Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 8,96 €
  • Broschiertes Buch

Sparpolitiken sollten Europa aus der Finanzkrise retten, haben aber die Schulden erhöht, ohne Wachstum zu erreichen. Mark Blyth entlarvt Austerität als einen gefährlichen Irrweg im Dienste konservativer Politik und wirtschaftlicher Interessen. Nach der Finanzmarktkrise, der großen Rezession und der Eurokrise ist es Konservativen weltweit gelungen, Staatsausgaben als das Hauptübel und das größte Hindernis für neues Wachstum hinzustellen. Nachdem im Zuge der Konjunkturprogramme und Bankenrettung die Staatsverschuldung überall stark gestiegen ist, wird vor allem den Krisenländern der Eurozone…mehr

Produktbeschreibung
Sparpolitiken sollten Europa aus der Finanzkrise retten, haben aber die Schulden erhöht, ohne Wachstum zu erreichen. Mark Blyth entlarvt Austerität als einen gefährlichen Irrweg im Dienste konservativer Politik und wirtschaftlicher Interessen. Nach der Finanzmarktkrise, der großen Rezession und der Eurokrise ist es Konservativen weltweit gelungen, Staatsausgaben als das Hauptübel und das größte Hindernis für neues Wachstum hinzustellen. Nachdem im Zuge der Konjunkturprogramme und Bankenrettung die Staatsverschuldung überall stark gestiegen ist, wird vor allem den Krisenländern der Eurozone eine harte Sparpolitik zugemutet. Aber diese Politik hat die Krise nur verschärft. Wie Mark Blyth zeigt, beruht die Austeritätspolitik auf fehlerhaften Statistiken und fragwürdigen Theorien. Sie gefährdet den Wohlstand und untergräbt die Demokratie.
Autorenporträt
Mark Blyth, geb. 1967 in Schottland, ist Professor für Internationale Politische Ökonomie an der Brown University.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.02.2015

Sparen um
jeden Preis
Mark Blyth kritisiert die Austeritätspolitik und stellt
der Währungsunion ein vernichtendes Zeugnis aus
VON WOLFGANG STREECK
Was ist wichtiger in der Politik, Ideen oder Interessen? Der amerikanische Politikwissenschaftler Mark Blyth hat schon früh auf den Primat von Ideen gesetzt. Politik, so Blyth, kann falsch oder richtig sein; richtig aber nur, wenn sie nicht falschen Ideen aufsitzt. Falsche Ideen können zu Obsessionen werden; um sie auszuräumen, braucht es Wissenschaft, aber auch Rhetorik. Beides liefert Blyth in seinem eindrucksvollen Buch.
  Die falsche fixe Idee, von der Blyth die Welt befreien möchte, ist die von „Austerität“ als Königsweg aus kapitalistischen Krisen. Austerität heißt Zurückschneiden des Staates zugunsten des Marktes, Abbau der Staatsverschuldung durch Senkung der Staatsausgaben.
  Blyth will zeigen, dass dies eine „gefährliche Idee“ ist. Er beginnt mit einer Darstellung der Finanz- und Fiskalkrise von 2008 als Krise des deregulierten Bankensystems und erst dann auch der öffentlichen Finanzen. Dem folgt eine Ideengeschichte der Austeritätspolitik als Geschichte zunächst des Liberalismus, ausgehend von Locke, Hume und Smith, und dann des Neoliberalismus, insbesondere der österreichischen Schule, des deutschen Ordoliberalismus und der neuesten Makroökonomie. Anschließend findet sich eine Realgeschichte des Scheiterns von Austeritätspolitik im 20. und 21. Jahrhundert. Das Buch endet mit einem Vorschlag für eine Krisentherapie ohne „Kaputtsparen“.
  Blyths Buch ist gut geschrieben: verständlich, manchmal vergnüglich, ohne dabei dem Leser etwas zu schenken. Besonders spannend fällt Blyths faktenreiche und zugleich amüsant-polemische Diskussion jener Länder aus, in denen, den neoliberalen Krisenbekämpfern zufolge, Austerität zu Wachstum geführt haben soll – darunter die Opfer des „Washington Consensus“ im globalen Süden sowie die baltischen Staaten, Rumänien und Bulgarien. Es macht Spaß zu lesen, wie Blyth die als Wissenschaft getarnten Propagandaschriften der internationalen Star- und Standardökonomen demontiert, um sein „Ceterum censeo“ bestätigt zu finden: „Sparen“ ist eine gefährliche Idee, die nicht funktioniert.
  Blyth reist mit leichtem theoretischen Gepäck. Über Keynes’ Aggregationsparadox will er nicht hinaus: Wenn es dem Einzelnen schlecht geht und er „spart“, kann es ihm besser gehen; wenn es allen schlecht geht und alle „sparen“, geht es bald allen noch schlechter. Das reicht, um zu begründen, warum Austerität eine schlechte Idee ist. Höher liegt die Latte, wenn Blyth erklären muss, warum eine so offenkundig absurde Idee wie die des „Gesundsparens“ im heutigen Europa zu solcher Wirkungsmacht gelangen konnte.
  Hier übergibt der Kritiker der Makroökonomie an den Ideentheoretiker Blyth, der uns eine – sehr angelsächsisch gefärbte – Geschichte über Deutschland, genauer: über eine spezifisch deutsche Verblendung, anbietet. Diese beginnt mit der Sparpolitik der Reichsregierung am Ende der Weimarer Republik, betrieben mit Unterstützung von SPD und Gewerkschaften, und setzt sich in dem Misstrauen des Ordoliberalismus gegen einen wirtschaftlich aktiven Staat fort, das sich heute in den Neoliberalismus des anti-keynesianischen Flügels der amerikanischen Politik und der Public-Choice-Schule der institutionellen Ökonomie einfügt.
  Irgendwie, so Blyth, sei den Deutschen ihr Ordoliberalismus so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie ihn für selbstverständlich halten, und Blyth scheut sich nicht, als Beleg die abgenutzte Populäretymologie von Schulden und Schuld heranzuziehen und seinen Lesern die Bundeskanzlerin als, na was?, „schwäbische Hausfrau“ vorzuführen.
  Blyths Kritik der Austerität als Idee und Instrument kommt denjenigen in Deutschland recht, die Europa durch „keynesianische“ Wachstumsprogramme bei der Abkehr von „typisch deutschen“ Stabilitäts- und Konsolidierungsobsessionen wieder auf die Beine und nebenbei die deutsche politische Ökonomie von ihrem ordoliberalen Kopf auf nachfragepolitische Füße stellen wollen. Gemeint ist die gewerkschafts- und SPD-nahe Linke, die gern vergisst, dass die SPD die Europapolitik Merkels seit 2008 mitgetragen hat und die Industriegewerkschaften eine Beschädigung der deutschen „Wettbewerbsfähigkeit“ immer noch mehr fürchten als eine schwache Inlandsnachfrage.
  Tatsächlich finden sich bei Blyth Stellen, an denen die deutsche Inflations- und Verschuldungsaversion nicht mehr als verrückte Idee, sondern (auch) als Ausdruck eines strukturellen Interesses erscheint: vielleicht bad, jedenfalls aber nicht mad, wenn man an die Abhängigkeit deutscher Arbeitsplätze von deutschen Exporterfolgen denkt. Das Problem wäre dann nicht, dass die Deutschen nicht wissen, was makroökonomisch richtig ist. Vielmehr besteht es darin, dass Deutschland durch die Europäische Währungsunion in die Lage versetzt wird, seine für es selber richtigen, für andere aber gefährlichen Politikrezepte auf Europa insgesamt zu erstrecken.
  Interessant wird es sein zu sehen, wie sich die deutsche Linke mit ihrem neuen keynesianischen Champion arrangieren wird. Schließlich sind die SPD und die Gewerkschaften, die Kanzlerin und die Exportindustrie sich völlig einig, dass an der Währungsunion als deutscher Exportüberschussmaschine festzuhalten ist, koste es, was es wolle. Auf Blyth aber können sie sich dabei nicht berufen. Sein Urteil über die Währungsunion ist schlechthin vernichtend: Er spricht von einer „finanzpolitischen Weltuntergangsmaschine, die Europa für sich selbst geschaffen“ habe:
  „Wenn Staaten sich aus einer Notlage weder herausinflationieren (. . .) noch ihre Währung abwerten können, bleibt ihnen nur die Insolvenz (was das Bankensystem zu Fall brächte und deshalb keine Option darstellt). Deshalb ist interne Abwertung mittels eines Absenkens von Preisen und Löhnen der einzige Ausweg. Das aber heißt: Austerität.“
  Am Ende freilich, wenn Blyth die besseren Ideen hervorholt, die die Austeritätsideologie ablösen sollen, ist von der Währungsunion nicht mehr die Rede. Dies, obwohl Blyth in seinen empirischen Fallanalysen immer wieder einräumt, dass Austerität manchmal doch zum Wachstumsziel führen könne, allerdings nur in Kombination mit einer Abwertung der nationalen Währung! Stattdessen geht es im Schlusskapitel plötzlich um das Staatsschuldenproblem, das vorher eigentlich nur ein Bankenproblem war und im Übrigen nur in der Einbildung ordoliberaler Moralisierer zu bestehen schien.
  Schwierig wäre dessen Lösung, Blyth zufolge, sowieso nicht: Gebraucht würden lediglich höhere Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen in Kombination mit „finanzieller Repression“: Banken und Versicherungen müssten verpflichtet werden, in Staatsanleihen zu Zinssätzen unterhalb der Inflationsrate zu investieren; und bei einem dank höherer Steuereinnahmen ungefähr ausgeglichenen öffentlichen Haushalt wäre der Schuldenberg dann bald abgeschmolzen. Man darf annehmen, dass Blyth das Gelddruckprogramm der EZB für eine gute Idee hält, auch wenn nicht sicher ist, ob die angestrebten zwei Prozent Inflation (sowieso nicht viel) tatsächlich erreichbar sind. Was die Besteuerung der Großverdiener angeht, so ist Blyth von den derzeitigen Absichtserklärungen der Regierungen erstaunlich beeindruckt; ob er hier tatsächlich so naiv ist, wie er tut? Reales Wachstum wäre natürlich ebenfalls hilfreich, aber wo soll es herkommen, und dann noch bei höheren Steuern?
  Ohne Inflation und Wachstum führten auch Nullzinsen nicht zu Schuldenabbau, siehe Japan. Aber mit einem Problem wie dem, ob eine expansive Fiskal- und Geldpolitik auch dann noch Wachstum bewirken kann, wenn alle Beteiligten bereits über die Ohren verschuldet sind, möchte ein glaubensfester Spätkeynesianer sich wohl nicht befassen – so wenig wie mit dem Umstand, dass die Anhäufung staatlicher wie auch privater Schulden schon vor der Finanzkrise jahrzehntelang weltweit und ziemlich linear im Gang war, begleitet allerdings von sinkendem statt steigendem Wachstum sowie, nicht zu vergessen, von zunehmender Ungleichheit der Einkommen und Vermögen.
  In seiner Polemik gegen die Austeritätsfanatiker bemüht Blyth mehrmals das Bild von dem Betrunkenen, der seine Autoschlüssel unter der Straßenlaterne sucht, weil er nur dort etwas sehen kann. Könnte der Vergleich nicht auch diejenigen treffen, die seit Jahren den Hochkapitalismus im Licht altkeynesianischer Ideen mit immer neuen Geldinjektionen wieder in Schwung zu bringen versuchen, ungeachtet der Erfahrung von 2008 und der jederzeit explosionsbereiten Blasen am Rande eines nur noch einer immer kleineren Minderheit zugutekommenden und längst zum Holzweg gewordenen Wachstumspfades? Wenn Sparen kaputt macht, macht Borgen nicht schon deshalb gesund.
Mark Blyth: Wie Europa sich kaputtspart. Die gescheiterte Idee der Austeritätspolitik. Übersetzt von Boris Vormann. Dietz Verlag, 2014. 352 Seiten, 26 Euro.
Wolfgang Streeck ist Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln.
Kenntnisreich und polemisch
zerpflückt Blyth die
neoliberale Krisenbekämpfung
Reales Wachstum wäre
hilfreich. Aber wo
soll es herkommen?
Schon während der Banken- und Finanzkrise sahen einige Großverdiener sich am Abgrund. Und nun kommt auch noch der Politikwissenschaftler Mark Blyth und plädiert für höhere Steuern.
Zeichnung: Haderer
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"Souverän und klug" findet Steffen Vogel, wie Mark Blyth mit der europäischen Sparpolitik unter deutscher Ägide ins Gericht geht. Blyth erinnere daran, dass am Anfang der ökonomischen Schwierigkeiten die Bankenkrise stand. Wenn also die Staaten jetzt sparen müssen, dann nicht, weil sie unverantwortlich gehaushaltet haben, sondern die Banken, deren riskante Aktivitäten durch solide Staatsfinanzen gestützt werden müssen. Überzeugend findet Vogel das und stimmt auch Blyth' Plädoyer zu, die Steuern auf Vermögen und Finanztransaktionen zu erhöhen, um den Staat wieder als Akteur ins Spiel zu bringen, und mit den durchaus nötigen Strukturreformen in den Südländern zu warten, bis es wieder aufwärts geht.

© Perlentaucher Medien GmbH