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Die klassische Biographie über den jungen Kafka - eine immer wieder zitierte Quelle aller nachfolgenden biographischen Arbeiten. Erweitert und neu kommentiert.

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Produktbeschreibung
Die klassische Biographie über den jungen Kafka - eine immer wieder zitierte Quelle aller nachfolgenden biographischen Arbeiten. Erweitert und neu kommentiert.
Autorenporträt
Klaus Wagenbach, 1930 in Berlin geboren, für seine Literaturleidenschaft berühmter Verleger, ist - nach eigenem Bekenntnis - Kafkas dienstälteste lebende Witwe.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.2008

Ein Komet unter dem Mikroskop

Zwei Bildbände erschließen uns Kafkas Leben in einer bisher nicht erreichten Vollständigkeit. Hartmut Binder und Klaus Wagenbach streiten um die Königskrone im Reich der Kafka-Realien.

Von Hubert Spiegel

Aber jeden Tag", so hielt Franz Kafka 1910 in seinem Tagebuch fest, "soll zumindest eine Zeile gegen mich gerichtet werden wie man die Fernrohre jetzt gegen den Kometen richtet." Zumindest dieser Wunsch Kafkas ist in Erfüllung gegangen, allerdings anders, als der Schriftsteller ihn gemeint hatte.

Denn lange bevor erkannt wurde, in welch hohem Maß Kafkas Schreiben auch der Erforschung des eigenen Selbst gewidmet war, richteten sich die Fernrohre und die Mikroskope anderer auf Leben und Werk des Prager Schriftstellers. Es ist, soviel ist sicher, seit vielen Jahrzehnten kein Tag mehr vergangen, an dem nicht eine Zeile über Kafka geschrieben wurde: Über Jahre hinweg, so hat der französische Germanist Claude David festgestellt, sind allwöchentlich mindestens zwei neue Bücher über Kafka erschienen, Artikel und Aufsätze nicht berücksichtigt.

Davids Berechnung ist jetzt mehr als ein Vierteljahrhundert alt, und es mag sein, dass die Produktion der Sekundärliteratur ein wenig nachgelassen hat, aber in diesem Jahr, in dem der 125. Geburtstag des Schriftstellers ansteht, läuft sie auf Hochtouren. Oft ist dabei ein wenig abschätzig von der Kafka-Industrie die Rede. Dabei ist der Begriff keineswegs ehrenrührig, wenn man bedenkt, dass Kafkas Erwerbsleben als Beamter der "Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt" dem Schutz der Arbeiter vor den Folgen der rasant voranschreitenden Industrialisierung ihrer Arbeitsplätze diente.

Zwei echte Arbeiter in Kafkas Fabriken, mit wohlverdientem Arbeiterstolz und zuweilen auch mit Arbeiterpathos ausgestattet, haben jetzt ihre jüngsten Produktionen vorgestellt. Klaus Wagenbach, Jahrgang 1930, Verleger und selbsternannte "dienstälteste Kafka-Witwe", hat seine 1983 erstmals erschienene Bildmonographie "Franz Kafka. Bilder aus seinem Leben" zum dritten Mal erweitert und überarbeitet. Der Germanist Hartmut Binder, Jahrgang 1937 und Herausgeber des 1980 erstmals erschienenen "Kafka-Handbuchs", legt mit "Kafkas Welt. Eine Lebenschronik in Bildern" ein Konkurrenzunternehmen vor. Beide Bücher stehen für ein Lebenswerk, denn beide Autoren sind seit Jahrzehnten als Jäger und Sammler in Sachen Kafka unterwegs, Lebensrechercheure und Literaturdetektive, immer auf der Spur nach neuen, unbekannten oder alten, seit langem verschollenen Lebenszeugnissen. Was sie zusammengetragen haben, ist schier unglaublich.

Und es ist, wenn man beide Bücher vor sich liegen hat, mehr als man zu fassen vermag: 688 Seiten mit etwa zwölfhundert Abbildungen bei Binder, 256 Seiten und Hunderte von Abbildungen bei Wagenbach, zusammen sind die Bände etwa vier Kilogramm schwer. Natürlich gibt es unendlich viele Überschneidungen, findet sich sehr vieles im einen wie im anderen Band. Die Konkurrenz ist groß, das Verhältnis beider Herren zueinander eher schlecht, die Quellenlage oft alles andere als eindeutig. So kann es nicht übermäßig verwundern, dass die beiden mittlerweile im Rechtsstreit miteinander liegen. Dass es dabei im Grunde um die Frage geht, wer der wahre König im Reich der Kafka-Realien sei, liegt auf der Hand.

Aber wem gebührt die Königskrone, wenn man die Bücher zugrundelegt? Welche Kafka-Bibel ist die bessere, wahrere, schönere? Soll man den schweren Binder kaufen oder den vergleichsweise schnittig wirkenden Wagenbach? Dass beide zahllose Dokumente zu allen Lebensstationen Kafkas bieten, von der Familie über Schule, Universität, Berufs- und Liebesleben bis zu den Reisen, Freundschaften, Verlagsbeziehungen und Sanatoriumsaufenthalten, versteht sich von selbst.

Der erste Eindruck ist der sinnliche: Beide Bücher sind in blauem Leinen gebunden, aber bei Wagenbach ist das Papier stärker und das Weiß der Seiten matter als bei Binder. Das kommt den Reproduktionen der alten Fotografien und Dokumente zugute. Man nimmt Wagenbachs Buch lieber in die Hand, es ist gefälliger, schöner, handlicher, und fast könnte man meinen, der Verleger habe hier den Beweis antreten wollen, dass in kleinen unabhängigen Verlagen die Bücher mit mehr Liebe gemacht würden als in großen Konzernverlagen.

Wagenbach gliedert seine Stofffülle in neun Kapitel, von "Familie, Kindheit" über "Das Jahr 1912" bis zu den "letzten Jahren". Binder ist viel differenzierter, viel kleinteiliger, seine Gliederung umfasst zweiundzwanzig Kapitel. Binder bietet einfach mehr - aber die Fülle wirft auch Probleme auf. Kapitel vier, um ein Beispiel zu nennen, ist auf etwa dreißig Seiten dem Weg Kafkas ins Büro gewidmet, wobei Hinweg und Rückweg noch voneinander unterscheiden werden. Hier zeigt sich Binders Anspruch besonders deutlich: Jede Straße, jedes Gebäude, über das Kafka jemals eine Zeile notiert hat, sollen uns vor Augen geführt werden. Wenn Kafka im Tagebuch am 9. November 1911 einen Traum festhält, in dem er den Altstädter Ring, die Niklasstraße, die Mariensäule, den Brunnen vor der Niklaskirche sowie den alten Rathausbrunnen erwähnt, zeigt uns Binder all dies in alten Fotografien und versäumt auch nicht den Hinweis, dass der Traum zwei Tage zurücklag, als Kafka ihn notierte. Und weil Kafka es für nötig hielt, festzuhalten, dass er den alten Rathausbrunnen nie mit eigenen Augen gesehen habe, hält Binder es nicht für überflüssig, uns diesen Brunnen auch im Bild zu präsentieren. Jetzt wissen wir, wie der "Krocinbrunnen" aussah, der fünfzehn Jahre vor Kafkas Geburt abgerissen wurde.

Und weil sein Weg den jungen "Concipisten" durch die Niklasstraße führte, wo sein Hausarzt Heinrich Kral im Haus Nr. 11 "seit 1907 seine Patienten empfing", zeigt uns Binder nicht nur ein Porträtfoto des Mediziners, sondern auch das Portal des Hauses, dessen Architekten er ebenso nennt wie den für die Ausschmückung zuständigen Bildhauer. Muss man wissen, dass dieser Bildhauer Karel Novak hieß? Nein. Will man es wissen? Eigentlich auch nicht. Aber man kann Hartmut Binder diese überflüssige Detailgenauigkeit im Bildtext zur Abbildung Nummer 214 unmöglich übelnehmen, weil man noch unter dem Eindruck der Abbildung 213 steht. Sie zeigt den Hausarzt selbst, und im dazugehörigen Text zitiert Binder nicht nur einen Tagebucheintrag Kafkas, in dem Krals Fähigkeiten angezweifelt werden, sondern bringt danach eine Kurzbiographie Krals, die mit dem Hinweis endet, Kral sei entgegen Kafkas Tagebuchnotiz wohl doch ein guter Diagnostiker gewesen, der übrigens bescheiden lebte, maßvoll aß, nur Tee trank, nicht rauchte und armen Patienten die Rechnung erließ. Binder stützt sich für diese Beschreibung auf eine Erzählung Johannes Urzidils, ein im April 1976 in London geführtes Gespräch mit Maria Bobasch sowie auf die Ausgabe des Prager Tagblatts vom 28. März 1915.

Wer wie der Rezensent sich nie ganz von dem Glauben zu lösen vermochte, man sollte Bücher Seite für Seite von vorne nach hinten lesen, wird bei Binder natürlich wahnsinnig. Aber das kann man beim Goethe-Handbuch oder der Brecht-Chronik auch haben. Wagenbach entlastet den Leser, er wählt stärker aus; die Vollständigkeit, die Binder unentwegt anstrebt, ist für ihn nur ein Ideal, wenn dessen Verwirklichung auch zumutbar bleibt, etwa im Fall jener Fotografien, die Kafka selbst zeigen. Hier verkündet schon der Klappentext stolz, dass der Band "sämtliche Portraits" enthalte. Und wenn Wagenbach ein Porträt präsentiert, das früher Kafkas Onkel Siegfried Löwy zugeschrieben wurde, aber wohl doch eher Alfred oder Josef Löwy zeigt, schreibt er salopp: "Sie als Leser haben die Wahl." Eine solche Formulierung dürfte Hartmut Binder unerträglich sein. Dass Wagenbach in Sachen Kafka Spaß verstünde, sollte man aus ihr aber vielleicht lieber auch nicht schließen.

Solche Details zeigen die Unterschiede: Beide Autoren haben eine Mission, aber Wagenbach ist der bessere Missionar. Für die positivistische, an Realien interessierte Kafka-Forschung ist Binders "Lebenschronik" zweifellos ein Meilenstein: Vollständiger ist uns die Welt, in der Kafka sich bewegte, noch nie vor Augen geführt worden. Wer solch überbordenden Detailreichtum indes als bedrohlich empfindet, ist mit Wagenbachs Band besser bedient. Die entscheidende Frage aber, wie lange uns die Lebenszeugnisse und Realien beim Lesen von Kafkas Büchern helfen und wann sie beginnen, uns den Weg zu verstellen, muss jeder Kafka-Leser für sich selbst entscheiden.

- Hartmut Binder: "Kafkas Welt". Eine Lebenschronik in Bildern. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 688 S., geb., Abb., 68,- [Euro].

- Klaus Wagenbach: "Franz Kafka". Bilder aus seinem Leben. Wagenbach Verlag, Berlin 2008. 256 S., geb., Abb. 39,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2007

Der Verleger als Feldforscher
Wieder da: Klaus Wagenbachs Buch über Franz Kafkas Jugend
Andere verschweigen ihre Dissertation schamhaft, sperren sie gar in den Giftschrank, Klaus Wagenbach legt sie noch einmal auf. Fast fünfzig Jahre nach Erscheinen ist seine Forschungsarbeit über Kafkas Jugendjahre immer noch ein Lesegenuss. 1950 begegnete Wagenbach erstmals dem Werk des Prager Schriftstellers, für den damals Zwanzigjährigen Liebe auf den ersten Blick. Nach der Promotion 1957 habe er seine Dissertation, so Wagenbach im Vorwort zur Neuausgabe, „zuerst aus dem Germanistischen ins Gemeindeutsche übersetzt”. Wie lohnend diese Mühe war, davon können sich alle, die an Kafkas Herkunft interessiert sind, jetzt erneut überzeugen.
Dass Wagenbach den Titel „Kafkas dienstälteste lebende Witwe” zu Recht trägt, beweist diese Edition. Es ist kein Reprint der vergriffenen, auch antiquarisch kaum mehr erhältlichen Arbeit, sondern eine aktualisierte und verbesserte Neuauflage. Die 737 Anmerkungen, mit denen dieses opulente Quellenwerk aufwartet, wurden wie der Text auf den neuesten Stand gebracht, die Ergänzungen durch Piktogramme in Pfeilform gekennzeichnet. Im Anhang finden sich vier gleichfalls aktualisierte Aufsätze aus den Jahren 1965 bis 2003. Der älteste Text „Wo liegt Kafkas Schloss?” verrät ebenso wie der über „Kafkas Fabriken” (2002) den unermüdlichen Feldforscher.
Bis ins Detail herauszufinden, welche „Realien” in Kafkas Gehirn „Furchen gezogen” haben, faszinierte schon den jungen Wagenbach. Dass nicht Wallensteins Friedland, sondern Wossek, der Geburtsort von Kafkas Vater, das bauliche Vorbild für das Schloss im gleichnamigen Roman gewesen sein dürfte, dafür finden sich plausible Belege. Eindrucksvoll auch die Recherche des bereits 72-jährigen im nordböhmischen Industriegebiet, wo Kafka als Angestellter der Arbeiter-Unfall-Versicherung unterwegs war, um die Produktionsbedingungen und Sicherheitsstandards vor Ort zu überprüfen.
Der Geist der Realien beseelte bereits die Doktorarbeit. Zwar zieht Wagenbach auch hier stets Verbindungslinien zwischen Lebenswelt und Werk. Hauptsächlich aber soll Kafka mithilfe möglichst vieler empirischer Daten als reale Person wiederauferstehen. Diese auf das soziale Milieu gerichtete positivistische Reanimation war nicht nur äußerst ertragreich, sie wagte zudem, worauf sich viele Biographen heute nicht mehr verstehen: die bündige Interpretation. Mitte der fünfziger Jahre betrat Wagenbach mit seiner Feldforschung Neuland, der junge Germanist reiste, was damals noch die Ausnahme war, nach Israel, recherchierte in der realsozialistischen Tschechoslowakei, wo Kafka damals noch auf dem Index stand.
Abschied vom Geheimnis
Die Ergebnisse waren bahnbrechend, um Wagenbachs Darstellung der Jugendjahre Kafkas kommt bis heute kein Biograph herum. Seine Darstellung Prags um die Jahrhundertwende, der Lebenswelten Kafkas und seiner Familie war schon eine Vorwegnahme der erst Mitte der Achtziger einsetzenden Wiederentdeckung Mitteleuropas und seiner jüdischen Kultur. Wie es sich für einen wie Wagenbach gehört, steckte hinter seinem Realitätsdrang schon damals polemische Absicht. Der ins Nebulös-Numinose transformierte metaphysische Kafka der Germanistik der fünfziger Jahre muss dem angry young man damals gewaltig gegen den Strich gegangen sein.
Seine Deutung der empirischen Daten und Fakten näherte den mitteleuropäischen Kafka der politischen Linken an. Daran hält auch der alte Wagenbach fest, mit fast fünf Seiten ist der Auseinandersetzung mit den Kritikern seiner These, Kafka habe Sympathie für den tschechischen Anarchismus gehegt, die umfangreichste der aktualisierten Fußnoten gewidmet. Hier wie andernorts wird mancher Strauß gefochten, für eine muntere Philippika (vor allem gegen Hartmut Binder, den Herausgeber des Kafka-Handbuches) ist keine Zeile zu schade. Auch wer nicht alle Meinungen Wagenbachs teilt, ist von deren Leidenschaftlichkeit gefangen. Gut, dass es noch schreibende Verleger gibt. THOMAS MEDICUS
KLAUS WAGENBACH: Franz Kafka. Eine Biographie seiner Jugend 1883 - 1912. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2006. 327 Seiten, 108 Abb., 29,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Thomas Medicus bejubelt die aktualisierte Neuausgabe von Klaus Wagenbachs Dissertation über die Jugendjahre Franz Kafkas. Obwohl fast ein halbes Jahrhundert alt, sei die Lektüre noch immer ein Genuss, was wahrscheinlich daran liegt, dass Wagenbach seine Arbeit bereits 1957 bei der ersten Publikation vom Germanistenjargon befreit hat, lobt der Rezensent. Der Autor und Verleger ist seit Beginn seiner Forschungen vor allem am realen biografischen Hintergrund des Prager Schriftstellers interessiert, wobei er dankenswerter Weise auch vor dezidierten Interpretationen von Kafkas Texten nicht zurückscheut, so Medicus bewundernd. Diese Pionierarbeit, für die Wagenbach bereits in den 50er Jahren an die Stätten von Kafkas Leben reiste, ist auch heute ein Gewinn und überzeugt nicht zuletzt durch den Enthusiasmus des Autors für sein Forschungsgebiet, preist der begeisterte Rezensent.

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