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Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich befragt das Selbstverständnis von Künstlern und Kunstliebhabern. Die Vorstellung einer »hohen« Kunst ist ihm ebenso ein Dorn im Auge wie ihre von einseitigen Motiven geleitete Kommerzialisierung und Funktionalisierung. Und er wendet sich gegen eine Sprache, die den Kunstkommentar zum Audienzbericht herabwürdigt.Aber nicht nur die fürstliche Autorität der Kunst steht im Zentrum seiner Überlegungen, auch die Frage, ob Kunst eine revolutionäre Funktion übernehmen kann, beschäftigt ihn. Oder: Welche Funktion wird ihr in einer Spaßgesellschaft zugewiesen, für…mehr

Produktbeschreibung
Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich befragt das Selbstverständnis von Künstlern und Kunstliebhabern. Die Vorstellung einer »hohen« Kunst ist ihm ebenso ein Dorn im Auge wie ihre von einseitigen Motiven geleitete Kommerzialisierung und Funktionalisierung. Und er wendet sich gegen eine Sprache, die den Kunstkommentar zum Audienzbericht herabwürdigt.Aber nicht nur die fürstliche Autorität der Kunst steht im Zentrum seiner Überlegungen, auch die Frage, ob Kunst eine revolutionäre Funktion übernehmen kann, beschäftigt ihn. Oder: Welche Funktion wird ihr in einer Spaßgesellschaft zugewiesen, für die »Events« das Maß aller Dinge sind? In welchem Verhältnis stehen Kunst und Wirtschaft zueinander, gehen sie eine neue Liaison ein? Hat Kunst gar eine wirtschaftsfördernde Funktion, und welche Verbindung besteht zwischen Kunst und Arbeit?
Autorenporträt
Wolfgang Ullrich, geboren 1967 in München, studierte dort ab 1986 Philosophie, Kunstgeschichte, Logik/Wissenschaftstheorie und Germanistik. 1994 promovierte er mit einer Dissertation über das Spätwerk und Ereignis-Denken Martin Heideggers. Seither ist Wolfgang Ullrich als Autor, Dozent und Unternehmensberater tätig. Neben Lehraufträgen an verschiedenen Hochschulen war er von 1997 bis 2003 als Assistent am Institut für Kunstgeschichte der Akademie der Bildenden Künste in München, 2003/04 war er Gastprofessor für Kunsttheorie an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Seit 2006 ist er Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.Zahlreiche Publikationen, insbesondere zur Geschichte und Kritik des Kunstbegriffs, über moderne Bildwelten sowie Wohlstandsphänomene.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.10.2003

Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund
Endlich mal entspannt genießen: Wolfgang Ullrich lässt der Kunst die Luft raus
... und was war diese Sache seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert nicht für eine untertänige Veranstaltung! Allein, dass man Regeln festschrieb, wie man sich der Kunst zu nähern habe: „Wie vor einen Fürsten”, schrieb etwa Schopenhauer, „abwartend, ob und was es zu ihm sprechen werde”: so solle man sich vor ein Bild hinstellen. Als die höfische Welt degenerierte, ging ihr absolutistischer Adel flugs auf die Kunst über.
Und Wolfgang Ullrich findet immer neue Abwandlungen dieser schnell zum Topos geronnenen Forderung im Ästhetikdiskurs der Moderne: so bei Rilke, der die Gunst, die Cézannes künstlerische Heilsbotschaften gewähren, so gar nicht selbstverständlich fand: Man solle sich empfängnisbereit vor den Monte Sainte-Victoire und all die anderen Majestäten stellen, „als täten sie etwas für einen”. So sollte das ästhetische Reservat der Moderne vor den Durchschnittslaien geschützt werden – eine Abgrenzungsstrategie, die Ullrich selbst noch bei Adorno vorfindet, etwa in dessen Formel von der „Selbstnegation des Betrachters”.
Denn nur, wem Gutes widerfährt, der ist des Kunstwerks wirklich wert: So verschiebt sich die Beweislast bei der Frage, was Kunst in ihrem innersten Wesen ausmache, vom Produzenten auf den Rezipienten. Doch wehe, wenn sie losgelassen: Der derart nobilitierte Künstlerfürst neigt zur Arroganz, er bekundet seine neu gewonnene Macht gerade in den „adventistischen Erlösungsphantasien und einer extremen, asketisch-spiritualistischen Haltung” (Ullrich) der Klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts durch Entzug.
Ein Barnett Newman hat sich dem Hermeneuten eben zu verweigern – und ihn gerade dadurch zu überwältigen. Noch das kunstkritische Mantra unserer Tage ist voll von „Verunsicherungen”, „Widerständen” und „Irritationen”, die man sich von Werken der Kunst gerne gefallen lasse. Doch zum Glück ist Kunstdetektiv Ullrich auf der Lauer: Er warnt vor dem Nischendasein einer selbstgewählten, nur vermeintlich autoritären Isolation, in das sich die Kunst nur allzu gerne begebe. Nur, dass eben nicht so klar wird, von welcher „Kunst” eigentlich die Rede ist: Ullrichs mit einer Ausnahme alle schon einmal veröffentlichten Essays kranken an mangelnder Empirie. Wie der Kunstdiskurs und -jargon der Moderne sein Sujets fortlaufend überschätzt und gleichzeitig unterfordert, wie er ihn mit Funktionen überfrachtet und gerade dadurch entwertet – zivilisationskritisch habe sie zu sein, revolutionär noch dazu, Ausnahmezustände habe sie zu gegenwärtigen und zu spiegeln, der herrschenden Bilderflut Prägnanz entgegenzusetzen -: all das wird schlüssig decouvriert und in seinen Widersprüchen anatomisch zerlegt.
Doch ist der Diskurskokon, den selbstherrliche Theoretiker um „die Kunst” gewoben haben, einmal entsponnen, bleibt, wie bei des Kaisers Kleidern: ein blinder Fleck. Welche Kunst es ist, die man nun „tiefer hängen” soll, weil sie von jeglichen Glücks- und Erlösungsprojektionen befreit sei, ob man sich nun bücken soll, um sie begutachten zu dürfen – das verrät Ullrich nicht.
Vielleicht ist da ja gar nichts mehr, was man irgendwie aufhängen kann – wer weiß? Immerhin: Genießen kann man die neuen Freiheiten ja schon mal. Alles andere wird sich weisen.
HOLGER LIEBS
WOLFGANG ULLRICH: Tiefer hängen. Über den Umgang mit der Kunst. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2003. 189 Seiten, 11,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003

Höhere Wesen befehlen: Bilder nicht mehr anbeten!
Wolfgang Ullrich sieht die Avantgarde im Event verschwinden und fordert eine neue Sprache für die Kunst / Von Niklas Maak

Ein Mann, Vorstand eines großen Unternehmens, einer, der sich von niemandem etwas sagen läßt, wird im Frühjahr 2001 dem Künstler Georg Baselitz vorgestellt. Der Künstler fragt den Manager, ob er bereits ein Bild von ihm besitze. Der Manager verneint. Daraufhin Baselitz: "Dann spreche ich auch nicht mit Ihnen." Der Manager ist nicht verärgert; er ist beeindruckt, kauft noch am selben Abend ein Baselitz-Gemälde und berichtet stolz von der Begegnung und dem Kauf.

Es sind solche Geschichten, mit denen Wolfgang Ullrich seine Essays beginnt, Beobachtungen seltsamer Ereignisse am Rande des Kunstbetriebs, Anekdoten, von denen man auf wundersamen Wegen schnell zu den großen Fragen gelangt. Es geht um Marktmechanismen und Herrschaftssicherung im Kunstbetrieb, um das Ende einer Vorstellung von moderner Kunst und um die Gründe, warum an ihr so verzweifelt festgehalten wird, um geschürte und enttäuschte Glücksversprechen. "Tiefer hängen" ist die Geschichte des Verfalls eines Kunstbegriffs, eine Analyse der kommerziellen und kulturellen Mechanismen, die die Wahrnehmung und Wertschätzung von Kunst prägen.

Die bedingungslose Liebe zum enfant terrible, dessen schlechtes Benehmen geradezu herbeigesehnt wird, die unterwürfige Begeisterung des Managers für den despotenhaft auftretenden Baselitz etwa, bringt vor allem den Künstler in eine ungemütliche Lage. Indem sich Unternehmen "mit moderner Kunst im Avantgarde-Stil identifizieren, können sie als schneidig, konsequent und leistungsfähig wahrgenommen werden, ohne deshalb als kalt oder brutal gelten zu müssen". Der moderne Künstler, der sich viel auf seine Andersartigkeit und kritische Distanz zum prosaischen Treiben des Homo oeconomicus einbildete, wird neuerdings zum eigenartigen Zwitter: Halb ist er gern gesehener Hofnarr, dessen Exzentrizität die Toleranz und Souveränität seines Kunden bestätigt, halb ist er Vorbild des idealen Angestellten - ein "eigener" und "unverwechselbarer" Charakter nämlich "mit Ecken und Kanten" und "ausgefallenen Ideen".

Bekannt wurde der sechsunddreißig Jahre alte Kunsthistoriker und Unternehmensberater Ullrich mit seinem brillanten Essay "Mit dem Rücken zur Kunst", in der er die Repräsentationsfunktion jener Bilder analysierte, vor denen sich Wirtschaftsmagnaten und Politiker fotografieren lassen. In "Tiefer hängen" spielt er die Mutation des Künstlers vom Gesellschaftsschreck zum harmlosen Vorbild und Mitläufer der Spaßkultur in all ihren irritierenden Konsequenzen durch. Performancekünstler, die einst als Provokateure begannen, finden sich plötzlich als Chefanimateure einer Gesellschaft wieder, der nichts Provokantes und Künstlerisches mehr fremd ist: Christo, der 1961 illegal in Paris eine Straße mit Fässern absperrte, um gegen die Algerien-Politik zu protestieren, dekorierte 1999 den Gasometer Oberhausen mit grellbunten Fässern. Auch die Arbeiten von Gerhard Merz, "der Kunst als radikale Ausnahme proklamierte", aber mittlerweile für die Autostadt Wolfsburg arbeite, verschwinden "als ein Design-Element zwischen Möwenpick und Souvenirshop". Selten, daß Kunst noch bewegt, aufwühlt oder provoziert: "Was bei vielen Ausstellungen passiert, trägt Züge eines - selten spannenden - Experiments, bei dem die Stabilität der Rezeptionsrituale getestet wird."

Je mehr die Kunst ins Schleudern kommt, weil sie sich bei ihrem Marsch aus dem Museum bis zur Unkenntlichkeit im kunstfernen Alltag breitgemacht hat, desto wichtiger wird die Art, in der über sie geredet wird. Die einzige Sicherheit, überhaupt noch als Kunst erkannt zu werden, sei, so Ullrich, der Spiegel der Kritik. Wie treffend diese Analyse ist, zeigte sich auf der diesjährigen Kunstbiennale: Manches Kunstprojekt war überhaupt erst dadurch erkennbar, daß es im Katalog als "Irritation der Sehgewohnheit" gepriesen wurde. Doch auch die Sprache der Exegeten findet keine Gnade in Ullrichs Polemik, "Vor einem Bild", schrieb Schopenhauer 1844, "hat sich jeder hinzustellen wie vor einen Fürsten, abwartend, ob und was es zu ihm sprechen werde." Diese quasi-religiöse Kunstandacht, während deren dem Bild die Rolle eines Souveräns zukomme, präge noch heute das Rezeptionsverhalten. Jedes Werk, das der Kritik in die Finger kommt, muß, um Kunst zu sein, zwangsläufig das erhabene "Andere" sein, das mit Gewalt ins Eigene "hereinbricht" und dort natürlich, wie Ullrich an Max Imdahls Beschreibung eines Gemäldes von Barnett Newman moniert, "überwältigen", "aus der Fassung setzen" und "ausliefern" muß. Es ist dieses Unbehagen an einer raunenden, die eigene Sprachlosigkeit zelebrierenden Bildbeschreibung, das bereits 1970 Martin Warnkes bahnbrechenden Essay "Wissenschaft als Knechtungsakt" prägte. In ihm analysierte der Kunsthistoriker die Implikationen einer militärischen Metaphorik in der Kunstbeschreibung, die vom "beherrschenden Zentrum" und der "Zucht strenger Formen" schwärmte und Dinge "zwingend an ihren Platz" rücken ließ.

Ullrich spürt in dieser kritischen Tradition Herrschaftsmechanismen im aktuellen Kunstbetrieb auf. Dabei kommt einem nicht alles, was er gegen die arrogante und sich selbst überschätzende Avantgarde vorzubringen hat, unbedingt neu vor. Die Qualität seiner Essays liegt mehr in den grandiosen Mikrobeobachtungen, dort, wo er beschreibt, was passiert, wenn Mondrians Muster im Möbeldekor und Mode aufgehen oder wo der revolutionäre Anspruch mit der Schönheit eines Kunstwerks kollidiert. Wo er zeigt, wie das Geflecht von Wirtschaft und Ästhetik funktioniert, leistet Ullrich Pionierarbeit. Daß es nichts Abgestandeneres gibt als eine Kunst, die den Ausnahmezustand spielt, und eine Kritik, die "das Fremde" sucht, ist dagegen bekannt - fragt sich nur, wie eine andere Kunst aussehen könnte und ein anderes Sprechen über Kunst. "Als Statussymbol und Imagefaktor", schreibt Ullrich in seinem Vorwort, sei die Kunst "nach wie vor von großer Bedeutung, als Fluchtpunkt der größten Sehnsüchte jedoch hat sie für viele ausgedient - vielleicht auch nur, weil in einer Zeit des Wohlstandes kaum noch Wünsche nach einer totalen Änderung der Verhältnisse bestehen". Das mag für die europäischen Wirtschaftszirkel gelten, deren Mechanismen Ullrich hellsichtig analysiert. An anderen Orten, in Mexiko etwa, entsteht eine andere Kunst; selten war so viel anarchischer Furor und Sehnsucht nach Utopie in der Kunst zu besichtigen wie dort.

Die Vorbeben einer anderen Kunst waren auch auf der letztjährigen Documenta zu spüren, und in ihr sieht auch Ullrich einen Hoffnungsschimmer: In Kassel hätten "die Künstler sich von den Bürden eines Kunstbegriffs zu befreien begonnen, der ihnen auferlegt hatte, bei jedem Bild alles zu geben und eine Totalität zu bieten, die kompensatorisch, therapeutisch oder einfach überwältigend wirken sollte". Als Beispiel einer Kunst ohne das Pathos der Überwältigung führt Ullrich Hans-Peter Feldmann an, der zeige, wie "sich Bilder aus verschiedenen Sparten miteinander auf entlarvende Weise kombinieren lassen. Viele solcher Umgangsweisen mit Bildern haben auch eine befreiende, aufklärerische oder ironische Dimension." Am Ende steht doch wieder die Forderung nach einer aufklärerischen Kunst, die Dinge vorsprachlich begreif- und spürbar macht - was diesen Anspruch betrifft, hängt Ullrich dankenswerterweise nichts tiefer.

Wolfgang Ullrich: "Tiefer hängen". Über den Umgang mit der Kunst. Wagenbach Verlag, Berlin 2003. 96 S., br., 11,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Der Allesfresser Kunst hat sich überfressen", konstatiert Wilhelm Trapp und begrüßt deshalb Wolfgang Ullrichs polemische Essays als "Entlastungsangebot an die Kunst von außen". Schließlich, paraphrasiert Trapp den Autor, sei die Kunst erst seit dem 18. Jahrhundert jene ambitionierte, vielgesichtige, erhabene Fürstin, die sich nicht mit dem Dekorieren zufrieden gibt, sondern den Aufstand probt und sich zur moralischen Autorität aufschwingt - damals eine Befreiung, heute eine Einschränkung, weil jede Aura irgendwann verblasse und weil dort, wo die Revolte statutmäßiges Programm ist, selbige schließlich zur Geste werden muss. Außerdem sei es an der Zeit, dass der Kunstbetrachter aus seiner demütigen Haltung befreit werde. Also: Tiefer hängen, aufrechter gehen und bitte etwas weniger moralische Emphase. Und auch, wenn der Rezensent glaubt, dass die Kunst eigentlich für sich selbst sorgen kann, unterschreibt er Ullrichs Vorschlag gerne.

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