gelingt nur wenigen Glücklichen, von oben in die amerikanische Literatur einzusteigen, etwa Louis Begley. Vorgestern war er noch ein polnischer Junge mit falschen Papieren, mit seiner jüdischen Mutter auf der Flucht von Versteck zu Versteck, studierte aber später in Harvard, arbeitete jahrzehntelang als Jurist an der Wall Street und schreibt jetzt amerikanische upper class-Romane, als hätte er Henry James und Edith Wharton schon im herrschaftlichen Kinderzimmer gelesen.

Andere, weniger Glückliche, wie der Bosnier Aleksandar Hemon, mußten andere Wege gehen, taten dies aber mit nicht weniger Talent und Energie. Hemon blieb als junger Stipendiat in Amerika hängen, als seine Heimatstadt Sarajevo unter Artilleriebeschuß geriet, und fing - sein Harvard waren die Straßen von Chicago - von unten an, ohne Sentimentalität, ohne klassische amerikanische Vorbilder (es sei denn der zugereiste Nabokov) und von der Frage bedrängt, wer er denn eigentlich sei: der eine, ein verwunderter Gymnasiast und Guitarrenspieler aus dem zerfallenden Jugoslawien, oder ein anderer, der Immigrant in Illinois, der in mühsamen Stundenjobs nicht genug verdiente, um seine Miete zu bezahlen.

Man darf Hemons Roman "Nowhere Man" mehr oder minder bequem von vorne nach hinten lesen und sich an den Lebensbericht des Immigranten halten, der langsam die neue Sprache lernt und dabei die merkwürdigsten Umstände in Kauf nimmt, als ob sie ganz natürlich wären. Viel nützlicher allerdings, und Hemons komplizierten Absichten gerechter, wäre es, mit dem Ende zu beginnen und dann noch einmal mit Kapitel eins und zwei fortzufahren. Der Epilog, datiert "Kiew 1990 - Schanghai August 2000", skizziert die Lebensgeschichte eines merkwürdigen Zeitgenossen namens Jewgenij oder auch Captain Pick, der sich als fernöstlicher Landzerstörer, Weltmann, Bordellbesitzer und unermüdlicher Erzähler seiner Lebensgeschichten etabliert, "mit allerkleinsten, plausiblen Details", die ebenso "gefangennehmen wie das chinesische Meer von Wodka", in welchem die Zuhörer ihr Gedächtnis ertränken (der Erzähler behauptet, Captain Pick sei in Kiew als Sohn eines Kosakenobersten und einer vergewaltigten jüdischen Mutter zur Welt gekommen).

Warum überrascht Hemon die überraschte Leserschaft, noch knapp vor Torschluß, mit so einer wunderbar abstrusen Biographie? Captain Pick interessiert ihn, weil er ein Spion war, der nacheinander für die Sowjets, die Japaner und die Amerikaner arbeitete. Das Entscheidende ist nicht, daß Pick sich den Geheimdiensten verschrieb, sondern daß er, je nach Dienst, seine Identität wechselte. Dies ist die Frage, die Hemon im Auge behält, wenn er von seinem Freunde Jozef Pronek - einst Sarajevo, jetzt Chicago - berichtet. Die Geschichte von Captain Pick erklärt genau, wenn auch spät, die wesentliche Absicht des neuen Romans und seine komplizierte Struktur zugleich, denn auch der Roman von Pronek ist, ganz wie Picks Lebensbericht, "ein Zyklus ineinander verzahnter Geschichten" von seiner Geburt bis in die Gegenwart. Im Grunde hat Hemon, auch in seinem früheren, in englischer Sprache verfaßten Prosaband, der vor drei Jahren in Amerika erschien - nie etwas anderes als verzahnte Geschichten geschrieben.

Hemons Roman lädt dazu ein, ihn mit Vergnügen und so realistisch zu lesen, als ob die historischen Umstände allein das Wichtigste wären, aber das hieße, die romantischen Spiele zu ignorieren, die der Autor mit Held Pronek und seinen Erzählern - Fixstern und Planeten - treibt. Ich will die artistische Einfallskraft des narrativen Arrangeurs, der vieles kennt und gerne parodiert, nicht unterschätzen. Jedenfalls: eine bosnische Familie, aber auch nicht ganz, denn der Vater kommt aus der Ukraine (der Sohn wird seinen Spuren forschend folgen), die Großmutter Natalya, die ihn eigentlich erzieht, Bildung im Haus der Pioniere und im Gymnasium, "Tage närrischer Verliebtheit" (im Café Nostalgija), der folgenreiche Enthusiasmus für die "Beatles", Sarajevo in den achtziger Jahren, eine schöne Stadt für junge Menschen, die Straßen "weich wie Perserteppiche".

Das windige Chicago ist anders; Pronek als Sandwich-Man, Assistent eines schmierigen Privatdetektivs, Greenpeace-Helfer, auch bei den Demonstrationen, Glück mit Rachel und ihrer freimütigen Mutter Rebecca, und, im Zimmer nebenan, die heiteren Schwulen Aaron und Maxwell, die nicht aufhören, über das Gebaren ihrer Mitbürger anderer sexueller Orientierung zu staunen. Man muß schon ein frischgebackener Immigrant sein, um die amerikanischste aller Städte so genau zu sehen.

Held Pronek (wenn er denn einer ist) und seine Erzähler sind einander, ungeachtet aller Distanz, allerdings zum Verwechseln ähnlich, denn sie alle haben bestimmte Neigungen oder gar Obsessionen, und das Murmelspiel der Knaben, das sie alle pflegten, ist noch die geringste davon. Ihnen ist gemein, daß sie sich nach Gerüchen orientieren, Odeurs, oder Parfums, eher olfaktorisch veranlagt als optisch. Alle Winkel der Welt, auf beiden Seiten des Atlantiks, riechen wie ein schlecht gelüfteter Autobus, der um das Jahr 1978 von Sarajevo zum Ferienort Makarska fährt, und wenn man Hunden die feinste Witterung zuschreibt, ist man versucht zu sagen, daß Pronek und seine narrativen Freunde die Welt geradezu durchschnüffeln. "Es roch nach" ist immer das erste Indiz einer Szenerie oder Begegnung, ob in einem Hausflur, der "nach Urin und Petroleum" riecht, ein Badezimmer - nach "Duschvorhang und aufgeweichter Seife" - oder eine ärmliche Stube, "saurer Schweiß und Vegeta, überlagert vom Aroma qualvoll schlafloser Nächte".

In diesem Erdenrund ohne Deodorant haben Männer und Frauen noch ihre eigenen Achselhöhlengerüche, unverwechselbar und scharf. Hemon will sie nicht degradieren, sondern durch Beschreibung in seinem (und unserem) Gedächtnis festhalten. Er stellt sich immer wieder die Frage, was man in einer Lebensgeschichte akzentuieren will und soll, und entscheidet sich, als geheimer Lyriker, für sein eigenes sanftes Gesetz der Prosa; nicht melodramatische Niederlagen und Rebellionen, sondern "das Flüchtige" und "Unmomentane" verheißt "die wahre Substanz des Lebens", die der Schriftsteller vor dem Vergessen rettet. Das gelingt ihm gerade deshalb, weil er, Pronek und die Seinen, noch nicht ganz in der neuen Sprache des anderen Kontinents zu Hause ist, noch nicht überwältigt und abgestumpft von Fox-News, Marktgetöse und alltäglichem Sprachabfall; und der Übersetzer Bernhard Robben hat es wahrhaftig zustande gebracht, diese blanke Sprache der ersten Stunde ins Deutsche herüberzuholen. Jedes Wort ist noch funkelnd, kühn und unverbraucht, der Lehrling noch kein Meister oder gerade ein Meister der Entdeckungen, weil er noch ein neugieriger Lehrling ist, der Worte und Syntax wie zögernd artikuliert. Aleksandar Hemon hat mit "Nowhere Man" ein Buch geschrieben, das ich nicht einfach ins Regal zurückstellen kann, denn es wird mir noch lange, und aus vielen Gründen, durch den Kopf gehen.

Aleksandar Hemon: "Nowhere Man". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Bernhard Robben. Albrecht Knaus Verlag, München 2002. 252 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Wunderbar abstrus findet Rezensent Peter Demetz diesen Roman, von dem er sich eingeladen fühlte, "ihn mit Vergnügen und so realistisch zu lesen, als ob die historischen Umstände das Wichtigste wären": als Lebensbericht eines osteuropäischen Immigranten in den USA also, der langsam eine neue Sprache lernt, und den Demetz dabei die merkwürdigsten Umstände in Kauf nehmen sieht. Mehr noch als den realistischen Erzähler schätzt der Rezensent jedoch in dem in Bosnien geborenen Autor Aleksander Hermon den romantischen Spieler, dem er die artistische Einfallskraft eines "narrativen Arrangeurs" bescheinigt, und den er seine Geschichte selbst auch parodieren sieht. Spaß bereitet dem Rezensenten besonders der Blick des frischgebackenen Immigranten auf Chicago, "der amerikanischsten aller Städte" und ihre typischen Phänomene. Auch erkennt er an Protagonist Pronek in Hermon den geheimen Lyriker, der sich für "sein eigenes sanftes Gesetz der Prosa" entschieden hat: eine Sprache nämlich, die noch nicht ganz in Amerika angekommen, "noch nicht überwältigt und abgestumpft" von Marktgetöse und täglichem Sprachabfall sei. Übersetzer Bernhard Robben habe es "wahrhaftig zustande gebracht", diese "blanke Sprache der ersten Stunde" ins Deutsche herüberzuholen.

© Perlentaucher Medien GmbH"
"Der gebürtige Bosnier Aleksandar Hemon erweist sich auch in seinem zweiten auf Englisch geschriebenen Buch als virtuoser Erzähler." Spiegel