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Als 1894 geborenes Arbeiterkind überwand Friedrich Wilhelm Wagner die Schranken einer in Klassen gefangenen Gesellschaft. Er wurde Anwalt, sozialdemokratischer Politiker, überlebte den Nationalsozialismus im Exil, war einer der Väter des Grundgesetzes und trieb in der frühen Bundesrepublik die politische wie juristische Aufarbeitung der NS-Zeit voran. Wagners an Brüchen reiches Leben war typisch für das 20. Jahrhundert in Deutschland. Seine politische Karriere führte ihn vom Reichstag in den Parlamentarischen Rat des frühen Nachkriegsdeutschlands und schließlich in den Bundestag. Er hatte ein…mehr

Produktbeschreibung
Als 1894 geborenes Arbeiterkind überwand Friedrich Wilhelm Wagner die Schranken einer in Klassen gefangenen Gesellschaft. Er wurde Anwalt, sozialdemokratischer Politiker, überlebte den Nationalsozialismus im Exil, war einer der Väter des Grundgesetzes und trieb in der frühen Bundesrepublik die politische wie juristische Aufarbeitung der NS-Zeit voran. Wagners an Brüchen reiches Leben war typisch für das 20. Jahrhundert in Deutschland. Seine politische Karriere führte ihn vom Reichstag in den Parlamentarischen Rat des frühen Nachkriegsdeutschlands und schließlich in den Bundestag. Er hatte ein hohes soziales Verantwortungsethos und trat mit aller Klarheit für den demokratischen Rechtsstaat ein. Die juristische Aufarbeitung des Nationalsozialismus lag ihm sehr am Herzen. Als Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts wachte Wagner über das von ihm mitgeschaffene Grundgesetz als Fundament eines rechtsstaatlich sanktionierten demokratischen Gemeinwesens.
Autorenporträt
Marquet, AndreasAndreas Marquet, geb. 1981, Historiker, arbeitet als Wissenschaftlicher Referent im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Reinhard Gaier erkennt im ehemaligen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Friedrich Wilhelm Wagner, ein Vorbild. Die aus einer Dissertation hervorgegangene politische Biografie von Andreas Marquet liest er daher mit Gewinn. Auch weil Marquet Wagners Leben und Wirken ausführlich und detailliert und auf Basis einer ungeheuren Materialfülle erkundet, wie er schreibt. Den wissenschaftlich nüchternen Ton nimmt der Rezensent dabei in Kauf. Auch wenn der 1894 geborene Wagner zu Lebzeiten nie aus dem Schatten Carlo Schmids und Fritz Bauers heraustreten konnte, wie Gaier schreibt, mit diesem Buch kann er den erfolgreichen Weg des Juristen, seinen Einsatz für die SPD, für die Republik und gegen die Nazis nachvollziehen und anerkennen, wie Sozialdemokraten wie der Rechtspolitiker Wagner unsere Verfassung entscheidend mit geformt haben.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.03.2016

Erkämpfte
Rechtsgarantien
Eine lesenswerte Biografie über den Sozialdemokraten
und Verfassungsrichter Friedrich Wilhelm Wagner
VON REINHARD GAIER
Wer das Bundesverfassungsgericht besucht, dem begegnet Friedrich Wilhelm Wagner gleich zweimal: zunächst, wie jedes frühere Mitglied des Richterkollegiums, auf einer Fotografie in der bekannten „Ahnengalerie“ im Foyer des Gerichts, dann aber auch im großen Format, in Öl gemalt als Porträt im Plenarsaal. Letzteres können nur diejenigen beanspruchen, denen für das Bundesverfassungsgericht das Amt des Präsidenten oder auch des Vizepräsidenten anvertraut wurde. Zum Vizepräsidenten wurde Friedrich Wilhelm Wagner, damals immerhin schon 67 Jahre alt, im Dezember 1961 ernannt; im August 1967 trat er in den Ruhestand. Ihm selbst behagte der Titel eines „nur“ Vizepräsidenten offenkundig weniger; denn er bevorzugte es, sich als Präsident des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vorzustellen. Solche Eitelkeit sollte man ihm verzeihen, mag ihm doch der Titel – wie auch der von ihm sehr geschätzte „Justizrat“ – zur eigenen Vergewisserung seines unglaublichen Aufstiegs gedient haben, eines Aufstiegs aus kleinsten Verhältnissen, nach dunklen Zeiten der Verfolgung und der Emigration bis hin zu den Spitzen des demokratischen Staates.
  Andreas Marquet, ein junger Historiker, der im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung beschäftigt ist, hat eine politische Biografie vorgelegt, die das Leben und politische Wirken von Friedrich Wilhelm Wagner nachzeichnet. Es ist ein sehr ausführliches, detailliertes Werk geworden, das – „behutsam gekürzt“ – aus der Dissertation des Verfassers hervorgegangen ist. Daher darf keine leichte Lektüre erwartet werden, es herrscht der nüchterne Ton der Wissenschaft, und es beeindrucken die Menge des Quellenmaterials wie die schier ungeheure Stofffülle. Ohne Zweifel handelt es sich um eine verdienstvolle Arbeit: Friedrich Wilhelm Wagner mag – mit den Worten des Verfassers – zu den „Funktionären mittlerer Reichweite“ gezählt werden, er mag als Rechtspolitiker im Schatten der „Ganzgroßen“ wie Adolf Arndt, Carlo Schmid und Fritz Bauer gestanden haben. Obgleich sein Name und sein Tun heute nur wenigen präsent sein mögen, ist Friedrich Wilhelm Wagner einer Biografie und ist das Werk einer Lektüre wert. Wagner wirkte in einer Zeit, als Rechtspolitiker selbst aus der zweiten Reihe sich ein Maß an Bedeutung verdienen konnten, das heute in den vorderen Rängen seinesgleichen sucht.
  Die Biografie zeigt nicht nur, wie Wagner als Kind aus „sozialdemokratischem Arbeiteradel“ 1894 in Ludwigshafen geboren, über ein erfolgreiches, 1919/20 abgeschlossenes Jurastudium den Weg zur Anwaltschaft fand. Beschrieben werden auch sein Einsatz für die SPD, in die er während des Ersten Weltkriegs eintrat, sein anwaltliches Engagement für Sozialdemokraten – wie etwa im Strafprozess gegen den Nazi und späteren DAF-Reichsleiter Robert Ley wegen eines brutalen Angriffs auf Otto Wels – sowie sein Kampf für die Republik und gegen die Nazis an verantwortlicher Stelle im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Im Dezember 1930 wurde Wagner Mitglied des Reichstags. Den Nazis war er verhasst, sodass sie ihn schon am 10. März 1933 in „Schutzhaft“ nehmen wollten. Wagner konnte jedoch über die Schweiz nach Frankreich fliehen. Jahre der politischen Emigration und des hoch engagierten Widerstandes aus dem Exil folgten. 1941 konnte Wagner den Nazis und den französischen Kollaborateuren auf abenteuerlichen Wegen über Spanien und Portugal in die USA entkommen. Dort kam er mit „einem ganzen Dollar“ an. Im Februar 1947 kehrt Wagner in seine zerbombte Heimatstadt zurück, wird wieder als Rechtsanwalt zugelassen. Noch im selben Jahr wird er Abgeordneter im Landtag von Rheinland-Pfalz, um dann von 1949 bis zu seiner Wahl an das Bundesverfassungsgericht dem Deutschen Bundestag als Mitglied anzugehören. Dazwischen liegt in den Jahren 1948/49 eine Zeit des politischen Schaffens, die Wagner bis heute besondere Bedeutung verleiht: Er wurde als Mitglied des Parlamentarischen Rates zu einem der Väter des Grundgesetzes, und nach seinem Kampf für die Republik von Weimar verdiente er es sich hier, ein „Anwalt der Republik(en)“ genannt zu werden. Carlo Schmid, damals Vorsitzender des Hauptausschusses, hat in seinen „Erinnerungen“ für „einige Mitglieder“ des Parlamentarischen Rates „Kurzporträts“ verfasst, darunter auch eine Skizze zu Friedrich Wilhelm Wagner: Er soll „der feurigste Redner der SPD-Fraktion“ gewesen sein und „. . . immer auf dem Plan, wenn es galt, für demokratische Rechtsgarantien zu kämpfen und vermeintliche Angriffe von klerikaler Seite abzuwenden . . . “. Freilich scheint Wagner bisweilen überzogen zu haben, denn Schmid fühlte sich „gelegentlich“ an die „Beredsamkeit“ von „Don Quichotte in der verzauberten Schenke“ erinnert, jedoch nicht ohne hinzuzufügen „. . . aber man liebte diesen aufrechten Demokraten – der in den bösen Jahren als Emigrant für seine Gesinnung zu leiden hatte –, zumal er ein standhafter Zecher war.“
  Wagners Kampf für „demokratische Rechtsgarantien“ kulminiert in den vier Worten des Artikel 102 des Grundgesetzes: „Die Todesstrafe ist abgeschafft.“ Zu Recht widmet Marquet hier der Rolle Wagners große Beachtung. Nachdem ein erster Versuch des Abgeordneten Seebohm von der Deutschen Partei zur Abschaffung der Todesstrafe gescheitert war, nahm Wagner sich des Vorschlags erneut an: „Der Staat soll kein Recht haben zu töten“; und er konnte die Mehrheit der Abgeordneten des Hauptausschusses schließlich auch überzeugen. Im Plenum wurde danach umso heftiger gestritten, und Wagner brillierte erneut: „Bei uns ist der Tod umgegangen, bei uns hat man Todesstrafen verhängt und vollstreckt in einem so schrecklichen Ausmaß, dass kein anderes Volk wie wir so Veranlassung hat, eine klare Entscheidung zu treffen.“ Gerade Wagner ist es zu verdanken, dass nicht nur die historische Chance zur Beseitigung der Todesstrafe genutzt werden konnte, sondern auch die zahlreichen Versuche zu deren nachträglicher Wiedereinführung im Bundestag scheiterten. Heute ist die Ächtung der Todesstrafe ein Anliegen der Weltpolitik. Um dieses Ziel zu erreichen, fordert etwa die Generalversammlung der Vereinten Nationen seit 2007, Hinrichtungen weltweit auszusetzen. Immer noch machen aber 22 von 198 Staaten von dieser, so Wagner, „barbarischen Strafe“ Gebrauch. Wagners erfolgreiches Streiten gegen die Todesstrafe ist aber einer von vielen Schritten, die dem „Recht des Staates zu töten“ immer mehr die einstmals beanspruchte Selbstverständlichkeit nehmen.
  Andreas Marquets verdienstvolle Untersuchung ist so auch ein Beleg dafür, wie Sozialdemokraten zentrale Normen unserer Verfassung geformt haben. Ein Umstand, der heute nur selten angemessen gewürdigt wird. Umso mehr lohnt der Blick auf das Vorbild und den Rechtspolitiker Friedrich Wilhelm Wagner.
Reinhard Gaier ist Richter des Bundesverfassungsgerichts.
Nach seiner Rückkehr aus der
Emigration war er Mitglied
im Parlamentarischen Rat
„Die Todesstrafe ist abgeschafft.“
Dieser Satz im Grundgesetz ist
auch ein Verdienst von Wagner
  
  
  
  
Andreas Marquet,
Friedrich Wilhelm Wagner 1894-1971 – Eine politische Biografie. Verlag J.H.W. Dietz Nachf. 2015. 488 Seiten, 58 Euro.
Versiegte Geldquelle: Friedrich Wilhelm Wagner (Mitte) liest Union, SPD und FDP die Leviten. Der Zweite Senat verkündet 1966 sein wegweisendes Urteil zur Parteienfinanzierung.
Foto: SZ-Photo
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