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Lidice, Katyn, Montecassino, Dresden - sie alle stehen für Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert. In diesem Band werden von 50 Experten in 140 chronologisch geordneten Beiträgen Kriegsverbrechen des 20. Jahrhunderts in Europa und im Nahen Osten dokumentiert. Es wird deutlich, daß auf allen Seiten und an allen Fronten das Kriegsvölkerrecht mit Füßen getreten wurde. Das war in den Weltkriegen nicht anders als in den Entkolonialisierungskriegen und beim Zerfall Jugoslawiens in den neunziger Jahren. Zu den bekannten Stichworten des Zweiten Weltkriegs gehören auf deutscher Seite Coventry, Babiy Yar,…mehr

Produktbeschreibung
Lidice, Katyn, Montecassino, Dresden - sie alle stehen für Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert. In diesem Band werden von 50 Experten in 140 chronologisch geordneten Beiträgen Kriegsverbrechen des 20. Jahrhunderts in Europa und im Nahen Osten dokumentiert. Es wird deutlich, daß auf allen Seiten und an allen Fronten das Kriegsvölkerrecht mit Füßen getreten wurde. Das war in den Weltkriegen nicht anders als in den Entkolonialisierungskriegen und beim Zerfall Jugoslawiens in den neunziger Jahren. Zu den bekannten Stichworten des Zweiten Weltkriegs gehören auf deutscher Seite Coventry, Babiy Yar, Lidice, Oradour, Malmedy, auf sowjetischer Seite Broniki, Feodosia, Grischino, Katyn, Nemmersdorf, auf westalliierter Seite Mers-el-Kebir, Torbay, Montecassino, Annecy und Dresden.
Autorenporträt
Prof. Dr. Franz W. Seidler, em. Professor für Sozial- und Militärgeschichte an der Universität der Bundeswehr München, zahlreiche Publikationen über die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und die personelle Bedarfsdeckung der Bundeswehr.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.02.2003

Mit Füßen getreten
Wenig ausgewogene Artikelsammlung über Kriegsverbrechen

Franz W. Seidler/Alfred M. de Zayas (Herausgeber): Kriegsverbrechen in Europa und im Nahen Osten im 20. Jahrhundert. Mit einem Kommentar zum Kriegsvölkerrecht von Armin Steinkamm. Verlag E. S. Mittler & Sohn, Hamburg 2002. 380 Seiten, 49,90 [Euro].

Kriegsverbrechen gehören zu den elementaren Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, die systematische Verletzung der Rechte und Gebräuche des Krieges scheinen die militärische Operation mehr und mehr abzulösen. Dabei steht die Weltöffentlichkeit eigentlich vor einer höchst paradoxen Situation: Trotz eines immer umfassenderen und ausgefeilteren Völker- und Kriegsrechts wird es offensichtlich immer schwieriger, einer Entgrenzung der Gewalt gegenzusteuern, zumindest auf dem Schlachtfeld.

Ein Handbuch, das die wichtigsten Völkerrechtsverstöße in den Kriegen des 20. Jahrhunderts knapp und übersichtlich zusammenfaßt, wäre also zu begrüßen. Wäre. Denn Vergehen dieser Art - tatsächliche oder vermeintliche - sind hochsensible Affären. Sie lassen sich leicht propagandistisch mißbrauchen. Noch schwieriger wird es, wenn der Anspruch erhoben wird, über ein ganzes Jahrhundert zu urteilen. Dann sind nicht nur Wissen, Präzision und Objektivität gefragt, sondern auch das Prinzip unbedingter Ausgewogenheit.

Schon daran scheitert dieses Lexikon, dessen Herausgeber Franz W. Seidler und Alfred M. de Zayas im Vorwort offen zugeben, "daß viele Ereignisse, die in dieses Buch gehören, fehlen". Zwar werden in den 140 Beiträgen zentrale Kriegsverbrechen berücksichtigt, doch sind Auswahl und Gewichtung so willkürlich, daß sich das Fazit des Klappentextes förmlich aufdrängen muß: "Es wird deutlich, daß auf allen Seiten und an allen Fronten das Kriegsvölkerrecht mit Füßen getreten wurde." In einem solchen Urteil steckt viel Wahres, doch werden damit die ideologischen, politischen und auch militärischen Unterschiede, welche die Kriege des 20. Jahrhunderts stets ausgezeichnet haben, schlichtweg eingeebnet. Der Krieg aber bleibt die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, wie wir seit Clausewitz wissen.

Muß man etwa ein Buch, dessen Thema Europa und der Nahe Osten sein soll, mit einem Beitrag über die Konzentrationslager im Burenkrieg eröffnen? Warum fehlt ein Abschnitt über den Kriegsgerichtsbarkeitserlaß Barbarossa, der doch das Verhalten der Wehrmacht an der Ostfront am stärksten beeinflußt hat? Ist es legitim, so große deutsche Verbrechenskomplexe wie die Massaker der Einsatzgruppen und den uneingeschränkten Partisanenkrieg in der Sowjetunion lediglich mit zwei Beiträgen und einem Fallbeispiel abzuhandeln, während andererseits kleine und kleinste Vergehen der Alliierten minutiös aufgelistet sind? Und warum werden am Ende des Buches fünf israelische Völkerrechtsverletzungen in aller Breite dargestellt, ohne daß auf den palästinensischen Terrorismus eingegangen wird?

Disbalancen dieser Art sind freilich nicht das einzige Problem. Höchst disparat sind - gelinde gesagt - auch die Beiträge selbst. Neben soliden Artikeln ausgewiesener und anerkannter Autoren finden sich andere, die das Prädikat "wissenschaftlich" nicht mehr verdienen. Bezweifelt wird etwa die Zahl der sowjetischen Kriegsgefangenen, die in deutschem Gewahrsam umgekommen sind - die Schätzung beläuft sich auf immerhin 3,3 Millionen. Eigene Zahlen bleibt der Autor jedoch schuldig, der aber munter behauptet, die systematische Unterversorgung der gefangenen Rotarmisten sei eine Folge des angloamerikanischen Luftkriegs, der so viel Lebensmittel vernichtet habe, daß für die Gefangenenlager einfach "nichts übrig" geblieben sei. Wohlgemerkt: Das grausame Sterben dieser Opfergruppe erreichte im Winter 1941/42 seinen Höhepunkt!

Auch wäre - um ein anderes Beispiel zu nennen - beim Beitrag über den Partisanenkrieg der Hinweis auf Hitlers Weisung vom 16. Juli 1941 angebracht gewesen, der nun einmal meinte, dieser Krieg gäbe "uns die Möglichkeit auszurotten, was sich gegen uns stellt". Bei den deutschen Aktionen handelte es sich eben nicht um rein militärische Unternehmen, wie der Autor suggeriert. Oder der vieldiskutierte Kommissarbefehl: Ist es da sinnvoll, sich primär auf die Auslassungen vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal zu stützen, neue Arbeiten wie die von Reinhard Otto aber völlig außer acht zu lassen, obwohl dieser die Kooperation zwischen Wehrmacht, SS und Polizei bei der Ermordung von Gefangenen detailliert nachzeichnet?

Die Liste ließe sich fortsetzen. Schon diese Defizite können jedoch belegen, daß die Autoren ihrem Anliegen nicht gerecht geworden sind: Das Kriegsverbrechen als zentrales Charakteristikum des modernen Krieges, auf dessen Mikroebene es geradezu naiv wäre, nur der einen Seite die Rolle des Täters zuzuweisen und der anderen die des Opfers. Aus der Vergangenheit läßt sich noch viel lernen, nicht zuletzt in Deutschland. Und gerade deshalb hätte ein so wichtiges und komplexes Thema eine bessere und vor allem ausgewogenere Aufarbeitung verdient, als das hier geschehen ist.

CHRISTIAN HARTMANN

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sehr unzufrieden äußert sich Christian Hartmann über diesen Sammelband zum Thema Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, gerade weil Hartmann das Thema für ausgesprochen wichtig erachtet. Doch haben die Herausgeber seines Erachtens eine völlig willkürliche Auswahl und Gewichtung vorgenommen. Wichtige Unterschiede würden eingeebnet, was Hartmann für heikel hält, da sich solche Dinge erfahrungsgemäß "propagandistisch" gut ausschlachten ließen. Warum muss ein solches Buch über Europa und den Nahen Osten mit einem Artikel über die Konzentrationslager im Burenkrieg eröffnet werden, fragt er. Warum würden israelische Völkerrechtsverletzungen dargestellt, nicht aber der palästinensische Terror erörtert? Warum wird der Partisanenkrieg in der Sowjetunion nur kurz abgehandelt, während die Kriegsverbrechen der Alliierten minutiös aufgelistet werden. Nur ein Teil der Beiträge ist Hartmann zufolge wissenschaftlich fundiert, andere verdienen seines Erachtens nicht mal dieses Etikett. So der namentlich nicht genannte Autor, der die Zahl der in deutscher Haft umgekommenen russischen Kriegsgefangenen bezweifelt, aber keine eigenen Zahlen nennt. Schlicht unseriös. Aus der Vergangenheit lässt sich viel lernen, schließt der Rezensent, aber nur solange Wissen, Umsicht und Objektivität walten würden.

© Perlentaucher Medien GmbH