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In den schwierigen Beitrittsverhandlungen der Europäischen Gemeinschaft mit Norwegen übernahm die Bundesrepublik die Rolle einer 'Treuhänderin' skandinavischer Interessen. Der Band zeigt, wie wichtig bilaterale 'Kanäle' im EG-Erweiterungsprozess waren und wie sehr Willy Brandt sich hierbei persönlich für seine 'zweite Heimat' Norwegen eingesetzt hat. Mit Willy Brandt als Außenminister und Bundeskanzler wuchs das Vertrauen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Norwegen enorm. Gemeinsame Interessen rückten in den Vordergrund. Während die Regierung Brandt-Scheel hoffte, skandinavische…mehr

Produktbeschreibung
In den schwierigen Beitrittsverhandlungen der Europäischen Gemeinschaft mit Norwegen übernahm die Bundesrepublik die Rolle einer 'Treuhänderin' skandinavischer Interessen. Der Band zeigt, wie wichtig bilaterale 'Kanäle' im EG-Erweiterungsprozess waren und wie sehr Willy Brandt sich hierbei persönlich für seine 'zweite Heimat' Norwegen eingesetzt hat. Mit Willy Brandt als Außenminister und Bundeskanzler wuchs das Vertrauen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Norwegen enorm. Gemeinsame Interessen rückten in den Vordergrund. Während die Regierung Brandt-Scheel hoffte, skandinavische Unterstützung für ihre Ostpolitik zu finden, setzte Norwegen auf Bonner Hilfe in den EG-Beitrittsverhandlungen. Das Verhältnis beider Länder hatte bald den Charakter einer 'special relationship'. Auch das Scheitern des norwegischen Beitritts im Jahr 1972 und Brandts Rücktritt 1974 konnten das gute Verhältnis der beiden Staaten zueinander nicht mehr beschädigen. Ein Durchbruch war geschafft. Ausgezeichnet mit dem Willy-Brandt-Preis 2007 der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung.
Autorenporträt
Robin M. Allers geb. 1970 in Davos, Dr. phil., studierte Geschichte, Politikwissenschaft und französische Literatur in Hamburg und Paris. Er lehrt und forscht am Forum für Zeitgeschichte an der Universität Oslo.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.11.2009

Ach, Europa!
Willy Brandts gescheiterte Kampagne in Norwegen

Als sich Hans Magnus Enzensberger in den achtziger Jahren Europa von der Peripherie her näherte, fand sich in seinen "Norwegischen Anachronismen" das Zitat eines Postbeamten. Der kommentierte den 1969 entdeckten Ölreichtum vor Norwegens Küste: "Zum ersten Mal kann uns das Ausland nicht mehr auf der Nase herumtanzen. Unser Gewicht in der Welt hat zugenommen. Ein ganz neues Gefühl!" Diese Sätze erklären, was nur schwer zu verstehen ist: Warum die Europäische Gemeinschaft, die Europäische Union, in Norwegen einen so schweren Stand hat. Gleich zweimal - bei den Volksabstimmungen 1972 und 1994 - scheiterten die Versuche der norwegischen Politik, den Bürgern die Vorzüge der europäischen Einigung schmackhaft zu machen. Dieses Scheitern hatte nicht allein mit dem Ölrausch, den ernstzunehmenden Bedenken gegen den Einigungsprozess, Sorgen vor dem Verlust des skandinavischen Sozialmodells und antiliberalen Ressentiments zu tun, sondern auch mit dem Zögern europafreundlicher Sozialdemokraten, ihre Argumente herauszustellen.

Willy Brandt glaubte dies ändern zu können. 1933 war Brandt aus Lübeck nach Oslo geflohen, nach dem deutschen Überfall auf Norwegen 1940 nach Schweden, und schon als Publizist im Exil arbeitete er dafür, "zwei Vaterländer wiederzugewinnen - ein freies Norwegen und ein demokratisches Deutschland. Einmal muss das Europa Wirklichkeit werden, in dem Europäer leben können." Dabei blieb es, ob Brandt 1946 als norwegischer Journalist in Nürnberg, 1947 als Presseattaché an der norwegischen Botschaft oder nach 1966 als Außenminister und nach 1969 als Bundeskanzler wirkte.

Zwar schickte es sich nicht, in fremde Debatten hineinzuwirken, zumal nicht als deutscher Politiker. Auch war die Nato-Politik der Bundesrepublik im linkslastigen Norwegen nicht unumstritten. Die deutsche Botschaft in Oslo aber hielt Brandt 1970 schon ob des Beifalls, den die Ostpolitik gefunden hatte, für den "richtigen Mann", um vor norwegischen Parlamentariern für Europa zu werben: "Man fürchtet, als kleines Volk untergebuttert zu werden, seine Identität zu verlieren et cetera. Meines Erachtens wäre der Kanzler der richtige Mann, ihnen zu zeigen, welche Rolle auch die kleinen Völker im geeinten Europa spielen können."

Brandt sprach im Sommer 1972 auch auf dem Osloer Youngstorget, offiziell in seiner Eigenschaft als Sozialdemokrat, inoffiziell als Bundeskanzler und unlängst gekürter Friedensnobelpreisträger. Doch sein Einsatz half ebenso wenig wie die Europa-Affinität, die unter norwegischen Diplomaten und Beamten zweifelsohne zunahm: 53,5 Prozent der Norweger sprachen sich im September gegen den Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften aus. Womöglich, dieser Eindruck drängt sich nach der Lektüre von Robin Allers' "Deutschland, Norwegen und Europa in der Ära Brandt" auf, war die Kampagne eben doch zu schwach und elitenlastig ausgerichtet gewesen. Und womöglich musste auch die Gemeinschaft besser an Bereichen wie der Regionalpolitik, der Sozialpolitik und der Demokratisierung arbeiten, um im Norden überzeugen zu können. Das jedenfalls gab der deutsche Botschafter in Oslo nach dem Scheitern zu bedenken.

Die deutschen Versuche, Norwegen in die Europäische Gemeinschaft einzubinden, zeichnet die beeindruckende Studie mit großer Kenntnis des bürokratischen Innenlebens bis hin zur Unterzeichnung des Freihandelsabkommens zwischen Norwegen und der EWG 1973 nach. Allers spricht dabei von einer special relationship, von "besonderen Beziehungen", zwischen deutschen und norwegischen Beamten in den Jahren Brandts, die umso erstaunlicher scheinen, da das deutsch-norwegische Verhältnis in der Öffentlichkeit noch keineswegs entspannt war.

Diese Kontakte sind die eigentliche Leistung der Ära Brandt. Sie würden für Deutschland schon mit Blick auf Norwegen als Energielieferanten dauerhaft von Bedeutung sein, und sie erwiesen sich nach dem Nein zu Europa auch für Norwegen als wertvoll: "Oslo fehlte", schrieb der Brandt-Nachfolger Helmut Schmidt (SPD) in seinen Memoiren, "der enge Kontakt, den etwa die europäischen Gipfeltreffen, insbesondere nach dem Beitritt Großbritanniens und Dänemarks, den Staaten der Gemeinschaft ermöglichten. Soweit wir konnten, habe ich versucht, mit Interpretationen, Erläuterungen und Kontakten zu helfen." Überzeugte Europäer sind die Norweger bis heute nicht geworden. Weiterhin gilt, was der damalige Außenminister Kinkel (FDP) 1994 so formuliert haben soll: "By now I know every Norwegian fish by their first names - and then you say no!"

MATTHIAS HANNEMANN

Robin M. Allers: Besondere Beziehungen. Deutschland, Norwegen und Europa in der Ära Brandt (1966-1974). Verlag J. H. W. Dietz, Bonn 2009. 446 S., 32,- [Euro].

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