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In einer richtungweisenden Arbeit untersucht Peter Burke den sozial- und kulturgeschichtlichen Hintergrund der Sprachen, wie sie in der maßgeblichen Epoche zwischen Erfindung des Buchdrucks und Französischer Revolution in Europa gesprochen und geschrieben wurden. Im Mittelpunkt stehen dabei die Verflechtungen zwischen Idiomen und geographischen, konfessionellen, beruflichen, geschlechtsspezifischen und nationalen Gemeinschaften sowie die identitätsstiftende Rolle der Sprache. Und Burke fragt nach der Konkurrenz: zwischen Latein, der damaligen lingua franca, und den Landessprachen, zwischen…mehr

Produktbeschreibung
In einer richtungweisenden Arbeit untersucht Peter Burke den sozial- und kulturgeschichtlichen Hintergrund der Sprachen, wie sie in der maßgeblichen Epoche zwischen Erfindung des Buchdrucks und Französischer Revolution in Europa gesprochen und geschrieben wurden. Im Mittelpunkt stehen dabei die Verflechtungen zwischen Idiomen und geographischen, konfessionellen, beruflichen, geschlechtsspezifischen und nationalen Gemeinschaften sowie die identitätsstiftende Rolle der Sprache. Und Burke fragt nach der Konkurrenz: zwischen Latein, der damaligen lingua franca, und den Landessprachen, zwischen dominierenden und untergeordneten, aber auch zwischen ihren jeweiligen Versionen.
Autorenporträt
Peter Burke, 1937 in London geboren, lehrt Kulturgeschichte am Emmanuel College der University of Cambridge (England). Er hat mehr als zwanzig Bücher veröffentlicht und wurde in über dreißig Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2006

Geht es auch etwas weniger geistreich?
Gelassen unsolide: Neues von Peter Burke / Von Caspar Hirschi

Er sieht aus wie ein Tier, unter seiner Mönchskutte zeichnet sich ein verwachsener Körper ab, und aus seinem Mund spricht die babylonische Sprachverwirrung. Seine Worte sind Collagen aufgeschnappter Sprachfetzen in Italienisch, Spanisch, Französisch und Latein. Zum Verhängnis wird ihm, daß sich in seinem wirren Kopf ketzerische Ausdrücke verfangen haben, die er zur falschen Zeit zum besten gibt. Unfähig, sich zu erklären, endet er auf dem Scheiterhaufen. Dieser arme Teufel heißt Salvatore und ist ein Geschöpf aus Umberto Ecos Roman "Der Name der Rose". Unverhoffte Ehre erweist ihm nun Peter Burke, emeritierter Professor an der Universität Cambridge. In seinem jüngsten Buch erhält Salvatore die Patenschaft für Burkes Ausführungen zur vormodernen "Sprachmischung".

Mit diesem Begriff beschreibt Burke weit mehr als das Durcheinander von Ecos semiotikbefrachteter Mönchsfigur. Er verwendet ihn für alle Formen von Kreolisch und Pidgin, für die Aufnahme von Fremdwörtern, für die wechselseitige Beeinflussung von Soziolekten, kurz: für alles, was die Sprache in einer mobilen Gesellschaft an kulturellem Austausch zu leisten imstande ist. Das Thema "Sprachmischung" macht die eine, heitere Hälfte von Burkes Buch aus. Die andere gehört den Puristen. Diese Priester der sprachlichen Reinheitslehre sieht er in der frühen Neuzeit fröhliche Urständ feiern: Am Anfang standen die humanistischen Klassizisten, gefolgt von den Verteidigern der Volkssprachen, die fremde Wörter wie feindliche Krieger behandelten, ihre Argumente aber gerne bei ausländischen Autoren bezogen.

Sprachmischung und Sprachreinigung sind für Burke ein wesentlicher Ausdruck dessen, was er als "Entdeckung der Sprache im Europa der frühen Neuzeit" bezeichnet. Daniel Baggionis Theorie von den drei "ökolinguistischen Revolutionen" um 1500, 1800 und 2000 aufgreifend, bewertet er die Erfindung des Buchdrucks als Ausgangspunkt einer Umwälzung von Sprache und Sprachkultur. Zu ihren Merkmalen zählt er den Aufstieg der Volkssprachen zu kulturellen Prestigeobjekten, das literarische Spiel mit Dialekten und Soziolekten in Theaterstücken, die Standardisierung der Sprache mit Hilfe von Wörterbüchern und Grammatiken und die damit verbundene Hierarchiebildung von überregional-elitären Schriftsprachen und regional-volkstümlichen Mundarten. Die nächste Sprachrevolution, mit der Burke seine historische Betrachtung abschließt, bringt er mit dem Erwachen des Nationalismus und dem Aufkommen einer staatlichen Sprachpolitik Ende des achtzehnten Jahrhunderts in Verbindung.

Burke stellt die Sozialgeschichte der Sprache als neues Forschungsfeld vor, das erst seit wenigen Jahren bearbeitet werde und Ansätze von Linguisten, Literaturwissenschaftlern und Historikern zu einer Einheit verbinde. Bei deren Theorien hält sich Burke zwar nicht lange auf, dafür bedient er sich bei ihrer Terminologie und wendet diese auf ein reiches Quellenmaterial an, zu dem Theaterstücke, Gerichtsakten, Wörterbücher, Reiseberichte, Briefe und Flugschriften gehören.

Über weite Strecken besteht das Buch aus einer Abfolge locker verbundener Zitate, die verschiedenen Sprachräumen entstammen und stets unterhaltend, oft witzig und manchmal erhellend sind. Den Raum dazwischen füllen Darstellungen verschiedener Forschungspositionen, die meist mit einer relativierenden Note ausklingen. Mit dieser Mischung gelingt Burke ein gut lesbares Buch, dem man die Entstehung aus einer Vorlesung ebenso anmerkt wie die Gelassenheit seines berühmten Autors.

Bei Burkes Begabung für die geistreiche Causerie bleibt wenig Platz für pointierte Thesen, theoretische Vertiefungen und lange Argumentationslinien, die einem derart uferlosen Thema hätten Konturen verleihen können. Womit seine "Sozialgeschichte der Sprache" über die bekannten Ansätze der historischen Soziolinguistik und der Diskursgeschichte hinausführt, bleibt noch zu beweisen. Vorläufig ist ihre leichte Verständlichkeit mit einem Verlust an methodischer Solidität erkauft. Auch inhaltlich bleibt einiges diffus. Burkes Verständnis des frühneuzeitlichen Lateins als "tote Sprache auf der Suche nach einer Gemeinschaft" wird von seinen eigenen Ausführungen (zu Recht) unterlaufen. Höchstens erahnen läßt sich, daß die humanistische Sprache mit ihrer plakativen Ästhetik eine sozialgeschichtlich folgenreiche Brücke von der universitären Gelehrsamkeit zur adligen Hofkultur schlug.

Ein Zusammenhang von frühneuzeitlicher Sprachkultur und Nationenbildung wird verneint, obwohl Burkes Quellen belegen, daß der Kampf gegen fremde Wörter auch fremden Sitten galt, daß der Untergang von Sprachen mit jenem von Völkern assoziiert und der "Wettkampf der Sprachen" in einen Wettkampf der Nationen integriert wurde. Für Burke darf die Verbindung von Sprache und Nation nicht vor 1750 beginnen. Die Idee von der Nation als moderner Erfindung - diese beliebte Waffe gegen nationalistische Ideologien - ist mittlerweile zur Ideologie geronnen.

Peter Burke: "Wörter machen Leute". Gesellschaft und Sprachen im Europa der frühen Neuzeit. Aus dem Englischen von Matthias Wolf. Wagenbach Verlag, Berlin 2006. 280 S., geb., 24,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Sehr anregend fand Rezensent Balthasar Haussmann Peter Burkes Beschäftigung mit der Entwicklung der europäischen Sprachen seit der Frühen Neuzeit und dem Untergang der Weltsprache Latein, sowie dem Einfluss, den die Erfindung des Buchdrucks auf diese Entwicklung hatte. Der Rezensent freute sich auch an Burkes gut lesbarer und gedankenreicher Sprache. Besonders gefiel ihm der "leicht parlierende Duktus" und die essayistische Form dieser enorm komplex recherchierten Betrachtungen. Doch empfand er den Recherchereichtum des Buches mit seinen, mehrere Jahrhunderte umfassenden Quellenfunden aus ganz Europa nicht immer Erkenntnis fördernd. Denn der ist aus seiner Sicht zwar beeindruckend, doch gelegentlich auch ziemlich erdrückend. Über weite Strecken machen die Betrachtungen dadurch eher den Eindruck eines "ungeheuren Zettelkastens" auf ihn. Insgesamt aber leuchtet ihm diese kleinteiligeVorgehensweise trotzdem ein, weswegen seine Bewertung des Buches letztendlich trotzdem positiv ausfällt.

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