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In Bild und Wort spiegelt dieses Buch die zweite Lebenshälfte von Ernst Jünger (1885-1998): Fülle des Lebens und Wirkens ist vergegenwärtigt, mit Weltoffenheit und Dichteraskese, offiziellen Anlässen und privaten Augenblicken. Ein halbes Jahrhundert lebte dieser Dichter und Denker von europäischem Rang, dieser große Zeitzeuge des 20. Jahrhunderts mit dem unbestechlichen Blick und den in die Zukunft weisenden insichten in Oberschwaben. Wissenschaftler und Staatsmänner, Autoren und bildende Künstler suchten ihn in Wilflingen auf, ebenso wie unterschiedlichste Weggefährten, denn Ernst Jünger war…mehr

Produktbeschreibung
In Bild und Wort spiegelt dieses Buch die zweite Lebenshälfte von Ernst Jünger (1885-1998): Fülle des Lebens und Wirkens ist vergegenwärtigt, mit Weltoffenheit und Dichteraskese, offiziellen Anlässen und privaten Augenblicken. Ein halbes Jahrhundert lebte dieser Dichter und Denker von europäischem Rang, dieser große Zeitzeuge des 20. Jahrhunderts mit dem unbestechlichen Blick und den in die Zukunft weisenden insichten in Oberschwaben. Wissenschaftler und Staatsmänner, Autoren und bildende Künstler suchten ihn in Wilflingen auf, ebenso wie unterschiedlichste Weggefährten, denn Ernst Jünger war ein Genie der Freundschaft.
Den Photo-Folgen sind assoziativ Zitate aus Ernst Jüngers Tagebüchern und Essay-Bänden gegenübergestellt
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.2003

Der Kampfhahn und der Dandy
Illusionslos: Der Briefwechsel von Ernst Jünger und Gerhard Nebel beleuchtet drei Epochen

Wer wissen möchte, was vitale Freiheit unter der Diktatur bedeutete, der greife zu diesem Buch. Als Gerhard Nebel im Sommer 1938 den ersten Brief an Ernst Jünger schrieb, gab es über das Regime keine Illusionen mehr. Jünger trug sich mit den Gedanken zu den "Marmorklippen", die, wie Nebel später schrieb, an der Idee der Gerechtigkeit festhielten, als die Macht um ihrer selbst willen gefeiert wurde. Nebel selbst hatte es zeitweise nach Italien und nach Afrika gezogen, wo er seine jüdische Geliebte wiedertraf. Und Nebel war der erste, der schon in den dreißiger Jahren das anarchische Motiv in Jüngers Schriften erkannte.

Freiheit unter der Diktatur: Das bedeutete, noch vor jedem Widerstand, die Suche nach anderen geistigen und sittlichen Maßstäben, als sie die Propaganda anbot. Nebel, studierter Altphilologe, fand sie bei den Griechen, später dann bei Luther und Hamann. Vor 1933 hatte er der linkssozialistischen SAP angehört - wie übrigens auch Willy Brandt. Und diese kämpferische Gruppierung muß seinem Temperament eher entsprochen haben als ein braver Sozialdemokratismus. Denn abgesehen davon, daß er ein Denker war, war Nebel auch ein Kampfhahn von Graden, nicht zufällig widmete er seinen schönsten Essay dem kleinen, aber höchst streitlustigen Fisch Betta splendens. Zusammenstöße mit feindlichen Meinungen pflegte er mit den Fäusten auszutragen. Er konnte zechen und die Gelage, antiker Form sich nähernd, als Bacchus-Opfer mythisieren. Die mündliche Überlieferung des Hauses Jünger weiß von manchen Zwischenfällen mit der Hausfrau zu berichten.

Das größte Risiko war er eingegangen, als er mitten im Krieg den Essay "Im Fliegerhorst" veröffentlichte, in dem er die ästhetische Anmutung der Kriegsflugzeuge den Wespen verglich und damit der offiziellen Ikonographie des edlen Raubvogels entgegentrat. Die "Neue Rundschau", in der der Aufsatz erschienen war, wurde sofort verboten, Nebel von Paris auf die Kanalinsel Guernsey strafversetzt.

Als der Briefwechsel im Dezember 1945 wieder einsetzt, kommen neben der Sorge um das Schicksal vermißter Freunde, um Tabak und Wein bald auch kulturpolitische Pläne zur Sprache. Die ersten Nachkriegsjahre waren den Zeitschriften günstig, die im geistigen Chaos Orientierung brachten. Auch Jünger und Nebel dachten an eine Gründung um ein Fähnlein der sieben Aufrechten, zu dem Jüngers Bruder Friedrich Georg, Heidegger, Heisenberg, Carl Schmitt und Hans Speidel gehören sollten. Allerdings bestand die Gelegenheit für solche Projekte nur für einen Moment. Mit der Gründung der Bundesrepublik - oder schon mit der Währungsreform? - war sie abgelaufen; vor allem der immer bedenkliche Heidegger hatte zu lange gezögert.

Ein Zerwürfnis beendete 1951 den Briefwechsel, der erst neun Jahre später, im Zeichen einer schweren Krankheitskrise, von Nebel wieder aufgenommen wurde. Für den Leser kommt der Bruch nicht überraschend. Immer wieder hatte Nebel für Jünger geworben - ihn einmal auch mit einer maßlosen theologischen Übertreibung als den "Katechon" bezeichnet, den Aufhalter des Antichrist. Dem mit solchem Lob Bedachten konnte es nicht wohl werden. Es kam hinzu, daß Nebel für manche Beobachter im Schatten des "Capitano" zu stehen schien. Manchmal ließ Jünger ihn zappeln; bitter beklagt sich Nebel einmal darüber, daß Jünger ihm die Friedensschrift nicht zugänglich machte, die anderen längst bekannt war. Wie Nebel zu Übertreibungen, so neigte Jünger zum distanzierten, sentenziösen Stil, in dem er von Zeit zu Zeit Orakelsprüche über die welthistorische Stunde verlauten ließ. Der Leser braucht Geduld, denn es fehlt manches von dem gesellschaftlichen Element, das sonst zur Lebhaftigkeit von Briefwechseln beiträgt.

Nebels große Begabung war die mythengesättigte Landschaftsbeschreibung. Hans Magnus Enzensberger hat in einer frühen Kritik auf die Korrespondenz hingewiesen, die sich zwischen diesen hochgebildeten Reisebüchern und dem beginnenden Tourismus der Bundesdeutschen herstellte. Tatsächlich erschienen Nebels Bücher wohl nicht zufällig im Marees-Verlag, der dem Reiseunternehmer Dr. Tigges gehörte. Eine aufgeklärte Ungeduld gegenüber dem Mythos erfaßt manchmal auch den Leser dieser Briefe: Muß man denn partout von Hellas reden, wenn man als Tourist nach Griechenland fährt? Übrigens ist es gerade Jünger, der solchen Überlegungen an einer Stelle ganz unerwartet entgegenkommt: "Auch hat die Popularisierung der materialistischen Geschichtsausfassung das Gute, daß sich selbst harmlosen Gemütern verhältnismäßig rasch der ökonomische Hintergrund enthüllt."

458 Seiten Briefe enthält der Band, ihnen stehen die 531 Seiten des Kommentars gegenüber. Da es sich bei den Briefen nicht um Hölderlin-Varianten oder Novalis-Fragmente handelt, erhebt sich die Frage: Wie war ein solches Mißverhältnis von Text und Erklärung möglich? Am 19. November 1965 schreibt Nebel am Jünger, de Gaulle sei "nicht entfernt ein Bismarck". Offenbar hat man bei der Kommentierung an die Erstsemester des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts gedacht: denn es folgt eine Erklärung über Leben und Werk von "Otto Eduard Leopold von Bismarck (1815 - 1898)", die knapp eine Seite füllt. Eine Erwähnung von Oscar Wilde wird von den Herausgebern präzisiert: "eigtl. Oscar Fingal O'Flahertie Wills Wilde". Wer diesen Band in Händen hält, wird künftig an keine Meldung über eine Krise des Verlagswesens mehr glauben. Und die Praktikanten bei Klett oder die studentischen Hilfskräfte in Dresden, die man im Brockhaus nachschlagen ließ, hatten sehr viel Zeit. Nur einmal müssen sie es eilig gehabt haben. Am 17. November 1949 berichtet Nebel, er habe eine "ziemlich negative Besprechung" der Prosa von Gottfried Benn an Herrn Arnold geschickt, "der jetzt das ,Thema' herausgibt." Wer war Herr Arnold? Ratlos bleibt der Leser zurück. Spätestens, wenn er im Kommentar liest, es handle sich um den 1940 geborenen Kritiker Heinz Ludwig Arnold - der folglich als Neunjähriger schon die Qualitäten besessen haben soll, die er seither als Herausgeber von "Text und Kritik" beweist -, wird er den Band für einen Moment beiseite legen und sich melancholischen Überlegungen über editionstechnische Standards hingeben.

Ernst Jünger / Gerhard Nebel: "Briefe - 1938 - 1974". Herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort von Ulrich Fröschle und Michael Neumann. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2003. 989 S., geb., 49,- [Euro].

Gisela Linder (Hg.): "Ernst Jünger - Die Jahrzehnte in Oberschwaben". Verlag E. S. Mittler & Sohn, Hamburg 2002. 207 S., Abb., geb., 68,- [Euro].

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