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Stimme aus dem Verlag "Engländer und Franzosen sind wie Hund und Katz?" Vielleicht. Und doch hat der Brite Lytton Strachey Frankreichs Kultur und Literatur des 18. Jahrhunderts mit liebevoller Hingabe und stilistisch brillant beschreiben. Von seinem Essay "Voltaire in England" ausgehend, zeigt er an gebildeten und gewichtigen französischen Persönlichkeiten wie fruchtbar die gegenseitigen Anregungen zwischen den beiden Nationalitäten wirklich waren. Wunderbar unangestrengte Dichtung über Kunst, Salons und andere französische Leidenschaften." (Annette Wassermann, Presse, Verlag Klaus…mehr

Produktbeschreibung
Stimme aus dem Verlag
"Engländer und Franzosen sind wie Hund und Katz?" Vielleicht. Und doch hat der Brite Lytton Strachey Frankreichs Kultur und Literatur des 18. Jahrhunderts mit liebevoller Hingabe und stilistisch brillant beschreiben. Von seinem Essay "Voltaire in England" ausgehend, zeigt er an gebildeten und gewichtigen französischen Persönlichkeiten wie fruchtbar die gegenseitigen Anregungen zwischen den beiden Nationalitäten wirklich waren. Wunderbar unangestrengte Dichtung über Kunst, Salons und andere französische Leidenschaften."
(Annette Wassermann, Presse, Verlag Klaus Wagenbach)

Strachey ist ein beeindruckender Zeuge gegen das Vorurteil von der herzlichen Abneigung zwischen Engländern und Franzosen. So zeigt gleich der Eingangsessay "Voltaire und England", wie fruchtbar in Wahrheit die gegenseitigen Anregungen zwischen Engländern und Franzosen gewesen sind. Es folgen Porträts von, unter anderem, der Marquise du Deffand und ihrer Schülerin und späteren Rivalin Mademoiselle de Lespinasse, Gastgeberin des berühmten Salons, in dem sich die großen Geister der Aufklärung trafen.
Autorenporträt
Lytton Strachey wurde 1880 in London geboren. Der Essayist und Biograph wurde berühmt durch seine Eminent Victorians, zu seiner Zeit die schärfste Abrechnung mit Kultur und Moral des viktorianischen Zeitalters. Er gehörte zu den frühesten Mitgliedern des Bloomsbury-Kreises um Virginia Woolf und John Maynard Keynes. Strachey starb 1932 in Hungerford, Berkshire.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2002

Prügel für Voltaire
Lytton Stracheys Frankreich-Exkursionen / Von Ingeborg Harms

Lytton Strachey war einer der funkelndsten Kristalle des Bloomsbury-Kreises. Drei Jahre bevor er die Welt durch seine so scharfsinnige wie ausgewogene "Queen Victoria"-Studie erstaunte, machte ihn 1918 die Aufsatzsammlung "Eminent Victorians" über Nacht berühmt. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits eine Unmenge von essayistischen Rezensionen, biographischen Aufsätzen, Theaterkritiken und Kolumnen geschrieben, doch erst durch seine Abrechnung mit dem Geist der Epoche, die der Erste Weltkrieg zu Grabe trug, wurde er zur Stimme einer ganzen Generation. Strachey predigte und propagierte nicht, er hüllte seinen Standpunkt in zugespitzte Analysen, die dem Leser nicht nur das Urteil über seine meist historischen Gegenstände, sondern auch deren Gegenwartsbezug anheimstellten. Als Revolution in seinem Denken empfand er die Erkenntnis, daß der Schriftsteller dem Mann der Tat gewachsen ist. Unter seinen Freunden kursierte eine Anekdote, der zufolge eine Dame einen eleganten Bloomsburyaner zur Rechenschaft zog, weil er nicht wie andere junge Männer für die Zivilisation ins Frontfeuer ging. Sie erhielt zur Antwort: "Madam, ich bin die Zivilisation, für die Sie kämpfen." Das Bonmot könnte eine Erfindung Stracheys sein. Die Waffen dieses Pazifisten waren anderer Natur: Er glaubte an das wohldosierte Gift der Worte.

Sein Essay "Voltaire und England" läßt sich in dieser Hinsicht als Parabel lesen. Er handelt von der Genese der "Philosophischen Briefe", die Voltaire nach einem längeren Aufenthalt in England schrieb. Der Brief ist ein Lieblingsgenre Stracheys, denn er verbindet den ziselierten, verführerischen Ausdruck mit biographischen Details und kommt so seiner sehr französischen Überzeugung von der Nähe des Stils zum persönlichen Schicksal entgegen. Kurzweilig und auf dramatische Wendepunkte bedacht, erzählt Strachey von einem Zwischenfall, der für Voltaire zur Berufung wurde. Einer allzu schlagfertigen Antwort wegen ließ der Chevalier de Rohan-Chabot den jungen Schriftsteller von einem Dinner beim Herzog von Sully abrufen und vor der Tür von seinen Lakaien verprügeln. Fassungslos und in lädiertem Zustand kehrte Voltaire in die aristokratische Abendgesellschaft zurück, wo man sich über sein Unglück nur amüsierte. Um die Ehre wiederherzustellen, übte Voltaire das Fechten und mußte erfahren, daß man ihn als Ruhestörer in die Bastille warf. Er erwirkte die Erlaubnis, außer Landes zu gehen, und lernte dort, das Florett der Rede gegen "die Mächte der Finsternis" ins Feld zu führen: "Jene neue Gemütsstimmung, die zum erstenmal in Sullys Speisezimmer über ihn gekommen war, wuchs in der wahlverwandten Luft Englands zur beherrschenden Leidenschaft seines Lebens." Strachey zeichnet ein plastisches Bild von einer Natur, die "hoch konservativ im Geschmack", aber revolutionär im humanistischen Geist war, und modelliert Voltaire als aufschlußreichen Zwischencharakter, in dem zwei Zeitalter aufeinandertreffen.

Drei weitere Porträts sind in der Aufsatzsammlung "Französische Paradiese" enthalten. Auch Stracheys Begeisterung für die Salondamen Madame du Deffand und Mademoiselle de Lespinasse löst die Briefkunst aus. Erstere wird als eine Autorin eingeführt, deren Aperçus den Lärm des Napoleonischen Rußland-Feldzugs übertönen: Als ihre Korrespondenz mit Horace Walpole postum erscheint, vergessen die Pariser, daß Moskau brennt, und stürzen sich in die Lektüre. Die 1780 verstorbene Adelsdame war mit siebenundfünfzig Jahren erblindet und herrschte von nun an mit "blinden, scharfen Augen" über ein "Dutzend oder mehr älterer, pompöser Persönlichkeiten", die "glitzernd von Juwelen und Orden, in Puder und Rouge, in strenger Ordnung um den Kamin gereiht, mit der Präzision eines vollendeten Orchesters dem dirigierenden Wort oder Lächeln der alten Sibylle" gehorchten. Strachey übertreibt Deffands Gebrechlichkeit, malt sie schlaflos, durch glücklose Liebe beleidigt, verbittert und des Lebens überdrüssig, um ihren Geist desto strahlender zu inszenieren: "Sie führt nie mehr als einen Schlag und trifft immer den Nagel auf den Kopf." Der Biograph mißt sich mit der sprachökonomischen Brillanz seines Objekts und gibt viel zu denken, indem er sparsam charakterisiert: "Wären sie einander ein wenig sympathischer gewesen, sie hätten sich nie die Mühe gegeben, so gut zu schreiben", bemerkt er über ihren Briefwechsel mit Voltaire.

In Stracheys geisteshistorischer Dialektik erhält Madame du Deffand erst durch ihren Protegé, Mademoiselle de Lespinasse, Kontur. Die Jüngere gründete einen Gegensalon und entführte ihrer Gönnerin mit den Enzyklopädisten den besten Teil der Besucher. Die Konkurrentinnen teilten nicht nur eine außerordentliche Intelligenz, rhetorische Beweglichkeit und den Charme großer Gastgeberinnen, sie hatten auch, was sie für den Engländer erst interessant machte: ein Vermögen zur leidenschaftlichen Empfindung. Während das Takt- und Proportionsempfinden des achtzehnten Jahrhunderts in Madame du Deffand die Oberhand behielt, vollführte ihre Gegenspielerin das kleistsche Kunststück, an rasender Liebe zu sterben.

Die produktive Allianz kühler Köpfe und starker Emotionen war auch ein Charakteristikum des Bloomsbury-Zirkels. Daß der homosexuelle Strachey um Virginia Stephens Hand bat und den Antrag in plötzlichem Entsetzen über ihr Jawort im nächsten Atemzug widerrief, ist für die Explosivität der von ihnen gepflegten liberalen Umgangsformen bezeichnend. An Mademoiselle de Lespinasses Salon idealisierte Strachey, was er unter seinesgleichen suchte: "eine Atmosphäre von Freiheit und Vertrautheit, die sich ergab aus einer wirklichen Gleichheit, einem wirklichen Verstehen, einer wirklichen Freundschaft, wie sie vorher und nachher nur in wenigen Gesellschaftskreisen zu finden waren".

1931 auf seinem Sterbebett schob Strachey Virginia Woolfs Roman "Die Wellen" fröstelnd beiseite und versenkte sich in Stendhals "Lucien Leuwen". Seine Heimat war allen inneren Revolutionen zum Trotz jene Ära geblieben, in der die geschliffene Rede sich unmittelbar in Macht übersetzte und die literarische Pointe sich mit den Siegen politischer Abenteurer maß. An Stendhal schätzte er die klassizistische Sparsamkeit der Erzählung, die feine Ironie und den trockenen Witz. Aber auf besondere Weise nahe wußte er sich ihm, weil zu diesen Qualitäten ein neues "Ferment im Blut" kam, jene "Leidenschaftlichkeit, von der Rousseau zum erstenmal der Welt einen Begriff gegeben hatte und die hinter dem Donner der Artillerie Napoleons sich ihren Weg gebahnt hatte über ganz Europa". Energie und edle Pose, Urbanität und Intimität, Delikatesse und chirurgisches Urteil - das war die Chemie der Persönlichkeit, die dem makellosen Stilisten seine glänzendsten Formulierungen entlockte. Schade nur, daß der Verlag darauf verzichtet hat, Stracheys ausführliche Zitate aus dem Französischen - zumindest im Anhang - ins Deutsche zu übersetzen. Wem die Literatur des Nachbarlands nicht ohnehin schon vertraut ist, der wird sie durch die "Französischen Paradiese" nicht für sich entdecken können.

Giles Lytton Strachey: "Französische Paradiese". Voltaire, Madame du Deffand, Mademoiselle de Lespinasse und Stendhal. Aus dem Englischen übersetzt von Hans Reisiger und Helene Weyl. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2002. 96 S., geb., 11,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.12.2002

Enthüllungen im Salon
Lytton Strachey suchte und fand seine französischen Paradiese
Französische Paradiese – ob es sie heute oder im 20. Jahrhundert noch gibt, ist schwer zu sagen. Im 19. dagegen gab es sie bestimmt, sie erschlossen sich über verschiedene Formen des Rausches; Charles Baudelaire etwa schwärmte von den künstlichen Paradiesen des Opiums. Aber wohl nur im 18. Jahrhundert stößt man auf ausschließlich französische Paradiese; die taten sich nämlich – so meinte es jedenfalls später Stendhal – in den Sternstunden der leichten, witzig bis scharfzüngigen Konversation in den Salons des Pariser Adels einigen Auserwählten auf. Diese Paradiese waren nicht minder künstlich, allerdings auf andere Weise: der Zivilisationsprozess hatte hier inzwischen das menschliche Sprechen zu einer Kunst werden lassen. Solche Plaudereien voller Esprit, in denen jegliche Emotionalität, jede Ernsthaftigkeit und Gelehrsamkeit, ja jedes Thema gemieden wurde, das mit innerem Engagement einherging, waren Lebenselixier und -inhalt des Adels im Ancien Régime. Sie gingen mit ihm unwiederbringlich verloren.
Von solchen Paradiesen handeln Lytton Stracheys Essays über namhafte Franzosen des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. Lytton Strachey – ein Engländer, dem das Adjektiv exzentrisch stets beigefügt wird – hatte sich 1918 mit spitzen kritischen Biographien über Persönlichkeiten des viktorianischen Zeitalters wie Florence Nightingale einen Namen gemacht. Eminent Victorians wurde im Bloomsbury-Kreis zu einer Art Manifest gegen die Verlogenheit des herrschenden Moralkodex. Die Aufsätze über Voltaire, Mme du Deffand, Mlle de Lespinasse und Stendhal entstanden später. Sie weisen Strachey zwar nochmals als Meister der Biographie aus, aber der Ton hat sich geändert. Es herrscht nicht mehr die entlarvende Kritik vor, sondern ein nostalgisch liebevolles Ausloten von Widersprüchen und Schwächen in großen Franzosen des 18. Jahrhunderts.
Der junge Voltaire etwa lernte die Kehrseite der französischen Paradiese kennen, als ihn der Chevalier Rohan wegen seiner niederen Herkunft verhöhnte und schließlich von Dienern verprügeln ließ. Denn in den Salons, die Voltaire zuvor als geistreichen und witzigen Redner umschmeichelt hatten, stieß er nun keineswegs auf Mitgefühl oder gar Solidarität, sondern auf Spott, Gleichgültigkeit, auf Kastengeist. Aus der unernsten Leichtigkeit dieser Welt des Plauderns fiel Voltaire in den Ernst des Lebens zurück, wenig später musste er Paris verlassen, sich sein Geld verdienen.
Dieser Kehrseite französischer Paradiese verdankte er freilich ein anderes „Paradies”: England, dessen große Bedeutung in Voltaires geistiger Entwicklung Strachey an seinerzeit neuen Dokumenten noch für heutige Leser eindrücklich schildert. Nach einer abwägenden Darstellung des Aufenthalts in England und der Kontakte, die Voltaire womöglich unterhielt, hebt Strachey an den „Lettres philosophiques” hervor, wie der französische Aufklärer auf die Vorzüge der englischen Verfassung, die Unabhängigkeit der Rechtsprechung und die Pressefreiheit bezeichnenderweise nicht eingeht, die Bedeutung der konkreten neuen politischen Praxis verkennt und sich stattdessen in allgemeinen Betrachtungen grundsätzlicher Natur ergeht. In Frankreich wurden die „Lettres philosophiques” denn auch nicht wegen politischer Ketzerei verbrannt, sondern allein wegen einer kurzen lästerlichen Bemerkung zur Unsterblichkeit der Seele.
Mit besonderer Verve beschreibt Strachey zwei große Damen des 18. Jahrhunderts: Mme du Deffand, die den Glanz der ersten Jahrhunderthälfte mustergültig lebte und zu ihrem Leidwesen überlebte, und ihre Nichte Mlle de Lespinasse, in deren Salon die Aufklärer, der Kreis um die Encyclopédie, in der zweiten Jahrhunderthälfte ein und aus gingen. Anhand von Briefen und Überlieferungen versetzt Strachey sich selbst und den Leser in die Psyche, in die Vorstellungen dieser beiden großen Damen hinein und lässt mit und in ihnen zugleich ihre uns fremd gewordene Epoche lebendig werden.
Mme du Deffand war eine typische Persönlichkeit der sinnenfroh- heiteren Zeit der Régence, in der nichts ernst genommen wurde, nicht einmal die eigenen Zweifel am christlichen Glauben. Bis ins hohe Alter – sie starb inmitten plaudernder Besucher – hielt sie in Paris Hof, in dem lange Zeit alles, was Rang und Namen hatte, verkehrte, jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als sie ihre Nichte Mlle de Lespinasse vor die Tür setzte. Mit Unverständnis reagierte sie auf den sich anbahnenden Wandel, auf eine sich immer stärker politisierende Gesellschaft, auf eine Zeit, der, wie sie es Voltaire gegenüber einmal formulierte, der „bon sens” abhanden gekommen war.
Den Bruch mit ihrer Nichte und damit mit den Aufklärern hat sie nie rückgängig zu machen versucht, auch wenn sie ihren Salon dadurch verödet wusste. Die letzten Jahre verbrachte sie mit Gleichaltrigen – viele Vertreter der Régence wurden uralt –, deren Marotten und Fehler sie mitleidslos diagnostizierte, über die sie sich lustig machte und die sie doch nicht entbehren konnte. Einfühlsam schildert Strachey, wie Mme du Deffand einzig in der Konversation lebte und zugleich deren häufige Langeweile und Hohlheit erkannte. Nur an einer Stelle war sie blind, in ihrer späten Liebe zu dem jüngeren Engländer Horace Walpole, mit dem sie fünfzehn Jahre lang Briefe wechselte. Nur seiner Abwesenheit, so Strachey, sei zuzuschreiben, dass die erblindete alte Dame dem blasierten Engländer nicht die Maske heruntergerissen habe.
Gicht als Rache der Mäßigung
Mit Inbrunst holt das Strachey für den Leser nach. Er beschreibt, wie sich Walpole zwar durch die Liebe dieser großartigen Siebzigjährigen in seiner Eitelkeit geschmeichelt sah, aber – typisch englisch – zugleich in der ständigen Furcht lebte, die Briefe könnten in andere Hände gelangen und ihn lächerlich machen. Deshalb bat, nein zwang er Mme du Deffand häufig zu mehr Mäßigung in ihren Briefen, wozu sie sich der Not gehorchend stets bereit fand. Mit innerer Genugtuung weiß Strachey da zu berichten, dass den Engländer nach solch herzlosen Zurückweisungen häufig Gichtanfälle plagten – eine ausgleichende Gerechtigkeit.
Mlle de Lespinasse, um deren glanzvollen Salon sie viele beneideten, sollte es in Liebesdingen nicht besser ergehen. Im Alter verliebte sie sich in den Grafen Guibert. Anders als ihre Tante lebte sie eine große Leidenschaft, wie sie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter andrem dank Jean- Jacques Rousseaus Neuer Heloise in Mode kamen. Allein in der Liebe sah die hochgebildete und philosophisch aufgeschlossene Mlle de Lespinasse daraufhin ihre innere Erfüllung, an der sie sterben wollte und musste, da sie ihre Gefühle nicht wirklich erwidert wusste. Unter Stracheys Feder wird Mlle de Lespinasse zur Verkörperung der aufbrechenden, verzehrenden Leidenschaften, für die sie auch Stendhal später bewundern sollte.
Die vier Porträts sind wunderbar zu lesen. Vor über siebzig Jahren geschrieben und somit ihrerseits Vergangenheit geworden, haben sie an Brillanz und Eleganz nichts eingebüßt. Prägnant zeichnet Strachey die Lebensläufe, entdeckt die Literatur als Schlüssel zu eindrucksvollen Innenansichten, ohne je in akademische Pedanterie zu verfallen. Er lebt mit und in seinen Figuren, beobachtet sie zugleich kritisch von außen. Sein Stil ist – dem des 18. Jahrhunderts kongenial – knapp und treffend. Französische Paradiese ist ein Buch, das man nicht nur getrost empfehlen kann, sondern das man unbedingt auch selbst besitzen will.
FRANZISKA MEIER
LYTTON STRACHEY: Französische Paradiese. Voltaire, Madame du Deffand, Mademoiselle de Lespinasse und Stendhal. Aus dem Englischen von Hans Reisiger und Helene Weyle. Mit einem Nachwort von Heinrich von Berenberg. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin. 2002. 94 Seiten. 11,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Mit großer Begeisterung hat der "alv" zeichnende Rezensent die vier biografischen Essays des Literaten, Essayisten und Historikers Lytton Strachey (1880-1932) gelesen, die nun im Band "Französische Paradiese" vorliegen. Stracheys herausragende Qualität sieht der Rezensent in seiner "lebensnahen und bekennend subjektiven Darstellung" historischer Figuren, seiner "feinen Ironie" und seinem brillanten Stil. Trotz Lücken und ungewohnten Gewichtungen vollbrächten die Essays das Kunststück, "den Menschen als fühlendes Wesen und Protagonisten seiner Zeit ganzheitlich heraufzubeschwören". Zwei der Essays sind berühmten Salondamen des 18. Jahrhunderts gewidmet, der Marquise du Deffand und ihrer Schülerin und späteren Rivalin Mademoiselle de Lespinasse. Mit ihrer Porträtierung gelinge Strachey ein "brillantes Apercu über die damalige Sittengeschichte". Als "Glanzstücke" des Bandes würdigt der Rezensent jedoch die "ebenso tiefgründige wie bewegende Analyse "von Stendhals Genie und die "subtile psychologische Hinterfragung" von Voltaires Affinität zu England.

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